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Bundeswehr soll US-Truppen in Afghanistan entlasten

Von Lucas Adler
9. Februar 2005

Die US-Regierung beabsichtigt, möglichst viele ihrer 10.000 in Afghanistan stationierten Truppen abzuziehen, um sie gegen den Widerstand im Irak einzusetzen. Zu diesem Zweck soll Enduring Freedom, die US-geführte Operation zur Terrorbekämpfung, mit ISAF, der NATO-Mission zur Stabilisierung des neuen Regimes in Kabul, zusammengelegt werden.

Faktisch würde dadurch die Bundeswehr das Kommando über die Besatzung des Landes übernehmen, ihre Präsenz auf weitere Landesteile ausweiten und verstärkt an offenen Kriegs- und Kampfhandlungen teilnehmen. Bisher sind ungefähr 2.000 deutsche Soldaten in Kabul sowie in den Provinzstädten Kundus und Faisabad im Norden des Landes stationiert.

Während die formale Zusammenlegung der beiden Operationen zwischen der deutschen und der US-Regierung noch umstritten ist, hat Berlin seine grundsätzliche Bereitschaft längst signalisiert, die US-Armee in Afghanistan weiter zu entlasten. Mit ihrem Widerstand gegen die Zusammenlegung der beiden Operationen will die Schröder-Regierung lediglich der eigenen Bevölkerung Sand in die Augen streuen.

Bereits vor mehr als einem Jahr war die Bundeswehr der US-Regierung zur Hilfe gekommen, als die Kämpfe gegen die Besatzungstruppen im Süden des Landes zu eskalieren drohten. Das UN-Mandat der ISAF wurde kurzerhand über Kabul hinaus auf ganz Afghanistan ausgeweitet, und bereits wenige Tage später begannen die Vorbereitungen für die Stationierung von 230 zusätzlichen Bundeswehrsoldaten in der nördlichen Provinzstadt Kundus, die dort ein amerikanisches Kontingent ersetzten.

Das Bundestags-Mandat vom 24. Oktober 2003, das diesen Einsatz legitimierte, ermöglicht es auch, das Einsatzgebiet auf ganz Afghanistan auszuweiten. Am 30. September 2004 stimmte das Parlament dann mit überwältigender Mehrheit der Verlängerung des Afghanistaneinsatzes zu. Und während das Kanzleramt die Verschmelzung der beiden Operationen noch offiziell ablehnt, bekräftigte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes gegenüber dem Spiegel, die Bundesregierung habe bereits im Herbst letzten Jahres deutlich gemacht, dass sie sich Gesprächen über mögliche "Synergieeffekte" zwischen Enduring Freedom und ISAF-Mission nicht verschließen werde.

Um einen Abzug der US-Truppen aus Afghanistan tatsächlich kompensieren zu können, wäre eine Aufstockung des deutschen Kontingents weit über das bisher vom Bundestag genehmigte Maximum von 2.250 Soldaten hinaus nötig. Momentan deutet vieles darauf hin, dass dieser Schritt bereits vorbereitet wird. Als Vorwand dient dabei die Drogenbekämpfung.

Der Drogenanbau bildet die Haupteinnahmequelle der Warlords, die weite Teile des Landes kontrollieren und mit den Drogengeldern ihre Privatarmeen finanzieren. Im Kampf gegen das Taliban-Regime waren diese Warlords die wichtigsten Verbündeten der USA; mittlerweile entwickeln sie sich aber immer mehr zu einem Ärgernis.

Hatten die Taliban in den Jahren vor der Invasion den Opiumanbau weitgehend unterbunden, so ist Afghanistan seit ihrem Sturz wieder zum führenden Heroinproduzenten der Welt aufgestiegen. Zwei Drittel der weltweiten Heroinmenge stammen aus dem Land am Hindukusch. Nach Schätzungen der UN wird inzwischen die Hälfte des BIP Afghanistans durch Drogen erwirtschaftet. Die Einnahmen aus dem Drogenhandel sind doppelt so hoch, wie die ausländischen Hilfsgelder. Ein UN-Bericht vom November letzten Jahres bezeichnet den Opiumanbau als "Hauptmotor des Wirtschaftswachstums" in Afghanistan.

Hinzu kommt, dass die eigenmächtige Herrschaft der Warlords das US-Marionettenregime von Hamid Karzai in Kabul untergräbt. Während der politische Einfluss der Zentralregierung kaum über die Stadtmauern Kabuls hinausreicht, kontrollieren die Warlords inzwischen weite Teile des Landes und stellen sich immer öfter auch gegen das neu errichtete Regime.

Ein Vorgehen gegen den Drogenanbau, zu dem sich Karzai verpflichtet hat, bringt unweigerlich die Gefahr einer bewaffneten Konfrontation mit den Warlords mit sich, die, bei der Wahl ihrer Verbündeten wenig wählerisch,auch gemeinsame Sache mit nach wie vor aktiven Taliban- oder Al Qaida-Kämpfern machen könnten.

Aus diesem Grund ist es deutschen Soldaten bisher nicht erlaubt, sich aktiv am Kampf gegen den Drogenanbau in Afghanistan zu beteiligen.Seit einiger Zeit schon fordern aber Unions-Kreise, dieses Verbot fallen zu lassen. Die Bundesregierung hat das bislang abgelehnt und betont, eine Beteiligung deutscher Soldaten zur Drogenbekämpfung sei "ausdrücklich nicht vorgesehen". Von dieser Position scheint sie jetzt abzurücken.

Mitte Januar berichtete der Spiegel über Geheimdienstinformationen, laut denen die USA und Großbritannien im Frühjahr eine Großoffensive gegen den Drogenanbau in Afghanistan planten. Dadurch würden auch die Gefahren für die Bundeswehr erhöht. Deshalb denke Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) über eine Aufstockung des deutschen Kontingents sowie die Entsendung des Kommando Spezialkräfte (KSK) zur Sicherung der vorhandenen Bundeswehr-Lager nach.

Sind die Spezialkräfte erst einmal vor Ort, würde es nicht lange dauern, bis sie sich aktiv an der Drogenbekämpfung beteiligen. Der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes, Bernhard Gertz, machte gegenüber der Zeitung Neue Presse bereits deutlich, dass er "auch diese Aufgabe auf die deutschen Soldaten zukommen" sehe.

Allein schon der voraussichtliche Einsatz der KSK deutet darauf hin, dass es bei der Mission um mehr geht, als nur um die "Sicherung von Lagern". Die hochgerüstete KSK wird in der Regel als lokal ungebundene, blitzschnell zuschlagendeEingreiftruppe eingesetzt. Für die Aufgaben einer Schutztruppe wäre sie schlichtweg überqualifiziert.

KSK-Soldaten waren zwischen Oktober 2001 und Februar 2002 bereits an den Bodenkämpfen der US-Armee gegen Taliban und Al-Qaida beteiligt. Die Bundesregierung versuchte damals, den KSK-Einsatz vor der Öffentlichkeit geheim zu halten. Lediglich durch Aussagen von US-Heeresgeneral Tommy Franks, die in einer Erklärung des Pentagon zitiert wurden, kam die Teilnahme des KSK an den Kämpfen in Afghanistan ans Licht.

Eine Offensive gegen die Drogenbarone würde die Situation im Land mit großer Wahrscheinlichkeit noch weiter destabilisieren. Experten des CIA und des BND erklärten gegenüber dem Spiegel übereinstimmend, das ganze Unterfangen könne "zu einem GAU [Größter Anzunehmender Unfall] werden". Einen BND-Mann in Kabul zitiert das Magazin mit den Worten: "Die Bosse des Drogengeschäftes werden alles tun, um ihre Einkünfte zu sichern."

Die extrem instabile Situation in Afghanistan könnte sich für die deutsche Regierung sehr schnell zu einer handfesten Katastrophe auswachsen. Mit Blick auf das zukünftige Engagement in Afghanistan hat Verteidigungsminister Struck bereits eine Debatte mit Wehrexperten des Parlaments angeregt, die erörtern soll, wie die Öffentlichkeit auf eine größere Zahl von Toten und Verletzten reagieren würde.

Mit der Entlastung der US-Truppen in Afghanistan unterstützt die deutsche Regierung indirekt deren Einsatz im Irak. Sie übernimmt damit Mitverantwortung für den völkerrechtswidrigen Krieg und die Unterdrückung der irakischen Bevölkerung. Außerdem ermöglicht sie es der US-Regierung auf diese Weise, sich in weitere militärische Abenteuer zu stürzen.

Siehe auch:
Bundestag beschließt Ausweitung des Bundeswehrmandats in Afghanistan
(1. November 2003)
Bundesregierung schickt weitere Soldaten nach Afghanistan
( 2. September 2003)