Ankara schwenkt auf Kriegskurs ein
Von Justus Leicht
11. Februar 2003
Das türkische Parlament hat am letzten Donnerstag offiziell beschlossen, amerikanischen Streitkräften die Nutzung der Militärbasen in der Türkei für einen Krieg gegen den Irak zu gestatten.
Die Sitzung fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. 308 der insgesamt 550 Abgeordneten stimmten für den Beschluss, der es den USA erlaubt, schätzungsweise 4.000 Pioniertruppen ins Land zu bringen, um Mittelmeerhäfen sowie Luftstützpunkte für den Angriff auf den Irak auszubauen. Das sind etwa drei Viertel der Abgeordneten der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) von Recep Tayip Erdogan, die im Parlament über die absolute Mehrheit verfügt.
Wie der türkische Nachrichtensender NTV berichtete, sollen sich Ministerpräsident Abdullah Gül (AKP) und Generalstabschef Hilmi Özkök außerdem darauf verständigt haben, den USA die Stationierung von 38.000 Soldaten zu erlauben. Von den Militärflugplätzen Diyarbakir, Batman und Incirlik soll die US-Luftwaffe Angriffe auf den Irak fliegen dürfen. Weitere drei Flugplätze und mindestens ein Mittelmeerhafen sollen für Nachschublieferungen zur Verfügung gestellt werden. Das Parlament soll darüber am 18. Februar entscheiden. Die Zustimmung gilt aber als reine Formsache.
Vergessen sind Erdogans Absage an "Blutvergießen, Tränen und Tod", vergessen die Solidaritätsbekundungen der gemäßigt islamistischen AKP mit den muslimischen Brüdern im Nachbarland, vorbei die Rücksichtnahme auf die Stimmung der Bevölkerung, die einen Militärschlag gegen den Irak mit großer Mehrheit ablehnt. Regierungschef Gül begründete die politische Kehrtwende ganz offen damit, dass es für die türkischen Interessen besser sei, auf der Seite des imperialistischen Aggressors als auf der Seite des Opfers zu stehen.
"Wir müssen nun die Interessen der Nation berücksichtigen, und diese erfordern, dass wir uns in einem möglichen Krieg an die Seite der USA stellen," sagte er. "Um der nationalen Sicherheit willen können wir den Entwicklungen in unserer Nachbarschaft nicht als Beobachter beiwohnen. Beteilig sich die Türkei nicht, könnte es im Nordirak zur Gründung eines kurdischen Staates kommen, eine Entwicklung, die von der Nation entschieden abgelehnt wird."
Die türkische Regierung war wegen der ablehnenden Haltung der Bevölkerung einer eindeutigen Festlegung lange Zeit ausgewichen und deshalb von den USA stark unter Druck gesetzt worden. Zuletzt hatten sich Vertreter der US-Regierung immer offener an der gewählten Regierung vorbei direkt an die Militärs gewandt. Außerdem hatten sie durchblicken lassen, dass man sich bei fehlender türkischer Unterstützung nicht in der Lage sehen werde, kurdische Gruppen an der Besetzung von Kirkuk und Mosul zu hindern. Die Türkei hat selbst ein Auge auf diese Ölstädte geworfen und fürchtet außerdem, dass sie die ökonomische Basis für einen eigenständigen kurdischen Staat abgeben könnten, der wiederum dem kurdischen Nationalismus in der Türkei Auftrieb verleiht.
Laut einem Bericht der New York Times haben die USA als Gegenleistung für die türkische Unterstützung in eine Besetzung des Nordirak durch die türkische Armee eingewilligt, sehr zum Unmut der Demokratischen Partei Kurdistans (DPK) von Massud Barzani, die das nordirakische Grenzgebiet zur Türkei bisher kontrolliert.
Entsprechende Absprachen sollen am Tag der Parlamentsabstimmung bei einem Treffen des US-Sondergesandten Zalmay Khalilzad mit Vertretern der Türkei und der irakischen Kurden in Ankara getroffen worden sein. Khalilzad soll der türkischen Armee grünes Licht zum Vorrücken in den Nordirak gegeben und die Kurden vor einer "Besetzung" von Mosul und Kirkuk sowie Unabhängigkeitsbestrebungen gewarnt haben.
Angeblich hat man sich darauf "geeinigt", dass Mosul und Kirkuk von amerikanischen Truppen besetzt werden. Wie viele türkische Truppen in den Nordirak einrücken dürfen, ist noch unklar. Gerüchte besagen, dass es ebenso viele sein sollen, wie die USA von der Türkei aus in den Irak schickt.
Die türkische Armee hat bereits Truppenkontingente in der Südosttürkei zusammengezogen, die verstreute Einheiten der PKK-Guerilla jagen und sich darauf vorbereiten, im Kriegsfall tief in den Nordirak vorzustoßen. Mindestens 30 Kilometer breit soll der Sicherheitsstreifen werden, den türkische Truppen in Nordirak einrichten werden. Ihr Transport an die Grenze läuft bereits. Es sollen sich außerdem bereits 1.200 türkische Soldaten im Nordirak befinden. Ihr Ziel ist die Einschüchterung der irakischen Kurden und die Jagd auf die PKK.