Europareise der US-Außenministerin
Scharfe Gegensätze zu Iran
Von Ulrich Rippert
5. Februar 2005
Wenige Tage nach ihrer offiziellen Amtseinführung ist die neue amerikanische Außenministerin Condoleezza Rice zu einer Rundreise durch Europa aufgebrochen. Innerhalb einer Woche besucht sie London, Berlin, Paris, Brüssel, Warschau, Rom und Ankara, wo sie auch mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow zusammentreffen wird. Außerdem ist ein Abstecher nach Tel Aviv und in die Palästinensergebiete geplant.
Was von vielen Kommentaren als "Charmeoffensive" und Hinweis auf eine Entspannung im transatlantischen Verhältnis gewertet wird, ist in Wirklichkeit das Gegenteil. Hinter dem Austausch diplomatischer Nettigkeiten wird hart gepokert. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage Irans.
Nach den Enthüllungen über amerikanische Kriegsvorbereitungen durch den bekannten US-Journalisten Seymour Hersh und entsprechenden Äußerungen verschiedener Regierungsvertreter gibt es in der europäischen Politik kaum noch Zweifel darüber, dass Washington ernsthaft ein gewaltsames Vorgehen gegen Teheran vorbereitet - ein Ziel, das nicht nur in Berlin und Paris, sondern auch in London entschieden abgelehnt wird.
Bereits letzte Woche war das Nachrichtenmagazin Der Spiegel mit der Schlagzeile "USA gegen Iran, der nächste Krieg?" erschienen. An Bushs Rede zur Lage der Nation interessierten dann vor allem seine verschärften Drohungen gegen Iran. Das Thema dominierte die Schlagzeilen der Berichte über die Rede in der deutschen und französischen Presse. Die Angst geht um, dass wie im Fall Irak ein Automatismus zum Krieg eingeleitet wird.
Zum Auftakt ihrer Europareise in London attackierte die US-Außenministerin erneut die iranische Regierung. Sie warf ihr vor, nicht demokratisch legitimiert zu sein, den internationalen Terror zu unterstützen und die Menschenrechte nicht einzuhalten. Auf die Frage eines Journalisten, ob sie sich während der Amtszeit der gegenwärtigen US-Regierung einen Angriff auf den Iran vorstellen könnte, antwortete Condoleezza Rice, die Frage stehe "zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht auf der Tagesordnung".
Die Gegensätze zwischen Europa und den USA über ein militärisches Vorgehen gegen den Iran sind noch tiefer als die Konflikte über den Irakkrieg, die bereits zu einer schweren transatlantischen Krise und zur Spaltung Europas führten.
Nicht nur Deutschland und Frankreich, auch Großbritannien verfolgen im Iran vitale wirtschaftliche und politische Interessen. Nur wenige Tage nach der Vereinbarung über das iranische Atomprogramm zwischen den drei EU-Staaten und der Teheraner Regierung Mitte November vergangenen Jahres reiste eine dreißigköpfige britische Wirtschaftsdelegation in den Iran. Wie die den Grünen nahestehende Heinrich Böll Stiftung mitteilte, betonte die britische Ministerin für Handel und Industrie, Patricia Hewitt, dass die Handelsbeziehungen beider Länder in den vergangenen fünf Jahren ständig gewachsen seien und für beide Seiten große Bedeutung hätten. Ihr Ministerium habe allein im vergangenen Jahr für rund hundert Unternehmen den Weg nach Iran geebnet.
Der Export der EU-Staaten in den Iran ist im vergangenen Jahr - dem Stiftungsbericht zufolge - um 25 Prozent gegenüber dem Vorjahr gewachsen. Die wichtigsten europäischen Wirtschaftspartner mit Teheran sind die Bundesrepublik, Italien und Frankreich. Gleichzeitig spielt der Iran eine wichtige Rolle bei der Energieversorgung vieler europäischer Länder.
Aber nicht nur die Wirtschaftsinteressen treiben die europäischen Regierungen um. Sie fürchten, dass ein Militärschlag gegen Teheran die gesamte Region in noch weit größerem Maße politisch destabilisieren werde, als es bereits der Irakkrieg getan hat.
Bereits vor ihrer Reise hatte Außenministerin Rice deutlich gemacht, dass sie "eine klare und offensive Beteiligung der Europäer im Irak" erwarte, was für Deutschland und Frankreich nicht in Frage kommt. Außerdem fordert sie, dass die EU ihre Pläne fallen lässt, das Waffenembargo gegen China aufzuheben. Im Gegenzug fordern die Europäer, Washington solle sich zu einer diplomatischen Lösung der Irankrise verpflichten und nicht länger mit dem Säbel rasseln. Hinter einer Vielzahl diplomatischer Initiativen halten beide Seiten an ihren Standpunkten fest.
Angesichts der geostrategischen Interessen der USA und deeren Versuch, eine uneingeschränkte Kontrolle über die Energieressourcen im Nahen Osten und der Kaspischen Region zu errichten, hat die Washingtoner Regierung den Iran schonseit geraumer Zeit im Visier. Das Land grenzt direkt an das kaspische Becken und bietet die Möglichkeit, die dort eingeschlossenen Öl- und Gasvorkommen über ein modernes Pipelinesystem auf den Weltmarkt zu bringen. In drei Nachbarländern- Türkei, Afghanistan und Irak - verfügt die Bush-Regierung nun über militärische Präsenz.
Dazu kommt noch, dass die von den Besatzungstruppen durchgesetzten Wahlen im Irak - nach dem gegenwärtigen Stand der Stimmenauszählung - dazu geführt haben, dass Iran-freundliche Schiiten zwei Drittel der Stimmen gewonnen haben, während das Wahlbündnis unter Washingtons Favorit Ijad Alawi trotz der Propaganda der Besatzungsmacht nur etwa 18 Prozent der Wähler auf sich vereinen konnte.
Obwohl die Mehrheit der europäischen Regierungen ein erneutes Militärabenteuer im Nahen Osten ablehnen, sind sie nicht bereit, der amerikanischen Regierung und deren Außenministerin offen und prinzipiell entgegenzutreten. Niemand im offiziellen Berlin oder Paris - von London ganz zu schweigen - wagt es die Bush-Regierung und deren bisherige Sicherheitsberaterin für den völkerrechtswidrigen Krieg im Irak und die Kriegsverbrechen, die dort begangen wurden, zur Rechenschaft zu ziehen.
Anstatt der amerikanischen Außenministerin klipp und klar zu erklären, dass die EU nicht länger bereit sei, die offenen und verdeckten Kriegdrohungen zu akzeptieren und jedes weitere militärische Abenteuer, ob gegen Iran oder ein anderes Land, eine sofortige Sperrung der US-Militärbasen auf europäischem Boden und weitere Sanktionen nach sich ziehen werde, tun die Verantwortlichen in Europa genau das Gegenteil.
Unter dem Druck der US-Regierung entschied die Geschäftsführung der deutschen Krupp AG, einen Teil der iranischen Aktien am Konzern zurückzukaufen, um den iranischen Einfluss im Unternehmen zu beschränken. Der britische Shell-Konzern, der gemeinsam mit der spanischen Repsol YPF im vergangenen Sommer ein umfassendes Erdgasabkommen mit Iran getroffen hatte, legte seine Produktionspläne "vorläufig" auf Eis.
Auch auf politischer Ebene macht die EU gute Miene zu bösem Spiel. Angesichts der Tatsache, dass ein Berliner Anwaltsbüro im Namen einer amerikanischen Menschenrechtsorganisation Klage gegen US-Verteidigungsminister Rumsfeld wegen Kriegsverbrechen eingereicht hat, erklärte sein deutscher Amtskollege Peter Struck (SPD), er sei davon überzeugt, dass kein Ermittlungsverfahren gegen Rumsfeld in Deutschland aufgenommen werde. Struck betonte ausdrücklich, er würde es sehr begrüßen, wenn Rumsfeld seine Entscheidung, nächste Woche nicht an der Münchener Sicherheitskonferenz teilzunehmen, rückgängig machen würde.
Noch deutlicher wurde Innenminister Otto Schily (SPD), der während eines US-Aufenthalts Anfang der Woche ein vorher nicht geplantes Gespräch mit Präsident Bush hatte. Schily erklärte anschließend: "Das ist eine Ehre, die nicht jedem Innenminister zuteil wird." In Presseberichten wurde später bekannt gegeben, dass Schily deutsche Aufbauhilfe im Irak zugesichert habe.
Der Grund für diese feige Haltung gegenüber der amerikanischen Kriegspolitik liegt vor allem darin, dass die europäischen Regierungen befürchten, eine konsequente Aufdeckung und Bekämpfung der amerikanischen Kriegspläne könntestarke Resonanz in der Bevölkerung hervorrufen. Die weltweiten Massendemonstrationen gegen den Irakkrieg vor zwei Jahren, an denen sich mehrere Millionen Menschen beteiligten, sind noch gut in Erinnerung und sollen sich nach dem Willen der Regierung nicht wiederholen.
Zu sehr fürchten die Regierungen in Europa, dass die Massenproteste gegen Krieg auch soziale Fragen aufgreifen und sich gegen die eigene Regierung richten werden. Nicht zufällig hebt Otto Schily seine persönliche Freundschaft mit dem bisherigenUS-Justizminister John Ashcroft hervor. Was ihn an der US-Regierung beeindruckt, ist die rücksichtslose Law-and-order-Politik, mit der sie gegen die eigene Bevölkerung vorgeht.
Gleichzeitig verfolgen die deutsche und alle anderen europäischen Regierungen ihre eigenen imperialistischen Ziele, die sie gegenüber der Bevölkerung verheimlichen und wie die US-Regierung hinter einem Wortschwall über Demokratie und Freiheit verbergen. Unter diesen Bedingungen verschärfen sich die Gegensätze zwischen den Großmächten in einer Form, die an die dunkelsten Tage vor Beginn des Ersten Weltkriegs erinnern.