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US-Presse diskutiert ethnische Teilung des Irak

Von Bill Vann
27. November 2003
aus dem Englischen (26. November 2003)

Unter den Schlägen des wachsenden Widerstands gegen die militärische Besetzung des Irak sucht die Bush-Regierung nach einer neuen Strategie zur Sicherung ihrer wichtigsten Kriegsziele - der Eroberung der Ölvorkommen und der Einsetzung einer US-hörigen Regierung in der strategisch wichtigen Region.

Die hohle Ankündigung Washingtons, dass bis Mitte nächsten Jahres eine "souveräne" irakische Regierung die Amtsgeschäfte übernehmen werde, konnte die erbitterten Kämpfe nicht beenden, die Tag für Tag Hunderte amerikanische Soldaten das Leben kosten und in den USA selbst für immer mehr politische Unruhe sorgen.

In dieser Situation entwickelt die New York Times, eine der führenden Tageszeitungen der USA, Planspiele für ein Blutbad. Sie stellt eine sogenannte "Dreistaatenlösung" zur Diskussion, in deren Rahmen der Irak nach ethnischen und religiösen Kriterien geteilt werden soll.

Ein entsprechender Vorschlag erschien am 25. November in einer Kolumne von Leslie Gelb, einem früheren Herausgeber und langjährigen Kommentator der Times. Gelb fordert die Teilung des Irak zwischen "den Kurden im Norden, den Sunniten in der Mitte und den Schiiten im Süden".

Er fährt fort: "Dies würde Amerika auf einen Schlag in die Lage versetzen, seine Mittel und seine Soldaten dorthin zu schicken, wo sie kurzfristig am meisten ausrichten könnten - zu den Kurden und den Schiiten. Die USA könnten den Großteil ihrer Gruppen aus dem sogenannten Sunnitendreieck nördlich und westlich von Bagdad abziehen und damit amerikanischen Soldaten weitgehend einen kostspieligen Krieg ersparen, den sie womöglich nicht gewinnen. Die Führung der USA könnte dann einfach abwarten, bis die streit- und herrschsüchtigen Sunniten, des Öls und der Öleinkünfte beraubt, entweder ihre Ansprüche herunterschrauben oder die Folgen zu spüren bekommen."

Der Ursprung von Gelbs Vorschlag liegt unverkennbarer in einem anderen Dreieck: dem reaktionären Nexus zwischen dem US-Außenministerium, dem israelischen Geheimdienst und der Redaktion der New York Times.

Bis vor kurzem saß Gelb noch dem Council on Foreign Affairs vor, einer einflussreichen Expertenkommission in Washington, die sich aus Konzernchefs, Beamten der CIA und des Außenministeriums sowie ausgewählten Journalisten und Akademikern mit engen Verbindungen zu diesen Kreisen zusammensetzt. Gelb selbst stellte sich als Kolumnist und Herausgeber der Times in den Dienst des Pentagons und des Außenministeriums. Seine jüngste Stellungnahme zum Irak formuliert zweifellos politische Pläne, die gegenwärtig in den obersten Kreisen der US-Regierung erwogen werden.

Der von Gelb erläuterte Teilungsvorschlag hätte für Washington in erster Linie den Vorteil, dass es seine Soldaten in diejenigen Gebiete entsenden könnte, denen die größte strategische Bedeutung zukommt: die Ölfelder des vorwiegend schiitischen Südens und des kurdischen Nordens, während sich die sunnitische Bevölkerung, die seit der Zeit des Osmanischen Reiches das politische Leben des Irak dominiert und der US-Besatzung am feindlichsten gegenübersteht, in einem isolierten, jeglicher Rohstoffe beraubten Zwergstaat wiederfinden würde.

Genau wie die Briten nach dem Ersten Weltkrieg die Grenzen des Irak künstlich festlegten, um ihre kolonialen Ambitionen zu befriedigen und sich die Ölfelder einzuverleiben, so könnten diese Grenzen, Gelbs These zufolge, von den USA als der heutigen Imperialmacht im Interesse ähnlicher Ziele neu gezogen werden.

Nicht nur in Washington trifft dieser Vorschlag auf Zustimmung. Die Teilung des Irak ist seit langem ein strategisches Ziel der israelischen Regierung. Offen ausgesprochen wurde dies in einem Artikel, der 1982, am Vorabend des israelischen Einmarschs im Libanon und mitten während des iranisch-irakischen Krieges, in der Publikation Kivunim erschien, die von der World Zionist Organization herausgegeben wird. Der Verfasser, Oded Yinon, war ein Beamter des israelischen Außenministeriums. Unter der Überschrift "Eine Strategie für Israel in den 1980er Jahren" hieß es in diesem Artikel unter anderem:

"Der Irak, mit seinem Ölreichtum und seinen inneren Widersprüchen, wird mit Sicherheit von Israel ins Visier genommen werden. Seine Auflösung ist für uns noch wichtiger, als diejenige Syriens. Der Irak ist stärker als Syrien. Auf kurze Sicht geht von der Stärke des Irak die größte Bedrohung für Israel aus. Ein irakisch-iranischer Krieg wird den Irak auseinander reißen und den Sturz seiner Regierung herbeiführen, bevor er noch in der Lage ist, auf breiter Front einen Kampf gegen uns zu organisieren. Innerarabische Kämpfe jeglicher Art kommen uns in kurzer Frist zugute und verkürzen den Weg zu dem übergeordneten Ziel, den Irak, wie bereits Syrien und den Libanon, in Religionsgemeinschaften zu zerstückeln. Für den Irak bietet sich eine Aufteilung in ethnische/ religiöse Einheiten an, wie sie in Syrien während des Osmanischen Reichs gegeben war. Dann werden sich um die drei großen Städte Basra, Bagdad und Mosul drei (oder mehr) Staaten gruppieren, und die schiitischen Gebiete im Süden werden sich von dem sunnitischen und kurdischen Norden lostrennen. Möglicherweise wird der heutige Konflikt zwischen Iran und Irak diese Polarisierung vorantreiben."

Israel bemühte sich tatkräftig um die Förderung einer solchen Entwicklung, indem es sowohl der Khomeini-Regierung im Iran als auch den kurdischen Separatisten im Irak verdeckte Unterstützung zukommen ließ.

Washington hatte sich bislang einer solchen Teilung widersetzt, weil sie die gesamte Region destabilisiert und ein strategisches Gegengewicht zum Iran gefährdet hätte, der nach der Revolution von 1979 als die größere Bedrohung der US-Interessen galt. Wenn die USA heute allerdings planen, auf irakischem Boden ständige Militärstützpunkte aufrechtzuerhalten und neue Kriege in der Region planen, gelten diese Voraussetzungen nicht mehr.

Das Erschreckendste an Gelbs Überlegungen ist seine völlige Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal der irakischen Bevölkerung, vom Völkerrecht ganz zu schweigen.

Er warnt, dass die sunnitische Bevölkerung im Zentralirak "möglicherweise die recht großen Minderheiten bestrafen wird", die nicht in den Bereich der neuen ethnisch definierten Staaten im Norden und Süden fallen. "Diese Minderheiten müssen genügend Zeit und das nötige Kleingeld erhalten, um sich irgendwie zu arrangieren oder ihre Umsiedelung in den Norden oder Süden zu bewerkstelligen", schreibt er. "Dies wäre ein unschönes und gefährliches Unterfangen, und die USA müssten diese Bevölkerungsbewegungen finanzieren und unter ihren militärischen Schutz stellen."

Dieser Plan ist gleichbedeutend mit der Entwurzelung von Millionen Menschen und der Anzettlung eines ethnischen Blutbads, wie man es seit der von Großbritannien initiierten Teilung Indiens vor 55 Jahren nicht mehr gesehen hat. Damals wurden eine Million Hindus, Moslems und Sikhs niedergemetzelt, und etwa 14 Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben.

Das größte Wohnviertel Bagdads, Sadr City - ein ausufernder Slum, der nach einem unter Saddam Hussein getöteten Schiitenführer benannt ist - hat rund zwei Millionen Einwohner, die meisten sind Schiiten. Diese verarmten Menschen, die größtenteils niemals irgendwo anders gelebt haben, sollen sich also "irgendwie arrangieren" oder nach Süden umsiedeln. Dasselbe gilt offenbar für die bedeutenden assyrischen und turkmenischen Bevölkerungsgruppen im Norden.

In diesem Zusammenhang ist interessant, dass Gelb neben dem Times -Kolumnisten Anthony Lewis Mitte der 1990er Jahre zu den vehementesten Befürwortern einer Intervention der USA auf dem Balkan zählte. Damals verlangte er, dass Washington die Serben für ihre "ethnischen Säuberungen" bestrafe. Heute tritt er für ethnische Säuberungen im Irak ein.

Gelb beruft sich sogar auf die 1991 einsetzende Zerstückelung des jugoslawischen Bundesstaates nach ethnisch-nationalistischen Kriterien als "vielversprechenden Präzedenzfall" für seine Pläne hinsichtlich des Irak. Seine Kolumne beweist erneut, dass die politisch Verantwortlichen in den USA - ungeachtet der Menschenrechtspropaganda, mit der USA und NATO ihren Angriff auf Serbien im Jahr 1999 rechtfertigten - gegenüber ethnischen Säuberungen eine durchaus flexible Haltung haben. Es kommt immer darauf an, wer sie durchführt und ob sie den strategischen Interessen Washingtons dient.

"Der Einsatz übermächtiger militärischer Stärke bot die größte Chance für den Erhalt Jugoslawiens, aber er scheiterte", schreibt Gelb. "Und der Preis für den Versuch, die Entstehung natürlicher Staaten zu verhindern, war entsetzlich."

Hier liefert der ehemalige Mitarbeiter des Pentagons und des Außenministeriums sowie frühere Times -Herausgeber nicht nur eine falsche und eigennützige Erklärung für den Zerfall Jugoslawiens, sondern gewährt auch einen Einblick in die reaktionären Auffassungen, die Washingtons angeblichem Feldzug für die Demokratie im Irak zugrunde liegen. Der Zerfall Jugoslawiens war nicht der Triumph "natürlicher Staaten" gegenüber "übermächtiger militärischer Stärke". Er war ein Nebenprodukt der wirtschaftlichen "Schocktherapie", die der Internationale Währungsfonds und andere internationale Finanzinstitutionen erzwangen. Diese Politik führte zum Zusammenbruch der Volkswirtschaft und vernichtete die Arbeitsplätze und den Lebensstandard der breiten Bevölkerungsmasse.

Um die daraus folgende soziale Unzufriedenheit von sich selbst abzulenken, schürten die regierenden stalinistischen Bürokraten und chauvinistische Demagogen nationalistische Einstellungen und bemühten sich gleichzeitig um den Schutz der großen westlichen Staaten. Das Hauptziel Washingtons und der übrigen imperialistischen Länder bestand nun darin, die Splitter des ehemaligen Jugoslawiens in ebenso viele Halbkolonien zu verwandeln.

Auch mit einer Aufteilung des Irak würden nicht irgendwelche lange unterdrückten Forderungen nach einer "Selbstbestimmung" der Volksgruppen verwirklicht, sondern das irakische Volk gewaltsam den Interessen des US-Imperialismus unterworfen.

Die Vorstellung, der Irak sei eine Ansammlung "natürlicher Staaten", bestehend aus verschiedenen Volksgruppen, die eine Trennung herbeisehnen, ist nicht nur rückständig, sondern selbst vom Standpunkt der US-Politik in der Region völlig widersprüchlich.

Wenn Washington wirklich die Konzeption "natürlicher", d. h. ethnisch definierter Staaten verfolgen wollte, dann müsste es auch den Zusammenschluss des kurdischen Volkes begrüßen, das gegenwärtig durch Staatsgrenzen auf den Irak, die Türkei, den Iran und Syrien aufgeteilt ist. Ebenso müsste es sich dafür einsetzen, dass sich die Schiiten im Südirak mit ihren Glaubensgenossen im benachbarten Iran, und natürlich auch im östlichen Saudi-Arabien, in einem einzigen Staat vereinen. Doch die Bush-Regierung hat deutlich zu verstehen gegeben, dass sie ihre "übermächtige militärische Stärke" gegen jeden einsetzen würde, der eine solche "natürliche" Staatenbildung in die Tat umsetzen wollte.

Der Vorschlag, den Irak nach ethnischen Gesichtspunkten zu teilen, bringt unverkennbar den Raubcharakter der US-Intervention zum Ausdruck. Ungeachtet des Geredes über die "Befreiung des Irak", der angeblich zum "demokratischen Lichtblick" des Nahen Ostens werden soll, beweisen Gelbs Konzepte, dass Washington keine Lösung für die komplexen historischen und politischen Probleme des Irak hat. Sein einziges Ziel besteht darin, bestehende Spaltungen auszunutzen, um die Profitinteressen der Ölkonzerne und anderer in den USA ansässiger Unternehmen und Banken zu befördern.

Eine ethnische Zerstückelung des Irak hätte weit reichende Implikationen für den gesamten Nahen Osten, dessen Staatsgrenzen in keinem Fall ein "natürlicher" Ausdruck ethnischer Zugehörigkeit sind, sondern ein Vermächtnis früherer Aufteilungen der Region zwischen dem britischen und dem französischen Imperialismus. Jeder beliebige dieser Staaten könnte auf ethnischen Grundlagen aufgeteilt werden, und es gibt in der Tat schon entsprechende Pläne. Die zivile Führung des Pentagon diskutiert beispielsweise bereits, ob nicht mit Hilfe einer schiitischen Abspaltung von Saudi-Arabien, genannt "Moslemische Republik Ostarabiens", der niedergehenden Monarchie die riesigen Ölvorkommen des Landes aus den Händen genommen werden könnten.

Eine Politik nach diesem Muster besitzt für die israelische Regierung große Anziehungskraft, die weit über ihre Sicherheitsinteressen und regionalen Ambitionen hinausgeht. Das Prinzip, dass Staatsgrenzen nach ethnischen und religiösen Kriterien gezogen werden sollten, entspricht direkt der Forderung von Teilen des rechtsgerichteten Likud-Blocks nach einem "Transfer". Diese Politik bedeutet, dass die palästinensische Bevölkerung sowohl aus den besetzten Gebieten als auch aus den Grenzen Israels vor 1967 vertrieben werden soll, um einen ausschließlich jüdischen Charakter des zionistischen Staates zu gewährleisten. Wenn die USA tatsächlich beginnen würden, in großem Stil die Bevölkerung des Irak umzusiedeln, dann könnte Israel zu einer ähnlichen Politik ermutigt werden.

Was die New York Times betrifft, so setzt sie mit der Veröffentlichung der jüngsten Empfehlung ihres ehemaligen Herausgebers an die Bush-Regierung ihre Unterstützung und Rechtfertigung eines illegalen Krieges und ihre langjährige Verteidigung der Interessen Israels fort. Doch mit Gelbs Kolumne ließ sie die Maske einer liberalen, humanitären Gesinnung fallen, um offen einem Verbrechen welthistorischen Ausmaßes das Wort zu reden.

Siehe auch:
Amerikanische Medien befürworten US-Gräueltaten im Irak
(22. November 2003)
Bush gelobt jahrzehntelangen Krieg um "Demokratie" im Nahen Osten
( 12. November 2003)