Bushs Rede zum Irak:
Angst, Lügen und Verzweiflung
Erklärung der Redaktion
30. Juni 2005
aus dem Englischen (29. Juni 2005)
Am Dienstagabend hielt US-Präsident Bush in Fort Bragg, North Carolina, eine Rede vor einem unfreiwilligen Publikum von 740 Soldaten. Es war ein abstoßendes Spektakel. Bush verband die Lügen, die sich das Land nun seit nahezu vier Jahren immer wieder anhören muss, mit Appellen an Rückständigkeit, Unwissenheit und Angst. Der Zweck des Ganzen bestand darin, die wachsende Opposition gegen den Irakkrieg zu ersticken.
In einer Rede voller Widersprüche und unlogischen Schlussfolgerungen behauptete Bush einmal mehr, die unprovozierte Invasion und Besetzung des Irak sei als Reaktion auf die Terroranschläge in New York und Washington vom 11. September 2001 erfolgt und der Irak bilde die Hauptfront im "globalen Krieg gegen den Terror".
Ist es wirklich nötig, noch einmal auf diese unsinnigen Behauptungen einzugehen? Dieselben Argumente wollte die Regierung schon vor der Invasion unters Volk bringen, als sie gefälschte Informationen über Treffen zwischen irakischen Geheimagenten und Al Qaida fabrizierte. Sie wurden entlarvt, bevor sich die ersten Truppen in Bewegung setzten.
Auch in Fort Bragg rief Bush wieder dazu auf, die "Lektionen vom 11. September" nicht zu vergessen. Aber worin bestehen diese Lektionen? An den Anschlägen vom 11. September hatten sich keine Iraker beteiligt, und es gab auch keinerlei Verbindung zwischen den Urhebern des Verbrechens und dem Regime in Bagdad. Wenn es etwas zu lernen gibt, dann, dass die Bush-Regierung die Anschläge als Vorwand benutzt oder bewusst zugelassen hat, um seit langem bestehende Pläne zur Eroberung Iraks und seines Ölreichtums in die Tat umzusetzen.
Die wichtigste Begründung, die vor zwei Jahren zur Rechtfertigung des Kriegs diente, die angebliche Bedrohung durch irakische "Massenvernichtungswaffen", erwähnte Bush in seiner halbstündigen Rede mit keinem Wort. Er stellt den Krieg und die anschließende Besetzung des Irak jetzt als Kampf für Freiheit und Demokratie dar. Aber seine Rede war ein Zeugnis für den Zerfall des demokratischen Prozesses in den USA selbst.
Er sprach vor versammelten Truppen, die disziplinarisch verpflichtet waren, seine Lügen und Dummheiten ruhig anzuhören. Er wandte sich nicht aus dem Oval Office, als demokratisch gewählter Führer an die Nation, sondern aus einer Kaserne, um sich als Oberbefehlshaber in Kriegszeiten darzustellen. Mit der Bezeichnung des Präsidenten als Oberbefehlshaber war ursprünglich die zivile Kontrolle über das Militär gemeint. Unter Bush ist das Wort zum Inbegriff des Militarismus und eines selbstherrlichen Präsidenten geworden, der weder dem Gesetz noch der Bevölkerung verantwortlich ist.
Bushs Redenschreiber gehen davon aus, dass die amerikanische Bevölkerung aus lauter Dummköpfen besteht, die unbeschränkt manipuliert werden können. Da inzwischen die Mehrheit der Amerikaner der wohlbegründeten Meinung ist, dass der Krieg nie hätte stattfinden dürfen und der Rückzug jetzt beginnen müsse, versuchte sie Bush davon wieder abzubringen, indem er behauptete, im vergangenen Jahr seien "erhebliche Fortschritte" gemacht worden.
Er hat den ersten Jahrestag der so genannten "Übergabe der Souveränität" an ein irakisches Regime unter Führung eines ehemaligen CIA-Agenten als Termin für seine Rede gewählt, einen der zahlreichen "Wendepunkte", die regelmäßig zu verstärktem Widerstand und mehr Blutvergießen geführt haben. Seit diesem Tag sind 900 weitere US-Soldaten und ungezählte Tausende irakische Zivilisten getötet worden.
Sowohl die Zahl der täglichen Angriffe wie die Zahl der getöteten US-Soldaten waren im vergangenen Monat fast doppelt so hoch wie vor einem Jahr. Die Lebensumstände der irakischen Bevölkerung sind schlimmer als vor einem Jahr. Gewalt ist allgegenwärtig. Außerhalb der streng gesicherten "Grünen Zone" in Bagdad haben die US-Besatzungskräfte und ihre irakischen Marionetten nichts unter Kontrolle.
Es wird weniger Strom erzeugt als vor einem Jahr. Die meisten Menschen haben nur sechs bis acht Stunden Strom am Tag. Sauberes Wasser und ausreichende Sanitäreinrichtungen sind Mangelware, was zu weitverbreiteten Erkrankungen insbesondere unter Kindern führt. Mindestens 40 Prozent der Bevölkerung sind arbeitslos.
Zu diesen schrecklichen Lebensbedingungen gesellt sich die Unterdrückung durch ausländische Besatzer. Die allmächtige US-Militärmacht gesteht den Irakern keine grundlegenden demokratischen Rechte zu - noch nicht einmal das Recht auf Leben. Die "Souveränität" ist Fiktion, solange 140.000 amerikanische Soldaten im Land stationiert sind.
Diese Umstände haben den massenhaften Widerstand hervorgerufen, den das US-Militär nicht aufhalten kann. Bushs Versuch, diesen Widerstand als das Werk "ausländischer Kämpfer" und "skrupelloser Mörder, die im Irak zusammenkommen", abzutun, ist lächerlich. Das US-Militär unterhält inzwischen ein großes Netz von Gefängnissen im Irak, in denen über 10.000 sogenannte "Sicherheitsgefangene" festgehalten werden. Darunter befinden sich nur wenige Hundert Nichtiraker.
Laut Bush stammen die "ausländischen Kämpfer" aus "Saudi-Arabien, Syrien, Ägypten, dem Sudan, Jemen, Libyen" - ausnahmslos arabische Länder, deren Bevölkerung mit den Irakern eine gemeinsame Sprache, Kultur und Geschichte des Kampfs gegen den Kolonialismus teilt. Wenn sie "Ausländer" sind, was sind dann die US-Soldaten?
Die Feinde der US-Armee im Irak beschrieb Bush mit den Worten: "Sie führen einen Feldzug des Mordes und der Zerstörung. Es gibt keine Grenzen für die Zahl der unschuldigen Leben, die sie bereit sind zu nehmen.... Wir kämpfen gegen Menschen mit blindem Hass und tödlichen Waffen, die zu jeder Gräueltat fähig sind.... Sie respektieren keine Gesetze der Kriegsführung oder Moral."
So hätte er seine eigene Regierung beschreiben können, die einen illegalen Krieg entfesselt hat, der schätzungsweise 100.000 Irakern das Leben kostete. Sie hat Bomben, Raketen und Napalm gegen zivile Ziele eingesetzt und Falludscha, eine 300.000-Einwohner-Stadt, in Schutt gelegt. Sie führt tägliche Razzien durch, tötet unschuldige Zivilsten und nimmt andere fest.
Wer derartige Verbrechen mit einem Haufen pseudoreligiösem Unsinn verteidigt, indem er den schmutzigen Kolonialkrieg der USA als Kampf des "Guten" gegen das "Böse" darstellt, appelliert an alles, was in Amerika rückständig, unwissend und verängstigt ist.
"Wir kämpfen heute, weil Terroristen unser Land angreifen und unsere Bürger töten wollen, und der Irak der Ort ist, an dem sie sich uns entgegenstellen," sagte Bush. Wenn sich Leute im Irak den US-Truppen "entgegenstellen", tun sie das, weil es ihr Land ist und sie seine Eroberung nie hinnehmen werden.
Bush stellte auch die unwahrscheinliche Behauptung auf, die blutige Katastrophe im Irak inspiriere die Menschen im ganzen Nahen Osten. Dabei haben die Ereignisse in der Region nur massenhafte Abscheu und Empörung hervorgerufen. Weiter versuchte er, sich das Verdienst für die Wahlen in den Palästinensergebieten und im Libanon zuzuschreiben. Dabei finden in den Palästinensergebieten seit Jahren und im Libanon seit Jahrzehnten Wahlen statt.
Hinter all den Erfolgsmeldungen und Schwüren, die "Mission zu beenden", war ein Element der Verzweiflung zu spüren. Bush hat für seine Fernsehauftritte oft Soldaten als Kulisse benutzt. Aber diesmal blieb das Publikum nüchtern. Es unterbrach die Rede nur einmal mit gedämpftem Applaus - nachdem ein Vertreter des Weißen Hauses es dazu aufgefordert hatte. Aneinander grenzende Einsätze im Irak und die von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld verkündete Aussicht, dass die Kämpfe ein weiteres Dutzend Jahre andauern werden, hat die Begeisterung der Truppe gedämpft.
Die Rede endete mit einem Aufruf an die amerikanische Jugend, sich über eine Karriere im Militär Gedanken zu machen - etwas Werbung fürs Militär, nachdem die Rekrutierungszahlen so stark zurückgegangen sind, dass das Pentagon bald vor dem Scheitern der ausschließlich aus Freiwilligen bestehenden Armee stehen könnte.
Gleichzeitig rief Bush zu "Opfern" auf, ohne je auszusprechen, was er damit meint. Er schlug lediglich vor, alle Amerikaner sollten am 4. Juli die Flagge hissen, um ihre Unterstützung für die Truppen zu zeigen. Nirgends in seiner Rede gestand er ein, dass im Irak bereits 1.750 amerikanische Soldaten getötet worden sind, oder dass seine Regierung ungefähr 200 Milliarden Dollar für den Krieg ausgegeben hat.
Daraus folgt aber eindeutig, dass das Töten und Sterben und die Verschwendung riesiger Geldsummen endlos weiter gehen werden. Die Rede ist eine Warnung. Die herrschende Elite Amerikas wird kein zweites Vietnam hinnehmen. Sie wird nicht zulassen, dass der Widerstand der Bevölkerung ein Ende des Krieges erzwingt.
Damit soll nicht geleugnet werden, dass es in der herrschenden Elite Differenzen über die Kriegsführung gibt. Die Demokraten treten mittlerweile für ein entschiedeneres Vorgehen ein und kritisieren die Regierung, sie führe den Krieg schlecht. Sie sind genauso wie die Republikaner entschlossen, die "Mission im Irak zu vollenden", d.h. seine Bevölkerung militärisch zu unterwerfen und die Vorherrschaft der USA über den ölreichen Persischen Golf zu errichten.
Der außenpolitische Sprecher der Demokraten, Senator Joe Biden, lobte Bush, weil er eine Rede zum Irak an die Bevölkerung hielt, und sagte: "Wenn wir ihre Unterstützung nicht zurückgewinnen, stecken wir in wirklichen Schwierigkeiten." Er warnte immer wieder, dass nicht genügend amerikanische Soldaten im Land seien, und schlug vor, die Einsatzkräfte zu verstärken, um die Aufgabe zu erfüllen.
Die Massenmedien unterbrachen zwar ihre Programme, um Bushs Rede zur besten Sendezeit zu übertragen. Aber einige Kommentatoren zeigten sich anschließend besorgt darüber, dass der Präsident keine neuen Argumente vorgebracht oder Maßnahmen vorgeschlagen habe, um dem starken Rückgang der Unterstützung für den Krieg zu begegnen. Für diesen Mangel sind nicht die Redenschreiber verantwortlich. Die Regierung ist im Irak damit konfrontiert, dass die Ereignisse alles wiederlegt haben, was sie je behauptet oder vorausgesagt hat.
Abschließend erklärte Bush: "Wenn die Geschichte dieser Zeit niedergeschrieben wird, wird man sich an die Befreiungen von Afghanistan und des Irak als große Wendepunkte in der Geschichte der Freiheit erinnern." Im Gegenteil, wenn die Geschichte dieser Ereignisse niedergeschrieben wird, werden die US-Interventionen als Wendepunkte im Wiederwachen nackter imperialistischer Aggression in einem Ausmaß angeführt werden, wie man sie seit dem Fall des Dritten Reichs nicht mehr erlebt hat.
Das Aufbrechen des amerikanischen Imperialismus stellt dringend die Aufgabe, eine politische Antikriegsbewegung aufzubauen, die unabhängig von den Demokraten und Republikanern ist und sich auf die arbeitende Bevölkerung Amerikas stützt. Eine solche Bewegung muss mit der Forderung nach dem sofortigen und bedingungslosen Abzug aller amerikanischer Truppen aus Irak beginnen. Sie muss den Schwindel des "Kriegs gegen den Terror" zurückweisen und darauf beharren, dass alle, die sich an der Verschwörung zum Irakkrieg beteiligt haben, politisch und juristisch zu Verantwortung gezogen werden.