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Iran: Tausende protestieren gegen islamisches Regime

Von Justus Leicht
19. Juni 2003

Im Iran haben seit nunmehr sieben Tagen hintereinander mehrere hundert Studenten, denen sich einige Tausend andere Bewohner der Stadt angeschlossen haben, gegen die Islamische Republik demonstriert und sich gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei und den fanatischen Schlägertrupps des Regimes geliefert.

Die Demonstrationen hatten sich ursprünglich gegen die Privatisierung von Universitäten und die Einführung von Studiengebühren gerichtet, sich dann aber rasch ausgeweitet. Manche Einwohner schlossen sich an, viele verursachten absichtlich Verkehrstaus und Hupkonzerte um die Studenten zu unterstützen. Anwohner öffneten ihre Haustüren, um Demonstranten bei sich in Sicherheit zu bringen. Später demonstrierten auch in anderen iranischen Städten mehrere tausend Menschen.

Nach letzten Meldungen sind über 140 Demonstranten verhaftet, zahlreiche verletzt worden. Die Polizei setzte Schlagstöcke und Tränengas ein, paramilitärische Gruppen religiöser Fanatiker scheuten sich nicht, auch auf Frauen mit Motorradketten einzuschlagen. Am Samstag überfielen die rechten Schläger, die dem religiösen Oberhaupt Ayatollah Ali Khamenei ergeben sind, ein Studentenwohnheim und fielen mit Ketten, Eisenstangen und Messern über die Studenten her. Allein bei diesem Angriff wurden 50 Studenten verletzt, zwei Dutzend waren anschließend verschwunden. Aus Angst, die extreme Brutalität der Milizen könnte den Volkszorn nur noch weiter anheizen, und nachdem sie einige Male gegen die Demonstranten den Kürzeren gezogen hatten, verhaftete die Polizei ein paar Milizionäre.

"Die Proteste der Studenten bringen eine verbreitete Stimmung im Volk zum Ausdruck", berichtet die Süddeutsche Zeitung. Die Gründe der Unzufriedenheit seien mit Händen zu greifen: Armut und Arbeitslosigkeit, wirtschaftliche Stagnation, Überdruss an Gängelung und strikten islamischen Lebensregeln. "Aber es gibt keine Partei und keine Strukturen, die das allgemeine Missbehagen zu koordinierter Aktion bündeln könnten."

Die politischen Parolen werden zusehens radikaler. Erstmals schallte die Forderung "Tod für Khamenei" und "Khatami, tritt zurück" durch die Strassen. Am vergangenen Montag veröffentlichten 250 Intellektuelle einen Brief, in dem die Grundlagen des theokratischen Systems der "Herrschaft der religiösen Rechtsgelehrten" in Frage gestellt wurden. "Die Menschen und ihre gewählten Abgeordneten haben das Recht, ihre Regierenden zu beaufsichtigen, zu kritisieren und sie von der Macht zu entfernen, wenn sie nicht zufrieden sind", hieß es darin und "Ein Individuum in die Position absoluter Macht einzusetzen, ist eine klare Ketzerei gegen Gott und ein klarer Affront gegen die Würde des Menschen." Solche Zeilen werden im Iran mindestens mit Gefängnis bestraft.

Diskreditierte "Reformer"

Es ist offensichtlich geworden, dass die Fraktion der "liberalen Reformer" um Staatspräsident Mohamed Khatami vollkommen diskreditiert ist, nachdem sie trotz überwältigender Mehrheiten in allen gewählten Institutionen keines ihrer Versprechen von mehr Demokratie einlösen konnten.

Dies hatte sich bereits bei den Kommunalwahlen Ende Februar diesen Jahres gezeigt. Die Beteiligung war von 64 Prozent bei Kommunalwahlen 1999 auf weniger als 25 Prozent, in Teheran auf 12 Prozent gefallen. In den meisten Stadträten verloren die "Reformer" daher ihre Mehrheit an ihre konservativen Gegner.

Angesichts des Irak-Krieges schrieben über 100 Abgeordnete des noch von den "Reformern" dominierten Parlaments einen eindringlichen Brief an den religiösen "Führer" der Republik, Ajatollah Ali Khamenei, in dem sie ihn anflehten, demokratische Reformen zuzulassen, um das System zu retten und dem Schicksal der Taliban und Saddam Hussein zu entgehen. Kein anderer als Staatspräsident Khatami erließ ein allgemeines Verbot, den Brief irgendwo zu veröffentlichen.

Später folgte dann noch das Aus für zwei Gesetzesvorlagen, die vielfach als letzte Trümpfe Khatamis angesehen und im März vom Parlament verabschiedet worden waren. Eine sollte dem von den Konservativen beherrschten Wächterrat untersagen, bei Parlamentswahlen sein Veto gegen missliebige Kandidaten einzulegen. Diese Gesetzesinitiative war besonders angesichts der Parlamentswahlen im Frühjahr 2004 von Bedeutung. Die Konservativen machen keinen Hehl daraus, dass sie bei diesen Wahlen mit allen Mitteln kämpfen wollen, um die Mehrheit im Parlament zurückzuerobern.

Der zweite Entwurf sollte die Macht des Staatspräsidenten erweitern. Er sollte das Recht erhalten Verstöße gegen die Verfassung zu ahnden und unter anderem Entscheidungen der ebenfalls konservativ dominierten Gerichte, wie Zeitungsverbote und Inhaftierung von Intellektuellen aufzuheben.

Khatami hatte mit den Gesetzentwürfen sein politisches Schicksal verbunden und wie schon so oft mit Rücktritt gedroht, sollten sie nicht verwirklicht werden. Die Parlamentarier hatten für diesen Fall ebenfalls Massenrücktritte angekündigt. Als der Wächterrat erwartungsgemäß sein Veto gegen die Gesetzentwürfe einlegte, geschah nichts dergleichen. Khatami hat angedeutet, einen Kompromiss mit dem "geschätzten Wächterrat" suchen zu wollen. In einem Brief an den Parlamentssprecher erklärte er den Zweck der beiden Gesetzentwürfe mit folgenden Worten: "In dieser besonderen Situation, in der illoyale Kräfte Bündnisse schmieden, besitzt die Verbindung zwischen Nation, Regierung und dem System enorme Bedeutung."

Hier kommt deutlich das Dilemma der "Reformer" zum Ausdruck: Die von ihnen angestrebten liberalen Reformen, mit denen der Einfluss der Mullahs auf das gesellschaftliche Leben beschränkt werden soll, sind nur durch die Mobilisierung breiter Schichten der arbeitenden Bevölkerung möglich. Sie müsste sich gegen die Vorherrschaft der privilegierten Kleriker und deren sozialer Basis unter den sogenannten Basarhändlern, jenen Großkaufleuten und Händlern richten, die von der Protektion des islamischen Regimes leben. Diese fürchten eine Liberalisierung und Öffnung des Landes, die ihre Privilegien rasch in Frage stellen würde, wie der Teufel das Weihwasser.

Ebenso fürchten jedoch die "Reformer" jede Mobilisierung der Bevölkerung. Denn ihre Perspektive beinhaltet ein Programm von umfassender Deregulierung und Privatisierung der Wirtschaft, das die schreienden Gegensätze zwischen Arm und Reich noch vertiefen würde und bei der Mehrheit der Bevölkerung zutiefst unpopulär ist. Nicht zufällig entzündeten sich die jüngsten Demonstrationen an Protesten gegen die Privatisierung der Universitäten und die Einführung von Studiengebühren.

Das aggressive Vorgehen der USA im Mittleren Osten, das sich zunehmend gegen den Iran richtet, hat das Dilemma des Reformer-Flügels des Regimes noch verstärkt. Denn ihre rechten Gegner können nun leicht jede Form von Kritik und Opposition als amerikanische Subversion verunglimpfen. Khamenei beschimpfte denn auch die Demonstranten als "Abenteurer" und "amerikanische Söldner", mit denen Iran "keine Gnade" haben werde. Währendessen rief Hashemi Rafsanjani, nach Khamenei die Nummer Zwei der Konservativen, die USA dazu auf, "Logik" walten zu lassen und mit dem Iran Gespräche zu führen anstatt das Land zu "tyrannisieren" [bullying]. Er deutete an, dass der Iran dann seinen Einfluss auf islamische Gruppen in Palästina und Irak nutzen könnte, um die Situation dort im Interesse der USA unter Kontrolle zu bringen.

Die Financial Times kommentierte: "Reformer um den Präsidenten Mohamed Khatami, der nur begrenzte Macht besitzt, hegen Misstrauen gegen Rafsanjani und andere Konservative, die Reformbewegung im Lande zu unterdrücken und gleichzeitig mit den USA ein Abkommen anzustreben."

USA und Monarchisten wollen Bankrott der Reformer ausnutzen

Seit der Stationierung von amerikanischen Truppen in Afghanistan, Zentralasien und im Irak hat sich der Druck der Bush-Regierung auf das Regime in Teheran stark erhöht. Präsident Bush begrüßte die Studentenproteste und bezeichnete sie enthusiastisch als "Beginn eines freien Iran". Ähnlich äußerte sich Außenminister Collin Powell.

Seit geraumer Zeit spielen private, persischsprachige Fernsehsender, die vorwiegend in bessergestellten Vierteln der Hauptstadt empfangen werden, eine wichtige Rolle. Sie werden per Satellit vornehmlich von Los Angeles aus in den Iran ausgestrahlt und rufen die Bevölkerung zur Beteiligung an den Demonstrationen auf. Die meisten dieser Sender werden von rechten Monarchisten betrieben, die sich für die Rückkehr von Reza Pahlavi einsetzen, dem Sohn des 1979 gestürzten Schah. Wie die meisten rechten Monarchistengruppen verfügt Pahlavi in der Bevölkerung Irans allerdings kaum über Unterstützung.

Zu den Förderern dieser Privatsender zählen Douglas Feith, Unterstaatssekretär im US-Verteidigungsministerium, das der Bush-Regierung nahestehende einflussreiche American Enterprise Institute und zionistische Lobbygruppen. Ein kürzlich eingebrachter Gesetzentwurf des republikanischen Senators Sam Brownback soll diesen Satellitensendern etwa 50 Millionen Dollar von der US-Regierung bringen.