Streik bei den New Yorker Verkehrsbetrieben: eine neue Stufe im Klassenkampf
Von der Redaktion der World Socialist Web Site und der Socialist Equality Party
22. Dezember 2005
aus dem Englischen (21. November 2005)
Die World Socialist Web Site begrüßt den Mut der 34.000 Arbeiter und Angestellten des öffentlichen Nahverkehrs von New York City, die angesichts der Drohung mit drakonischen Strafen der amerikanischen und internationalen Arbeiterklasse ein ermutigendes Beispiel an Entschlossenheit und Solidarität geben. Der Streik bei den Verkehrsbetrieben ist ein Ereignis von internationaler Bedeutung. Die Streikenden widersetzen sich der Drohung mit hohen Geld- und sogar Gefängnisstrafen und fordern die superreiche Wall-Street-Elite heraus, die es gewohnt ist, der Stadt New York und sogar der Welt ihre ökonomischen Interessen aufzuzwingen.
In keinem anderen Land wird die Existenz von Klassen, ganz zu schweigen vom Klassenkampf, so heftig geleugnet, wie in den Vereinigten Staaten. Aber in keinem anderen Land sind die Klassengegensätze so tief. Und nirgendwo sonst wird der Klassenkampf von der herrschenden Klasse mit solcher Bösartigkeit betrieben, wie in Amerika. Es hat keine 24 Stunden gedauert, und der Streik der Arbeiter der Verkehrsbetriebe hat der ganzen Welt die brutale Realität der amerikanischen Gesellschaft vor Augen geführt.
Der Streik ist ein Beispiel für die unüberbrückbaren Klassengegensätze in der amerikanischen Gesellschaft, in der eine korrupte reaktionäre Finanzoligarchie versucht, mit den brutalsten Methoden jeden Widerstand gegen ihre Gier nach Profit und privatem Reichtum zu zerschlagen. Man muss sich nur die handelnden Personen anschauen, die den Angriff auf die Beschäftigten der Verkehrsbetriebe anführen, um eine Vorstellung von den wirklichen gesellschaftlichen Fragen zu bekommen, um die es bei diesem Konflikt geht.
Als erstes ist da Michael Bloomberg, der sich mit seinem riesigen Privatvermögen von mehr als fünf Milliarden Dollar den Posten des Oberbürgermeisters von New York City gekauft hat. Er besaß die Dreistigkeit, sich am Dienstag vor die Kameras zu stellen und die Bus- und U-Bahnfahrer als "selbstsüchtig", "erpresserisch", "schändlich" und "unverschämt" zu beschimpfen.
Dann ist da zweitens der Immobilienmogul Peter Kalikow, der ein Vermögen von mehr als einer Milliarde Dollar sein eigen nennt, und im Auftrag der Metropolitan Transportation Authority (MTA, Regionale Verkehrsgesellschaft) die Verhandlungen führt.
Als dritter im Bunde führt Rupert Murdoch, der Eigner der New York Post und von Fox News, die Hasskampagne der Boulevardmedien gegen die Arbeiter der Verkehrsbetriebe. Sein persönlicher Reichtum wird auf circa acht Milliarden Dollar geschätzt.
Diese Figuren streichen in einem Tag mehr ein, als die bestbezahlten Beschäftigten der Verkehrsbetriebe in einem Jahr verdienen.
Diese Leute verlangen von den Bus- und U-Bahnfahrern, deren Löhne kaum den täglichen Grundbedarf in New York, eine der teuersten Städte der Welt decken, dass sie ihre Löhne, Renten und Sozialleistungen opfern, damit die reichen Investoren die Zinsen auf ihre hochprofitablen MTA-Anleihen erhalten und ihr Vermögen steigern können.
Die Stadtverwaltung Bloombergs und die MTA haben zahlreiche gerichtliche Verfügungen gegen die Arbeiter erwirkt. Unter den Bestimmungen des gewerkschaftsfeindlichen Taylor Gesetzes des Staates New York droht jedem Arbeiter für jeden Streiktag eine Geldstrafe in Höhe von zwei Tageslöhnen. Die Stadtverwaltung hat darüber hinaus einen Richter davon überzeugt, eine Geldstrafe von einer Million Dollar pro Tag gegen den Ortsverband 100 der Transportarbeitergewerkschaft (TWU) zu verhängen, die die Bus- und U-Bahnfahrer vertritt.
Die Stadtverwaltung hat auch die Verhängung von Geldstrafen gegen einzelne Arbeiter in Höhe von 25.000 Dollar für den ersten Streiktag gefordert, die sich mit jedem weiteren Streiktag verdoppeln würden. Die Geldstrafe würde sich so in weniger als einer Woche auf mehr als eine Million summieren und die Arbeiter und ihre Familien in den Bankrott treiben. Die MTA droht zudem, alle Arbeiter zu entlassen, die schon am Streik von 1980 teilgenommen hatten und sich ihren Kollegen in der jetzigen Auseinandersetzung wieder anschließen. Es hat auch scharfe Forderungen gegeben, den Präsidenten des Ortsverbands 100, Roger Toussaint, weitere Gewerkschaftsvertreter und sogar einfache Arbeiter ins Gefängnis zu werfen.
Die große internationale Bedeutung des Streiks bei den Verkehrsbetrieben liegt darin, dass er die Fassade der monolithischen "nationalen Einheit" Amerikas zerstört, die von der Regierung und den Medien immer wieder propagiert wird. Es existiert in den Vereinigten Staaten doch noch eine starke gesellschaftliche Kraft, die in der Lage ist, gegen die reaktionäre, inhumane Politik der herrschenden Oligarchie zu kämpfen und Widerstand zu leisten - gegen eine Politik, die nicht nur in der Vereinigten Staaten durchgesetzt wird, sondern auch international.
In dieser Hinsicht ist besonders die nationale, religiöse und ethnische Vielfalt der an diesem Kampf beteiligten New Yorker bemerkenswert. Arbeiter aus allen Teilen der Welt stehen Streikposten. Die Solidarität der streikenden Bus- und U-Bahnfahrer zeigt in mikrokosmischer Form die entstehende Einheit der internationalen Arbeiterklasse.
Es handelt sich um den ersten Streik beim New Yorker öffentlichen Nahverkehr seit 25 Jahren. Der elftägige Ausstand von 1980 brachte die Stadt und den Staat an den Rand der Kapitulation, wurde aber von der Gewerkschaftsführung verraten, die einen Tarifvertrag mit Lohnzugeständnissen der Arbeiter sowie hohe Geldstrafen akzeptierte, die sich für jeden Arbeiter auf den Verlust fast eines ganzen Monatsgehalts beliefen.
Der Verrat jenes Kampfes bereitete den Weg für eine Welle des Streikbruchs, der Zerstörung von Gewerkschaften und von Entlassungen. Sie setzte mit der Entlassung von 11.000 Fluglotsen durch die Reagan-Regierung ein Jahr später ein und dehnte sich dann auf alle Grundindustrien aus.
Diese Angriffe kündigten die nahezu vollständige Eliminierung der Arbeiterklasse als wahrnehmbare gesellschaftliche Kraft in den Vereinigten Staaten während einer ganzen Periode an. Sie schufen die Bedingungen für die Anhäufung von Reichtum für Leute wie Bloomberg, Kalikow und Murdoch. Demokratische und Republikanische Administrationen auf nationaler, staatlicher und kommunaler Ebene haben gleichermaßen mitgeholfen, Einkommen und Vermögen in großem Umfang von der Arbeiterklasse in die Taschen der Finanzelite und der obersten Schichten der privilegierten Mittelklasse umzuleiten. Die Reallöhne der Arbeiter stagnieren oder fallen seit Jahrzehnten, während Sozialleistungen systematisch abgebaut werden.
In New York City sind die Reichen und die Unternehmen weitgehend von der Last der Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs befreit, dessen Kosten den Passagieren und Beschäftigten aufgebürdet wurden. Die Ausgabe zinsbringender Anleihen als wichtigste Finanzierungsquelle hat die Arbeit der Bus- und U-Bahnfahrer zu einer weiteren, mit Finanzspekulationen verbundenen Profitquelle gemacht.
Die große internationale Bedeutung des gegenwärtigen Streiks im öffentlichen Nahverkehr besteht darin, dass er die amerikanische Arbeiterklasse wieder als eine starke gesellschaftliche Kraft sichtbar gemacht hat. Sie wird durch die Konzerne und öffentlichen Arbeitgeber in den Kampf getrieben, die ihre Profite unablässig steigern, indem sie Arbeitsplätze, Renten und Gesundheitsversorgung abbauen,
Die Arbeiter sind in einer starken Position. Die MTA und das herrschende Establishment sind nicht in der Lage, 34.000 Arbeiter zu ersetzen und den Betrieb mit Streikbrechern am Laufen zu halten, wie sie es bei den Fluglotsen und PATCO getan haben. Den öffentlichen Personennahverkehr kann man nicht outsourcen oder in ein Billiglohnland verlegen. Die Kosten des Ausstands für die Unternehmen der Stadt werden auf hunderte Millionen Dollar täglich geschätzt. Die verzweifelten Ultimaten der Stadt und des Staates können die Schwäche ihrer Position nicht überdecken.
Gleichzeitig hat der Streik die enorm tiefe Krise der politischen Perspektiven und Führung in der Arbeiterklasse unterstrichen.
Die größte Hindernis für einen Erfolg ist die eigene Gewerkschaftsführung. Die Gewerkschaft TWU International, zu der der Ortsverband 100 gehört, hat den Ausstand als illegal und nicht genehmigt gebrandmarkt. Der Präsident der TWU, Michael OBrien, schaltete sich in das Vorstandstreffen des Ortsverbands 100 am Montagabend ein, auf dem der Streik beschlossen wurde. Er forderte den Ortsverband auf, das Lohnsenkungsangebot von MTA zu akzeptieren, und weigerte sich, den Streik zu autorisieren. Damit beraubte er die Beschäftigten des öffentlichen Nahverkehrs der Stadt der logistischen, juristischen und finanziellen Unterstützung, die mit ihren eigenen Beiträgen finanziert wird. Bei der Gerichtsverhandlung vom Dienstag, die über die Geldstrafen gegen den Ortsverband 100 befinden sollte, betonten die Anwälte der TWU, die Gewerkschaft trage keine Verantwortung für den Streik, weil sie ihn abgelehnt habe.
Auf der Web Site der TWU International ist ein Aufruf an den Ortsverband 100 zu lesen, seinen Streik zu beenden und an die Arbeit zurückzukehren. Quellen aus dem Ortsverband 100 berichten, die Gewerkschaftszentrale erwäge, den Vorstand des Ortsverbands abzusetzen und eine kommissarische Leitung zu bestimmen. Ein solches Vorgehen wird üblicherweise nur in Fällen schwerer Korruption gewählt. Schlägt die TWU diesen Weg ein, würde sie die Arbeiter anweisen, den Streik zu beenden. Wer sich nicht unterwirft, müsste zusätzlich zu den Strafen an die Stadt und den Staat auch noch Bußgelder an die Gewerkschaft bezahlen.
Nichts könnte klarer demonstrieren, dass die offiziellen Gewerkschaften zu Werkzeugen geworden sind, die die Kämpfe der Arbeiter unterdrücken und jede Herausforderung des amerikanischen Kapitalismus verhindern. Sie haben sich in die Demokratische Partei, dieses unerschütterliche Bollwerk der Finanzoligarchie, integriert und verbreiten Illusionen, diese Partei sei eine "Freundin der Arbeiter".
Der momentane Streik der Verkehrsbetriebe hat erneut den betrügerischen Charakter solcher Behauptungen bewiesen. Kein prominenter Demokrat ist den Bus- und U-Bahnarbeitern gegen die brutalen Angriffe, denen sie ausgesetzt sind, zu Hilfe gekommen. Die New Yorker Senatorin Hillary Clinton zum Beispiel erklärte in diesem bitteren Kampf ihre "Neutralität" und bot ihre Hilfe als Vermittlerin an. Sie erklärte gleichzeitig ihre Unterstützung für das Taylor-Gesetz, die wichtigste Waffe, mit der die Arbeiter in die Unterwerfung geprügelt werden sollen.
Deutlicher als irgendein anderes Ereignis in den letzten zwanzig Jahren stellt der gegenwärtige Streik der Arbeiter des öffentlichen Nahverkehrs von New York die gesamte Arbeiterklasse vor die Aufgabe, eine neue Führung aufzubauen und eine neue politische Strategie zu entwickeln, die sich auf ein Programm gründet, das die Interessen und Bedürfnisse der arbeitenden Menschen an die erste Stelle stellt und der Profitgier der Finanzelite Widerstand leistet.
Weil der Bus- und U-Bahnstreik - wie jeder ernsthafte soziale Kampf - die Arbeiter auf Kollisionskurs mit dem gesamten Profitsystem bringt, wirft er dringend die Notwendigkeit einer unabhängigen politischen Bewegung der Arbeiterklasse auf.
Wenn dieser Streik erfolgreich sein soll, müssen sich die Beschäftigten der Verkehrsbetriebe von einer Perspektive leiten lassen, die die gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Grundannahmen der Finanzoligarchie und ihrer politischen Parteien zurückweist. Die endlosen Forderungen nach Senkung des Lebensstandards der Arbeiter zeigen klar, dass ihre Interessen unvereinbar mit den Erfordernissen des kapitalistischen Profitsystems sind.
Wir richten und an alle Arbeiter und Jugendlichen, die mit dieser Perspektive übereinstimmen, mit der Aufforderung, die World Socialist Web Site zu lesen und sich der Socialist Equality Party anzuschließen.