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Bush gelobt jahrzehntelangen Krieg um "Demokratie" im Nahen Osten

Von Bill Vann
12. November 2003
aus dem Englischen (8. November 2003)

In einer Rede vor der Nationalen Stiftung zur Förderung der Demokratie (NED) stellte Präsident Bush am letzten Donnerstag die militärische Besetzung des Irak als erste Stufe eines Kreuzzugs für "Demokratie" in der Region dar, der "noch Jahrzehnte" andauern werde.

Er machte klar, dass ihn weder die wachsende Zahl amerikanischer Opfer abschrecken werde (dreißig weitere Soldaten sind diese Woche getötet worden), noch die immer größere Zahl von Meinungsumfragen, die eine wachsende Opposition gegen den Krieg im eigenen Land dokumentieren. Bush erklärte, Washington habe "einen neuen politischen Kurs eingeschlagen, eine Vorwärtsstrategie für die Freiheit im Nahen Osten". Er ließ erkennen, dass die Pläne seiner Regierung für weitere Militärinterventionen in der Region schon weit vorangeschritten sind.

"Die Demokratie im Irak wird siegen, und ihr Erfolg wird von Damaskus bis Teheran die Botschaft verbreiten, dass Freiheit künftig in jedem Land möglich ist", sagte Bush. "Der Aufbau eines freien Irak im Herzen des Nahen Ostens wird ein Wendepunkt in der globalen demokratischen Revolution sein."

Diese These ist das Echo auf eine vor dem Krieg entwickelte Theorie der rechten Ideologen in der zivilen Führung des Pentagon, die die eigentlichen Architekten des Kriegs waren. Sie behaupteten, dass ein kühner amerikanischer Militärschlag, der Saddam Hussein schnell stürzen werde, im ganzen Nahen Osten "Furcht und Entsetzen" verbreiten, die Regime in Iran und Syrien wie Dominosteine zu Fall bringen und das palästinensische Volk veranlassen werde, seinen Widerstand gegen die israelische Aggression aufzugeben.

Es handelt sich um die gleichen Leute, die den Irak beschuldigt hatten, er stehe kurz davor, Nuklearwaffen zu produzieren, und die dem amerikanischen Volk versichert hatten, die US-Soldaten würden als Befreier mit Blumen begrüßt.

In Wirklichkeit haben die schrecklichen Ereignisse im Irak die Völker der arabischen Welt in ihrer Feindschaft gegen den US-Imperialismus stärker zusammengeschweißt. Die überwiegende Mehrheit betrachtet den Irak nicht als "frei", sondern ist der Ansicht, Washington sei in ein neues Stadium der Kolonialpolitik eingetreten und benutze seine Militärmacht, um das Öl unter Kontrolle und die Region unter amerikanische Vorherrschaft zu bringen. Die Aktionen der Widerstandskämpfer, die versuchen, die US-Truppen aus dem Land zu werfen, stoßen auf weitverbreitete Sympathie.

Bushs Festhalten an der Schimäre eines Kriegs für "Demokratie" ist ein Anzeichen dafür, dass entscheidende Teile der amerikanischen herrschenden Elite fest entschlossen sind, an der katastrophalen Politik im Irak festzuhalten, und einen Rückzug als strategische Niederlage für ihre globalen Interessen sähen.

Der Versuch, eine räuberische Politik unter Berufung auf eine spezielle amerikanische Mission zu bemänteln, auf der ganzen Welt für Freiheit und Demokratie zu sorgen, ist keine Erfindung Bush's, wie er selbst eingestand. Bush verglich seine neue Nahost-Doktrin mit Woodrow Wilsons "Vierzehn Punkten" und Franklin D. Roosevelts "Vier Freiheiten".

Der US-Imperialismus hat seine globalen Ambitionen traditionell als Ausdruck einer aufrechten demokratischen Gesinnung hingestellt. Wilson verkündete, anders als die europäischen Mächte, die nach geopolitischen Vorteilen und der Kontrolle über die Ressourcen und Märkte der Welt strebten, bestehe der einzige Zweck des amerikanischen Eingreifens in den ersten Weltkrieg darin, "die Welt für die Demokratie zu sichern". Die US-Intervention im zweiten Weltkrieg wurde in ähnlicher Weise als selbstloser Kreuzzug gegen den deutschen Faschismus und den japanischen Militarismus dargestellt.

Während der Zeit des Kalten Krieges stellte Washington jeden Akt der Aggression - von der Ermordung von drei Millionen Menschen im Vietnamkrieg bis hin zu den verschiedenen faschistisch-militärischen Staatsstreichen, die den größten Teil Lateinamerikas in Diktaturen verwandelte - als Kampf für die "Demokratie" dar.

Niemals jedoch wurde die Demokratie derart heuchlerisch bemüht, wie in dieser Rede Bushs vor der NED - einem Gremium, das von der Reagan-Regierung gegründet worden war, um einen Deckmantel für subversive konterrevolutionäre Aktionen zu schaffen, die vorher verdeckt von der CIA durchgeführt worden waren.

Es ist ein Akt von atemberaubender, zynischer Arroganz, wenn Bush sich als Vorkämpfer der demokratischen Befreiung hinstellt, nachdem die USA gerade einen völkerrechtswidrigen Aggressionskrieg gegen den Irak geführt haben und das Land mittels eines militärischen Besatzungsregimes beherrschen. Es ist gleichzeitig eine Warnung, dass Washington sich das Recht anmaßt, in jedem beliebigen Land mit solchen Methoden "Demokratie" einzuführen. Weder nationale Souveränität, noch internationales Recht oder Rücksicht auf die Zivilbevölkerung werden ihm dabei im Weg stehen.

Bush ging sogar so weit zu behaupten, seine neue Politik im Nahen Osten sei eine Korrektur der bisherigen fehlerhaften US-Politik in dieser Region. "Sechzig Jahre lang haben westliche Nationen den Mangel an Freiheit im Nahen Osten hingenommen, und das hat nichts dazu beigetragen, uns mehr Sicherheit zu verschaffen, denn langfristig kann Stabilität nicht auf Kosten der Freiheit gewonnen werden", erklärte Bush.

Der US-Präsident gibt hier vor, Washington habe sich lediglich nachlässig gegenüber den demokratischen Bestrebungen der Menschen im Nahen Osten verhalten. Hört man diese zusammengeschusterte Geschichtsversion, käme man kaum auf die Idee, dass die größten Despoten der Region - vom Schah von Persien bis zur saudischen Monarchie - politische Werkzeuge waren, die direkt von Washington eingesetzt oder aufgebaut und zur Herrschaft über die Region und ihre strategischen Ressourcen benutzt wurden. Zu diesem Zweck unterdrückten sie die Kämpfe der Bevölkerung um demokratische Rechte und sozialen Fortschritt.

Wo es ihren Interessen dient, werden die USA auch weiterhin mittels solcher Marionettregime herrschen. Aber Bush kündigt an, dass sich Washington nicht länger an diese Politik gebunden fühlt. Im Namen der "Freiheit" ist es jetzt auch zur direkten militärischen Eroberung und zur kolonialen Besatzung bereit.

Die Rede des US-Präsidenten ließ kaum Zweifel daran, was die nächsten Zielscheiben der amerikanischen "Befreiung" sein werden. Er warnte zwar nicht, wie 2002, vor einer "Achse des Bösen", aber er bedrohte den Iran und brachte ihn mit dem Irak und Nordkorea in Verbindung. Das Regime im Iran, warnte er, müsse "die demokratischen Forderungen des iranischen Volkes beherzigen, oder es verliert seinen letzten Anspruch auf Legitimität". Der Verlust der Legitimität würde unter Bushs Doktrin des Präventivkriegs aus dem Iran einen Kandidaten für einen durch das US-Militär erzwungenen "Regimewechsel" machen.

Außerdem wurde in der Rede die Regierung Syriens mit dem durch die US-Invasion gestürzten Regime Saddam Husseins gleichgesetzt. "Die Diktatoren im Irak und in Syrien versprachen die Wiederherstellung der nationalen Ehre, eine Rückkehr zu früherem Ruhm", erklärte Bush. "Stattdessen haben sie ein Erbe von Folter, Unterdrückung, Elend und Ruin hinterlassen."

Bush stellte die angeblich einzigartige Schlechtigkeit des Iran und Syriens den sogenannten demokratischen Reformen entgegen, die in Ländern mit US-freundlichen Despoten unternommen würden, und ließ keinen Zweifel daran, dass seine Regierung unter dem Deckmantel freiheitlicher Bestrebungen bereit ist, die geopolitischen Interessen der USA mit den brutalsten Methoden zu verteidigen.

Während Bush den Iran - wo regelmäßig Wahlen und öffentliche Demonstrationen stattfinden - vom demokratischen Gesichtspunkt als illegitim kritisierte, hob er Saudi-Arabien - wo politische Parteien, Gewerkschaften und Menschenrechtsgruppen alle verboten sind und die gesamte Nation als Privatbesitz der Königsfamilie verwaltet wird - als Hoffnungsträger für die Region hervor. "Die saudische Regierung unternimmt die ersten Reformschritte, zu denen ein Plan für die schrittweise Einführung von Wahlen gehört. Wenn die saudische Regierung dem saudischen Volk eine größere Rolle in seiner eigenen Gesellschaft überträgt, kann sie wahre Führung demonstrieren."

Dem tut es keinen Abbruch, dass die saudische Regierung regelmäßig Gefangene foltert, öffentliche Auspeitschungen und Amputationen durchführt und Bürger wegen dem "Verbrechen" der Homosexualität hinrichten lässt. Es gehört zum "demokratischen" Lager, weil die Königsfamilie zugestimmt hat, Wahlen für dreißig Prozent der Sitze eines Beratergremiums zuzulassen - in drei Jahren.

In ähnlicher Weise pries Bush Kuwaits Königsfamilie, die eine "direkt gewählte Nationalversammlung" habe. Dass nicht mehr als fünf Prozent der Gesamtbevölkerung des Landes an den Wahlen teilnehmen dürfen, verdient keine Erwähnung, da Kuwait ja die US-Interessen in der Region uneingeschränkt unterstützt.

Auffallend war, dass Bush in seinen Bemerkungen über die Pflege der Demokratie im Nahen Osten mit keinem Wort auf Israel einging. Er erwähnte den israelisch-palästinensischen Konflikt ausschließlich bei seiner gebetsmühlenartigen Wiederholung der üblichen Forderung an die Adresse der Palästinenser, das Problem könne nur gelöst werden, wenn sie jeden Widerstand gegen die 36-jährige illegale israelische Besetzung aufgäben.

"Palästinensische Führer, die demokratische Reformen blockieren und untergraben, und die Hass schüren und Gewalt ermutigen, sind überhaupt keine Führer", erklärte Bush. "Sie sind das Haupthindernis für Frieden und Fortschritt für das palästinensische Volk."

Die Palästinenser und die Bevölkerung der gesamten arabischen Welt leiden also an der falschen Auffassung, das "Haupthindernis für den Frieden" sei die Besatzung selbst. Wie unter Bedingungen einer Militärbesatzung Demokratie entstehen soll - einer Besatzung, die einhergeht mit der Beschlagnahme palästinensischen Landes durch zionistische Siedler, außergerichtlichen Tötungen, der Zerstörung von Häusern und der Lähmung jeglichen Wirtschaftslebens durch ständige Straßensperren, Heckenschützenfeuer und einem Sicherheitswall, der die Palästinenser in lebensunfähige Ghettos einsperrt - dafür blieb Bush jede Erklärung schuldig.

Die USA haben sich Wahlen in den Palästinensergebieten widersetzt, weil sie wussten, dass die Palästinenser Politiker wählen würden, die nicht von Washingtons Gnaden sind.

"Statt auf vergangenen Fehlern herumzureiten und andere zu beschuldigen, müssen die Regierungen im Nahen Osten sich den realen Problemen stellen und den wahren Interessen ihrer Nationen dienen", erklärte Bush in einem obligaten Bezug auf den israelisch-palästinensischen Konflikt. Ist die Existenz Israels - das, mit Washingtons Hilfe bis zu den Zähnen bewaffnet und mit Nuklearwaffen ausgerüstet, aggressiv gegen jeden einzelnen seiner arabischen Nachbarn vorgeht - kein "reales Problem"?

Die "reale Lösung" überrascht da kaum: "Erfolgreiche Gesellschaften privatisieren ihre Wirtschaft und sichern die Eigentumsrechte." Diese Politik wird im Irak per Dekret des US-Prokonsuls Paul Bremer realisiert: die umfangreiche Privatisierung der irakischen Wirtschaft, deren profitträchtigste Filetstücke unter den Hammer kommen und ausländischem Kapital zum Kauf angeboten werden, während die weniger profitablen Unternehmen und mit ihnen die Arbeitsplätze liquidiert werden. Ein zentrales strategisches Ziel des US-Imperialismus in der gesamten Region besteht darin, die bestehende staatliche Kontrolle über Ölproduktion und -reserven aufzubrechen und sie der direkten Kontrolle durch amerikanische Energie-Konglomerate zu unterstellen.

Welche Folgen diese Politik für die arabischen Massen hätte, kann man heute an dem Weg zur "Freiheit" sehen, den die ehemalige Sowjetunion in den neunziger Jahren eingeschlagen hat. Dort wurde die Hälfte der Bevölkerung des Landes in Armut gestürzt, um 17 Milliardären den Aufstieg zu ermöglichen.

Bushs Rede wirft unwillkürlich die Frage auf, welche Referenzen er eigentlich selbst als Vorkämpfer für Demokratie mitbringt. "Während wir die Reformen in der Region beobachten und ermutigen, sind wir uns darüber bewusst, dass Modernisierung nicht das gleiche wie Verwestlichung bedeutet", sagte er seiner Zuhörerschaft im NED. "Repräsentative Regierungen im Nahen Osten werden ihre eigenen Kulturen widerspiegeln. Sie werden nicht wie wir aussehen, und das sollen sie auch nicht."

Heißt das, dass in diesen Ländern Präsidenten gewählt werden, indem die Stimmen ausgezählt werden, und nicht durch die Ernennung des Verlierers durch eine Entscheidung politisch orientierter Richter? Werden sich diese Präsidenten nicht das Recht anmaßen, jeden beliebigen Bürger zu einem "feindlichen Kombattanten" zu ernennen, um ihn ohne Anklage, Anhörung oder Gerichtsprozess unbefristet einzusperren? Bush ließ offen, ob er bereit wäre, in diesen Fragen kulturelle Unterschiede gelten zu lassen.

Die Methoden und das Programm, die Bush im Nahen Osten und weltweit durchsetzt, sind die Ausweitung dessen, was er innerhalb der USA selbst tut. Er steht an der Spitze einer nicht gewählten Regierung, die sich im Innern eine einmalige Machtfülle angeeignet hat, während sie dabei ist, den Reichtum im großen Stil von der Masse der arbeitenden Bevölkerung zur Finanzelite zu übertragen. Im Nahen Osten versucht sie, mit Hilfe militärischer Gewalt eine neokoloniale Herrschaft durchzusetzen, um die Kontrolle über den Ölreichtum des Landes zu usurpieren und den größten Aktienbesitzern der US-Konzerne neue Profitquellen zu erschließen. Das ist die kriminelle Substanz von Bushs "Demokratisierungsoffensive".

Es ist schon ziemlich verrückt, sich einzubilden, eine solche Politik könnte im Nahen Osten ohne Rücksicht auf das bittere Erbe des Kolonialismus und die lange Geschichte blutiger Kämpfe der nationalen Bewegungen gegen Fremdherrschaft durchgesetzt werden. Diese Wahnvorstellung, die arabischen Völker würden die US-Armeen im Namen der "Demokratie" begrüßen, führt schon heute im Irak zu einer Tragödie. Ihre Ausweitung auf die ganze Region wird in der Bevölkerung zum Ausbruch von Revolten führen und den US-Imperialismus unmittelbar vor eine Katastrophe stellen.

Weder in den Medien, noch in den Reihen der demokratischen Partei stieß Bushs Rede auf ernsthafte Kritik. Die Vorstellung, die US-Politik sei von Idealismus und demokratischer Menschenfreundschaft motiviert, wird gemeinhin akzeptiert, obwohl Konzerne wie Halliburton mit den engsten Beziehungen zur Bush-Regierung schamlos im Irak absahnen.

Opposition gegen diese Politik der Eroberung und kolonialen Unterwerfung, die Washington verfolgt, muss aus jenen Schichten der amerikanischen Gesellschaft kommen, die die Kosten tragen müssen, sowohl in wirtschaftlicher Hinsicht, als auch was das Leben junger Soldaten betrifft, die in den Kampf und in den Tod geschickt werden - das heißt, aus der breiten Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung Amerikas.

Siehe auch:
Irakischer Widerstand erschüttert US-Regierung
(31. Oktober 2003)
Imperialismus und Irak: Lehren aus der Vergangenheit
( 18. Juni 2003)
Der Terrorismus und die Entstehung Israels
( 28. Juni 2003)