Selbstmordattentate im Irak: eine reaktionäre Ablenkung vom politischen Kampf gegen den Imperialismus
Von der Internationalen Redaktion
8. März 2005
aus dem Englischen (4. März 2005)
Der Selbstmordanschlag mit einer Autobombe in der irakischen Stadt Hilla vom 28. Februar war das opferreichste Attentat, seit das Regime von Saddam Hussein vor zwei Jahren durch die US-Invasion gestürzt wurde. Der Anschlag richtete sich gegen junge Männer, die sich medizinischen Untersuchungen unterziehen wollten, wie sie für die Zulassung zum Dienst in der von den USA organisierten irakischen Polizei und Armee notwendig sind. Unter den 125 Toten und mindestens 130 Verletzten fanden sich aber auch viele Passanten und Kunden eines nahe gelegenen Marktes.
Das Attentat in Hilla - einer überwiegend schiitischen Stadt - ist nur der jüngste und blutigste einer Serie von Anschlägen, die sich während der letzten zwei Monate gehäuft haben. Einer Zählung der Agentur Associated Press zufolge wurden im Januar bei etwa 55 verschiedenen Attentaten 234 Menschen getötet und 429 verwundet. Im Februar stieg bei 38 Anschlägen die Zahl der Toten auf 311 und die der Verwundeten auf 433.
Diese Gemetzel an irakischen Zivilisten sind politische Gräueltaten, die verurteilt werden müssen. Unter den Opfern befinden sich viele Arbeiterjugendliche, die in einem Land mit hoher Armut und Arbeitslosigkeit zum Eintritt in Polizei und Armee gelockt werden, indem man ihnen Arbeit und Einkommen verspricht.
Dabei geht es nicht um moralische Entrüstung. Diese Anschläge sind politische Verbrechen. Sie untergraben nicht die illegale amerikanische Besetzung des Irak, sondern verstärken die Verwirrung unter den Massen und können sogar lähmende religiöse und ethnische Konflikte auslösen.
Die Ablehnung terroristischer Bombenattentate durch die World Socialist Web Site hat nichts mit der heuchlerischen Verurteilung der Anschläge von Hilla durch die Bush-Regierung und die bürgerlichen Medien gemein, die lediglich die Verbrechen des US-Imperialismus im Irak rechtfertigen wollen.
Kaum jemand erinnert sich daran, dass für Hilla Massaker nichts Neues sind. Die Stadt hat zu Beginn des US-Krieges gegen Irak einen der blutigsten Angriffe hinnehmen müssen. Am 1. April 2003 setzte das US-Militär Streubomben gegen Hilla ein und tötete damit mindestens 60 Menschen, darunter viele Kinder. Hunderte weitere wurden verwundet.
Washington ist letztendlich nicht nur für die Toten verantwortlich, die durch das eigene Militär ums Leben kommen - sie machen den größten Teil der vielen Zehntausend Opfer seit Beginn der Invasion aus -, sondern für alles Blutvergießen im Irak. Vom Standpunkt des Völkerrechts ist das eine unbestreitbare Tatsache, da die USA Besatzungsmacht sind. Noch schwerer wiegt, dass Krieg und Besatzung, die sich nahtlos an ein Jahrzehnt Wirtschaftssanktionen anschließen, die irakische Gesellschaft schwer in Mitleidenschaft gezogen haben. Das führt zu Widerstand und zum sozialen und wirtschaftlichen Zerfall des Landes.
Die Verbrechen des US-Imperialismus rechtfertigen aber in keiner Weise Vorgehensweisen, die zum sinnlosen Abschlachten von Irakern führen, von denen viele unzweifelhaft Gegner der US-Besatzung sind.
Während der bewaffnete Kampf eine legitime und unverzichtbare Taktik im Kampf gegen eine militärische Besatzung ist, ist er kein Selbstzweck. Er kann ein politisches Programm, das breite Schichten der Bevölkerung erzieht, anleitet und begeistert, nicht ersetzen. Außerdem besteht eine grundlegende Verbindung zwischen Mittel und Zweck. So wie die räuberischen Ziele der Besatzung des Irak in den sadistischen Praktiken in Abu Ghraib zum Ausdruck kommen, entlarven die Massenmorde an Irakern die im wesentlichen reaktionäre Perspektive der politischen Kräfte, die für solche Selbstmordanschläge verantwortlich sind. Es ist bezeichnend, dass solche Angriffe noch nicht einmal mit dem Versuch einhergehen, die Bevölkerung für ein bestimmtes politisches Programm zu gewinnen oder gegen die faktische Kolonialherrschaft der USA im Irak zu mobilisieren.
Die Kämpfe der anti-kolonialen Bewegungen einer früheren Epoche wurden auch von Gewalt begleitet, eingeschlossen terroristische Bombenattentate wie in Algerien. Aber solche Aktionen gingen von Organisationen aus, die politische Programme und Forderungen vertraten und - bei allen Beschränkungen und Illusionen des bürgerlichen Nationalismus - bei den Massen um Unterstützung dafür warben.
Diejenigen dagegen, die für die jüngsten Gräueltaten verantwortlich sind, appellieren noch nicht einmal dem Anschein nach an die weit verbreitete Unzufriedenheit und politische Opposition oder an die Ablehnung des US-Imperialismus, die in der ganzen Region vorherrscht. Stattdessen nutzen sie den Zorn, die Opferbereitschaft und den aufrichtigem Hass gegen Unterdrückung zynisch aus, um junge Männer und Frauen als Kanonenfutter für ein niederträchtiges Unternehmen einzusetzen.
Diese Taktik zielt nicht auf den Sieg über den Imperialismus. Sie zeigt Verachtung gegenüber den irakischen Massen und der im Irak tief verwurzelten Traditionen von Arbeiterkämpfen. Sie vergiftet das gesellschaftliche Bewusstsein und sät politische Verwirrung.
Laut einer islamistischen Website hat eine Gruppe, die sich Al Qaida Organisation für den heiligen Krieg im Irak nennt, die Verantwortung für das Bombenattentat von Hilla übernommen. Es ist aber unklar, ob von der Gruppe mehr als ein Name existiert.
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Kräfte für solche Provokationen verantwortlich sind, die pro-amerikanische Quislinge wie Ahmed Tschalabi und Ijad Allawi unterstützen. Das Anheizen blutiger Auseinandersetzungen könnte die Bildung einer Regierung verhindern, aus der diese ausgeschlossen sind, und die anhaltende US-Besatzung rechtfertigen, von der sie abhängig sind.
Es liegt in der Natur derartiger terroristischer Bombenanschläge, dass die genaue Identität der Hintermänner und ihre politischen Ziele im Dunkeln bleiben. Bombenattentate, die im Namen nicht existierender Organisationen ausgeführt werden, können verdeckten Plänen dienen, einschließlich solcher der CIA.
Derartige Taktiken sind aber auch islamistischen Gruppen und Überbleibseln des irakischen Baath-Regimes nicht fremd. Beide haben eine wichtige Rolle dabei gespielt, den breiten Widerstand gegen die US-Besatzung zu desorientieren, der nicht nur im Irak, sondern im ganzen Mittleren Osten viel Unterstützung gewonnen hat.
Weder die Baathisten noch die Islamisten vertreten die Interessen der Arbeiterklasse und Unterdrückten. Das Baath-Regime hat, wie der bürgerliche Nationalismus in der ganzen arabischen Welt, die sozialen Bedürfnisse und demokratischen Grundrechte des Volkes den Interessen der herrschenden Elite geopfert. Schließlich fiel es der imperialistischen Macht zum Opfer, um deren Unterstützung es früher gebuhlt hatte.
Die Islamisten verdanken ihren Aufstieg vor allem dem historischen Scheitern des bürgerlichen Nationalismus. Sie wurden von Washington beim Kampf gegen das von den Sowjets gestützte Regime in Afghanistan in den 80er Jahren unterstützt, und genießen auch jetzt noch zumindest verdeckte Unterstützung von Teilen der saudischen Elite und anderen Regimes in der Region, die auf keinen Fall einen schiitisch dominierten Staat im Irak wollen. Wenn es ihren beschränkten Interessen dient, würden Baathisten und Islamisten ohne weiteres einen Kompromiss mit dem Imperialismus eingehen.
Die kriminellen Selbstmordanschläge gegen irakische Zivilisten verfolgen solche rückwärtsgewandten Ziele. Massenunterstützung kann weder das eine - die Wiedererrichtung des Baath-Regimes -, noch das andere - die Errichtung einer reaktionären Utopie wie die der Taliban in Afghanistan oder der Mullahs im Iran - gewinnen.
Sofern solche Methoden nicht das Ergebnis einer imperialistischen Provokation oder bewusster Versuche sind, ethnische Konflikte zu provozieren, liegt ihnen ein tiefer Pessimismus zugrunde, von dem diese Kräfte und ihre politischen Verteidiger beherrscht sind. Sie schließen die Möglichkeit eines einheitlichen Kampfes gegen den Imperialismus auf der Grundlage einer bewussten politischen Mobilisierung der irakischen Massen kategorisch aus.
"Eben deswegen ist individueller Terror in unseren Augen unzulässig: denn er schmälert die Rolle der Massen in ihrem eigenen Bewusstsein, denn er söhnt sie mit ihrer eigenen Machtlosigkeit aus und richtet ihre Augen und Hoffnungen auf einen großen Rächer und Befreier, der eines Tages kommen wird und seine Mission vollendet", schrieb Trotzki in einem Artikel von 1911, "Über den Terror" (http://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1911/11/09-terro.htm).
Trotzki und seine Genossen kämpften damals natürlich gegen den Terrorismus einer Schicht der kleinbürgerlichen russischen Intelligenz, die Mordanschläge gegen zaristische Minister ausführte, und nicht Massaker an unbewaffneten und verarmten Menschen.
Der Kampf gegen den Imperialismus in einem besetzten Land muss unausweichlich gewaltsame Formen annehmen. Dennoch wäre es illusorisch und reaktionär zu glauben, Aktionen wie das Bombenattentat von Hilla könnten diesen Kampf voranbringen.
Die entscheidende Frage im Kampf gegen die US-Besatzung und den Versuch der erneuten Kolonialisierung des Irak ist der Aufbau einer unabhängigen Bewegung der irakischen Arbeiterklasse, die sich mit der arbeitenden Bevölkerung der ganzen Region und international auf der Basis eines gemeinsamen sozialistischen und internationalistischen Programms vereint.
Konfrontiert mit einer mächtigen Massenbewegung der Arbeiterklasse wären die USA nicht in der Lage, die politische Kontrolle aufrecht zu erhalten. Die Reaktion der amerikanischen Besatzungsbehörden auf die Demonstrationen Zehntausender Schiiten, die Anfang 2004 für direkte Wahlen auf die Straße gingen, war in dieser Hinsicht lehrreich. Angesichts der Konfrontation mit den Massen musste sich der US-Imperialismus zurückziehen und seine Pläne überarbeiten.
Ein perverses Ergebnis der Bombenkampagne ist, dass selbst die Möglichkeit einer Massenmobilisierung durch die beständige Drohung anonymer Gewalt verringert wird.
Eine wirklich unabhängige Bewegung der arbeitenden Bevölkerung des Irak kann es nur durch einen unversöhnlichen politischen Kampf gegen jene Kräfte geben, von denen die irakische Arbeiterklasse immer zurückgehalten wurde. Dazu zählen die Gangster des Baath-Regimes, die religiösen Bewegungen, die extreme politische Rückständigkeit propagieren, und die Irakische Kommunistische Partei, die für das gegenwärtige Dilemma der irakischen Arbeiterklasse eine ganz besondere Verantwortung trägt.
Die Stalinisten der Irakischen KP sind sich nur in ihrer beständigen Ablehnung der politischen Unabhängigkeit der Arbeiterklasse treu geblieben. Sie haben sich in das Baath-Regime integriert, obwohl die Baathisten nach ihrem von der CIA unterstützten Putsch 1963 Tausende ihrer Mitglieder umgebracht hatten. Die IKP klammerte sich an Saddam Hussein, bis dieser 1978-79 eine weitere blutige Säuberung gegen sie organisierte. Heute ist die IKP faktisch eine Stütze der US-Besatzung, beteiligt sich an deren Marionettenregime und leitet einen von den USA zugelassenen Gewerkschaftsverband, der sich weder gegen die Besatzung noch gegen die Privatisierung der irakischen Wirtschaft richtet.
Die irakische Arbeiterklasse braucht eine neue Partei, die sich auf die oftmals tragischen Erfahrungen der internationalen sozialistischen und antiimperialistischen Kämpfe des 20. Jahrhunderts stützt. Es gibt keine Alternative zum Aufbau einer revolutionären politischen Partei der Arbeiterklasse gestützt auf eine internationalistische Perspektive.