Irakischer Ministerpräsident der Ermordung von Häftlingen beschuldigt
Von James Conachy
22. Juli 2004
aus dem Englischen (19. Juli 2004)
In einem exklusiven Bericht im Sydney Morning Herald und in der Zeitschrift Age behaupten zwei irakische Männer, sie hätten mit eigenen Augen gesehen, wie der von den USA eingesetzte irakische Übergangsministerpräsident Ayad Allawi sechs gefesselte Gefangene ermordete, denen die Augen verbunden waren. Die willkürlichen Hinrichtungen sollen sich Mitte Juni ereignet haben, als Allawi das Sicherheitszentrum Al-Amariyah in Bagdad besuchte.
Die Zeitungen scheinen diese Aussagen schon seit einigen Wochen zu kennen. Sie entschlossen sich schließlich, den Artikel am 17. Juli zu veröffentlichen, weil "weder irakische noch amerikanische Stellen überzeugende Dementis abgaben, und die Zeugenaussagen deshalb unmöglich weiter ignoriert werden konnten". Ihrem Bagdader Korrespondenten Paul McGeough zufolge, der die Interviews gemacht hatte, hatten sich die beiden Zeugen unabhängig voneinander gemeldet und ausgesagt. Keiner von ihnen erhielt Geld für seine Aussage.
Der eine der beiden Männer sagte dem Journalisten: "Die Gefangenen standen an einer Wand aufgereiht, und wir standen im Hof, als der Innenminister [Falah al-Naqib] sagte, er würde sie am liebsten alle auf der Stelle erschießen. Allawi sagte, sie verdienten schlimmeres als den Tod, zog dann aber eine Pistole aus seinem Gürtel und begann sie zu erschießen."
Der andere Zeuge sagte, die jungen Gefangenen, die alle unter dem Verdacht der Beteiligung am Widerstand gegen die USA verhaftet worden waren, seien in den Tagen vor ihrer Erschießung durch Allawi mehrfach gefoltert worden. Er erklärte: "Sie waren glücklich, dass sie sterben konnten, weil die Polizei sie zwei bis acht Stunden am Tag geschlagen hatte, um sie zum Reden zu bringen."
Die zwei Zeugen gaben an, dass Allawi kaltblütig auf sieben Männer geschossen habe. Sechs waren sofort tot, während der siebte schwer verletzt wurde. Der Artikel nennt die Namen dreier Opfer: Achmed Abdulah Ahsamey, Amer Lutfi Mohammed Achmed al-Kutsia und Walid Mehdi Achmed al-Sammarrai.
Einer der Zeugen sagte, er habe gesehen, wie die Leibwächter Allawis die Leichen auf einen Nissan-Pritschenwagen warfen und mit ihnen davon fuhren. Der andere gab an, die Leichen seien in der Wüste am Stadtrand von Bagdad, westlich des Abu Ghraib-Gefängnisses, verscharrt worden. Das Schicksal des verwundeten Mannes geht aus dem Bericht nicht hervor.
Den Zeugen zufolge waren bis zu dreißig Personen Augenzeuge der Morde, unter ihnen irakische Polizisten und fünf oder sechs Angehörige der amerikanischen Special Forces in Zivilkleidung, die zu Allawis Schutz abgestellt waren. Allawi soll nach dem Mord an den sechs Männern gesagt haben, er wolle der irakischen Polizei zeigen, wie sie mit der Opposition gegen die US-Besatzer "umgehen soll".
Einer der Zeugen erklärte: "Allawi wollte seinen Polizisten und Soldaten deutlich machen, dass sie keine Scheu haben müssten, jemanden zu töten - insbesondere bräuchten sie sich um Stammesrache nicht zu sorgen. Er sagte, er und der Innenminister würden einen Befehl erlassen, dass jeder vollen Schutz genieße. Er sagte ihnen: Wir müssen jeden vernichten, der die Absicht hat, den Irak zu zerstören und unsere Leute zu töten.'"
Als die Zeitungen Allawi über die Vorwürfe informierten, unternahm sein Büro fast eine Woche lang nichts, um die Geschichte offiziell zu dementieren, und wies die Idee einer Untersuchung empört zurück. Amerikanische Stellen wurden zehn Tage vor der Veröffentlichung über den Sachverhalt informiert und haben bis heute kein Dementi abgegeben. Die amerikanische Botschaft tat die Vorwürfe arrogant als Gerüchte ab und erklärte: "Für das Pressebüro der Botschaft ist diese Angelegenheit erledigt."
Der irakischen Menschenrechtsminister, Bakhtiar Amin, sagte am Montag gegenüber dem australischen Fernsehen, er werde die Vorwürfe untersuchen, glaube aber nicht, dass sie zuträfen. Er drohte dem Journalisten zudem mit einer Verleumdungsklage.
Der australische Verteidigungsminister Robert Hill versuchte die Vorwürfe herunterzuspielen und behauptete, weder die australische, noch die britische oder die amerikanische Mission im Irak wüssten etwas von dieser Geschichte. Er wurde von dem neuernannten Schattenverteidigungsminister der Labor Party, Kim Beazley, unterstützt, der erklärte, der Nahe Osten sei "eine riesige Gerüchteküche", "zwei anonyme Quellen" seien "für dieses Land ziemlich dürftig, um in Druck zu gehen".
Das Abtun der Aussagen als "Gerücht" ist nichts weiter als ein Abdeckungsmanöver. McGeough ist ein erfahrener und anerkannter Journalist, dessen Quellen Augenzeugen des Vorfalls waren und genaue Einzelheiten angaben, darunter die Namen von dreien der Toten. Bis jetzt hat noch niemand die Fakten konkret in Abrede gestellt. Dass die beiden Iraker zögerten, ihre Namen anzugeben, ist wohl nur zu verständlich. In Anbetracht des Inhalts ihrer Anschuldigungen fürchten sie offensichtlich um ihr Leben.
Bis jetzt hat noch keine amerikanische Zeitung und kein Fernsehsender über die Vorwürfe berichtet, die immerhin so glaubwürdig sind, dass zwei führende australische Tageszeitungen sie veröffentlichten, und die, wenn sie denn bestätigt werden sollten, zur sofortigen Inhaftierung Allawis wegen Mordverdachts führen müssten. Die Zensur wird aufrechterhalten, obwohl prominente Personen wie der britische Ex-Außenminister Robin Cook am Wochenende eine unabhängige Untersuchung durch des Internationale Rote Kreuz forderten.
Die selben amerikanischen Medien, die die Invasion im vergangenen Jahr mit Hilfe von Geschichten über Mord, Folter und Vergewaltigungszentren unter dem Baath-Regime von Saddam Hussein propagierten, zeigen heute keinerlei Interesse an immer stärkeren Hinweisen, dass das von den USA installierte Regime von Allawi im wesentlichen die gleichen Methoden an den Tag legt.
Allawi hat eine besonders unappetitliche Vergangenheit, die in Washington durchaus bekannt ist. Bis 1975 war er angeblich ein Spion und Häscher der Baath-Diktatur, seit den achtziger Jahren arbeitete er für britische und amerikanische Geheimdienste, in den neunziger Jahren unterstützte er die Ambitionen der USA, den Irak zu erobern, und 2003 unterstützte er die amerikanische Invasion in seinem Land.
Die New York Times behauptete kürzlich unter Berufung auf ehemalige CIA-Agenten, Allawis Organisation, die Irakische Nationale Einheit (INA), sei Mitte der neunziger Jahre an mehreren Bombenanschlägen beteiligt gewesen, denen mehrere Zivilisten zum Opfer fielen. Der INA gehören zahlreiche ehemalige baathistische Armeeoffiziere und Geheimdienstmitarbeiter an.
In einem begleitenden Artikel mit der Überschrift "Harter Mann für ein hartes Land" zitiert McGeough die Meinung des Ex-CIA Sachbearbeiters Reuel Marc Gerecht, der dem New Yorker gesagt hatte: "Er [Allawi] war ein gewiefter Bursche und Überzeugungstäter. Zwei Eigenschaften stechen bei Allawi hervor. Erstens hält er sich für einen Mann mit Ideen; und zweitens ist seine hervorstechendste Tugend, dass er ein Gangster ist."
In den ersten drei Wochen der Interimsregierung hat Allawis ungewählte und verachtete Regierung sich die Vollmacht verschafft, das Kriegsrecht zu verhängen, Demonstrationen zu verbieten und die Telefone und Emails der Bürger zu überwachen. Er hat seine Absicht erklärt, Militärs und Geheimdienstmitarbeiter des Hussein-Regimes zu rekrutieren, und hat diese Woche die Bildung einer Geheimpolizei angekündigt, um die Opposition zu "vernichten". In Bagdad wird er oft schon verächtlich als "Saddam ohne Bart" oder "Amerikas Saddam" bezeichnet.
Die New York Times und die Washington Post haben die Bush-Regierung wegen des Aufbaus eines US-gestützten Polizeistaats im Irak nicht etwa verurteilt, sondern sich anerkennend über Allawis sadistischen und rücksichtslosen Ruf geäußert. Das ist Bestandteil eines Meinungswechsels: frühere Behauptungen, die US-Besatzung werde Demokratie schaffen, werden durch eine zunehmend offene Unterstützung für den "starken Mann" Allawi und seine Methoden abgelöst.
Am 11. Juli schrieb Dexter Filkins von der New York Times genüsslich über das Gerücht, Allawi habe kürzlich einem Mann bei einem Verhör mit einer Axt die Hand abgehackt. Filkins beschrieb die angebliche Gräueltat mit folgenden Worten: "Niemand sprach. Bringt mir eine Axt', soll der Ministerpräsident befohlen haben. Mit der, so die Geschichte, hackte Mr. Allawi die Hand eines der Libanesen ab, woraufhin die Gruppe mit allem heraussprudelte, was sie wusste." Nach Filkins' Meinung "scheint Allawi unter den gegebenen Umständen der perfekte Mann zu sein, um dieses zerrissene Land zusammenzuführen".
Am 14. Juli lobte David Ignatius von der Washington Post Allawi, weil er "das Bild eines robusten Ex-Baathisten abgibt, der entschlossen genug ist, dieses gesetzlose Land zu managen". Noch im November letzten Jahres hatte er behauptet, Amerika habe "eine gute Tat getan, als es den Irak von einem tyrannischen Regime befreite".
Diese Kommentatoren haben der amerikanischen Bevölkerung im vergangenen Jahr weis gemacht, die Invasion werde dem Irak Demokratie und Freiheit bringen. Tatsache ist, dass die Bush-Regierung als Teil ihrer kriminellen imperialistischen Strategie, die Reichtümer des Nahen Ostens zu kontrollieren, eine ungewählte pro-amerikanische Bande eingesetzt hat, die vom irakischen Volk angegriffen wird. Mangels jeglicher Legitimität und Unterstützung in der Bevölkerung muss sich Allawis Regime auf Repression stützen, um der Bevölkerung mit Terrormethoden die dauerhafte US-Kontrolle des Landes aufzuzwingen.