Der Kampf gegen Krieg und die US-Wahlen 2004
Von David North
28. April 2004
aus dem Englischen (27. April 2004)
Die folgende Rede hielt David North am 17. April auf einer Mitgliederversammlung der Socialist Equality Party in den USA, die eigene Kandidaten für die diesjährigen Präsidentschaftswahlen aufgestellt hat. David North leitet die Redaktion der World Socialist Web Site und ist Vorsitzender der SEP.
Vor etwas mehr als einem Monat trafen wir uns schon einmal hier in Ann Arbor, um die Kampagne der SEP zu den Präsidentschaftswahlen zu besprechen. Zwei Tage lang, am 13. und 14. März, befassten wir uns mit der politischen und programmatischen Grundlage für unser Eingreifen in den Wahlen des Jahres 2004. Seither ist viel passiert - vor allem der landesweite Aufstand der Iraker gegen die amerikanische Besatzung.
Die krampfhaften Versuche der Medien, den Aufstand als Werk einiger weniger Schläger und Saddam-Getreuen darzustellen, sind miserable Lügen, die der Realität offen ins Gesicht schlagen. Auch nach beinahe dreiwöchigen Kämpfen, in deren Verlauf die USA mit ihrem riesigen Waffenarsenal gegen primitiv bewaffnete Gegner vorgegangen sind, ist es dem amerikanischen Militär nicht gelungen, den Aufstand niederzuschlagen.
Die Website "Stratfor", die von einer Gruppe rechtsgerichteter Analysten mit sehr engen Verbindungen zur Armee und den Geheimdiensten der USA erstellt wird, veröffentlichte vor kurzem eine Analyse der militärischen Lage im Irak. Vor anderthalb Wochen brachte sie folgende Einschätzung:
"Wenn sich die gegenwärtigen Trends beschleunigen, dann stehen die USA vor einer schweren militärischen Herausforderung, die in eine Katastrophe münden könnte. Die USA verfügen nicht über die notwendige Truppenstärke, um sowohl einen Schiitenaufstand auf breiter Basis als auch die Rebellion der Sunniten niederzuschlagen. Schon die heutige geographische Ausbreitung des Aufstands überfordert nicht nur die bereits stationierten Truppen, sondern auch jegliche praktikable Anzahl zusätzlicher Soldaten, die eingesetzt werden könnten. Bereits jetzt ziehen sich die USA aus einigen Städten zurück. Das logische Endergebnis wäre eine Enklaven-Strategie, bei der die USA ihre Truppen - vielleicht unter Ausschluss von Irakern - auf eine Reihe befestigter Stellungen konzentrieren und den Rest des Landes der Guerilla überlassen. Damit würde sich natürlich die Frage stellen, ob die USA überhaupt im Irak bleiben sollten, denn ihre Truppen könnten dann weder innerhalb des Landes noch jenseits seiner Grenzen eine tatsächliche Kontrolle ausüben."
Während der vergangenen Woche ist die Lage noch chaotischer geworden. Die Nachschublinien der USA werden angegriffen, und die Verlängerung der Aufenthaltsdauer ihrer Soldaten ist ein wichtiges Indiz dafür, dass die Militärführung vor großen Schwierigkeiten steht. Meiner Meinung nach kann man davon ausgehen, dass in nicht allzu ferner Zukunft Presseberichte erscheinen werden, aus denen hervorgeht, in welcher großen Gefahr die Soldaten im April 2004 schwebten.
Die Reaktion der Medien ist bemerkenswert, war aber vorherzusehen. Man schreit immer ungehemmter nach Blut. Ein typisches Beispiel hierfür sind die Kommentare von George Will in der Washington Post.
Am 7. April 2004 schrieb er: "Regimewechsel, Besatzung, Nation-Building - mit einem Wort, Weltmachtpolitik - ist ein blutiges Geschäft. Jetzt müssen sich die Amerikaner ermannen, die notwendige Gewalt anzuwenden, um die städtischen Kämpfer im Irak zu entwaffnen oder niederzuwerfen." Eine Woche später, am 14. April, schrieb er: "Nach Falludscha ist klar, dass die erstrangige Aufgabe der Marines und anderer US-Truppen in ihrem ureigensten Geschäft besteht: in der Anwendung tödlicher Gewalt."
Das Wall Street Journal, nicht faul, steuerte ein Editorial unter der Überschrift "Nachdenken über Armageddon" bei, in dem es den Einsatz "hoch präziser, Mini-Atomwaffen" forderte, um "amerikanische Leben zu retten". Dies vermittelt einen gewissen Eindruck vom Denken gewisser Kreise der amerikanischen Elite.
Es ist erwiesen, dass in Falludscha Hunderte Iraker ums Leben kamen. Unbekannt ist, wie viele es im ganzen Land während der letzten drei Wochen waren. Darüber gibt es keine Schätzungen, doch es ist offensichtlich, dass die Verluste sehr erheblich waren. Die USA haben Falludscha aus der Luft mit Bomben und Raketen beschossen.
Man muss die Frage stellen: Erinnern die Ereignisse im Irak nicht an die1940er Jahre - an die Vergeltungsaktionen der Nazis gegen den Widerstand in Frankreich, Holland, Polen und den besetzten Gebieten der Sowjetunion, an die Erschießungen von Partisanen und die Niederschlagung des Warschauer Aufstands? Als tschechoslowakische Partisanen in Prag Reinhard Heydrich - als stellvertretender Statthalter des von den Nationalsozialisten geschaffenen "Protektorats Böhmen und Mähren" - das damalige Gegenstück zum heutigen US-Prokonsul im Irak, Paul Bremer - ermordeten, antworteten die Faschisten mit Massenterror, und die Stadt Lidice wurde dem Erdboden gleichgemacht.
Der Krieg hat starke Auswirkungen innerhalb der USA. Zwischen den Betreibern und Profiteuren der Besetzung des Irak und ihren Gegnern tut sich eine unüberbrückbare Kluft auf. Die moralische Polarisierung ist in vollem Gange. In dieser grundlegenden Spaltung der Gesellschaft, die in letzter Analyse in gegensätzlichen Klasseninteressen wurzelt, kündigen sich bereits die erbitterten und explosiven sozialen Kämpfe der Zukunft an. Es gibt keine Grundlage für eine Verständigung mit den Organisatoren dieses Krieges und ihren Hofschranzen. Ihre Moral ist nicht unsere. In dieser Hinsicht leben sie in einer anderen Welt.
Auf unserem heutigen Treffen geht es allerdings nicht um Moral, sondern um Politik. Was uns insbesondere interessiert, ist die Reaktion der Demokratischen Partei auf die Entwicklungen seit unserer Zusammenkunft vor einem Monat. Wie wir voraussahen, hat die Demokratische Partei mittlerweile jede Verbindung zu der Opposition gegen den Krieg im Irak gekappt.
Als wir uns letzten Monat trafen, betonten wir, dass die Arbeiterklasse einen politischen Bruch mit dem bürgerlichen Zweiparteiensystem vollziehen muss. Im Entwurf unseres Wahlaufrufs, den wir vor der Konferenz erstellt hatten, und im Eröffnungsbericht wurde betont, dass die SEP die Argumentation ablehnt, wonach es bei den Wahlen des Jahres 2004 in erster Linie um die Niederlage von Präsident Bush gehe und alle politischen und programmatischen Grundsatzfragen einer vulgären und pragmatischen Wahltaktik untergeordnet werden müssten.
Die Art und Weise, wie Howard Dean ausgebootet und die Nominierung John Kerrys durchgesetzt worden war, hatte diese Argumentation bereits widerlegt. Im Eröffnungsbericht zu unserer Konferenz letzten Monat wurde erklärt, dass die herrschende Elite entschlossen sei, um jeden Preis zu verhindern, dass der Wahlkampf zu einem Referendum über den Einmarsch im Irak und die anschließende Besetzung wird.
Wenn ich dazu aus meinem eigenen Bericht zitieren darf: "Obwohl er [Dean] ein zutiefst konservativer Mensch war, von dem keine politische Gefahr für das System ausging, barg seine Kandidatur die Möglichkeit, dass die Wahl in der ganzen Welt als Referendum über den Krieg interpretiert würde. Dies hätte weitreichende und gefährliche Implikationen für die Interessen des amerikanischen Imperialismus gehabt.... es ging überhaupt nicht um Deans Absichten, sondern um die Gefahr, dass seine Kandidatur innerhalb und außerhalb der USA die Opposition gegen die amerikanische Besetzung des Irak legitimieren und beflügeln könnte."
Die gesamte Operation während der Vorwahlen zielte darauf ab, zu verhindern, dass die Opposition gegen den Krieg und die Besetzung im Irak im Wahlkampf zum Ausdruck kommen könnte. Die Gründe sind heute vielleicht noch deutlicher erkennbar, als vor einem Monat. Obwohl die Aktivitäten politisch engagierter Menschen im Herbst und im Winter 2003/2004 beinahe vollständig von der weit verbreiteten Antikriegsstimmung getragen wurden, und obwohl der Kandidat, der sich am offensten zu dem Krieg bekannte - Senator Joseph Lieberman - der unbeliebteste aller demokratischen Kandidaten war, endete der Vorwahlkampf mit der restlosen Ausgrenzung aller Kriegsgegner.
Die offiziellen Meinungsumfragen zeigen, dass beinahe die Hälfte der Bevölkerung in den USA den Krieg offen ablehnt. Doch diese Opposition findet im Rahmen der Politik, die von dem bestehenden Zweiparteiensystem sanktioniert ist, nicht den geringsten Ausdruck. Dies allein genügt, um den völlig undemokratischen Charakter dieses Systems zu beweisen.
Wenden wir uns nun der Haltung zu, die John Kerry vertritt, seit seine Nominierung durch die Demokraten feststeht. Im März forderte die Washington Post, dass er sich von jeglicher Opposition gegen die Besetzung des Irak lossagen solle. Er beantwortete diese Herausforderung mit einer Erklärung in der Washington Post vom 13. April, in der er Folgendes schrieb:
"Vielleicht waren wir uns nicht einig darüber, wie wir in den Krieg gezogen sind, doch die Amerikaner aller politischen Überzeugungen sind sich einig in ihrem Siegeswillen. Die Extremisten, die unsere Soldaten angreifen, müssen wissen, dass es ihnen nicht gelingen wird, Amerika zu spalten, Amerikas Entschlossenheit zu schwächen oder den vorzeitigen Abzug der US-Truppen zu erzwingen. Unser Land hat sich verpflichtet, den Irakern zu helfen, eine stabile, friedliche und pluralistische Gesellschaft aufzubauen. Diese Mission werden wir weiterführen, ganz unabhängig davon, wer im November zum Präsidenten gewählt wird. Um unsere Erfolgschancen zu steigern und das Risiko unseres Scheiterns zu verringern, müssen wir alle Mittel einsetzen, die uns zur Verfügung stehen. Wenn unsere Militärkommandeure mehr Truppen fordern, sollten wir sie entsenden."
Klarer kann man sich nicht ausdrücken. Diejenigen, die Kerry unterstützen und behaupten, dass es bei diesen Wahlen nur um den Sieg über Bush gehe, werden, falls ihre Perspektive sich durchsetzt, nicht behaupten können, dass sie vom Ergebnis dieser politischen Linie überrascht seien. Sie übernehmen die Verantwortung für die Positionen, die Kerry heute deutlich ausspricht - dass der Krieg und die Besetzung des Irak im nationalen Interesse der USA lägen, dass dieser Krieg unterstützenswert sei und dass Truppen je nach Anforderungen der Armee entsendet werden müssten, um den Widerstand in diesem Land zu brechen.
Die herrschende Elite sieht in diesen Wahlen eine Möglichkeit, ihre globale Strategie zu verfeinern und diejenigen taktischen Anpassungen - darunter vielleicht auch die Ersetzung des derzeitigen Bewohners des Weißen Hauses - vorzunehmen, die ihr zur Wahrung ihrer Interessen geboten erscheinen. Da die Unfähigkeit und Unbeliebtheit der Bush-Regierung immer deutlicher hervortreten, ihre innere Zerstrittenheit zunimmt und sie die Unzufriedenheit der Elite auf sich zieht, kann es durchaus sein, dass Kerry als annehmbare Alternative akzeptiert wird. Die unzweideutige Unterstützung für die Invasion im Irak und dessen Besetzung ist sein Eintrittspreis ins Weiße Haus.
Die herrschende Klasse weiß genau, dass die Fortsetzung dieses Kriegs weitaus mehr Geld und Menschenleben kosten wird, als die amerikanische Bevölkerung erwartet oder hinzunehmen bereit ist. Und vor diesem Hintergrund erweist die Demokratische Partei ihren Nutzen, indem sie einer imperialistischen Politik einen pseudo-progressiven, liberalen Anstrich verleiht.
Kerrys Kampagne ist nahezu ausschließlich darauf ausgerichtet, die herrschende Klasse davon zu überzeugen, dass er der Mann ist, den sie braucht. Seit seine Nominierung zum Kandidaten der Demokraten praktisch feststeht, hat er die Pose des Kriegsgegners, in die er sich zwecks Bekämpfung seines Konkurrenten Dean während der Vorwahlen geworfen hatte, vollkommen aufgegeben. Jetzt kämpft er um die "Herzen und Köpfe" der herrschenden Klasse.
Kerrys Behauptung, alle Menschen in Amerika wünschten einen Sieg in diesem Krieg und der Besetzung des Irak, ist von großer politischer Bedeutung. Es ist mehr als eine Lüge. Es bedeutet, dass Opposition gegen den Krieg außerhalb dessen gestellt wird, was in den USA als legitime Politik gilt. Solche Aussagen müssen im Zusammenhang mit den politischen Implikationen des Kriegs bewertet werden.
Als die USA den Krieg vom Zaun brachen, sahen weder die Bush-Regierung, noch die Demokraten oder die Medien die Folgen dieser gewagten Entscheidung voraus. Doch nun folgen die Ereignisse der brutalen Logik eines imperialistischen Krieges. Im Irak verlangt der Erfolg der Besetzung ein immer höheres Maß an Gewalt gegen die dortige Bevölkerung und die Menschen des gesamten Nahen und Mittleren Ostens. In den USA können die für diesen Krieg erforderlichen menschlichen Ressourcen nur aufgebracht werden, wenn der Armee mehr Menschen zur Verfügung gestellt werden, und das läuft auf die Wiedereinführung der Wehrpflicht hinaus.
Versuchsballons, mit denen die Öffentlichkeit auf die Wehrpflicht vorbereitet werden soll, sind allgegenwärtig. Die New York Times schrieb am 11. April: "Bush könnte das bis an Grenzen seiner Belastbarkeit strapazierte Militär auch mit Hilfe der Wehrpflicht entlasten, falls die Amerikaner die Notwendigkeit von Opfern einsehen."
Ein Editorial, das heute in der Washington Post erschien, enthält folgenden Absatz. Auf die Feststellung, dass die Armee unter Druck stehe, folgt die Aussage: "Die Regierung trat am 11. September 2001 in einen weltweiten Krieg gegen den Terrorismus ein, ohne bisher die Größe der bewaffneten Streitkräfte entsprechend anzupassen. Wenn die Weltereignisse die Regierung veranlassen, weiterhin mit dem bisherigen Tempo aktive und Reservetruppen zu mobilisieren, dann werden Rekrutierung und Verpflichtung zurückgehen und eine Institution, die sich in den vergangenen Jahren immer wieder bewährt hat, könnte Schaden nehmen. Es ist an der Zeit, ernsthafter über den voraussichtlichen Truppenbedarf im Irak und in der gesamten, von Gefahren erfüllten Welt nachzudenken und sich zu überlegen, wie unser Land diesen Bedarf in den kommenden Jahren auf möglichst gerechte Weise decken kann."
Die Bedeutung dieser Worte ist völlig klar: die Wehrpflicht kehrt zurück. Die Website der Musterungsstelle (Selective Service System) hat bekannt gegeben, dass die Wiedereinführung der Wehrpflicht gegenwärtig zwar nicht vorgesehen sei, dass aber weiterhin alle amerikanischen Männer ab dem Alter von 18 Jahren registriert werden und, sollte sich die Wehrpflicht doch als notwendig erweisen, sie entsprechenden Anweisungen der Regierung Genüge leisten könnte.
In diesem Zusammenhang möchte ich ergänzen, dass es nicht bloß Wahlkampftaktik ist, wenn Kerry den Republikanern vorwirft, dass Cheney und andere hochrangige Regierungsmitglieder nicht gedient haben. Wir erleben vielmehr das Entstehen eines neuen Patriotismus, der mit Unterstützung für den Krieg, Befürwortung der Wehrpflicht und dem Aufruf an alle einhergeht, sich in den Dienst dieser "lohnenden Sache" zu stellen.
Man legt die ideologischen Grundlagen für eine öffentliche Kampagne zugunsten der Wehrpflicht. Paul Berman zum Beispiel, der vor vielen Jahren den Vietnamkrieg kritisierte, seither jedoch den Verlockungen des Militarismus erlag, hat ein Buch geschrieben, indem er den Einmarsch im Irak und den "Krieg gegen den Terrorismus" als legitimen und notwendigen Kampf gegen den islamischen Totalitarismus rechtfertigt. Banale und unaufrichtige Argumente dieser Art werden aufgeboten, um die Grundlage für eine Politik des unverhüllten Neo-Imperialismus zu schaffen.
Diese Entwicklungen sind kein Zufall. Ungeachtet ihrer taktischen Differenzen mit der Regierung Bush steht die Demokratische Partei im Dienst einer gesellschaftlichen Klientel, deren finanzielle und Klasseninteressen sich nicht grundlegend von jenen der Republikaner unterscheiden. Die einflussreichste Wählerschicht der Demokratischen Partei besteht aus denjenigen Teilen der herrschenden Elite und denjenigen wohlhabendsten Schichten hochbezahlter Akademiker, die materiellen Nutzen aus der Wirtschaftspolitik der USA ziehen.
Kennzeichnend für die vergangenen Jahrzehnte war weniger eine echte Entwicklung der Produktivkräfte, als die Gewährleistungen niedriger Warenpreise, geringer Lohnniveaus und einer Überausbeutung der arbeitenden Bevölkerung. Dies schuf die Grundlage für die gigantische Anhäufung von Reichtum bei Teilen der herrschenden Elite und bei den Neureichen der vergangenen zwanzig Jahre.
Die sehr rasche Entwicklung während des vergangenen Monats - der Krieg im Irak, der Widerstand gegen die Besatzung, und die bemerkenswerte Geschwindigkeit, mit der sich die Demokratische Partei auf diese Fragen einstellte - muss als ein ernstes Signal gewertet werden, das äußerst explosive Ereignisse in diesem Jahr ankündigt. Bedenkt, dass die Wahlen noch sieben Monate entfernt sind.
Ein Merkmal für eine Veränderung des politischen Klimas und die Entstehung einer revolutionären Situation besteht darin, dass bestimmte Ereignisse das politische Bewusstsein sprunghaft verändern. Noch im Herbst und Winter erwarteten sich viele Kriegsgegner Unterstützung von der Demokratischen Partei. Da sich nahezu alle Kandidaten, mit Ausnahme Liebermans, als Kriegsgegner darstellten, gerieten viele Menschen, die sich an den Vorwahlen beteiligten, in eine gewisse Begeisterungsstimmung. Sie glaubten, dass die wachsende Opposition gegen Bush irgendwie zu einer Abkehr von der Politik führen werde, mit der diese Regierung verbunden wird. Weit gefehlt! Die Demokratische Partei hat sich eben diese Politik uneingeschränkt zu eigen gemacht.
Gleichzeitig ist die Untersuchungskommission über die Anschläge vom 11. September zu einer von beiden Parteien getragenen Aktion geworden, um den Patriot Act [das Antiterrorgesetz, das demokratische Grundrechte außer Kraft setzt] zu legitimieren und zu bekräftigen - alles im Namen des Kampfs gegen den Terrorismus. Die wirklichen Fragen, die der 11. September aufwirft, nämlich die Ausnutzung der Anschläge im Interesse der Kriegspläne für den Mittleren Osten, werden nicht thematisiert. So kommt es zu dem verblüffenden Vorwurf an CIA und FBI, sie hätten die demokratischen Rechte in den USA nicht mit ausreichender Aggressivität abgebaut.
Im Laufe der Wochen und Monate wird immer breiteren Schichten der Arbeiterklasse und Jugendlichen klarer werden, dass ihre Anliegen nicht aufgegriffen werden. Innerhalb des Zweiparteiensystems können sie ihre politischen und gesellschaftlichen Bedürfnisse nicht zur Sprache bringen. Hinzu kommt, dass sich diese politische Krise vor dem Hintergrund einer zunehmend instabilen wirtschaftlichen Lage entfaltet, die nicht nur von einer anhaltenden Rezession im Bereich der Produktion, sondern auch durch eine deutlich beschleunigte Inflation gekennzeichnet ist. Den jüngsten Angaben zufolge liegt die offizielle Inflationsrate bei 5 Prozent, wenn man jedoch die Preise für Benzin und Nahrungsmittel zugrunde legt, ergibt sich ein weitaus schlechteres Bild.
Die New York Times meldet, dass sich die Preise für einige Nahrungsmittel innerhalb eines Monates verdoppelt haben. Der Milchpreis ist innerhalb eines Monats um mehr als 30 Prozent gestiegen. Und die realen Kosten, die Arbeitnehmern durch die unumgänglichen Autofahrten zu ihrem Arbeitsplatz entstehen, bedeuten eine starke Absenkung des Lebensstandards. Diese Folgen für die Lebensverhältnisse werden ohne jede Frage eine radikalisierende Wirkung auf breite Schichten der Arbeiterklasse ausüben.
Wir führen unsere Wahlkampagne, ungeachtet unserer beschränkten Personal- und Geldmittel, auf der Grundlage von Perspektiven und Analysen - auf der Grundlage einer Einsicht in die Konsequenzen der immer tieferen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Krise in den USA und weltweit.
Ich betone nochmals: Die Stärke unserer Analyse gegenüber derjenigen der ehemaligen Radikalen, der Grünen und anderer kleinbürgerlicher Gruppen, die unfähig sind, eine ernst zu nehmende Perspektive der grundsätzlichen Opposition gegen die Demokratische Partei zu formulieren, wird bereits sichtbar.
Was sehen wir? Chomsky, der bekannte Dissident, spricht sich für John Kerry aus und landet damit, ob es ihm gefällt oder nicht, in hohem Alter im Lager all derjenigen, die ganz offen aussprechen, dass sie den Krieg gegen den Irak zu Ende führen wollen.
Ein nicht weniger erbärmliches Schauspiel bietet Ralph Nader, der Führer der Grünen in den USA: Er verteidigt seine Kandidatur mit dem Argument, sie sei das wirkungsvollste Mittel, George Bush zu besiegen und für die Wahl John Kerrys zu sorgen.
Unsere Kampagne basiert auf einer unversöhnlichen Opposition gegen beide Parteien. Weder die Demokraten noch die Republikaner sind ein "kleineres" Übel. Wir sind nicht dafür, dass Arbeiter zwischen dem einen oder dem anderen Gift wählen.
Für die herrschende Klasse stellen die Präsidentschaftswahlen ein Mittel dar, die taktischen Veränderungen vorzunehmen, die ihr notwendig erscheinen, um ihre wirtschaftlichen und politischen Pläne effektiver durchzusetzen. Wenn schon die Wehrpflicht eingeführt werden muss, sollte dieser Schritt dann nicht lieber von einem Präsidenten Kerry vollzogen werden - einem Vietnamkriegsveteranen, der einst gegen diesen Krieg war und von einem breiten Spektrum liberaler und ex-liberaler Kräfte, wie der Nation, unterstützt wird?
Die Perspektive, die wir vor einigen Wochen umrissen, hat sich bestätigt. Die Wahlkampagne der Socialist Equality Party ist für die Arbeiterklasse und die Jugend die einzige prinzipielle Alternative zu der imperialistischen Politik der beiden Parteien des Big Business.