Britischer Dramatiker Harold Pinter erhält Literaturnobelpreis
Von Barry Grey
20. Oktober 2005
aus dem Englischen (14. Oktober 2005)
Harold Pinter, der gemeinhin als der einflussreichste und fähigste Dramatiker Großbritanniens der Nachkriegszeit gilt, erhielt am Donnerstag den Nobelpreis für Literatur. Die Bekanntgabe der schwedischen Akademie überraschte die Medienkreise, die über die potentiellen Empfänger des Friedensnobelpreises und der Preise für Physik, Chemie, Medizin, Wirtschaft und Literatur ihre üblichen Spekulationen anstellten.
Der 75-jährige Dramatiker, Drehbuchautor, Dichter, Schauspieler und Friedensaktivist wurde von der Ehrung selbst völlig überrascht. In einer E-Mail berichtete er, er selbst habe erst zwanzig Minuten vor der öffentlichen Bekanntgabe davon erfahren. "Der Vorsitzende des Nobelkomitees rief mich an und sagte: Ihnen ist der Nobelpreis für Literatur verliehen worden. Ich brachte zuerst kein Wort heraus und sagte dann: Ich bin sprachlos."
Pinter, der Sohn eines eingewanderten jüdischen Schneidermeisters, hat sich mit seinen 29 Dramen eine überragende Position am Theater in Großbritannien und international erworben. Zu seinen Werken gehören moderne Klassiker wie The Caretaker, The Dumb Waiter und The Homecoming. Er hat 21 Drehbücher geschrieben, darunter The Servant, The Go-Between und The French Lieutenants Woman. Er hat auch Gedichte geschrieben, unter anderem eine Sammlung von Anti-Kriegsgedichten mit dem Titel War, die 2003 als Reaktion auf den Irakkrieg entstand.
Pinter ist ein langjähriger und prinzipienfester Verteidiger der Menschenrechte, Feind gesellschaftlicher Reaktion und freimütiger Gegner imperialistischer Kriege. Er verurteilte den Golfkrieg von 1991 und den Angriff auf Jugoslawien 1999 und wandte sich mutig und mit großer Entschiedenheit gegen die Invasion und die Besetzung des Irak. George Bush und den britischen Premierminister Tony Blair bezeichnete er unverblümt als Kriegsverbrecher.
Seine Wahl durch die schwedische Akademie, die aufgrund seiner künstlerischen Verdienste zweifellos zu Recht erfolgte, hat unübersehbar auch eine politische Komponente. Vergangenen Freitag verlieh die Akademie den Friedensnobelpreis an die Internationale Atomenergiebehörde und ihren Vorsitzenden Mohamed El-Baradei, der 2003 in den Wochen vor der amerikanisch-britischen Invasion im Irak offen die Behauptungen Washingtons zurückgewiesen hatte, Saddam Hussein entwickle Atomwaffen.
Im vergangenen März sagte Pinter bei der Verleihung des Wilfred Owen Preises für seine Antikriegsgedichte: "Wir brachten dem irakischen Volk Folter, Clusterbomben, abgereichertes Uran, zahllose willkürliche Morde, Elend und Erniedrigung und nannten es Freiheit und Demokratie in den Nahen Osten bringen. Aber wir wurden, wie wir alle wissen, nicht mit den versprochenen Blumen begrüßt. Wir haben gewaltigen und entschlossenen Widerstand, Tumult und Chaos geerntet."
Der Dramatiker hat gegen "den Albtraum von amerikanischer Hysterie, Ignoranz, Arroganz, Dummheit und Kriegswut" polemisiert, die US-Außenpolitik mit der der Nazis verglichen und sich einer Gruppe Prominenter angeschlossen, die eine Amtsenthebung Blairs fordert.
Pinter wurde 1930 in Ost-London geboren. Er berichtet, dass ihn die Konfrontation mit dem Antisemitismus in seiner Jugend dauerhaft beeindruckt und zum Theater hingeführt habe. Als Jugendlicher verweigerte er den Militärdienst und beteiligte sich einmal an einem Kampf mit den Faschisten im Londoner Eastend.
In den achtziger Jahren war er ein beredter Kritiker der britischen Premierministerin Margaret Thatcher und lehnte die Erhebung in den Adelsstand durch Thatchers Nachfolger John Major ab. In dieser Zeit trat er öffentlich gegen die US-Politik in Lateinamerika auf.
Während seine ersten - und vielleicht größten - Werke nicht ausdrücklich politische Themen behandelten, wurde seine Arbeit in den späten 1980er Jahren immer politischer. Er sagte damals, er habe die Verantwortung, als "Bürger der Welt, in der ich lebe, zu handeln, und ich bestehe darauf, diese Verantwortung wahrzunehmen".
In Interviews vor seinem Londoner Haus sagte Pinter, der kürzlich wegen Speiseröhrenkrebs behandelt wurde und zum Gehen einen Stock benötigt, er beabsichtige nicht, weitere Stücke zu schreiben, fügte aber hinzu: "Ich denke, ich werde sicherlich noch Gedichte schreiben und mich weiterhin intensiv um Fragen der politischen Strukturen in der Welt kümmern." Er nahm die Gelegenheit wahr, erneut seine Opposition gegen den Irakkrieg und den Imperialismus kundzutun, und sagte: "Der Irak ist nur ein Symbol der Haltung der westlichen Demokratien gegenüber der übrigen Welt und der Art und Weise, wie sie ihre Macht ausüben."
In ihrer Begründung für die Verleihung des Nobelpreises an Pinter schrieb die schwedische Akademie: "Harold Pinter wird ganz allgemein als hervorragendster Vertreter des britischen Dramas in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts eingestuft. Seine Stellung als moderner Klassiker wird dadurch veranschaulicht, dass man aus seinem Namen ein Adjektiv gebildet hat, das eine gewisse Stimmung und ein gewisses Milieu in Theaterstücken beschreibt, nämlich pinteresk.
Pinter führte das Theater auf seinen elementaren Ursprung zurück, den geschlossenen Raum und den nicht vorhersehbaren Dialog, wo die Menschen einander ausgeliefert sind und die Verstellung zerfällt. Bei einem Minimum an Intrigen entspringt das Drama dem Machtkampf und Versteckspiel des Wortwechsels. Pinters Dramatik fasste man zunächst als Spielart des absurden Theaters auf, aber man hat sie später zutreffender als comedy of menace (Bedrohungskomödie) charakterisiert, ein Genre, in dem uns der Schriftsteller ein Spiel von Dominanz und Unterwerfung belauschen lässt, das sich im alltäglichsten Gespräch verbirgt. Im typischen Pinter-Stück begegnet man Menschen, die sich gegen fremde Manipulationen oder ihre eigenen Triebe dadurch verteidigen, dass sie sich hinter einem reduzierten und kontrollierten Dasein verschanzen...
Die Kontinuität seines Werks ist in der Tat bemerkenswert, und seine politischen Themen können als Weiterentwicklung der Analyse des frühen Pinters von Drohung und Willkür aufgefasst werden."
Die Entscheidung der Akademie ist von Pinters Kollegen in der britischen Theaterwelt enthusiastisch begrüßt worden. Der Dramatiker Sir Tom Stoppard sagte, die Preisverleihung sei "vollkommen verdient und ich bin ganz aufgeregt". Er fügte hinzu. "Als Schriftsteller ist sich Harold 50 Jahre lang treu geblieben."
Der britische Dramatiker David Hare sagte: "Das ist eine brillante Wahl. Harold Pinter hat nicht nur einige der herausragenden Stücke seiner Zeit geschrieben, er hat auch frischen Wind in die verstaubte konventionelle britische Literatur gebracht, indem er darauf bestand, dass alles, was er tat, eine öffentliche und politische Dimension habe. Er ist uns allen Beispiel und Inspiration."