Amnesty International legt neue Details über US-Geheimgefängnisse vor
Teil 1: Das Schicksal dreier Jemeniten
Von Martin Kreickenbaum
25. April 2006
Seit einigen Monaten kommen immer mehr Details über die Praxis der illegalen Entführungen und geheimen Internierungen von angeblichen Terrorverdächtigen durch den US-amerikanischen Geheimdienst CIA ans Licht. Anfang April legte auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International eine Dokumentation mit neuen Details über die so genannten "Renditions" vor. Dabei wird auch die Komplizenschaft der europäischen Regierungen bei den rechtswidrigen Machenschaften der CIA beleuchtet.
Der Amnesty -Bericht "Unter dem Radar: Geheime Flüge zur Folter und ins Verschwinden" (Below the radar: Secret flights to torture and disappearance) zeichnet minutiös die Odyssee von drei jemenitischen Staatsbürgern durch vier amerikanische Geheimgefängnisse in Afghanistan, Dschibuti und mutmaßlich Osteuropa nach und dokumentiert außerdem Hunderte Stopps der von der CIA für illegale Entführungen benutzten Flugzeuge auf europäischen Flughäfen.
Die Aussagen von drei jemenitischen Männern, mit denen Amnesty Kontakt aufnehmen konnte, gehören zu den detailliertesten Quellen über das weltweite Netz von US-amerikanischen Geheimgefängnissen, die "Black Sites". Ihre Schilderungen zeigen die Systematik und Organisation der CIA bei der Durchführung von Entführungen, Internierungen und Misshandlungen.
Muhammad Faraj Bashmilah und Salah Nasir Salim Ali Qaru wurden im Oktober 2003 in Jordanien festgenommen und später an US-Sicherheitsdienste ausgeliefert, während Muhammad Abdullah Salah al-Assad in Tansania verhaftet und direkt in US-Gewahrsam übergeben wurde. Alle drei wurden erst mehr als 18 Monate später von den USA an jemenitische Behörden ausgeliefert, die sie weitere neun Monate inhaftierten, ehe sie endlich im März 2006 freigelassen wurden. Zu keinem Zeitpunkt ist den drei Männern gesagt worden, was gegen sie vorliegt, noch ist jemals Anklage gegen sie in Verbindung mit terroristischen Aktivitäten erhoben worden. Ihr einziges Verbrechen bestand offenkundig darin, zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen zu sein.
Muhammad Bashmilah und Salah Qaru wurden von den US-Sicherheitskräften direkt nach Afghanistan ausgeflogen und dort in ein geheimes Internierungslager gesteckt, dessen Personal ausschließlich aus US-Amerikanern bestand.
Im Lager selbst herrschten strikte und umfassende Sicherheitsmaßnahmen. Die Gefangenen wurden in Isolationshaft in Einzelzellen von zwei mal drei Meter Größe gehalten, in denen sie permanent von zwei Videokameras überwacht wurden. Sie waren an einen Ring im Boden der Zelle gefesselt, wobei die Kette so kurz war, dass sie nicht bis zur Zellentür reichte.
Wurden die Inhaftierten für Befragungen aus der Zelle geführt, wurden ihnen Handschellen angelegt und eine Kapuze übergezogen, ehe die Fußfesseln vom Ring gelöst wurden. An der Kapuze befand sich eine Schlinge, die im "Bedarfsfall" fest um den Hals gezogen werden konnte.
Muhammad al-Assad wurde von Tansania aus erst nach Dschibuti geflogen, wo er mehrere Wochen festgehalten und von zwei US-Sicherheitsbeamten verhört wurde, die angaben, von der Bundespolizei FBI zu kommen. Von Dschibuti aus wurde al-Assad nach Afghanistan weiter transportiert, ehe er zusammen mit Salah Qaru und Muhammad Bashmilah Ende April 2004 erneut verlegt wurde.
Dieser Transport wurde geradezu generalstabsmäßig durchgeführt. Die Männer wurden einzeln aus ihren Zellen geholt. Dann wurden ihnen von schwarz maskierten Wärtern Windeln angelegt und Overalls und Kapuzen übergezogen. Ihre Arme und Beine wurden gefesselt, wobei die Fesseln an einen Gürtel um die Hüfte gebunden wurden, um jede Bewegung zu unterdrücken. Knebel und Kopfhörer sollten zudem verhindern, dass die Gefangenen untereinander oder mit den Wärtern sprachen.
Aufgrund der geschätzten Transportzeit mit Flugzeug, Hubschrauber und Auto sowohl auf dem Weg zu ihrem neuen Internierungslager als auch von dort 13 Monate später zurück in den Jemen geht Amnesty davon aus, dass die Männer in ein Lager in Osteuropa gebracht wurden. Die Türkei, Bulgarien, Rumänien, die Slowakische Republik, Albanien oder Bosnien-Herzegowina gelten dabei als mögliche Staaten, in denen das Geheimgefängnis unterhalten wurde.
Für Osteuropa sprechen auch weitere Indizien, die sich aus den übereinstimmenden Berichten der drei Jemeniten ergaben.
Es gab starke Temperaturschwankungen und der Winter war kälter als jeder Winter, den sie zuvor erlebt hatten. Das Essen bezeichneten sie als typisch europäisch mit Pizza und belegten Broten. Die Etiketten von Joghurtbechern, Käse, Wasserflaschen und anderen Nahrungsmitteln waren jedoch immer sorgsam entfernt worden.
Die Sanitäranlagen waren modern und ebenfalls eher europäisch, wobei die Toiletten in Richtung Mekka aufgestellt waren, was gegen ein Land mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung spricht. Außerdem wurden den Gefangenen Zeiten für das Gebet bei Sonnenuntergang gegeben, die aufgrund ihrer Variation und einer zuweilen zusätzlich eingerechneten Sommerzeitstunde eindeutig für einen der 46 Mitgliedsstaaten des Europarats sprechen.
Die drei Männer wurden in Isolationshaft gehalten, ohne jeden Ausgang oder Kontakt zu Mithäftlingen. Ferdinand Muggenthaler, US-Experte der deutschen Sektion von Amnesty, berichtete der Internet-Site Telepolis über weitere Umstände der Internierung im osteuropäischen Geheimgefängnis: "Ihre Zellen waren kahl, sie wurden permanent beschallt und mussten ausschließlich unter Kunstlicht leben, da ihnen kein Hofgang erlaubt war. Die Wachen waren immer maskiert, persönlich gesehen haben sie nur den vermeintlichen Direktor, der ihnen schließlich ihre Entlassung ankündigte."
Die Sicherheitsvorkehrungen und Überwachungsmaßnahmen lassen es dabei unwahrscheinlich erscheinen, dass das Lager nur für die Befragung von "unwichtigen" Verdächtigen benutzt worden ist. Einer der Männer schätzt, dass jede Woche alleine aus seiner Sektion 20 Gefangene einzeln zum Duschen geführt wurden. Aus wie vielen Sektionen das Lager insgesamt bestand, ist jedoch unbekannt.
Muhammad al-Assad, Salah Qaru und Muhammad Bashmilah wurden schließlich im Mai 2005 den jemenitischen Behörden übergeben, die die Männer auf Anweisung der US-Sicherheitskräfte weiter eingesperrt lassen sollten, bis die Akten aus Washington überstellt worden seien.
Die Akten sind nie eingetroffen und die jemenitischen Behörden haben auch sonst keinerlei Informationen von den USA erhalten, was gegen die drei Männer vorliegt oder warum sie weiter in Haft gehalten werden sollten.
Nach neun Monaten wurden sie schließlich unter der fiktiven Anklage vor Gericht geführt, Reisepässe gefälscht zu haben. Sie wurden zu zwei Jahren Haft verurteilt, die der Richter aber mit den über 18 Monaten in US-Internierungslagern und den neun Monaten im jemenitischen Gefängnis als abgegolten ansah. Er ließ die drei schließlich frei - 30 Monate nachdem sie aufgegriffen worden waren. Trotzdem müssen sie sich monatlich bei der politischen Polizei melden und dürfen Aden nicht verlassen.
Muhammad al-Assad hat sein Geschäft in Tansania verloren und ist nun hoch verschuldet, Salah Qaru und Muhammad Bashmilah haben keine Möglichkeit, zu ihren Familien in Indonesien zurückzukehren. Alle drei leiden unter psychischen Traumata infolge der völlig rechtswidrigen Internierung und der dabei erlittenen Folter.
Ferdinand Muggenthaler erklärte dazu: "Im Fall der drei jemenitischen Staatsbürger hat offenbar die CIA selbst keinen Grund mehr für eine Inhaftierung gesehen. Wir müssen aber befürchten, dass Menschen, von denen man sich mehr Informationen erwartet, noch schlimmer behandelt werden - soweit man davon überhaupt sprechen kann."
Aufgrund der Heimlichkeit der Entführungen und Internierungen durch das Rendition-Programm lässt sich die gesamte Zahl der Opfer dieser Praxis nur schwer einschätzen. Es gibt weder eine förmliche Anklageschrift noch eine Mitteilung an staatliche Behörden oder an die Familien, wo sich die Internierten aufhalten. Die Opfer haben keinerlei Zugang zu Anwälten oder sonstigen rechtlichen Beistand, sie sind buchstäblich von der Bildfläche verschwunden.
Amnesty schätzt, dass die Zahl der Opfer mindestens einige Hundert beträgt. Im letzten Jahr hat der ägyptische Premierminister zugegeben, dass alleine 60 bis 70 Festgenommene von den US-Diensten in sein Land verbracht worden sind. Ägypten steht im Ruf, Gefangene schwerster Folter auszusetzen. Ein ehemaliger CIA-Mitarbeiter wiederum berichtete von mehreren Hundert Gefangenen, die von den USA in Geheimgefängnisse in den Nahen Osten geflogen worden seien. Die tatsächliche Anzahl dürfte aber noch weit höher liegen, da viele Opfer bis heute verschwunden sind und ihre Familien aus Furcht vor neuen Repressalien nur in seltenen Fällen Auskunft geben.
Wird fortgesetzt