Schwarz-Grüne Annäherung in Baden-Württemberg
Von Dietmar Henning
8. April 2006
Am Donnerstag haben CDU und FDP in Baden-Württemberg offiziell die Verhandlungen über eine Neuauflage der seit zehn Jahren bestehenden Regierungskoalition aufgenommen. Am 6. Mai wollen beide Parteien über den Koalitionsvertrag abstimmen. Dies teilte Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) zwei Tage zuvor in Stuttgart nach einer CDU-Fraktionssitzung mit.
Vorangegangen waren jeweils zwei Sondierungsgespräche der CDU mit der FDP sowie den Grünen. Die Gespräche mit den Grünen dienten einer ernsthaften Annäherung zwischen den beiden Parteien und werden als Vorbereitung auf eine erste schwarz-grüne Regierung auf Landesebene in nicht allzu weiter Zukunft gesehen.
Bei der Landtagswahl Ende März war die CDU trotz Verlusten stärkste Partei geblieben und hatte mit 44,2 Prozent nur knapp die absolute Mehrheit der Sitze verpasst. Die Grünen wurden mit 11,7 Prozent nach der SPD (25,2 Prozent) drittstärkste Partei, noch vor der FDP mit 10,7 Prozent.
Der alte und neue Ministerpräsident Oettinger hatte wiederholt deutlich gemacht, dass er die Gespräche mit den Grünen keineswegs nur als taktisches Mittel betrachtete, um die FDP als bisherigen Koalitionspartner unter Druck zu setzen. Vielmehr sei Schwarz-Grün für ihn eine ernsthafte Option, um der CDU bundesweit eine neue Bündnismöglichkeit zu erschließen.
Der einstige Junge-Union-Chef Oettinger sagte, in den Gesprächen mit dem grünen Landtags-Fraktionsvorsitzenden Winfried Kretschmann, einem ehemaligen Maoisten, seien etliche Gemeinsamkeiten deutlich geworden. Die Grünen hätten an Seriosität und Gewicht gewonnen.
Was Oettinger mit Seriosität und Gewicht umschreibt, ist die Verabschiedung der Grünen von allem, was sie noch im Wahlkampf vertraten. So wäre es laut Kretschmann möglich gewesen, strittige Fragen in der Atompolitik "auf Eis zu legen". Oettinger verlangt die Verlängerung der Laufzeiten der baden-württembergischen Atomkraftwerke und damit die Rücknahme des von der ehemaligen rot-grünen Bundesregierung vereinbarten Atomausstiegs.
Laut Presseberichten hätten die Grünen eine Koalition mit der CDU sogar an dem umstrittenen Verkehrsprojekt "Stuttgart 21" nicht scheitern lassen, einem baulichen Großprojekt, bei dem der Stuttgarter Hauptbahnhof vollständig unter die Erde verlegt werden soll.
In einem Interview mit Spiegel Online berichtet der grüne Landtagsabgeordnete Oswald Metzger, ein Exponent des wirtschaftsliberalen Flügels der Partei, die Grünen seien sich in den Sondierungsgesprächen "der unglaublich großen Verantwortung für eine zukunftsfähige Landespolitik bewusst" gewesen: Der Landeshaushalt müsse "saniert, der Personalabbau im Öffentlichen Dienst organisiert und Eingriffe in die Beamtenversorgung gemacht werden". Während Tausende von Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes in Baden-Württemberg in einem inzwischen seit fast neun Wochen andauernden Streik erbitterten Widerstand gegen die Angriffe der Landesregierung und der Kommunen leisten, stärken die Grünen so den Regierenden den Rücken.
Die CDU lobte die Vorschläge und Angebote der Grünen immer wieder und bezeichnete sie als "sachlich und sehr gut vorbereitet".
In Baden-Württemberg besteht zwischen CDU und Grünen schon seit Langem eine vergleichsweise enge Beziehung. Die Grünen sehen sich hier als die "wahre Mittelstandspartei" und nennen dies euphemistisch "realpolitisch". Oettinger, der auch CDU-Landesvorsitzender ist, gilt seit mehr als zehn Jahren als Befürworter von schwarz-grünen Koalitionen. Politiker wie er und Fritz Kuhn oder Rezzo Schlauch von den Grünen personifizieren diese Annäherung.
Oettingers Vorgänger im Amt des Ministerpräsidenten, Erwin Teufel (CDU), hatte schon 1992 geprüft, ob mit den Grünen eine gemeinsame Regierung möglich wäre. Die Pläne einer ersten schwarz-grünen Regierungskoalition auf Landesebene scheiterten zwar damals, seitdem besteht aber eine gemeinsame Gesprächsbasis und eine kontinuierliche Annäherung zwischen den beiden Parteien.
Die Verwandlung der Grünen von einer Partei, die sich als fortschrittliche Alternative ausgab, zu einer liberal-konservativen Mittelstandspartei, verkörpert der Vorsitzende ihrer Landtagsfraktion Winfried Kretschmann.
Der gebürtige Schwabe studierte nach dem Abitur an der Universität Hohenheim. "Es folgte die 68er Sozialisation in linksradikalen K-Gruppen", wie der 58jährige Kretschmann auf seiner Homepage selbst schreibt. Anschließend, "nach diesem fundamentalen politischen Irrtum", habe er als Lehrer gearbeitet und die Grünen in Baden-Württemberg mitbegründet.
1980 zog Kretschmann als einer von sechs grünen Abgeordneten in den ersten Landtag eines Flächenstaates ein. Sechs Jahre später holte ihn der damalige erste grüne Landesminister Joseph Fischer ins Umweltministerium nach Hessen. Während Fischer bis zum Außenminister und Vizekanzler aufstieg, kehrte Kretschmann nach Baden-Württemberg zurück, wo er seit 2002 das Amt des Fraktionsvorsitzenden im Landtag innehat.
"Damit ist auch die Zeit der Querköpfigkeit vorbei. Jetzt muss ich integrieren, zusammenführen", schreibt Kretschmann. "Im Dezember 2005 wählt mich die Partei mit 88% zum Spitzenkandidaten. Kretschmann ist in der Mitte der Partei angekommen. Und die Partei in der Mitte der Gesellschaft."
Kretschmann versteht sich offensichtlich sehr gut mit Oettinger. Dass es dennoch bei der Koalition mit der FDP bleibt, liegt nicht an den Grünen, sondern an der CDU. Während man in den Parteispitzen auf Bundes- und Landesebene einer schwarz-grünen Koalition wohlwollend entgegensah, befürchtete die baden-württembergische CDU aufgrund erheblicher Vorbehalte gegen eine solche Koalition vor allem auf dem Land eine ernste Parteikrise.
Oswald Metzger beklagt in Spiegel Online, dass nun andere die Früchte der baden-württembergischen Annäherung ernten werden: "Unsere Lockerungsübungen hier in Baden-Württemberg haben mittelfristig den Weg zur schwarz-grünen Koalition geebnet. Aber diese Koalitionsvariante wird nun eher in einem anderen Bundesland Wirklichkeit werden. Wir sind da wieder einmal die Wegbereiter, aber den tatsächlichen Koalitionsvertrag werden andere machen."
Metzger schätzt, dass es schon bei den Abgeordnetenhauswahlen in Berlin im September dieses Jahres zu einer ersten Koalition mit der CDU kommen kann. Auch CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla hofft, die Regierung von SPD und Linkspartei.PDS in Berlin mit einer so genannten Jamaika-Koalition (CDU, FDP und Grüne) ablösen zu können, wie sie schon kurz nach den letzten Bundestagswahlen angedacht worden war.
Eines haben die schwarz-grünen Koalitionsgespräche in Baden-Württemberg jedenfalls bereits bewirkt: die Disziplinierung der FDP. Diese hat angekündigt, in den Koalitionsverhandlungen überhaupt keine Forderungen zu stellen.
Die konservative Frankfurter Allgemeine Zeitung kommentiert: "Den Freien Demokraten sind ihre Flügel noch einmal gestutzt worden. Das gilt nicht nur im Blick auf die Koalitionsverhandlungen, es wird auch darüber hinaus wirken: Wie und wann sollte eine Partei aufmucken können, die vom Regierungschef jederzeit vor die Tür gesetzt werden kann, weil draußen schon die Ablösung wartet? Der FDP wird ihr Dilemma, das Züge einer Demütigung trägt, bewusst sein - Trotzreaktionen sind da nicht auszuschließen. Diese Stuttgarter Koalition könnte weniger stabil sein, als sie wirkt."
Die Grünen würden keine Sekunde zögern, den Platz der FDP einzunehmen. Und so könnte es schließlich in Baden-Württemberg doch noch zur Bildung der ersten schwarz-grünen Landesregierung kommen.