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Streik bei Northwest Airlines:

Das Ende der AFL-CIO und die politischen Lehren für die Arbeiterklasse

Erklärung der Redaktion der World Socialist Web Site
30. August 2005
aus dem Englischen (24. August 2005)

Man muss Klartext reden. Die US-Gewerkschaften sind als Arbeiterorganisationen tot und können nicht wieder belebt werden. Das beweist die Streikbrecherarbeit, die andere Gewerkschaften gegen den Streik der Flugzeugmechaniker bei der US-Fluggesellschaft Northwest leisten.

An diesem hinterhältigen Meuchelmord beteiligen sich Organisationen aus allen konkurrierenden Flügeln der Gewerkschaftsbewegung - der AFL-CIO, dem von ihr abgespaltenen Change-to-Win-Bündnis und aus unabhängigen Gewerkschaften. Nicht ein Flügel der offiziellen Arbeiterbewegung hält sich an die elementarsten Prinzipien der Klassensolidarität.

Northwest setzt Hunderte Streikbrecher ein, aber letztlich kann die Gesellschaft ihren Flugbetrieb nur aufrecht erhalten, weil die Pilotengewerkschaft Air Line Pilots Association, die International Association of Machinists (beide AFL-CIO) und die Professional Flight Attendants Association (unabhängig) sich weigern, die Streikposten der Aircraft Mechanics Fraternal Association zu respektieren, und weil die Teamsters (Change to Win) nicht bereit sind, die Versorgung einer Fluggesellschaft zu unterbrechen, die sich die Zerschlagung der Gewerkschaft zum Ziel gesetzt hat.

Als diese Zeilen geschrieben wurden, gab es auf den Internetseiten von AFL-CIO und Change to Win keinen Hinweis auf den Streik bei Northwest. Die World Socialist Web Site versuchte, bei der AFL-CIO und bei der führenden Gewerkschaft im Change-to-Win-Bündnis, der Service Employees International Union, deren offizielle Haltung zum Streik bei Northwest zu erfragen. Keine unserer Anfragen wurde beantwortet.

Dieses schändliche Spektakel vollzieht sich bei einer Fluggesellschaft, die in den vergangenen Jahren Tausende von Gewerkschaftern entlassen, massive Kürzungen von Löhnen und Zusatzleistungen durchgesetzt und den Mechanikern und Flugzeugreinigungskräften der AMFA einseitig Vertragsveränderungen aufgezwungen hat, nach denen mehr als die Hälfte der verbliebenen Arbeitsplätze abgebaut und die Löhne um mehr als 30 Prozent gekürzt wurden.

Northwest macht kein Geheimnis aus seiner Absicht, ähnliche Angriffe gegen den Rest der Belegschaft durchzusetzen. Dazu wird die Möglichkeit eines Insolvenzverfahrens in Betracht gezogen, um die Last der auf 3,6 Mrd. Dollar angewachsenen Pensionsansprüche loszuwerden und die Renten pauschal zu kürzen.

Die Angriffe bei Northwest sind Teil einer industrieweiten Offensive, der bereits die Rentenansprüche der Beschäftigen von United Airlines und US Airways zum Opfer gefallen sind. Auch in der Automobilindustrie ist ein breit angelegter Angriff gegen Arbeitsplätze, Löhne, Renten und Unterstützungszahlungen für die Krankenversicherung im Gange, der sich schnell auf alle anderen Wirtschaftssektoren ausdehnt.

Die US-Unternehmen haben sich mit Unterstützung der Regierung zum Ziel gesetzt, jeden Fortschritt, den die US-Arbeiterklasse in über einhundertjährigen Kämpfen errungen hat, wieder zunichte zu machen. Nichts ist tabu, auch nicht der gesetzliche Achtstundentag, das Verbot von Kinderarbeit, die medizinische Grundversorgung oder die Arbeitssicherheit.

Tragischerweise ist die Arbeiterklasse wegen der Unfähigkeit und des Verrats ihrer alten Organisationen so gut wie wehrlos. Das Problem besteht nicht darin, dass die Arbeiter nicht willens oder fähig wären zu kämpfen. Die gesamte Geschichte der US-Arbeiterklasse beweist ihre Bereitschaft zum Kampf und zu Opfern. Das Problem ist, dass die Grundlage der Perspektive, auf die sich die Gewerkschaften stützen, falsch und reaktionär ist.

Man könnte sagen, die US-Gewerkschaftsbewegung habe ein abartiges historisches Experiment vollendet. Sie hat versucht, die Arbeiterbewegung gestützt auf Feindschaft gegen den Sozialismus und die Verteidigung des Profitsystems aufzubauen. Heute, fünfzig Jahre nach der Gründung der AFL-CIO auf der Grundlage des Antikommunismus des Kalten Krieges, hat die Geschichte ihr unmissverständliches Urteil gesprochen: ein dröhnendes "Unmöglich".

Arbeiter müssen den Tatsachen ins Gesicht sehen und die notwendigen Schlussfolgerungen ziehen. Fast ein Vierteljahrhundert, nachdem die AFL-CIO Reagan erlaubte, die Fluglotsengewerkschaft PATCO zu zerschlagen und 12.000 Gewerkschafter für immer aus den Kontrolltowern zu verbannen, hat die Gewerkschaftsbürokratie die Zusammenarbeit mit den Unternehmen bei der Zerstörung von Arbeitsplätzen und sozialen Rechten zum Eckpfeiler ihrer Politik gemacht. Sie hat die Streikwaffe so gut wie aufgegeben und ist stattdessen mit den Unternehmensführungen eine "Partnerschaft" eingegangen, die der Verteidigung der Gewinne und der üppigen Gehälter der Gewerkschaftsbürokraten mittels verschärfter Ausbeutung der Arbeiter dient.

In der Zwischenzeit hat die AFL-CIO unzählige Streiks verraten und die Niederlage Dutzender Kämpfe gegen Lohnsenkungen und Angriffe auf Gewerkschaften organisiert. Viele davon fanden in der Flugindustrie statt, darunter Continental (1983), United und Pan American (1985-86) und Eastern (1989). Jedes Mal wurden die Interessen der Arbeiter entsprechend der pro-kapitalistischen Politik der Gewerkschaften den Profitinteressen der Konzerne geopfert. Das hat eine bösartige Abwärtsspirale in Gang gesetzt, in deren Verlauf alle Errungenschaften zerstört wurden, die in jahrzehntelangen Kämpfen errungen wurden.

Der Angriff der Konzerne und der Regierung begann ernsthaft Ende der 70er Jahre unter dem demokratischen Präsidenten Carter mit der Deregulierung der Flugindustrie. Der damalige Vorsitzende der Zivilluftfahrtbehörde, Alfred Kahn, setzte die Aufhebung der staatlichen Kontrollen über die Luftfahrtindustrie durch. Kahn diente Carter gleichzeitig als Wirtschaftsberater. Einer der enthusiastischsten und bekanntesten Verfechter der Deregulierung war der liberale Demokrat Senator Edward Kennedy.

Der Öffentlichkeit erzählte man, die Mechanismen des "freien Marktes" wären der Schlüssel zu einer effizienten, sicheren und komfortablen Luftfahrt. Was hat die Entfesselung des ungehemmten Kapitalismus gebracht? Nach drei Jahrzehnten kann man Bilanz ziehen.

Die Deregulierung hat zum Niedergang von solch einst mächtigen Giganten des Luftverkehrs wie Braniff, Pan American, Trans World Airlines und Eastern geführt. Für die Beschäftigten bedeutete sie eine Katastrophe. Zehntausende Arbeitsplatze sind vernichtet, Löhne und Sozialleistungen wiederholt gekürzt worden, Arbeitsbedingungen haben sich verschlechtert, Mehrarbeit ist an der Tagesordnung. Für die meisten Passagiere ist die Luftreise zu einer fast unmenschlichen Qual geworden. In drittklassigen Kabinen, die eher an Viehwaggons erinnern, werden sie von gestressten und überarbeiteten Begleitern bedient. Jede Form rationaler Organisation von Flugrouten und -preisen ist von einem irrwitzigen Netzwerk von Routen ersetzt worden, während Ticketpreise oft in keinem Verhältnis zu Entfernung oder Flugzeit stehen.

Die Sicherheit ist nacktem Profitstreben untergeordnet worden, und skrupellose Geschäftemacher und Spekulanten wie Frank Lorenzo und Carl Icahn sind an die Konzernspitzen aufgestiegen. Gegenwärtig entfaltet sich der letzte Akt in diesem Drama: Die Bosse der Luftlinien belohnen sich selbst mit astronomischen Gehältern und Vergünstigungen, während sie die vertraglichen Verpflichtungen gegenüber ihren Beschäftigten brechen und mit dem Segen der Regierung und der Gerichte Rentenpläne der Betriebe aufkündigen.

Wenn die "Gesundschrumpfung" der Branche einmal abgeschlossen und die Flugindustrie unter die Kontrolle einiger gigantischer Monopole geraten ist, werden die Ticketpreise auf nie da gewesene Höhen geschraubt werden.

Das Ergebnis der Deregulierung zeigt zwei grundlegende Tatsachen: 1. Die Unvereinbarkeit eines Wirtschaftssystems, das auf dem Privateigentum an den Hebeln des Wirtschaftslebens und der Unterordnung aller gesellschaftlichen Bedürfnisse unter die Anhäufung von persönlichen Reichtum beruht, mit den Interessen und Bedürfnissen der Arbeiterklasse; und 2. Die Machtlosigkeit von Gewerkschaften, die den Rahmen des Profitsystems und das durch das Zweiparteiensystem ausgeübte Machtmonopol der Konzerne verteidigen.

Drei entscheidende Lehren

Aus dem tragischen Debakel für die Arbeiter, das beim Northweststreik so deutlich sichtbar wird, müssen Lehren gezogen werden. Die erste lautet, dass sich die Arbeiterklasse von der herrschenden Elite politisch unabhängig machen muss, indem sie eine eigene Partei aufbaut.

Der Kampf um Arbeitsplätze, Löhne, Renten und Gesundheitsversorgung ist nicht einfach oder vorrangig ein ökonomischer Kampf, der erfolgreich mit gewerkschaftlichen Mitteln geführt werden kann - auch nicht mit der besten aller Gewerkschaften. Er ist vor allem ein politischer Kampf.

Wie können Arbeiter der brutalen Offensive der Konzerne ohne eine eigene politische Partei entgegentreten, wen jede staatliche Einrichtung offen als Arm des Kapitals fungiert? Rechtsgültige Verträge sind wertlos, wenn große Konzerne sie straflos brechen können, weil sie dabei von den Gerichten Rückendeckung erhalten. Das Streikrecht bedeutet wenig, wenn Unternehmen gerichtliche Verfügungen erwirken können, die Streikposten auf kaum mehr als symbolische Präsenzen reduzieren.

Die Politik der Bush-Regierung, des Kongresses und beider Parteien sind der lebendige Beweis für die sozialistische Auffassung, dass der Staat im Wesentlichen ein Instrument zur Verteidigung der Interessen der wirtschaftlich herrschenden Gesellschaftsklasse ist. Ohne eine eigene Partei kann die Arbeiterklasse keine eigene Politik durchsetzen - nicht nur in ökonomischen Fragen, sondern auch in lebenswichtigen Fragen wie Krieg und Frieden und demokratische Rechte.

Bei den grundlegendsten Fragen, die das Leben der arbeitenden Menschen betreffen, bilden die Republikaner und Demokraten eine vereinte Front des Militarismus und der Reaktion. Der Krieg im Irak, der auf der Grundlage von Lügen und unter Verletzung internationalen Rechts geführt wurde, ist eine von beiden Parteien gestützte imperialistische Aggression. Motiviert ist er nicht von der Sorge um die Sicherheit einfacher Amerikaner oder um die Demokratie im Mittleren Osten, sondern vielmehr vom Bestreben der US-Finanzelite, die Kontrolle über die großen Ölreserven der Region an sich zu reißen und ihre weltweite Vorherrschaft voranzutreiben.

Die Rechtfertigungsformel für die Invasion und Besatzung des Irak - der "Krieg gegen den Terrorismus" - dient auch als politischer Deckmantel für die Offensive der Wirtschaft gegen die amerikanische Arbeiterklasse. Die Anschläge vom 11. September sind mittlerweile zum Gegenstand eines massiven Vertuschungsmanövers geworden, das verbergen soll, wie die Regierung selbst dazu beigetragen hat, dass sie möglich wurden. Diese Anschläge wurden von der Bush-Regierung und der Wirtschaftselite ausgenutzt, um nicht nur die Kriege in Afghanistan und Irak zu rechtfertigen, sondern auch um die Angriffe auf Arbeitsplätze, Löhne und demokratischer Rechte im eigenen Land zu beschleunigen.

Jeder Arbeiter in der Luftindustrie weiß, dass der 11. September als Rechtfertigung für einen Angriff auf ihre Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen diente, der bis heute fortdauert. Trotzdem verpulvern die Gewerkschaften Millionen Dollar an Beitragsgeldern, um denselben Politikern zur Wahl zu verhelfen, die den 11. September so zynisch für die Verschärfung ihrer Angriffe auf die Arbeiterklasse ausgenutzt haben.

Die Arbeiterklasse muss eine eigene Partei aufbauen, um eine eigene Lösung der sozialen Krise vorzubringen - eine Lösung, die von den Bedürfnissen der Bevölkerung ausgeht und nicht vom Reichtum und den Privilegien einer kleinen herrschenden Elite.

Die zweite Lehre ist die Notwendigkeit für sozialistische Politik. Nur wenn eine neue Partei sich auf den Kampf für wirkliche Demokratie und soziale Gleichheit - also auf Sozialismus - gründet, kann sie für die Interessen der Arbeiterklasse einstehen.

Die Wurzeln der sozialen Krise und der Angriffe auf die Arbeiterklasse liegen nicht in der Psyche individueller Manager begründet, sondern in der Krise des kapitalistischen Systems selbst. Das ist der Grund, warum die Zerschlagung von Gewerkschaften, Lohnsenkungen und Massenentlassungen internationale Erscheinungen sind. In jedem Teil der Welt sieht sich die herrschende kapitalistische Elite dazu getrieben, die Arbeiter für die Widersprüche und Krise ihres Systems bezahlen zu lassen.

Die Krise in der Luftfahrtindustrie kann nur rational und konstruktiv gelöst werden, wenn der Luftverkehr auf eine völlig neue Grundlage gestellt wird. Er darf nicht länger im Interesse der Profite der Konzerne, großen Kapitalanleger, Börsenspekulanten und Multimillionäre organisiert werden. Er muss in gesellschaftliches Eigentum überführt, als öffentliche Einrichtung betrieben und der demokratischen Kontrolle der Beschäftigten der Luftfahrtindustrie, von Vertretern der Passagiere und der arbeitenden Bevölkerung als ganzer unterstellt werden. Das ist die einzige Möglichkeit, einen sicheren, effizienten und bezahlbaren Flugbetrieb zu gewährleisten und gleichzeitig die Interessen der in der Luftfahrtindustrie Beschäftigten sicherzustellen.

Die dritte Lehre besteht in der Notwendigkeit, die Kämpfe der Luftfahrtbeschäftigten auf internationaler Grundlage zu organisieren. Bei Northwest wie bei anderen Airlines werden amerikanische Arbeiter gegen schlecht bezahlte Arbeiter in anderen Ländern ausgespielt, indem eine Reihe von Dienstleistungen verlagert werden. Die einzig wirksame Antwort darauf ist die Koordinierung aller Kämpfe gegen Entlassungen und Kürzung von Löhnen und Sozialleistungen über die nationalen Grenzen hinweg.

Eine solche internationale Strategie wird es erleichtern, die Luftfahrtindustrie als öffentliches Eigentum und unter demokratische Kontrolle der Arbeiter auf weltweiter Grundlage zu entwickeln. Der Widerspruch zwischen dem immanent internationalen Charakter des Flugverkehrs und der Aufteilung der Luftfahrtindustrie entlang nationaler Linien ist einer der augenfälligsten Belege für die Irrationalität und Anarchie des kapitalistischen Profitsystems.

Die Arbeiterklasse ist eine internationale Klasse, mehr als je zuvor objektiv durch die Globalisierung des Wirtschaftslebens vereint. Das Programm, das den Interessen der arbeitenden Menschen und der fortschrittlichen Entwicklung der Produktivkräfte entspricht, ist der sozialistische Internationalismus. Das ist das Programm der Socialist Equality Party.

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Die Socialist Equality Party und die World Socialist Web Site rufen alle Arbeiter der Luftfahrtindustrie auf, über das Debakel bei Northwest nachzudenken und sich mit der von uns vorgeschlagenen sozialistischen Antwort auf die Krise auseinander zu setzen. Arbeiter sollten die WSWS lesen und unserer internationalen Website schreiben, ihre Meinung mitteilen und ihre Fragen stellen. So kann die WSWS zu einem Forum werden, auf dem der Kampf der Flugbeschäftigten in den USA und weltweit entwickelt wird.

Arbeiter, die mit dem Kampf zum Aufbau einer sozialistischen Partei übereinstimmen, rufen wir auf, der Socialist Equality Party beizutreten.

Siehe auch:
Die Pilotenstreiks bei Northwest und Air Canada und die Globalisierung der Fluggesellschaften
(12. September 1998)