Der Anschlag von Nadschaf: US-Besatzung führt zur Katastrophe
Von Bill Vann
3. September 2003
aus dem Englischen (1. September 2003)
Der Bombenanschlag, der am 29. August in der Stadt Nadschaf 82 Menschen tötete und Hunderte weiterer Menschen verletzte, hat unterstrichen, was für eine Katastrophe der Krieg und die Besatzung durch die USA für das irakische Volk bedeuten. Sie hat auch das Chaos ans Licht gebracht, das innerhalb der Bush-Regierung angesichts der selbstverschuldeten Probleme herrscht.
Die Bombe tötete ihr Hauptziel, Ayatollah Mohammed Bakir Al-Hakim, den prominentesten schiitischen Kleriker, der den von Washington handverlesenen irakischen Regierenden Rat unterstützte, der als Fassade für die neo-koloniale Besatzung herhalten muss. Am Tag nach dem Anschlag kündigte ein weiterer Schiitenführer, Mohammad Bahr al-Uloum, an, aus dem Rat auszutreten, und erklärte, die US-Besatzung habe sich als unfähig erwiesen, für Sicherheit zu sorgen.
Die irakische Polizei in Nadschaf behauptete, nach dem Bombenanschlag 19 Personen festgenommen zu haben. Sie identifizierte die Verdächtigen als Mitglieder des islamistischen Al-Qaida Netzes und erklärte, vier Mitglieder hätten gestanden, den Angriff ausgeführt zu haben. Er sei Bestandteil einer landesweiten Kampagne, den Irak unregierbar zu machen. Unter den Verhafteten befinden sich laut Polizeiangaben Bürger aus Saudi-Arabien, Kuwait und Jordanien sowie auch Iraker. US-Geheimdienstagenten waren mit klaren Schuldzuweisungen für den Anschlag etwas zurückhaltender.
Hakim ist ziemlich sicher wegen seiner Kollaboration mit den Besatzungsmächten als Opfer ausgesucht worden. Die Liste derer, die ein Motiv hätten, seinen Tod herbeizuwünschen, ist jedoch keineswegs auf Al-Quaida oder die Überreste des abgesetzten Baathisten-Regimes begrenzt.
Als Führer des Obersten Rates der Islamischen Revolution im Irak (SCIRI) war Hakim über zwanzig Jahre lang eng mit dem islamischen Regime im Iran verbunden. Teheran finanzierte und bewaffnete eine SCIRI-Miliz, die Badr-Brigade. Diese Miliz kämpfte Berichten zufolge im iranisch-irakischen Krieg, der das Leben Hunderttausender Iraker forderte, auf iranischer Seite.
Noch bis vor kurzem wurde der SCIRI von der US-Regierung als terroristische Organisation bezeichnet. (Diese Bezeichnung trägt er sogar noch in einem Bericht der Nationalen Kommission für terroristische Angriffe vom Juli dieses Jahres.) Während der US-Invasion im Irak im Frühjahr warnte US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, dass Mitglieder der Badr-Brigade als feindliche Kämpfer behandelt würden, wenn sie einen unabhängigen Kampf gegen das Saddam-Hussein-Regime aufnähmen.
In der Folge kamen Hakim und die US-Regierung zu einer Übereinkunft, wobei der SCIRI einwilligte, seine schweren Waffen abzugeben, und Hakim seine anfängliche Opposition gegen jede US-Besatzung aufgab. Stattdessen forderte der Ayatollah seither den Übergang zu einer irakischen Regierung.
Obwohl Washington den Schiitenführer im Verdacht hatte, als Handlanger für Teheran zu agieren, betrachtete es Hakims Beitritt zum Regierenden Rat als einen seiner wichtigsten diplomatischen Erfolge seit Beginn der Besatzung. US-Vertreter bemühten sich verzweifelt zu verhindern, dass nationalistische Gefühle unter den Schiiten, der Mehrheit der irakischen Bevölkerung, in eine offene Revolte umschlugen.
Dies Problem bereitet nicht nur den US-Behörden im Irak, sondern auch anderen Regierungen in der Region große Sorgen. Irans krisengeschütteltes islamisches Regime fürchtet, Unruhen im Irak könnten auch zu wachsender Unruhe unter seiner eigenen Bevölkerung führen. Nach der US-Invasion im Irak ist auch die saudische Monarchie mit wachsender Unzufriedenheit ihrer eigenen schiitischen Minderheit konfrontiert, die etwa zehn Prozent der Bevölkerung ausmacht und sich stark auf die ölreichen Ostprovinzen des Landes konzentriert.
Die irakischen Schiiten sind selbst gespalten. Ein rivalisierender religiöser Führer, Muktada al-Sadr, hat eine Zusammenarbeit mit der Besatzung von sich gewiesen und sich für stärkeren Widerstand eingesetzt. Als Hakims Onkel kaum eine Woche vor dem Attentat von Nadschaf knapp einem Bombenanschlag entkam, fiel der erste Verdacht auf Sadrs Anhänger.
Um unmittelbar nach der Invasion die schiitische Mehrheit zu beeinflussen, flogen die USA einen weiteren, ihnen freundlich gesinnten Kleriker, Abd al-Madschid al-Chui, aus seinem Londoner Exil zurück in den Irak. Er wurde von einer wütenden Menge in Nadschaf angegriffen und getötet.
Trauernde skandieren: "Nieder mit Amerika!"
Wer auch immer für den jüngsten Bombenanschlag verantwortlich ist, die trauernden Massen in Nadschaf sahen jedenfalls am Samstag in der US-Besatzung den wahren Schuldigen an der Tragödie. Als sie zum Schrein des Imam Ali zogen, wo das Attentat stattgefunden hatte, skandierten viele Tausende: "Nieder mit Amerika!", und trugen Transparente, auf denen Bush mit Saddam Hussein verglichen wurde.
Der Anschlag von Nadschaf erfolgte nur zehn Tage nach dem Bombenanschlag auf das UN-Hauptquartier in Bagdad, das 23 Todesopfer forderte, und dem Attentat auf die jordanische Botschaft, bei dem am 7. August 19 Menschen getötet wurden.
Diese Anschläge haben Washingtons Behauptung Lügen gestraft, dass sich der Irak langsam auf die "Normalität" zu bewege, und bewiesen, dass die US-Besatzungsarmee von 140.000 Soldaten nicht in der Lage ist, die Sicherheit im Land zu gewährleisten. Das Ergebnis ist ein Exodus des Personals der Vereinten Nationen und von Nicht-Regierungs-Organisationen, die in den Irak gekommen waren, um humanitäre Hilfe zu leisten oder am Wiederaufbau teilzunehmen.
UN-Vertreter erklärten nach dem Anschlag von Nadschaf, dass sie einen völligen Rückzug ins Auge fassten. "Je mehr wir über die Situation erfahren, und je mehr wir darüber nachdenken, desto mehr fragen wir uns innerhalb der Organisation, ob es noch sicher ist, die Mission dort fortzuführen", erklärte ein Spitzenfunktionär gegenüber Agence France Press.
Der Leiter der US-Besatzung, L. Paul Bremer, befand sich außerhalb des Irak im Urlaub, als der Bombenanschlag stattfand. Er hat nicht die Absicht, wegen des Attentats früher zurückzukehren. Eine erste Erklärung seines Büros versicherte "die irakische Polizei unserer vollen Zusammenarbeit in dieser wichtigen Untersuchung".
Diese Art, sich herauszuhalten, scheint einerseits ein Anzeichen von Schock und Durcheinander bei den US-Politikern angesichts der bedrohlichen Wende der Ereignisse im Irak zu sein, und andererseits das Bemühen Washingtons auszudrücken, den irakischen Regierenden Rat jetzt bei der Abgabe von Stellungnahmen zu solchen Ereignissen vorzuschicken, um der US-Besatzung sozusagen ein "irakisches Gesicht" zu geben.
Ein Mitglied des Rates, das der New York Times ein Interview gab, drückte die Machtlosigkeit dieses Gremiums aus. Er sagte dem Reporter, vermutlich schreibe jemand eine Erklärung, er sei aber nicht sicher, weil die Ratsmitglieder kein Telefon hätten.
Angesichts eines möglichen Bürgerkriegs im Irak und zunehmenden Guerillaaktivitäten gegen die US-Armee gab Verteidigungsminister Donald Rumsfeld eine Erklärung ab, die den Anschlag in Nadschaf dem "Erfolg" der US-Besatzung zuschrieb. "Angesichts des wachsenden Erfolgs in dieser Übergangszeit ist es möglich, dass Gegner des Erfolgs und eines freien Irak ihre Verzweiflungstaten fortsetzen", sagte er.
Bremer: Kosten im Irak "können unmöglich überschätzt werden"
Andere Regierungsbeamte schätzen die immer schlimmere Situation der US-Besatzung etwas nüchterner ein. Bremer selbst erklärte vor kurzem, man könne die Kosten des Wiederaufbaus "kaum überschätzen". Man werde auch von anderen Ländern "mehrere Dutzend Milliarden Dollar" dazu brauchen.
Weder er selbst noch sonst jemand in der Regierung hat zu der Frage Stellung genommen, welche Kosten auf die US-Regierung zukommen. Die vom Kongress für diesen Zweck bewilligten 2,5 Milliarden Dollar sind, wie auch das konfiszierte Geld aus irakischen Auslandskonten, bereits ausgeschöpft, und die Regierung scheint weitere drei Milliarden Dollar beantragen zu wollen, um die Aktivitäten in Bagdad bis zur Verabschiedung eines weiteren Budgets noch in diesem Jahr aufrechterhalten zu können. Allein die mit der Militärbesatzung verbundenen Kosten belaufen sich mittlerweile auf eine Milliarde Dollar pro Woche. Dies kommt zu den Kosten für die Aufrechterhaltung der Militäroperationen in Afghanistan hinzu, die sich seit fast zwei Jahren auf eine Milliarde Dollar monatlich belaufen.
Anfangs war die Bush-Regierung davon ausgegangen, die Kosten der Besatzung - nicht zu reden von den lukrativen Kontrakten, die sie ohne Ausschreibung direkt an Konzerne wie Halliburton oder Bechtel vergab, die eng mit den Republikanern verbunden sind - könnten aus der Förderung und dem Verkauf irakischen Öls bestritten werden. Dies hat sich als illusorisch erwiesen, wie so viele andere Vermutungen der Regierung über die Nachkriegssituation im Irak.
Die Ölfelder sind nach den zehnjährigen Wirtschaftssanktionen, den Kriegsschäden und Nachkriegsplünderungen völlig heruntergekommen. Unaufhörliche Sabotageakte haben die Versuche zunichte gemacht, irgendwelche Profite aus der Ölproduktion zu gewinnen. Am 30. August ging die Pipeline, die Öl aus den nördlichen Ölfeldern bei Kirkuk in die Türkei transportiert, nach einer Explosion in Flammen auf - die vierte solche Explosion, seitdem sie Anfang August kurz wieder in Betrieb genommen worden war.
Versuche Washingtons, wirtschaftliche und militärische Unterstützung für ihr koloniales Projekt in Irak zusammen zu trommeln, verliefen laut einem Bericht in der Los Angeles Times ohne Ergebnis: "US-Politiker sagen, ihre Bemühungen um zusätzliche Hilfe, die von einigen scherzhaft Operation Sammelbüchse genannt werden, seien lang und frustrierend", berichtete die Zeitung.
Inzwischen steigen die Zahlen der Opfer unter den US-Besatzern immer weiter an. Zwei weitere Soldaten fielen am Samstag in der Nähe von Kirkuk einem Granateneinschlag zum Opfer. 143 Soldaten wurden seit dem 1. Mai getötet, als Bush die Kampfhandlungen im Wesentlichen für beendet erklärte. Die Zahl der nach dem Krieg Getöteten hat diejenige übertroffen, die im Verlauf der Invasion selbst zu Tode kamen.
Seit Beginn des Kriegs hat die Bush-Regierung jede wichtige Rolle für die UN im Irak abgelehnt. Eifersüchtig bewahrt sie die alleinige Kontrolle der USA, um ungehindert über den Ölreichtum des Landes verfügen zu können und sicherzustellen, dass amerikanische Konzerne die Profite aus der Privatisierung der irakischen Industrie und dem Wiederaufbau der kriegszerstörten Infrastruktur ernten können. Washington ist entschlossen, ein Marionettenregime zu schaffen, um seine Interessen in der Region und ungehinderten Zugang zu Militärstützpunkten und irakischem Öl zu garantieren.
Die rechtesten Elemente, die sich im Pentagon und im Büro von Vizepräsident Cheney konzentrieren, sehen den Irak außerdem als Testfall für die Doktrin des Präventivkriegs und des unilateralen Einsatzes militärischer Mittel an, mit denen sie die Interessen des amerikanischen Kapitalismus auf der ganzen Welt sichern wollen. Diese Kräfte, die den größten Einfluss auf die Bush-Regierung haben, würden das Zugeständnis einer beschlussfassenden Rolle für die UNO über die Besatzung des Irak als einen erniedrigenden und gefährlichen Rückzug betrachten.
Dennoch ließ der stellvertretende Außenminister Richard Armitage letzte Woche einen Vorschlag an die Medien durchsickern, man werde der UN bei der Militärbesatzung eine größere Rolle zubilligen. Das durchsichtige Ziel dieses Vorschlags besteht darin, eine Art UN-Resolution zu ermöglichen, die der Türkei, Pakistan und Indien ein politisches Feigenblatt verschafft, wenn sie Truppen in den Irak schicken, um die Militäraktionen der USA zu unterstützen.
Im Gegensatz dazu haben Elemente in der zivilen Führung des Pentagon und der irakische Regierende Rat den schnellen Aufbau einer irakischen Miliz gefordert, um den USA einen großen Teil der Sicherheitsaufgaben abzunehmen. Dieser Vorschlag findet offensichtlich die größte Unterstützung bei Ahmed Tschalabi, dem US-protegierten Auslandsiraker und verurteilten Bankbetrüger, der im Pentagon eifrige Sponsoren hat.
Vor dem Krieg tobte ein langer Konflikt zwischen denjenigen - vor allem im Pentagon und in Cheneys Büro - die eine schnelle Einsetzung Tschalabis als Leiter eines Marionettenregimes nach der Entmachtung Saddam Husseins befürworteten, und jenen - vor allem in der CIA und dem Außenministerium - die Tschalabi keine öffentliche Unterstützung unter Irakern zubilligten und seine Einsetzung als US-Quisling als einen direkten Weg in die Katastrophe betrachteten.
Die Anti-Tschalabi Fraktion hatte sich anfangs durchgesetzt, und seine von den USA ausgebildete Miliz, die sogenannten Freien Irakischen Kräfte, wurden in den ersten Tagen der US-Besatzung entwaffnet und aufgelöst, weil sie offenbar in kriminelle Aktivitäten verstrickt waren. Heute fühlt sich die Pro-Tschalabi Fraktion angesichts der drohenden Katastrophe für die US-Besatzung wieder ermutigt, die Einsetzung ihres Proteges als starken Mann von Amerikas Gnaden im Irak zu verlangen.
Jede Anstrengung, eine vereinigte irakische Miliz zu schaffen, würde zweifellos die verschiedenen Gruppen, die mit den USA zusammenarbeiten - Tschalabi, die SCIRI, die Kurden - ermutigen, die Machtposition ihrer eigenen Milizen zu fördern, was die Gefahr eines Bürgerkrieg verstärken würde.
Der tiefer werdende Sumpf im Irak ist das Ergebnis eines illegalen Krieges, der allein den Interessen der US-Konzernelite dient. Den Ratschlägen der "liberalen" Experten und Politiker der Demokratischen Partei zum Trotz - von der Entsendung weiterer US-Soldaten über eine größere Autorität der UNO bis hin zur schnellen Schaffung eines irakischen Marionettenregimes - kann unmöglich etwas Fortschrittliches, Demokratisches oder Humanes aus einem derart kriminellen Unterfangen entstehen. Das irakische Volk hat die Amerikaner und Briten nicht gebeten, einzumarschieren und ihr Land zu besetzen. Die notwendige Voraussetzung eines wirklichen Wiederaufbaus des Irak ist der sofortige und bedingungslose Abzug aller amerikanischen und alliierten Truppen aus dem Land.
Gleichzeitig muss eine gründliche, unabhängige und öffentliche Untersuchung der Verschwörung stattfinden, die zu diesem imperialistischen Krieg geführt hat. Alle, die politisch dafür verantwortlich sind, müssen bestraft werden.