Nein zum Irakkrieg
editorial der Zeitschrift gleichheit
3. Januar 2003
In der kommenden Woche erscheint die Januar-Februar-Ausgabe der Zeitschrift gleichheit. Wir veröffentlichen hier das editorial.
Während diese Ausgabe der gleichheit in Druck geht, häufen sich die Anzeichen, dass die USA demnächst militärisch gegen den Irak losschlagen werden. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hat Ende Dezember den Marschbefehl für weitere 50.000 Soldaten Richtung Golf erteilt, so dass sich die Zahl der dort stationierten Soldaten auf weit über 100.000 erhöht. Selbst über einen Angriffstermin im Februar wird in der Presse bereits spekuliert.
Millionen Menschen beobachten mit Sorge, wie ein Krieg immer unvermeidlicher heranrückt. Es ist, als würde eine Katastrophe in Zeitlupe vor den Augen der Weltöffentlichkeit abgespult. Die UN-Waffeninspektionen, die bisher nicht den geringsten Beweis für irakische Massenvernichtungswaffen erbrachten, dienen dabei ebenso wie das diplomatische Geplänkel im UN-Sicherheitsrat lediglich als dürftiges Feigenblatt für eine militärische Aggression, die seit Monaten zielstrebig vorbereitet wird und ganz andere Ziele als die offiziell angeführten verfolgt.
Die US-Regierung betrachtet die Kontrolle über die Ölvorkommen am Persischen Golf und im Kaspischen Raum als wichtige Voraussetzung für das Funktionieren der eigenen Wirtschaft und für ihre wirtschaftliche Dominanz auf Weltebene. Die Vorherrschaft über die wichtigsten Energievorkommen der Welt würde ihr einen großen Wettbewerbsvorteil gegenüber allen heutigen und künftigen Rivalen verschaffen. Sie neigt seit langem dazu, ihre Weltmachtstellung durch den Einsatz ihrer militärischen Überlegenheit zu sichern. Nach dem ersten Golfkrieg, dem Krieg gegen Jugoslawien und dem Krieg in Afghanistan ist dies bereits der vierte größere Krieg, den sie innerhalb von gut zehn Jahren vorbereitet.
Das ist kein Zeichen der Stärke, sondern der tiefen inneren Krise der amerikanischen Gesellschaft und des kapitalistischen Systems auf Weltebene. Die schrankenlosen globalen Ansprüche der USA und ihre tatsächlichen ökonomischen Ressourcen klaffen weit auseinander. Historisch gesehen ist die objektive Stellung der USA in der Weltwirtschaft heute unverkennbar schwächer als vor 58 Jahren, zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Auch damals besaßen die USA eine überwältigende militärische Übermacht gegenüber potenziellen kapitalistischen Rivalen. Doch wichtiger als ihre militärische Stärke war ihre dominierende wirtschaftliche Stellung. Ungefähr 75 Prozent der Produktionskapazitäten der Welt befanden sich innerhalb der Grenzen der USA.
Heute sind die USA, ungeachtet ihrer militärischen Stärke, in einer ganz anderen Ausgangslage; und die Angst, von ihren Rivalen - in Europa, China und Japan - überholt zu werden, schlägt sich in einer blindwütigen und rabiaten Politik nieder. Ein entscheidender Faktor für die Kriegstreiberei sind dabei die zunehmende Krise der amerikanischen Wirtschaft und die ungeheuren Spannungen zwischen den amerikanischen Gesellschaftsklassen.
Das Platzen der Spekulationsblase an der Wall Street hat auch die Illusion zerstört, das produktive Potenzial des amerikanische Kapitalismus sei in den 90-er Jahren neu erstanden. Stattdessen wurden finanzielle Mittel in unerhörten Mengen verpulvert: Billionen Dollar flossen in unproduktive und verschwenderische spekulative Unternehmungen. Der Versuch, durch Spekulation losgelöst vom Produktionsprozess den Anschein von Wertschöpfung zu erzeugen, führte zu tiefgehenden Veränderungen in der amerikanischen Gesellschaftsstruktur und dem Charakter der herrschenden Elite.
Das Handeln der Konzerne nahm zunehmend kriminelle Züge an. Die Geschäfte der führenden Kreise, bei denen es nur noch um die eigene Bereicherung ging, gerieten zu einer immer dreisteren Plünderung der Gesellschaft. Während sich eine schmale Oberschicht atemberaubend bereicherte, stagnierte oder verschlechterte sich die Lage der breiten Masse der arbeitenden Bevölkerung. Die soziale Ungleichheit in den USA ist heute größer als in irgendeinem anderen fortgeschrittenen kapitalistischen Land. Das Jahreseinkommen der 13.000 reichsten Familien übersteigt das Gesamteinkommen der 20 Millionen ärmsten Familien.
Unter der Oberfläche der amerikanischen Gesellschaft tobt ein erbitterter Klassenkrieg, der nur deshalb keinen offenen politischen Ausdruck findet, weil beide traditionellen Parteien - Republikaner und Demokraten - uneingeschränkt die Interessen der herrschenden Oligarchie verteidigen. Ähnlich wie die Sozialdemokraten in Europa, rücken die Demokraten in den USA umso weiter nach rechts, je mehr sich die gesellschaftlichen Gegensätze vertiefen.
Wie bewusst sich die herrschende Oligarchie über die Bedrohung von unten ist, zeigt der umfassende Angriff auf demokratische Rechte, den die Bush-Regierung betreibt. Begründet wird er mit den Ereignissen vom 11. September 2001, tatsächlich richtet er sich gegen jede potentielle Opposition, die die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse in Frage stellen könnte.
Die Politik duldet auf Dauer kein Vakuum. Die gewaltigen gesellschaftlichen Spannungen müssen unweigerlich einen politischen Ausdruck finden. Das muss der Ausgangspunkt jeder ernsthaften Opposition gegen einen Irakkrieg sein. Sie muss von einem Programm ausgehen, das die sozialen Interessen der breiten Masse der arbeitenden Bevölkerung aufgreift. Sie muss die arbeitende Bevölkerung weltweit und vor allem in den USA auf der Grundlage eines sozialistischen Programms mobilisieren.
Die Entwicklung in Deutschland zeigt, wie aussichtslos es ist, bei der Ablehnung des Kriegs auf die europäischen Regierungen zu setzen. Das klare "Nein zum Krieg" von Kanzler Schröder hat sich seit dem Wahlkampf in Luft aufgelöst. Er hat den USA die uneingeschränkte Nutzung ihrer Basen in Deutschland und des deutschen Luftraums zugesagt. Deutsche "Fuchs"-Panzer bleiben im Kriegsfall in Kuwait und deutsche Soldaten in den Awacs-Flugzeugen der Nato, die im Kriegsgebiet operieren. Und Außenminister Fischer hat sogar angedeutet, dass Deutschland einer Kriegsresolution des UN-Sicherheitsrats zustimmen wird. Lediglich die Beteiligung deutscher Bodentruppen an einer Invasion wird weiterhin ausgeschlossen. Das hat aber bisher auch niemand verlangt. Stattdessen entlastet die Bundeswehr die US-Truppen in Afghanistan und bei der Bewachung amerikanischer Basen in Deutschland.
Die Kehrtwende der rot-grünen Koalition ergibt sich aus den gesellschaftlichen Interessen, die sie vertritt. Ihre Außenpolitik ist denselben Kapitalinteressen verpflichtet wie ihre Innenpolitik. Eine Regierung, die permanent gegen die arbeitenden Bevölkerung im eigenen Land Krieg führt, indem sie soziale und demokratische Rechte abbaut, kann nach außen nicht für Frieden eintreten.
Berlin sähe es ohne Zweifel lieber, wenn die USA auf einen Militärschlag gegen den Irak verzichten würde, droht er doch die deutschen Interessen in der Region massiv zu beeinträchtigen. Noch stärker fürchtet es aber einen offenen Konflikt mit Washington, der das eigene Gewicht auf der Weltbühne schmälern könnte. Eben hier setzt die Kritik der Opposition an, die der Regierung Schröder vorwirft, sie habe sich durch vorlaute Äußerungen gegen die Bush-Regierung außenpolitisch isoliert.
"Die Bundesrepublik Deutschland," sagte der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) im Oktober vor dem Aspen-Institut in Berlin, habe leider "in dieser schwierigen Zeit nicht den Einfluss, der ihr eigentlich auf Grund ihrer wirtschaftlichen und politischen Größe sowie geografischen Lage zusteht." "Die geradezu törichte Irakpolitik der Bundesregierung" habe "dazu geführt, dass die Rolle Europas heute bezüglich seines Einflusses auf die aktuellen weltpolitischen Konstellationen nur noch als desaströs bezeichnet werden kann."
Auch Koch klagt über die "unilateralistischen Tendenzen" der USA. Es könne "kein Zweifel bestehen, dass es Anlass zur Besorgnis über eine abnehmende Rücksichtsnahme der US-Administration auf politische Interessen anderer in der Welt" gebe, sagte er. "Die unilaterale Sicht Amerikas entspricht nicht unseren Interessen." Aber diese Entwicklung lasse sich weder durch Beschimpfungen der USA noch durch Bitten an sie abwenden, sondern nur durch den Aufbau multipolarer Machtstrukturen. Darauf müsse sich die deutsche Außenpolitik konzentrieren. Europa habe "nur eine Chance, wenn es in Fragen der Außenbeziehungen letzten Endes mit einer Stimme spricht". Dazu gehöre "eine militärische Eingreiftruppe" und "eine Finanzdisposition innerhalb der Bundesrepublik Deutschland, die es möglich macht, unsere Soldaten gut ausgebildet und mit bestem technischem Material ausgestattet verantwortungsbewusst einzusetzen".
Trotz gegenseitiger Schmähungen stimmt die Regierung Schröder-Fischer im Grundsatz mit Kochs Orientierung überein. Wie in der Wirtschafts- und Sozialpolitik lässt sie sich auch in der Außenpolitik von der Opposition vor sich her treiben. Während sie auf den Kriegskurs der Bush-Administration einschwenkt, treibt sie gleichzeitig den Aufbau der eigenen militärischen Kapazitäten voran. Die Folge ist eine zunehmende Militarisierung der Außenpolitik und wachsende Rüstungslasten, die die Bevölkerung tragen muss.
Dieser bedrohlichen Entwicklung kann nur durch die Mobilisierung breiter Schichten der arbeitenden Bevölkerung dies- und jenseits des Atlantiks Einhalt geboten werden. Für dieses Ziel, für den Aufbau einer internationalen, sozialistischen Massenbewegung, arbeitet die World Socialist Web Site mit ihren täglichen Analysen und Kommentaren.
In dieser Ausgabe der gleichheit sind wie üblich wichtige Artikel abgedruckt, die während der letzten zwei Monate auf der WSWS erschienen sind. Neben den Hintergründen und Ursachen des Irakkriegs befassen sie sich mit der EU-Osterweiterung und anderen internationalen Entwicklungen. Außerdem enthält sie den Wahlaufruf, mit dem die Partei für Soziale Gleichheit zur hessischen Landtagswahl vom 2. Februar antritt. Der Kulturteil beinhaltet einen Nachruf auf den Schriftsteller Stefan Heym, der vor einem Jahr gestorben ist.