70.000 demonstrieren in Amsterdam
Von unserem Korrespondenten
24. März 2003
In Amsterdam demonstrierten erneut etwa 70.000 Menschen am Samstag gegen den Krieg der USA und ihrer Verbündeten. Wie auch bei der letzten großen Anti-Kriegsdemonstration am 15. Februar kamen Menschen jeden Alters, zahlreicher Nationalitäten und aus allen sozialen Schichten im Zentrum Amsterdams zusammen. Neben den zahlreichen Plakaten und Transparenten mit den Aufschriften "No War", und "Niet in mijn Naam" (Nicht in meinem Namen) waren viele selbstgefertigte Plakate zu sehen: "Stop Bush-Olie-Garchie" (Olie: niederl. Öl) oder "People of America: Reclaim your Government" (Bevölkerung Amerikas: Bringt eure Regierung vom Kurs ab).
Im Gegensatz aber zum letzten Protest Mitte Februar war das Programm der organisierenden "Platform tegen de nieuwe oorlog" (Plattform gegen den neuen Krieg) offenkundig bewusst unpolitisch gehalten. Nur wenige Sprecher von Migranten-Gruppen, der Kirche oder Hilfsorganisationen wechselten sich auf den Kundgebungspodien mit Musikgruppen ab.
Sprecher politischer Organisationen und Parteien gab es nicht. Dies spiegelt in verzerrter Weise die Krise wieder, in der sich die großen bürgerlichen Parteien in den Niederlanden befinden. Seit Januar diesen Jahres hat das Land keine Regierung. Aus der damals stattfindenden Wahl war die konservative christdemokratische CDA knapp vor der sozialdemokratischen PvdA (Partei der Arbeit) als Sieger hervorgegangen. Nach mehreren vergeblichen Versuchen der CDA mit der LPF (Liste Pim Fortuyn) eine Neuauflage der alten oder mit anderen Parteien eine neue Regierungskoalition einzugehen, verhandelten bis letzte Woche CDA und PvdA über eine große Koalition.
Doch beiden Parteien hat der Irak-Krieg einen Strich durch die Rechnung gemacht. Während die PvdA ähnlich wie die SPD in Deutschland einen Krieg nur unter UN-Mandat unterstützen würde, steht die CDA fest an der Seite der kriegführenden Regierungen der USA und Großbritannien.
Wegen dieser Differenzen wurden für letzten Mittwoch geplante Verhandlungen zur Regierungsbildung abgesagt. Ein Termin für die Wiederaufnahme wurde zunächst nicht festgelegt, wie Jan Balkenende Regierungschef der CDA in einem Fernsehinterview mitteilte.
Viele der 70.000, mit denen die Korrespondenten der WSWS am Samstag in Amsterdam sprachen, waren daher von der offiziellen niederländischen Politik abgestoßen. "Die Politik in den Niederlanden ist eine Farce", sagte Yvon, eine Theater-Technikerin. "Ich bin wirklich angewidert. CDA und PvdA suchen einen Konsens wie es typisch für die niederländische Politik ist. Aber diese Zeiten sind vorbei. Die gesamten Niederlande sind gespalten und in der Schwebe. Nichts geht mehr." Sie war sehr besorgt über die internationale Entwicklung. "Wir sollten nicht vergessen, dass die weltweite Armut durch die Kriege, die jetzt beginnen, weiter wachsen wird - auch in den USA. Dort geben sie z. B. immens viel Geld für Gefängnisse aus. Das ist ihre Art, wie sie auf die Armut reagieren."
Ebenso wie Yvon war auch Mozaffar, ein arbeitsloser Iraner aus der benachbarten Stadt Utrecht, der Meinung, dass der Irak-Krieg nur der Beginn einer ganzen Reihe von weiteren Kriegen sein wird. "Eigentlich war in Afghanistan der erste Krieg, jetzt ist es der in Irak. Weitere Kriege werden folgen. Das internationale Kapital ist in eine Offensive gegangen gegen die Weltbevölkerung. Das benötigt eine internationale Antwort und zwar eine antikapitalistische." Seine Erfahrungen mit Parteien in den Niederlanden, die sich sozialistisch nennen, waren allerdings negativ. "In den Niederlanden gibt es keine progressive Alternative." Er werde sich daher genauer über die WSWS informieren.
Auch Rianne, eine junge Beschäftigte des staatlichen Gesundheitsdienstes, setzte kein Vertrauen in die offizielle Politik. "Bush geht es um Öl, Geld und Weltmacht. Seine Reden von Frieden und Demokratie sind Lügen. Er kämpft für seine eigenen Interessen. Aber auch die Regierungen in Frankreich und Deutschland verfolgen ihre eigenen Ziele. Ich unterstütze zwar nicht Saddam Hussein, doch ihn zu stürzen ist nicht die Aufgabe der USA, sondern des irakischen Volkes. Natürlich brauchen sie dabei Unterstützung, aber die sollte von uns kommen und nicht von irgend einer Regierung, weder aus Europa noch aus Amerika."
Auch ein Sozialarbeiter betonte dies: "Wir sollten keine Illusionen in die Regierungen oder deren Parteien haben, weder in die französische noch in die deutsche. Diese Regierungen sind doch nicht grundsätzlich anders als die US-amerikanische oder die britische Regierung die in keiner Weise die Interessen der Bevölkerung, sondern nur die schmale Oberschicht repräsentieren. Ihre momentanen Differenzen sind Ausdruck ihrer gegensätzlichen Interessen."