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Die amerikanische Außenministerin bietet Europa "Partnerschaft" an

Von Ulrich Rippert und Peter Schwarz
10. Februar 2005

"Die Dame, wie mich dünkt, gelobt zu viel." - Diese Worte aus Shakespeares Hamlet tauchen aus der Erinnerung auf, wenn man die Rede studiert, die die amerikanische Außenministerin Condoleezza Rice am Dienstag in Paris gehalten hat. Ihr Auftritt im alt ehrwürdigen Auditorium des angesehenen Pariser Instituts für politische Studien (IEP-Science Po) vor 500 Politikern, Intellektuellen und Studenten bildete den Höhepunkt ihrer einwöchigen Blitzreise durch sieben europäische Hauptstädte, verbunden mit einem Abstecher nach Tel Aviv und in die Palästinensergebiete.

Rice rief dazu auf, "ein neues Kapitel" in den transatlantischen Beziehungen aufzuschlagen. Sie schlug einen weiten Bogen von der "miteinander verwobenen" 200-jährigen Geschichte Frankreichs und der Vereinigten Staaten - "uns verbindet eine Geschichte gemeinsamer Werte, gemeinsamer Opfer und gemeinsamer Erfolge" - über die "gemeinsame Erfahrung der Macht der Wahrheit" im Jahr der Wende 1989 bis hin zum "globalen Kampf für Freiheit", der "globale Partnerschaft" erfordere.

"Wir leben in einer Zeit nie da gewesener Möglichkeiten für das transatlantische Bündnis", rief sie den Versammelten zu, und forderte, den Kampf für globale Freiheit zum "Prinzip des 21. Jahrhunderts" zu machen. Das sei der Weg zu historischen Erfolgen für "globale Gerechtigkeit und Wohlstand", wie auch für "Freiheit und Frieden".

Betrachtet man die Rede rein äußerlich, so war die Frau kaum wieder zu erkennen, die als US-Sicherheitsberaterin die französische und deutsche Regierung wegen ihrer Ablehnung des Irakkriegs scharf kritisiert und die Formel geprägt hatte: "Frankreich bestrafen, Deutschland ignorieren und Russland vergeben". Sie umwarb die ehemaligen Kriegskritiker unter Aufbietung des gesamten, ihr zur Verfügung stehenden diplomatischen Wortschatzes.

Inhaltlich machte sie dagegen keinerlei Zugeständnisse. Streitpunkte blieben entweder unerwähnt, oder Rice bekräftigte ihren bisherigen Standpunkt. So merkten viele Kommentare an, dass sie mit keiner Silbe auf den Nuklearstreit mit Iran einging. Während Washington unverblümt auf einen Regimewechsel in Teheran hinarbeitet und dabei die iranischen Atomprogramme als Vorwand benutzt, streben Paris, Berlin und auch London eine diplomatische Lösung an.

"Nicht ein einziges Mal hat Frau Rice in ihrer Rede die iranische Nuklearaffäre zu den Aufgaben gezählt, die Amerikaner und Europäer im Nahen Osten gemeinsam anpacken müssen," monierte die französische Tageszeitung Le Monde."Einfach vergessen? Oder Ausdruck der Skepsis gegenüber den diplomatischen Anstrengungen der Europäer?"

Andere umstrittene Fragen, die Rice in ihrer Rede umschiffte, betreffen den Einsatz von Nato-Truppen im Irak (Paris und Berlin haben sich bisher strikt geweigert, sich mit eigenen Soldaten an solchen Einsätzen zu beteiligen); die geplante Aufhebung des Waffenembargos gegen China durch die EU, die von den USA strikt abgelehnt wird; die Weigerung der USA, das Kyoto-Klimaprotokoll zu unterzeichnen und den Internationalen Strafgerichtshof anzuerkennen; den britisch-französischen Vorschlag für eine stärkere Entschuldung der Entwicklungsländer, der in Washington auf massive Vorbehalte stößt; und viele andere mehr.

Vor allem aber ließ Rice nicht die geringste Selbstkritik an der bisherigen amerikanischen Außenpolitik und am Vorgehen gegen den Irak erkennen. Die Präventivkriegsdoktrin, mit der sich Washington das Recht anmaßt, eigenmächtig und ohne Rücksicht auf das Völkerrecht andere Länder anzugreifen, bleibt in Kraft. Ja, sie wird sogar noch ausgeweitet. Rice wiederholte in Paris wortwörtlich die Formulierungen, die Bush schon in seiner Amtseinführungsrede verwendet hatte. An die Stelle des "Kampfs gegen den Terror" ist der "Kampf gegen Tyrannei und für Freiheit" getreten.

Die World Socialist Web Site kommentierte damals diesen Paradigmenwechsel mit den Worten: "Die Umwandlung des Kampfs gegen den Terror in einen Kampf gegen die Tyrannei hat unmittelbare und weitreichende Auswirkungen auf die praktische Politik: Sie senkt die Schwelle für amerikanische Militärschläge und erweitert stark den Umfang ihrer Ziele. In ihrer Neudefinition erfordert die Bush-Doktrin des Präventivkriegs nicht mehr, dass ein Staat, um eine Bedrohung für die USA darzustellen, Massenvernichtungswaffen besitzt und diese irgendwann in der Zukunft einzusetzen gedenkt oder Terror gegen die USA in irgendeiner Form plant. Es genügt, dass die Vereinigten Staaten ein Land als ‚Tyrannei’ identifizieren, in der auf unsichtbare und mysteriöse Weise Gewalt wächst und sich vervielfacht." ("Die Logik des Irrationalen", 22. Januar 2005)

Rice’ Aufforderung an die Europäer, "Freiheit" in die arabische Welt zu bringen, ist in diesem Sinne zu verstehen. Im Rahmen der sogenannten Greater-Middle-East-Initative soll die gesamte Region von Marokko bis Afghanistan nach den Vorstellungen der US-Regierung umgemodelt werden. Der "Status Quo" in dieser Region, betonte Rice gleich drei Mal, müsse verändert werden. Sie hielt sich in Paris zwar mit Drohungen gegen Iran zurück, nahm stattdessen aber Syrien ins Fadenkreuz. Der von Syrien dominierte Libanon müsse so schnell wie möglich seine "volle Souveränität" erlangen, forderte sie, und warnte Damaskus, die für dieses Frühjahr geplanten "freien Wahlen" im Libanon zu beeinflussen.

Im Wesentlichen läuft Rice’ Partnerschaftsangebot an Europa darauf hinaus, sich als Juniorpartner an den Unternehmungen des amerikanischen Imperialismus zu beteiligen. Zu diesem Zweck machte sie einige Zugeständnisse, die aber an der Substanz der US-Außenpolitik nichts ändern. So lobte sie die UNO in den höchsten Tönen und versprach, die sogenannte Road Map für ein Abkommen zwischen Israel und Palästinensern wieder aufzunehmen.

Das Waffenstillstandsabkommen, das Palästinenserpräsident Abbas und der israelische Premier Sharon unmittelbar nach Rice’ Stippvisite vereinbarten, stieß in Europa allerdings auf Skepsis. Einer ähnliche Vereinbarung hatte es schon in der Vorbereitungsphase des Irakkriegs gegeben, die sich dann in Luft auflöste. Solange Israel den Siedlungsbau auf der Westbank nicht einstellt und Abbas den Palästinensern nichts zu bieten hat als mehr Unterdrückung, so die vorherrschende Meinung in Europa, werde kein Frieden möglich sein.

Es gibt mehrere Gründe, weshalb Washington eine Annäherung an Europa sucht.

Zum einen hat sich der Irakkrieg zu einem nicht endenden Debakel entwickelt, und die Bush-Regierung versucht, einen Teil der finanziellen und militärischen Lasten auf die europäischen "Partner" abzuwälzen. Eine engere Zusammenarbeit mit Europa war im Wahlkampf die wichtigste außenpolitische Forderung des demokratischen Herausforderers John Kerry gewesen, der ansonsten den Krieg gegen Irak und die Besatzung unterstützt hatte. Nach Kerrys Niederlage ist die Bush-Administration offenbar zur Einsicht gelangt, dass der Vorschlag vom Standpunkt der US-Interessen gar nicht so schlecht ist.

Zum andern beginnt sich der Focus der amerikanischen Außenpolitik zu verschieben. Nach dem erfolgreichen, von den USA massiv unterstützten Regimewechsel in Kiew gerät auch der russische Präsident Putin zunehmend unter amerikanischen Druck. Und China gilt vielen US-Strategen mittel- und langfristig als wichtigste Bedrohung der amerikanischen Hegemonie. Um zu verhindern, dass sich Europa, Russland und China im Konflikt mit den USA weiter annähern, sucht Washington wieder eine engere Zusammenarbeit mit Europa.

Zumindest bei Teilen der europäischen Elite stößt es damit auf Resonanz. Tiefe Meinungsverschiedenheiten über das Verhältnis zu den USA laufen in fast allen europäischen Ländern quer durch die politischen Lager und Parteien. Vor allem Politiker, die auf Law-and-Order und die "Verteidigung des christlichen Abendlands" fixiert sind, halten angesichts des zunehmenden Gewichts ehemaliger Dritte-Welt-Länder eine enge Zusammenarbeit des europäischen und amerikanischen Imperialismus für geboten. Dem stehen allerdings die wachsenden ökonomischen Gegensätze im Kampf um Märkte und Rohstoffe entgegen, bei dem amerikanische und europäische Interessen immer offener aufeinanderprallen.

Entsprechend unterschiedlich waren denn auch die Reaktionen auf Rice’ Rede. Während ein Teil des sorgfältig ausgewählten Publikums und der europäischen Presse sie begrüßten, stieß sie bei anderen auf offene Skepsis.

Siehe auch:
Die Logik des Irrationalen: Bushs Inaugurationsrede und die globale Strategie des amerikanischen Imperialismus
(25. Januar 2005)
Imperialer Größenwahn und politische Realität
( 21. Januar 2005)