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"Ein brutaler Akt eines verbrecherischen Regimes"

Bill Van Auken, Präsidentschaftskandidat der SEP in den USA, verurteilt Mord an Hamas-Führer

25. März 2004

Die Socialist Equality Party verurteilt mit Nachdruck den Mord an Scheich Ahmed Jassin, dem geistigen Führer der palästinensischen Hamas. Der kaltblütige staatliche Mord an dem 67-jährigen, blinden und querschnittsgelähmten Prediger, als er am Morgen des 22. März im Rollstuhl eine Moschee im Gazastreifen verließ, ist eine besonders grausame Tat eines verbrecherischen israelischen Regimes.

Sprecher der Regierung brüsteten sich, dass Premierminister Scharon persönlich die Planungen des Anschlags auf Jassin geleitet habe. Im Stile eines Mafiatreffens, das die "Erledigung" eines Gegners beschließt, hatte das israelische Kabinett den Mord vorab ratifiziert.

Wie die Führer der Hamas zu Recht erklärten, besteht Anlass zu der Vermutung, dass der Anschlag auf Jassin in direkter Abstimmung mit der Bush-Regierung erfolgte, die damit - ungeachtet ihrer halbherzigen Dementis - Mitschuld an diesem feigen Verbrechen trägt.

Es lässt sich nicht bestreiten, dass die Apache-Kampfhubschrauber und die Hellfire-Raketen, die bei dem Mord an Jassin und neun weiteren Menschen eingesetzt wurden, von der US-Regierung geliefert und bezahlt worden waren. Die Behauptung, dass eine israelische Regierung, die vollständig von der wirtschaftlichen und militärischen Unterstützung Washingtons abhängig ist, diese Tat begangen hätte, ohne zuvor von der Bush-Regierung grünes Licht erhalten zu haben, ist einfach nicht glaubwürdig.

In den Stunden nach dem Mord erging sich die US-Administration zunächst in Rechtfertigungsversuchen, obwohl andere Regierungen die Tat verurteilten. Die offizielle amerikanische Reaktion bestand aus scheinheiligen Aufrufen zu "Ruhe" und "Besonnenheit" neben Erklärungen, die Hamas als "Terrororganisation" bezeichneten und damit unmissverständlich implizierten, dass Jassin seine verdiente Strafe erhalten habe.

Glaubt irgendjemand ernsthaft, dass der Mord an einem fast tauben und halb blinden alten Mann im Rollstuhl die Gefahr der Terrorismus eindämmt? Im Gegenteil, dieses Verbrechen wird ihm neue Rekruten aus den Reihen der verarmten und unterdrückten Palästinenser zuführen, die in ihrer Verzweiflung bereit sind, ihr eigenes Leben zu opfern. Mit seiner Unterstützung für die staatlichen Morde Israels schafft Washington einen weiteren Anreiz für Anschläge auf US-Bürger im In- und Ausland.

Diese Konsequenz ist durchaus kein bloßes Nebenprodukt der Politik Scharons. Seine Regierung lebt vom Terrorismus und provoziert gezielt neue Terroranschläge, um einen Vorwand für weitere Unterdrückungsmaßnahmen und die Besetzung weiterer Landstriche zu erhalten. Seit Jahren schürt sie gezielt Chaos in den besetzten Gebieten, um ihre eigenen Militärinterventionen zu rechtfertigen und die Entstehung eines lebensfähigen Staates oder einer stabilen Führung der Palästinenser zu verhindern.

Auch die tödlichen Terroranschläge auf israelische Zivilisten dienen den innenpolitischen Interessen der rechtsgerichteten Scharon-Regierung, die genau weiß, dass ihre so genannten "gezielten Tötungen" weitere Selbstmordanschläge auslösen werden.

In der gleichen Weise braucht die Bush-Regierung neue Terrorakte und unterstützt bereitwillig israelische Provokationen, die sie auslösen. Sie beruft sich auf einen weltweiten "Krieg gegen den Terror", um alle Aspekte ihrer Politik zu rechtfertigen: den Irakkrieg samt anschließender Besetzung des Landes, die Abschaffung grundlegender Bürgerrechte in den USA, und sogar die Umverteilung des Vermögens von unten nach oben. Nachdem Bush beschlossen hat, in seinem Wahlkampf als "Kriegspräsident" aufzutreten, braucht er neue Gewaltakte.

Der jüngste Mord in Israel ist Bestsandteil einer nicht enden wollenden Welle staatlicher Repression, die unter anderem darauf abzielt, die palästinensische Bevölkerung einzuschüchtern und davon zu überzeugen, dass jeder Widerstand zwecklos ist. Der zionistische Staat perfektioniert dieselben Techniken des psychologischen Terrors gegen eine unterworfene Bevölkerung, welche die Nazis vor gut 60 Jahren in Europa erfanden.

Jassins Leben verlief nach dem Muster der Erfahrungen Tausender Palästinenser seiner Generation. Er gehört dem Jahrgang 1936 an und musste im Alter von 12 Jahren gemeinsam mit seiner Familie fliehen, als einrückende zionistische Truppen alle Häuser in seinem Heimatdorf zerstörten. Er kam mit dem Leben davon und musste fortan mit weiteren Flüchtlingen im Gazastreifen unterkommen, einem schmalen Landstrich, der zu einem der großen globalen Brennpunkte von Armut und Unterdrückung wurde.

Die israelischen Behörden stellen Jassin heute als wichtigsten Drahtzieher des Terrors dar. Doch ihre eigenen Beziehungen zu Jassin sprechen eine andere Sprache. Im Jahr 1983 sperrten sie ihn ein, die Anklage lautete auf Bildung einer illegalen Organisation und Waffenbesitz. Doch nur zwei Jahre später wurde er wieder freigelassen. Mehrere Jahre lang wurde Jassins islamisch-fundamentalistische Bewegung von der zionistischen Regierung stillschweigend unterstützt, weil sie darin ein nützliches Gegengewicht gegen die säkularen Nationalisten von der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) sah.

Erst 1989, nach dem Ausbruch der ersten Intifada, nahm die israelische Regierung Jassin erneut fest und verurteilte ihn zu lebenslanger Haft. Im Jahr 1997 wurde er im Austausch gegen zwei Mossad-Agenten freigelassen, die in Jordanien festgenommen worden waren, nachdem sie versucht hatten, in Amman einen Palästinenserführer zu ermorden.

Jassin galt als gemäßigte und auf Vermittlung bedachte Kraft unter den palästinensischen Führern. Vor kurzem noch war er für einen Waffenstillstand mit Israel eingetreten, als Gegenleistung für dessen Rückzug aus den besetzten Gebieten im Westjordanland und im Gazastreifen, und hatte Verhandlungsbereitschaft signalisiert. Die Scharon-Regierung aber hat kein Interesse an einer solchen Lösung oder an Verhandlungen.

Der israelische Staatsterrorismus - der von sämtlichen US-Regierungen unterstützt und gutgeheißen wurde - ist einer der Hauptgründe für das Wachstum des islamischen Terrorismus und für die Ausbreitung anti-amerikanischer Einstellungen in der ganzen Region. Hunderte Millionen Menschen in den arabischen Ländern und der gesamten muslimischen Welt wissen, dass die brutale Unterdrückung von 3,2 Millionen Palästinensern durch Israel ohne die uneingeschränkte Unterstützung Washingtons nicht möglich wäre.

Ebenso wie im Falle des Kriegs gegen den Irak wird die amerikanische Bevölkerung in den Wahlen des Jahres 2004 keine Möglichkeit haben, ihre Meinung über die Unterstützung Israels und deren potenziell katastrophalen Folgen zum Ausdruck zu bringen. Senator John Kerry, der für die Demokratische Partei gegen Bush antritt, wetteifert mit dem amtierenden Präsidenten darum, wer das zionistische Regime am sklavischsten verteidigt.

In den vergangenen Wochen hat Kerry Jassir Arafat als "Geächteten" bezeichnet, den israelischen Premierminister Ariel Scharon hingegen - den Urheber unzähliger Morde und Massaker - als "einen Führer, der den Frieden in die Wege leiten kann". Er verteidigte die Politik staatlich angeordneter Mordanschläge auf Führer und Kämpfer der Palästinenser und unterstützte die Errichtung einer Mauer von Seiten Israels, die auf die Annektierung zusätzlichen palästinensischen Bodens hinausläuft und rund 1,2 Millionen Palästinenser in Ghettos einsperrt, in denen sie nicht leben können.

Während der Amtszeit von Bush senior hat Kerry die Republikaner von rechts angegriffen, weil sie ihre Besorgnis geäußert hatten, als die Zionisten illegale Siedlungen in besetzten palästinensischen Gebieten errichteten.

Ebenso wie die Mehrheit seiner demokratischen Kollegen bewilligte Kerry Jahr für Jahr gemeinsam mit den Republikanern der israelischen Regierung US-Hilfsgelder in Höhe von 3 bis 4 Milliarden Dollars. Hinzu kommen mehrere weitere Milliarden in Form von Kreditgarantien. Mit diesem Geld wird eine kriminelle Politik gestützt - der Unterhalt illegaler Siedlungen, die für die israelische Volkswirtschaft eine starke Belastung darstellen, und die Finanzierung eines massiven Militärapparats, der eingesetzt wird, um die Palästinenser in den besetzten Gebieten abzuschlachten und zu verkrüppeln.

Ebenso wie Bush behauptet Kerry ungerührt, dass Israel ein Muster an Demokratie sei, obwohl es Millionen Palästinensern jegliche demokratische Rechte vorenthält und sie in einer Weise religiös und sozial ausgrenzt und diskriminiert, die man nur mit dem Verhalten des ehemaligen Apartheid-Regimes in Südafrika vergleichen kann. Mit Hilfe amerikanischer Steuergelder wird ein - mit Atomwaffen ausgestatteter - Staat gestützt, der gegen das Völkerrecht verstößt, den Mord offiziell zur Staatspolitik erklärt und einen Kurs eingeschlagen hat, dessen logischer Endpunkt die Vertreibung oder Vernichtung der gesamten palästinensischen Bevölkerung ist.

Die Socialist Equality Party fordert die sofortige Einstellung sämtlicher Hilfsgelder an das israelische Regime. Im Gegensatz zu den Demokraten und Republikanern nutzt unsere Partei die Wahlen des Jahres 2004 für offenen Widerspruch gegen die seit 50 Jahren betriebene Politik des US-Establishments, Israel mit wirtschaftlichen und militärischen Mitteln zu unterstützen. Die Unterstützung der USA für die Unterdrückung der Palästinenser ist moralisch nicht vertretbar und widerspricht den Interessen der arbeitenden Bevölkerung in den USA und dem gesamten Nahen Osten, einschließlich Israel.

Wir warnen davor, dass eine Fortsetzung der gegenwärtigen US-Politik zu neuen militärischen Auseinandersetzungen im Nahen und Mittleren Osten und zu neuen terroristischen Gräueltaten gegen die einfache Bevölkerung sowohl in den USA als auch weltweit führen wird.

Der Teufelskreis aus Unterdrückung, Rache und Vergeltung, der von Scharon mit weltweit einmaliger Meisterschaft betrieben wird, muss durch eine unabhängige Intervention der Arbeiterklasse durchbrochen werden. Der einzige Ausweg aus der blutigen Krise, die US-Imperialismus und Zionismus geschaffen haben, liegt im Zusammenschluss der arabischen und jüdischen Arbeiter gegen den Kapitalismus und für den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft. Die künstlichen und ökonomisch unsinnigen nationalen Grenzen, die ein Vermächtnis des Kolonialismus im Nahen und Mittleren Osten darstellen, müssen fallen. Die SEP wird sich im Rahmen ihres Wahlkampfs bemühen, in den USA und weltweit die größtmögliche Unterstützung für eine solche Bewegung zu gewinnen.

Siehe auch:
Warum droht Israel mit der Ermordung Arafats?
(18. September 2003)
Der Terrorismus und die Entstehung Israels
( 28. Juni 2003)
"Die US-Wahlen von 2004: für eine sozialistische Alternative"
( 16. März 2004)