Neunter Vortrag: Der Aufstieg des Faschismus in Deutschland und der Zusammenbruch der Kommunistischen Internationale
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Von Peter Schwarz
24. Dezember 2005
Dies ist der dritte und letzte Teil des Vortrags "Der Aufstieg des Faschismus in Deutschland und der Zusammenbruch der Kommunistischen Internationale" von Peter Schwarz. Schwarz ist Mitglied der internationalen Redaktion der WSWS und hielt seinen Vortrag im Rahmen der Sommerschule der Socialist Equality Party/WSWS, die vom 14. bis 20. August in Ann Arbor, USA stattfand.
Weshalb die Nazis die Arbeiterklasse besiegen konnten
Weshalb konnte der Nationalsozialismus die Arbeiterklasse besiegen? Um diese Frage zu beantworten, muss man aus dem Bereich der Soziologie und der Ökonomie auf die Ebene der Politik übergehen. Der Nationalsozialismus hatte zwar tiefe ökonomische und gesellschaftliche Ursachen, aber das bedeutet keineswegs, dass sein Aufstieg und sein Sieg unvermeidlich waren. Sie waren das Ergebnis des Versagens der Arbeiterparteien, oder präziser: des Verrats ihrer Führer.
Ohne sich mit der Rolle der Sozialdemokratie und vor allem des Stalinismus auseinander zu setzen, ist es unmöglich, die Lehren aus dem Nationalsozialismus zu ziehen. Es ist bezeichnend, dass Horkheimer und Adorno mit keiner Silbe auf diese Frage eingehen und auch sonst in ihren Werken einen großen Bogen um den Stalinismus machen. Bei aller Betonung der Bedeutung von "Denken" und "Kritik" nehmen sie einen völlig objektivierenden Standpunkt ein, wenn es um die wirkliche Bedeutung des subjektiven Faktors geht.
Die SPD war bereits 1914 mit ihrer Entscheidung, im Ersten Weltkrieg die deutsche Regierung zu unterstützen, auf die Seite der herrschenden Ordnung übergegangen. Nach dem Krieg organisierte sie dann die Niederschlagung der proletarischen Revolution und den Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Sie wurde zur entscheidenden Stütze des bürgerlichen Staats in der Weimarer Republik. In deren Endstadium unterstützte sie das Regime des Zentrumspolitikers Heinrich Brüning, der mit Notverordnungen gegen die Arbeiterklasse vorging. Für Trotzki gab es keinen Zweifel, dass die SPD auf der Seite der bürgerlichen Ordnung stand, die Hauptverantwortung für das Anwachsen des Faschismus trug und im Zweifelsfall eher eine faschistische Machtübernahme hinnehmen würde, als einen proletarischen Aufstand zu unterstützen.
Anders stand es mit der KPD. Sie war 1919 als Antwort auf den Verrat der SPD gegründet worden. In ihr fanden sich die revolutionärsten Elemente der Arbeiterklasse wieder. Und sie vertrat - zumindest in Worten - revolutionäre Ziele. Doch sie vertrat eine politische Linie und Perspektive, die die politische Lage völlig falsch einschätzte, die Arbeiterklasse desorientierte und lähmte und es Hitler schließlich ermöglichte, die Macht zu übernehmen, ohne auf organisierten Widerstand der Arbeiterklasse zu stoßen - und das obwohl Sozialdemokraten wie Kommunisten über eigene bewaffnete Abteilungen verfügten, die darauf brannten, gegen die Nazis zu kämpfen.
Das Versagen der KPD war eine Folge der stalinistischen Degeneration der Kommunistischen Internationale. Nachdem sie ihre herausragendste Führerin, Rosa Luxemburg, im Januar 1919 wenige Tage nach ihrem Gründungskongress verloren hatte, durchlebte die KPD während der revolutionären Erschütterungen der frühen zwanziger Jahre mehrere Krisen. Anschließend wurde ihre Führung wiederholt durch die Stalinfraktion in Moskau gesäubert. Anfang der dreißiger Jahre war dann die KPD-Führung unter Ernst Thälmann ein gefügiges Werkzeug in den Händen der Moskauer Bürokratie.
Stalin strebte nicht gezielt nach Hitlers Sieg und nach der Niederlage der KPD. Aber innerhalb der Kommunistischen Internationale wurde jede demokratische Auseinandersetzung unterdrückt. Ihre politische Linie wurde durch die engstirnigen Cliqueninteressen der stalinistischen Bürokratie motiviert und von der Theorie des "Sozialismus in einem Land" angeleitet.
Im Unterschied zu Großbritannien, wo sich die Kommunistische Partei auf die Seite der Gewerkschaftsbürokratie stellte, und zu China, wo sie die bürgerlich nationalistische Kuomintang unterstützte, nahm die Politik der KPD in Deutschland eine linke Form an. Die KPD weigerte sich, einen Unterschied zwischen SPD und NSDAP zu machen. Sie bezeichnete die Sozialdemokraten als Sozialfaschisten und lehnte eine Politik der Einheitsfront ab, wie sie die ersten Kongresse der Komintern unter Lenins Führung erarbeitet hatten.
Trotzki wies nach, dass diese ultralinke Linie eine Form des bürokratischen Zentrismus war. Es handelte sich um eine mechanische Reproduktion des linken Kurses, den die Kommunistische Partei der Sowjetunion im Kampf gegen die Kulaken eingeschlagen hatte. Auf ihrem Sechsten Kongress im Sommer 1928 hatte die Kommunistische Internationale entschieden, dass eine "dritte Periode" begonnen habe, die in jedem Land der Welt den Kampf um die Macht auf die Tagesordnung setze. Taktiken wie die Einheitsfront, die von den ersten Kominternkongressen entwickelt worden waren, um die Mehrheit der Arbeiterklasse und insbesondere sozialdemokratische Arbeiter auf die Seite der Kommunistischen Parteien zu ziehen, wurden für unzulässig erklärt.
Die KPD schwenkte im Sommer 1929 auf diese ultralinken Linie ein. Die Sozialdemokraten wurden zu Sozialfaschisten erklärt und die KPD gründete ihre eigenen Gewerkschaften, getrennt von den sozialdemokratischen. In Wirklichkeit verbarg ihr radikales Geschrei und Geschimpfe über die Sozialdemokratie Pessimismus und Passivität. Am deutlichsten äußerte sich das in ihrer defätistischen Parole: "Nach Hitler kommen wir."
Den Kern der Linie der KPD bildete ihre Weigerung, zwischen Sozialdemokratie und Faschismus zu unterscheiden. Weil beide die bürgerliche Ordnung unterstützten, schlossen die Stalinisten, dass es keinen Unterschied zwischen ihnen gebe. Trotzi wies dies mit Nachdruck zurück:
"Der Sozialdemokratie die Verantwortung für Brünings Notverordnungssystem und die drohende faschistische Barbarei aufzuerlegen, ist vollkommen richtig. Die Sozialdemokratie mit dem Faschismus zu identifizieren, vollkommen unsinnig," schrieb er im Januar 1932. "Die Sozialdemokratie, jetzt Hauptvertreterin des parlamentarisch-bürgerlichen Regimes, stützt sich auf die Arbeiter. Der Faschismus auf das Kleinbürgertum. Die Sozialdemokratie kann ohne Arbeitermassenorganisationen keinen Einfluss ausüben, der Faschismus seine Macht nicht anders befestigen als durch Zerschlagung der Arbeiterorganisationen. Hauptarena der Sozialdemokratie ist das Parlament. Das System des Faschismus fußt auf der Vernichtung des Parlamentarismus. Für die monopolistische Bourgeoise stellen parlamentarisches und faschistisches System bloß verschiedene Werkzeuge ihrer Herrschaft dar. Sie nimmt in Abhängigkeit von den historischen Bedingungen zu diesem oder jenem Zuflucht. Jedoch für die Sozialdemokratie wie für den Faschismus ist die Wahl des einen oder des anderen Werkzeugs von selbständiger Bedeutung, noch mehr, die Frage ihres politischen Lebens oder Todes." [9]
Diesen Widerspruch galt es auszunutzen. In dem Artikel "Wie wird der Nationalsozialismus geschlagen" erklärte Trotzki: "Die Tausende und Abertausende von Noskes, Wels, Hilferdings ziehen letzten Endes den Faschismus dem Kommunismus vor. Aber dazu müssen sie sich endgültig von den Arbeitern verabschieden. Heute ist dem noch nicht so. Heute gerät die Sozialdemokratie als Ganzes, bei all ihren inneren Widersprüchen, in scharfen Konflikt mit den Faschisten. Unsere Aufgabe besteht darin, diesen Konflikt auszunützen, und nicht darin, die Widersacher gegen uns zu vereinigen. Die Front muss jetzt gegen den Faschismus gerichtet werden. Und diese für das ganze Proletariat gemeinsame Front des direkten Kampfs gegen den Faschismus muss man für den von der Flanke geführten, darum aber nicht minder wirksamen Kampf gegen die Sozialdemokratie ausnützen." [10]
Indem die KPD eine Einheitsfront ablehnte, der SPD immer neue Ultimaten stellte und in einigen Fällen sogar gemeinsame Sache mit den Faschisten machte, stieß sie die sozialdemokratischen Arbeiter in die Arme ihrer Führer zurück, lähmte die Arbeiterklasse und demoralisierte die eigenen Mitglieder.
Gleichzeitig stärkte sie damit die Faschisten. Wie Trotzki immer wieder aufzeigte, erfolgte der Übergang der radikalisierten Kleinbürger ins Lager der NSDAP keineswegs zwangsläufig. Hätte die KPD die Nazis mit einer entschlossenen und energischen Politik bekämpft, anstatt mit hohlen Phrasen, hätten sich viele ihr angeschlossen. In dem Artikel "Der einzige Weg" beschrieb Trotzki den Mechanismus, der das Kleinbürgertum in die Arme des Faschismus trieb.
Die Kleinbourgeoisie, schrieb er, "ist durchaus fähig, ihr Schicksal mit dem des Proletariats zu verknüpfen. Hierzu ist nur eines erforderlich: Das Kleinbürgertum muss den Glauben gewinnen an die Fähigkeit des Proletariats, die Gesellschaft auf eine neue Bahn hinauszuführen. Ihm diesen Glauben einzuflößen, vermag das Proletariat nur durch seine Kraft, durch die Sicherheit seiner Handlungen, durch geschickten Angriff auf die Feinde, durch die Erfolge seiner revolutionären Politik. ... Erweist sich aber die revolutionäre Partei trotz des ununterbrochen zunehmenden Klassenkampfs immer wieder von neuem als unfähig, die Arbeiterklasse um sich zu scharen, schwankt sie, ist sie verwirrt, widerspricht sie sich selbst, dann verliert das Kleinbürgertum die Geduld und beginnt in den revolutionären Arbeitern die Urheber seines eigenen Elends zu sehen." [11]
Trotzkis Kampf zielte darauf, die Linie der KPD und der Komintern zu ändern. Obwohl er selbst aus der Kommunistischen Internationale ausgeschlossen worden war und seine Anhänger von den Stalinisten brutal verfolgt wurden, betrachteten sich die Trotzkisten immer noch als Linke Opposition innerhalb der Kommunistischen Parteien. Den Befürwortern eines Bruchs mit der KPD antwortete Trotzki, dass man den Grad der Entartung einer revolutionären Partei nicht ausschließlich anhand von Symptomen messen kann. Der lebendige Nachweis durch die Ereignisse ist notwendig.
Die katastrophale Niederlage der deutschen Kommunistischen Partei war solch ein lebendiger Nachweis. Sie bewies, dass die KPD für revolutionär Zwecke tot war. Aber Trotzki zögerte noch, dasselbe auch über die Kommunistische Internationale zu sagen. Er wartete ab, ob eine Sektion auf die deutsche Katastrophe reagieren und die stalinistische Clique kritisieren würde. Doch das geschah nicht.
"Die Moskauer Leitung erklärte nicht nur die Politik, die Hitlers Sieg gesichert hatte, für fehlerfrei, sondern verbot, über das Geschehene zu diskutieren," schrieb Trotzki. "Und diese schmachvolle Verteidigung wurde weder zurückgewiesen, noch auch nur angegriffen. Kein nationaler Kongress, kein internationaler Kongress, keine Diskussion in den Parteiversammlungen, keine Polemik in der Presse! Eine Organisation, die der Donner des Faschismus nicht geweckt hat und die demütig derartige Entgleisungen von Seiten der Bürokratie unterstützt, zeigt dadurch, dass sie tot ist und nichts sie wieder beleben wird. Das offen und mit klarer Stimme zu sagen, ist eine wahrhafte Pflicht gegenüber dem Proletariat und seiner Zukunft. In unserer gesamten zukünftigen Arbeit müssen wir von dem historischen Zusammenbruch der offiziellen Kommunistischen Internationale ausgehen." [12]
Trotzki zog aus dem Zusammenbruch der Kommunistischen Internationale den Schluss, dass es notwendig sei, die Vierte Internationale aufzubauen, die 1938 gegründet wurde.
Quellen:
[9] Was nun? Schicksalsfragen des deutschen Proletariats, in ebd., S. 70, 80-81
[10] Wie wird der Nationalsozialismus geschlagen?, in ebd., S. 61
[11] Der einzige Weg, in ebd. S. 214-15
[12] Man muss von neuem kommunistische Parteien und eine Internationale aufbauen, in ebd. S. 311-312