Rechtes Lob für rot-grüne Außenpolitik
Von Peter Schwarz
1. Oktober 2005
Es gibt Komplimente, die vernichtender sind als die schärfste Kritik.
Das gilt für einen Kommentar, der am Donnerstag auf der Titelseite des Berliner Tagesspiegel erschienen ist und der die Außenpolitik der ausscheidenden rot-grünen Koalition in den höchsten Tönen lobt. Deutschland, so sein Fazit, sei durch Rot-Grün wieder "zu einem eigenständigen globalpolitischen Faktor geworden".
Der Kommentar befasst sich mit der Entscheidung des Bundestags, den Bundeswehreinsatz in Afghanistan zu verlängern und auszuweiten. Der Bundestag war zu diesem Zweck am Mittwoch eigens noch einmal in seiner alten Zusammensetzung zusammengetreten. Die Entscheidung fiel nahezu einmütig: mit 535 von 553 abgegebenen Stimmen. Alle Parteien außer der Linkspartei erklärten, es gebe zu einer Verlängerung des Mandats keine Alternative.
Dabei ist der Beschluss hochexplosiv. Das deutsche Kontingent in Afghanistan wird von 2.250 auf 3.000 Soldaten aufgestockt. Statt für die Hauptstadt Kabul und die beiden Provinzen Kundus und Faisabad ist es künftig für die gesamte Nordregion des Landes zuständig. Bei Bedarf kann es auch in allen anderen Landesteilen aktiv werden.
Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) hat zwar betont, dass es sich um einen Friedens- und nicht um einen Kriegseinsatz handelt. Doch die Gefahr, dass die Bundeswehr in dem zunehmend instabilen Land direkt in Kriegshandlungen einbezogen wird, steigt mit der Ausweitung des Mandats. Seit Beginn des Afghanistan-Einsatzes im Dezember 2001 sind bereits 17 deutsche Soldaten ums Leben gekommen.
Der Einsatz erfolgt zudem in einer Region, in der Deutschland seit langer Zeit geostrategische Interessen verfolgt. Schon mitten im Ersten Weltkrieg hatte Wilhelm II. heimlich eine Delegation nach Kabul geschickt, um herauszufinden, ob sich nicht etwas gegen die britischen Kolonialherren unternehmen ließe. Nach dem Krieg strömten dann deutsche Ingenieure in das unabhängig gewordene Land, deutsche Schulen wurden aufgebaut und Deutschland gebärdete sich als Freund der Afghanen.
An diese Tradition und Kontakte wird heute wieder angeknüpft. "Die Wirtschaftsunternehmen sondieren sorgfältig den Markt, das Goethe-Institut und die politischen Stiftungen zivilisieren zäh eine durch 25 Jahre Krieg verrohte Gesellschaft. Und auch fürs Gefühl der Völkerfreundschaft ist einiges getan worden," schreibt die Süddeutsche Zeitung.
Der Isaf-Einsatz, in dessen Rahmen die Bundeswehr agiert, dient der Unterstützung und Verteidigung des Marionettenregimes von Hamid Karsai, das nach der gewaltsamen Eroberung des Landes durch die USA eingesetzt wurde. Er entlastet damit auch die amerikanischen Truppen im Irak. Karsai könnte sich keinen Tag an der Macht halten, wenn er nicht von ausländischen Truppen gestützt würde.
Trotz aller anderslautenden Beteuerungen zielt der Afghanistan-Einsatz also nicht auf Frieden und Demokratie. Er dient geopolitischen Interessen in einer Region, die als Schnittstelle zwischen dem ölreichen kaspischen Becken und dem persischen Golf, zwischen Zentralasien, und dem Nahen Osten, von eminenter strategischer Bedeutung ist.
Dass dieser Militäreinsatz trotzdem einhellig vom Bundestag unterstützt wird, betrachtet der Tagespiegel als historisches Verdienst, als "bleibendes Erbe von Gerhard Schröder und Joschka Fischer". Die in der Bevölkerung weit verbreitete Antikriegsstimmung findet im Bundestag keinen Ausdruck mehr.
"Ein Großteil der Linken, die sozialisiert worden waren gegen Nato, Nachrüstung und alle Kriege, wurde entpazifiziert," lobt der Tagesspiegel. "Endgültig vorbei sind die Zeiten der Bonner Republik, in der man sich durch Ablasszahlungen von solchen Verpflichtungen freikaufte. Damals wurde Deutschland die Tendenz zur Verschweizerung vorgehalten. Dieser Vorwurf ist haltlos geworden, Schröder und Fischer sei Dank. Sie haben das Land erwachsen gemacht."
Der Tagesspiegel wirft Fischer und Schröder zwar zahlreiche außenpolitische Fehler vor. Doch das seien Pubertätsprobleme. In der Sache selbst hätten sie sich "prinzipientreu, pragmatisch und visionär" gezeigt.
Das größte Verdienst komme dabei Fischer zu, der zerknirscht gefragt habe: "Was lehrt uns Auschwitz? Vielleicht auch, dass Soldaten rechtzeitig eingesetzt werden müssen?"
"Damit," so der Tagesspiegel, "zerstörte er die trügerisch klare Moral, dass, wer abseits steht, sich nicht schuldig machen kann. Und im weltweiten Kampf gegen den Terrorismus nimmt Deutschland heute eine Führungsrolle ein. Das wird sogar von der US-Regierung gewürdigt."
Bedarf es nach diesem Lob einer etablierten bürgerlichen Zeitung noch weiterer Beweise, dass die Grünen, die ihre Entstehung maßgeblich der Antikriegbewegung verdanken, in keinem Sinne mehr eine linke Alternative zu den anderen bürgerlichen Parteien darstellen?
Der Kommentar des Tagesspiegel macht auch deutlich, weshalb der Autodidakt und frühere Straßenkämpfer Fischer von der herrschenden Elite im prestigeträchtigen Amt des Außenministers akzeptiert wurde, das sonst geschulten Diplomaten oder erprobten Vertretern des politischen Establishments vorbehalten bleibt. Fischers Außenpolitik - die nach seiner eigenen Aussage nicht "grün" sondern "deutsch" war - hätten auch viele andere erledigen können. Doch die "Entpazifierung der Linken", das Überlaufen der zu Einfluss und Reichtum gekommenen 68er Protestler zur Flagge des deutschen Imperialismus - das konnte nur Fischer bewerkstelligen.