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Irak: Untersuchung zählt 37.000 zivile Kriegsopfer in sieben Monaten

Von James Conachy
6. August 2004
aus dem Englischen (5. August 2004)

Laut der irakischen politischen Organisation People's Kifah oder Kampf gegen Hegemonie hat der US-Krieg gegen das Land in den ersten sieben Monaten 37.000 zivile Opfer gefordert. Das geht aus einer Untersuchung hervor, welche die Organisation am Wochenende im arabischen Sender Al Jazeera vorstellte.

Der Sprecher von People's Kifah, Muhammad al-Ubaidi, erklärte Al Jazeera, die Schätzung sei "hundertprozentig korrekt". Die entsprechenden Daten wurden im September und Oktober 2003 in einer landesweiten Umfrage gesammelt, in deren Verlauf die Organisation "Hunderte irakische Aktivisten und Akademiker" befragte. Ubaidi sagte: "Zur Sammlung unserer statistischen Daten haben wir die entferntesten Dörfer aufgesucht, mit Totengräbern überall im Irak gesprochen, Informationen in Krankenhäusern gesammelt und mit Tausenden von Zeugen geredet, die beobachtet haben, wie Zivilisten unter amerikanischem Feuer umkamen."

Die Organisation behauptet, sie habe die Untersuchung schließlich unter starkem Druck einstellen müssen, nachdem einer ihrer Mitarbeiter, Ramzi Musa Ahmad, im vergangenen Oktober von kurdischen Milizen gefangen genommen und an die US-Truppen überstellt worden sei. Ahmad gilt seither als vermisst.

Laut Angabe der Organisation sind in der Zahl von 37.000 keine getöteten Soldaten und paramilitärischen Kräfte enthalten. Schätzungen über die während der Invasion getöteten irakischen Soldaten bewegen sich zwischen 10.000 und 45.000. Da die Untersuchung im letzten Oktober abgeschlossen wurde, beinhaltet sie auch nicht die hohe Zahl ziviler Opfer, die im April und Mai beim Versuch des amerikanischen Militärs ums Leben kamen, die irakischen Aufstände in Falludscha, Bagdad und dem südlichen Irak niederzuschlagen.

Bisher sind nur wenige Details der Untersuchung bekannt, und die Methoden, derer sie sich bediente, scheinen nicht von unabhängiger Seite überprüft worden zu sein. Dennoch ist sie bedeutsam, da im Irak seit Beginn der Besatzung keine offizielle Übersicht über die Zahl der zivilen Opfer erstellt wurde. Das US-Militär weigert sich, seine eigenen Schätzungen über die Zahl der getöteten Zivilisten zu veröffentlichen. Und im vergangenen Dezember deutete der Leiter der Statistikabteilung des irakischen Gesundheitsministerium an, er habe eine eigene Studie auf Druck der US-Übergangsverwaltung (CPA) einstellen müssen. Sowohl die CPA wie auch die von den USA installierte irakische Übergangsregierung leugneten damals, dass es überhaupt eine Untersuchung gegeben habe.

Es gibt also keine offiziellen Opferzahlen. Bekannt ist jedoch, dass die USA während der Invasion eine enorme Menge an schlagkräftiger Munition einsetzten. Und das Besatzungsregime zeichnet sich durch systematische Repressionsmaßnahmen aus, die die irakische Bevölkerung zwingen sollen, die neokoloniale Kontrolle des Landes und seiner Ressourcen durch die USA zu akzeptieren.

Laut Zahlen, die das US-Militär im vergangenen Jahr veröffentlichte, wurden während der Invasion 800 Cruise Missiles, über 18.000 präzisionsgesteuerte Bomben und 9.000 ungesteuerte Bomben eingesetzt. Mindestens 1.200 Cluster-Bomben wurden abgeworfen, die wiederum in Dutzende granatenähnliche Minibomben aufsplitterten. A-10-"Warzenschwein"-Flugzeuge feuerten zur Unterstützung der Bodentruppen 300.000 Schuss aus ihren 30-mm-Kanonen. Man nimmt an, dass ein großer Teil dieser Munition aus abgereichertem Uran besteht. Hinzu kommt die Panzer- und Artilleriemunition, die zum Teil ebenfalls aus abgereichertem Uran besteht und auf mehrere Zehntausend Schuss geschätzt wird, sowie die Munition der Maschinengewehre und Kleinfeuerwaffen.

Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hat 50 Lufteinsätze genehmigt, bei denen die Militärplaner von vornherein davon ausgingen, dass jeweils mindestens 30 Zivilisten getötet würden. Hinzu kamen weitere 50 Einsätze gegen "hochrangige" militärische und politische Führungspersönlichkeiten, hauptsächlich in Bagdad, bei denen vorher noch nicht einmal abgeschätzt wurde, wie viele Zivilisten umkommen könnten. Kein einziger davon traf sein Ziel, und bei allen, die untersucht wurden, gab es erhebliche zivile Verluste.

Laut den Angaben von People's Kifah dokumentiert ihr Untersuchungsbericht allein in der Provinz Bagdad zwischen Kriegsbeginn und Oktober 6.103 zivile Opfer. Die irakische Hauptstadt war das Ziel der heftigsten Bombenangriffe der USA und ihrer Verbündeten. Außerdem wurden während der Panzeroffensive vom 3. bis 9. April zahlreiche Zivilisten getötet.

So hat die Bürgerrechtsorganisation Human Rights Watch zwischen Mai und Oktober 2003 glaubwürdige, wie sie es nennt, Berichte über 94 Zivilisten gesammelt, die in Bagdad durch amerikanische Soldaten getötet wurden. Darunter fallen Menschen, die an US-Kontrollposten in ihren Autos erschossen wurden, die während Hausdurchsuchungen ums Leben kamen oder die durch willkürliche Schießereien auf der Straße getötet wurden.

In der Provinz Basra, die sich seit Kriegsende unter britischer Kontrolle befindet, sollen 6.734 zivile Opfer dokumentiert worden sein. Basra, die zweitgrößte irakische Stadt, war in der ersten Kriegswoche von amerikanischen und britischen Truppen heftig bombardiert und belagert worden. Die drei Krankenhäuser der Stadt verzeichneten während der Invasion 413 Tote, doch in dieser Zahl sind die Opfer nicht enthalten, die nicht ins Krankenhaus gebracht oder in deren Leichenhallen aufgebahrt wurden.

In der Provinz Babil wurden laut der Untersuchung 3.552 Zivilisten getötet. Im Krankenhaus der Provinzhauptstadt Hilla hatte der Rotkreuzvertreter Roland Hugenin Journalisten während der Invasion berichtet: "In der Region Hilla gab es eine unglaublich hohe Zahl von Verletzten mit sehr, sehr schweren Wunden. Wir haben beobachtet, wie ein Lastwagen Dutzende völlig zerstückelte Leichen von Frauen und Kindern anlieferte."

Für die Provonz Nasarija - wo ebenfalls schwere Kämpfe stattfanden - gibt der Bericht 3.581 zivile Oper an, und jeweils über 2.000 für andere südliche Provinzen wie Misan, Karbala und Wasit, die nördliche Provinz Mosul sowie die westliche Provinz al-Anbar, in der die Städte Falludscha und Ramadi liegen. Zu den vorwiegend kurdischen Provinzen im Norden enthält der Bericht keine Zahlen.

Die Zahl von 37.000 Toten liegt wesentlich höher als die Schätzungen, die gestützt auf Berichte in den Medien erstellt wurden. Die Datenbank der Web Site Iraq Body Count (www.iraqbodycount.net) verzeichnete bis zum 4. August ein Minimum von 11.429 und ein Maximum von 13.398 Zivilisten, die seit dem 20. März 2003 getötet wurden.

In einer Erklärung auf der Web Site heißt es jedoch: "Wir selbst sind keine Nachrichtenagentur und können unsere Informationen, wie jedermann sonst auch, nur auf das stützen, was bisher berichtet wurde. Wir bemühen uns, eine glaubwürdige Zusammenstellung der zivilen Opfer zu erstellen, über die anerkannte Quellen berichtet haben. Unsere Maximalzahlen beziehen sich daher auf Todesfälle, über die berichtet wurde - d.h. es handelt sich nur um einen Teil der tatsächlichen Opfer, es sei denn, man geht davon aus, dass über jeden einzelnen zivilen Todesfall in den Medien berichtet wird. Es ist anzunehmen, dass über viele oder sogar die meisten zivilen Opfer in den Medien keine Berichte erscheinen. Das ist das traurige Wesen des Krieges." (Hervorhebung im Original)

Es ist daher wahrscheinlich, dass die tatsächliche Zahl der zivilen Todesopfer im Irak näher bei den Zahlen liegt, zu denen die Untersuchung von People's Kifah gekommen ist. Die Zahl der Opfer und das Ausmaß der Zerstörung, die durch die US-Invasion im Irak verursacht wurden, unterstreichen den kriminellen Charakter all jener, die für die Planung und Durchführung dieses Kriegs verantwortlich sind und die für die weitere Besatzung des Landes eintreten.

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