WSWS : WSWS/DE : Aktuelle Analysen : Amerika : Krieg gegen Irak

Die Politische Ökonomie des amerikanischen Militarismus

Teil 2

Von Nick Beams
2. August 2003
aus dem Englischen (11.Juli 2003)

Dies ist der zweite und abschließende Teil der Eröffnungsrede der Konferenz "Politische Lehren aus dem Irakkrieg - eine Perspektive für die internationale Arbeiterklasse", die von World Socialist Web Site und Socialist Equality Party am 5. und 6. Juli im australischen Sydney abgehalten wurde. Sie wurde gehalten von Nick Beams, der Mitglied der internationalen Redaktion des WSWS und Nationaler Sekretär der Socialist Equality Party in Australien ise. Teil 1 wurde gestern veröffentlicht.

Wenn auch der Zusammenbruch der Sowjetunion für die USA die Bedingungen schuf, lang gehegte strategische Ziele zu erreichen, so können wir dennoch den Ausbruch imperialistischer Gewalt nicht lediglich den politischen Motivationen der günstigen Gelegenheit zuschreiben.

Bedeutsame Veränderungen der internationalen Beziehungen - welche die Struktur der kapitalistischen Weltordnung betreffen, denn um diese geht es hier - haben ihre Ursprünge in den ökonomischen Fundamenten der kapitalistischen Gesellschaft und sind in letzter Analyse der Ausdruck von deren tiefgreifenden Widersprüchen.

Dies stellt uns vor eine Herausforderung: Wie können wir das Verhältnis zwischen den ökonomischen Triebkräften des kapitalistischen Systems und dem historischen Prozeß begreifen und aufhellen?

Im Falle des Irakkrieges haben viele Oppositionelle, darunter die World Socialist Web Site, richtigerweise auf die entscheidende Bedeutung des Öls hingewiesen. Es ist keine Frage, dass die Errichtung globaler Hegemonie durch den US-Imperialismus die Kontrolle über die Ölvorkommen der Welt erfordert, besonders über die des Mittleren Ostens. Doch darüber hinaus muss betont werden, dass die ökonomischen Triebkräfte an der Wurzel dieses Krieges und des weiterreichenden Anlaufs zu globaler Hegemonie weit mehr umfassen als Öl. Letzten Endes haben sie ihre Wurzeln in der historischen Krise des Kapitalismus selbst.

Um dies zu demonstrieren, müssen wir das Verhältnis zwischen Vorgängen im Herzen der kapitalistischen Produktionsweise - vor allem der Gesetze der Akkumulation von Profit - und dem Verlauf der historischen Entwicklung betrachten.

Ich will damit nicht sagen, dass jedes geschichtliche Ereignis auf die unmittelbare Wirkung eines ökonomischen Interesses zurückgeführt werden kann. Es geht vielmehr darum, zu zeigen, wie ökonomische Vorgänge jeder historische Epoche ihre Form gegeben haben und die Probleme aufgeworfen haben, die dann auf politischer Ebene angegangen werden.

Wenn wir die ökonomische Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaft betrachten, sehen wir zunächst die Wirkung des kommerziellen Zyklus - das Aufeinanderfolgen von Booms, Krisen, Stagnation und Erholung - der seit Beginn des neunzehnten Jahrhunderts offensichtlich wurde.

Doch wenn wir einen Schritt zurück treten und einen weiteren Blickwinkel einnehmen, dann sehen wir, dass zusätzlich zu den kurzzeitigen Zyklen längerfristige Prozesse existieren, die den ökonomischen Verhältnissen ganzer Epochen ihr Gesicht geben.

Der Nachkriegsboom, der sich von 1945 bis 1973 erstreckte, ist qualitativ verschieden von der gegenwärtigen Periode. Ebenso ist die Periode von 1873 bis 1896 anders als die von 1896 bis 1913. Die erstere ging als die Große Depression des neunzehnten Jahrhunderts in die Geschichte ein, während letztere als die "belle époque", die schöne Zeit bekannt ist. Und diese Periode wiederum war natürlich völlig anders als die 20er und 30er Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts, trotz aller Anstrengungen der kapitalistischen Regierungen, die Expansion der Vorkriegszeit wieder aufzunehmen.

Worin besteht nun die ökonomische Grundlage dieser längeren Phasen, oder Segmente dessen, was Trotzki die Kurve der kapitalistischen Entwicklung nannte?

Sie wurzeln in fundamentalen Prozessen. Die treibende Kraft der kapitalistischen Wirtschaft ist die Extraktion von Mehrwert aus der Arbeiterklasse. Dieser wird durch das Kapital in Form von Profit akkumuliert. Kapitalistische Produktion, so müssen wir betonen, ist keine Produktion zum Gebrauch, oder für wirtschaftliches Wachstum als solches, sondern zur Erwirtschaftung von Profit - der Basis der Kapitalakkumulation. Die Rate, zu welcher diese Akkumulation stattfinden kann, ungefähr bemessen durch die Profitrate, ist der Schlüsselindikator des Wohlstands der kapitalistischen Wirtschaft, und ihr grundlegendster Regulator.

Die Perioden des Aufschwungs in der kapitalistischen Entwicklungskurve sind gekennzeichnet durch Produktionsregime und -methoden, die eine Akkumulation in steigenden oder stetigen Raten sichern. In solchen Perioden hört der kommerzielle Zyklus nicht auf, zu wirken. Tatsächlich funktioniert er in einer Weise, die zu dem Aufschwung beiträgt. Rezessionen sondern weniger effiziente Produktionsmethoden aus und machen den Weg frei für fortgeschrittenere Prozesse, die die Profitrate zum Wachsen bringen. Daher sind in der Periode des Aufschwungs die Booms länger, Rezessionen dagegen kürzer, und sehr oft bereiten sie nach ihrem Vorübergehen den Weg für eine noch größere Expansion.

In einer Periode des Abschwungs aber sehen wir den gegenteiligen Effekt. Die Booms sind kürzer und schwächer, während die Perioden von Rezession und Stagnation tiefer und länger reichen.

Ökonomische Umschwünge

Es stellt sich nun folgende Frage: Was verursacht den Übergang von einer Entwicklungsphase zur anderen? Klar ist, daß es nicht der kommerzielle Zyklus als solcher sein kann - der in allen Perioden am Werk ist - obwohl der Umschwung oft durch eine Rezession oder einen Boom angekündigt wird.

Der Umschwung von einer Periode des Aufschwungs zu einer des Abschwungs hat seine Wurzeln im Produktionsprozess selbst. Sowie die Akkumulation von Kapital voranschreitet, und die Kapitalmasse im Verhältnis zu der in Bewegung gesetzten Arbeit ansteigt, tendiert die Profitrate zum Fallen. Dies geschieht, da die einzige Quelle von Mehrwert (und letztlich von jedem Profit) in der lebendigen Arbeit der Arbeiterklasse besteht, und eben diese lebendige Arbeit geht zurück im Verhältnis zu der Kapitalmasse, zu deren Vermehrung sie herangezogen wird. Natürlich kann dieser Tendenz durch ein Wachstum der Arbeitsproduktivität entgegengewirkt werden, was auch geschieht. Dennoch wird unter einem gegebenen Produktionsregime oder Produktionssystem ein Punkt erreicht, an dem kein weiteres Anwachsen der Arbeitsproduktivität mehr erreicht werden kann, oder nur ein so geringes Anwachsen, dass es den tendenziellen Fall der Profitrate nicht ausgleichen kann. An diesem Punkt beginnt die Kurve der kapitalistischen Entwicklung sich nach unten zu wenden.

Diese Analyse weist auf die Bedingungen hin, die für einen Aufschwung notwendig sind. Er kann nur stattfinden durch die Entwicklung neuer Methoden, welche die Natur des Produktionsprozesses selbst verändern. Anders ausgedrückt markieren solch neuen Methoden nicht nur eine quantitative, sondern eine qualitative Veränderung. Es kommen einem eine Reihe von Beispielen in de Sinn: Im letzten Viertel des neunzehnten Jahrhunderts brachte die sogenannte zweite industrielle Revolution, die Geburt der industriellen Massenfertigung, schließlich einen neuen Aufschwung ins Rollen, der Mitte der 1890er begann. Früher in jenem Jahrhundert hatten der Gebrauch von Dampfkraft und die Einführung der Eisenbahnen riesige neue Märkte geöffnet, was in einem Aufschwung resultierte, der die Depression der 1830er und -40er Jahre beendete und die Bedingungen für den Boom des Viktorianischen Zeitalters Mitte des Jahrhunderts schuf.

Das schlagendste Beispiel der kapitalistischen Entwicklungskurve für den Umschwung einer Periode des Abschwungs in eine des Aufschwungs liefert der Nachkriegsboom nach dem Zweiten Weltkrieg. Er war das Ergebnis des völligen Neuaufbaus der europäischen Wirtschaft, und außerdem der Verbreitung neuer und fortgeschrittenerer Methoden der Fließbandproduktion, die während der ersten zwei Jahrzehnte des Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten entwickelt worden waren. Diese Methoden, die aufgrund des von ihnen geschaffenen enormen Zuwachses an Mehrwert das Potential hatten, eine weitere kapitalistische Expansion zu bringen, konnten bis zur Mitte des Jahrhunderts in Europa nicht zur Anwendung kommen. Der Markt war zu eng, zerschnitten durch nationale Beschränkungen und Grenzen, durch protektionistische Zölle und Kartelle, die die Produktion hemmten.

Von daher lag der Schlüssel zum Wiederaufbau nach dem Krieg nicht nur in der US-Kapitalspritze von 13 Milliarden Dollars aus dem Marshall-Plan. Er lag im Wiederaufbau des Marktes, der damit einherging - in der fortschrittlichen Abschaffung innerer Barrieren in Europa, die zur Entwicklung neuer, produktiverer Methoden befähigte. Das Ergebnis war der längste Aufschwung in der Geschichte des Weltkapitalismus.

Doch dieses "goldene Zeitalter" löste nicht die Widersprüche der kapitalistischen Wirtschaft, und wie es unvermeidlich war, brachen sie wieder an die Oberfläche - in Form von fallenden Profitraten, tiefer Rezession und Finanzkrisen. Der Anfang der 70er Jahre leitete eine neue Periode des Abschwungs in der kapitalistischen Entwicklungskurve ein.

Dieser Abschwung liefert die Rahmenbedingungen für die gewaltige und fortdauernde Reorganisation und Umstrukturierung der kapitalistischen Weltwirtschaft während des letzten Vierteljahrhunderts. Ganze Industriesektoren wurden in den größten kapitalistischen Ländern dichtgemacht, neue Computertechnologie eingeführt und, was am wichtigsten ist, neue Formen des Produktions- und Informationstransfers entwickelt, was die Globalisierung des Produktionsprozesses selbst ermöglichte.

Mit diesen Veränderungen einher ging eine endlose Offensive gegen die soziale Lage der Masse von arbeitenden Menschen: Das ständige Sinken der Reallöhne, der Abbau von Vollzeitstellen und deren Ersetzung durch Teilzeit- oder Gelegenheitsarbeit, Einschnitte in Gesundheits-, Bildungs- und Sozialsystemen, sowie die Privatisierung ehemals öffentlicher Einrichtungen.

In den früheren Kolonialländern haben wir während der vergangenen zwei Jahrzehnte die völlige Zerstörung der vorherigen Programme zur nationalen Wirtschaftsentwicklung gesehen, und stattdessen die Auferlegung von Programmen zur Strukturanpassung durch den Internationalen Währungsfond (IWF) im Auftrag der weltweit größten Banken. Dies schuf Bedingungen, unter denen heute beispielsweise die afrikanischen Staaten südlich der Sahara mehr Geld für Schuldentilgung aufwenden müssen, als für Gesundheit und Bildung zusammen.

All diese Maßnahmen zielten auf das Ansteige der Profitmasse ab. Doch sie haben es nicht geschafft, einen neuen kapitalistischen Aufschwung zu bewirken. Untersuchen wir die Schlüsselmaßzahl - die Profitrate. Zwischen 1950 und den Mittsiebzigern schätzt man, daß die Profitrate in den USA von 22% auf ungefähr 12% fiel - ein Abfall um fast 50%. Seither hat sie lediglich etwa ein Drittel ihres vorangegangenen Abfalls wettgemacht, und das obwohl die Reallöhne vermutlich um etwa 10% fielen. Nach einem kurzen Anstieg Mitte der Neunziger, trat ab 1997 wiederum ein scharfer Rückgang ein.

Der Kapitalismus der 1990er

Lasst uns den Kapitalismus der 90er-Jahre aus einem weiteren Blickwinkel betrachten. Der Zusammenbruch der Sowjetunion wurde von einem Jubelgeschrei der Sprecher der Kapitalistenklasse begrüßt. Wie hat sich der Kapitalismus während der letzten anderthalb Jahrzehnte gemacht?

Es besteht kein Zweifel: Seine Stellung hat sich dramatisch verschlechtert. In den USA beträgt die Auslastung der Industriekapazitäten etwa 72%; die Investitionen bieten kein Anzeichen eines Wachstums, und die ganze Wirtschaft wird nur am Laufen gehalten durch eine Politik der Bundesbank, die auf einen Nullzins hinausläuft. Man befürchtet einen finanziellen Kollaps; das Defizit im Bundeshaushalt beträgt 300 Milliarden Dollar und steigt weiter; die Mehrzahl der Bundesstaaten steht an der Schwelle zum Bankrott. Das Außenhandelsdefizit liegt bei über 500 Milliarden Dollar und droht, weiter zu steigen. Um ihre Zahlungslücke zu finanzieren, sind die USA gezwungen, eine Million Dollar pro Minute aus dem Rest der Welt zu ziehen, den ganzen Tag und an jedem Tag.

Japan tritt nun in sein zweites Jahrzehnt der Stagnation ein, wobei immer wieder Fragen hochkommen, ob seine größten Banken und Finanzinstitutionen noch zahlungsfähig sind. In Europa ist das Wirtschaftswachstum quasi zum Stillstand gekommen, Deutschland befindet sich entweder an der Schwelle zu oder schon in einer Rezession.

Um dem Vorwurf zu begegnen, ich würde die Situation übertreiben - lasst mich ein Stück aus einer Untersuchung der Weltwirtschaft zitieren, die von einem der weltweit bekanntesten Ökonomen für das Finanzunternehmen Morgan Stanley angefertigt wurde. Er schreibt: "Das weltweite Ungleichgewicht war niemals so akut. Weltweite Deflation war niemals ein größeres Risiko. Und es hat ein außerordentliches Zusammenfließen von Finanzblasen stattgefunden - von Japan nach Amerika. Und was noch schlimmer ist, den Autoritäten haben noch nie so sehr die üblichen Waffen gefehlt, diesen Herausforderungen zu begegnen."

Politiker, so fährt er fort, hätten ihr Augenmerk auf diese Situation gerichtet, doch " ihre vertrauensvollen öffentlichen Stellungnahmen verleugnen die schwere Besorgnis, die sie privat äußern. Die Wahrheit ist, dass es keine bewährten Heilmittel für die vielfältigen Gefahren von äußerer Instabilität, Deflationsrisiken und das Platzen von Finanzblasen gibt". Mehr noch: Die Diskussionen in führenden finanzpolitischen Kreisen über die Anwendung von "nicht-traditionellen Vorgehen" sei "bezeichnend dafür, wie verzweifelt die Lage geworden ist" und "spiegelt eine Geisteshaltung wider, wie wir sie seit den 30er Jahren nicht mehr gesehen haben". Und diese wiederum spiegle "Gefahren der Weltwirtschaft" wider, "die wir in modernen Zeiten noch nicht gesehen haben" (Stephen Roach, Ein historischer Moment, 23. Juni 2003).

In ihrem jüngsten Bericht über die Weltwirtschaft stellt die Bank for International Settlements fest, dass trotz des "hohen Grades an politischen Stimuli, die in weiten Teilen der Welt zur Anwendung kamen", Hoffnungen bezüglich der Weltwirtschaft wiederholt enttäuscht wurden, was das Augenmerk auf die Möglichkeit lenkte, dass "tiefer sitzende Kräfte am Werk sein könnten."

Man sollte aus diesen Untersuchungen schließen, dass der Ausblick des Kapitalismus der frühen 1990er auf eine Ära des Friedens und des globalen Wohlstandes ein wenig übertrieben war.

Derartige Phänomene - sich vertiefende Deflation, anhaltende Stagnation, Finanzspekulation und offene Plünderung, industrielle Überkapazitäten, massives wirtschaftliches Ungleichgewicht - sind alles verschiedene Symptome einer akuten Krise des kapitalistischen Akkumulationsprozesses selbst. In anderen Worten, der Abschwung in der kapitalistischen Entwicklungskurve, der vor 30 Jahren begonnen hat, ist trotz aller angestrengten Bemühungen, ihn umzukehren, steiler geworden, was eine Krise im innersten Kern der kapitalistischen Wirtschaft bedeutet. Ja, diese Krise konzentriert sich auf die mächtigste Volkswirtschaft von allen, auf die Vereinigten Staaten. Hier liegt die Triebkraft für den Ausbruch des amerikanischen Imperialismus.

Wir sollten uns Trotzkis prophetische Worte in Erinnerung rufen, die vor über siebzig Jahren geschrieben wurden, als die USA gerade ihren Aufstieg zur Weltmacht begannen. Eine Krise in Amerika, erklärte er, würde nicht zum Rückzug führen. "Das genaue Gegenteil ist der Fall. In Zeiten der Krise wird sich die Hegemonie der Vereinigten Staaten vollständiger, offener und rücksichtsloser auswirken als in Zeiten des Booms. Die Vereinigten Staaten werden hauptsächlich auf Kosten Europas versuchen, sich aus ihren Schwierigkeiten und Krankheiten herauszuwinden, ohne Rücksicht darauf, ob dies in Asien, Kanada, Südamerika, Australien oder Europa selbst passieren wird, und ob dies friedlich oder durch Krieg geschehen wird" (Trotzki, Die Dritte Internationale nach Lenin, S. 8).

Politische Ökonomie der Rendite

Um die Triebkräfte des US-Imperialismus und seiner Absichten auf weltweite Dominanz klarer zu beleuchten, müssen wir uns, wenn auch nur in Umrissen, näher mit einigen grundsätzlichen Verhältnissen in der kapitalistischen Wirtschaft beschäftigen.

Die einzige Quelle des Mehrwerts - der Basis der Akkumulation von Kapital - ist die lebendige Arbeit der internationalen Arbeiterklasse. Dieser Mehrwert wird unter den verschiedenen Formen des Eigentums als Industrieprofit, Zinsen und Renditen verteilt. Wenn ich sage "verteilt", bedeutet das nicht, dass dies eine friedfertige Angelegenheit sein muss. Sie findet durch einen unnachgiebigen Kampf um Märkte und Ressourcen statt.

In genau diesem Prozess spielt die Rendite eine wichtige Rolle. Rendite bezieht sich nicht nur auf die Anhäufung von Wohlstand durch Eigentum an Land. Allgemeiner gesprochen bezeichnet sie die Einkünfte, die aus einem Monopoleigentum an einer bestimmten Ressource gezogen werden können - oder aus politischen Machtmitteln.

Einkünfte aus Renditen repräsentieren nicht die Schaffung von Wohlstand. Sie sind vielmehr eine Form der Aneignung bereits erzeugten Mehrwerts durch Eigentumsrechte oder durch politische Mittel. Die Rendite ist ein Abzug von dem Mehrwert, der dem Kapital insgesamt zur Verfügung steht. Es besteht daher ein potentieller Antagonismus zwischen dem Renditenbezieher und dem Kapital.

Während eines Aufschwungs in der kapitalistischen Entwicklungskurve, wenn die Profite steigen oder ein recht hohes Niveau erreicht haben, kommt der Existenz der Rendite keine besondere Wichtigkeit bei. Die Situation verändert sich aber dramatisch, wenn die Kurve abwärts zeigt und die Profitraten zu fallen beginnen. Dann werden die Renditen untragbar für die dominanten Sektoren von Industrie- und Finanzkapital, worauf sie den Schlachtruf "Freiheit des Marktes" anstimmen und so danach streben, den Strom der Einkünfte, der dem Renditenbezieher zuteil wird, umzulenken.

Die politische Ökonomie der Rendite hat enorme Bedeutung für den derzeitigen Krieg und das Streben des US-Imperialismus, sich die Ressourcen des Irak zu sichern. Die Unterstützer des Krieges bestritten den Vorwurf, er werde um den Besitz des Öls geführt, mit dem Verweis, dass US-Interessenten das irakische Öl leicht auf dem Weltmarkt erwerben könnten. So gesehen, behaupteten sie, wenn Öl der Antrieb sei, dann hätten sich die USA für die Aufhebung der Sanktionen und die Wiederaufnahme der irakischen Ölproduktion einsetzen sollen, wodurch das Angebot auf dem Weltmarkt gewachsen und der Preis gesunken wäre - zum Wohle aller Ölkäufer.

Alle diese Argumente wollen verschleiern, dass der zugrundeliegende ökonomische Antrieb nicht das Öl als solches ist, sondern die völlig riesigen Differentialrenditen, die aus der Ölindustrie erwachsen, was an den verschiedenen natürlichen Bedingungen liegt. In anderen Worten, die Eroberung des Irak wurde nicht unternommen, um den amerikanischen Fahrzeugen mit hohem Verbrauch Benzin zu liefern, sondern um US-Firmen Mehrwert und Profite zu liefern.

Wir können uns ein ungefähres Bild von dem machen, was auf dem Spiel steht, indem wir die Ökonomie der irakischen Ölproduktion betrachten. Die bewiesenen irakischen Ölvorkommen belaufen sich auf etwa 112 Milliarden Barrel. Es wird jedoch geschätzt, dass die tatsächlichen Reserven über 200 Milliarden Barrel betragen, möglicherweise sogar 400 Milliarden. Was diese Reserven so attraktiv macht, sind ihre niedrigen Förderungskosten und die ungeheuren Differentialrenditen, die so zustande kommen.

Laut dem US-Energieministerium gehören die "Produktionskosten des irakischen Öls zu den niedrigsten der Welt, was die Aussichten auf das Öl sehr attraktiv macht." Man schätzt dass ein Barrel irakischen Öls für weniger als 1,50 Dollar, vielleicht auch nur für 1 Dollar produziert werden kann. Demgegenüber stehen Preise von 5 Dollar in anderen Niedrigpreisländern wie Malaysia und Oman, sowie zwischen 6 und 8 Dollar pro Barrel in Mexiko und Russland. Die Produktionskosten in der Nordsee betragen ungefähr 12 bis 16 Dollar pro Barrel, während sie auf US-amerikanischen Ölfeldern bis zu 20 Dollar betragen können.

Wenn man den realen Ölpreis auf circa 25 Dollar pro Barrel schätzt, dann beträgt der Gesamtwert der irakischen Ölvorkommen nach Abzug der Produktionskosten um die 3,1 Billionen Dollar.

In den frühen siebziger Jahren verstaatlichten einige Öl produzierende Länder, darunter der Irak, ihre Ölindustrien. Das bedeutete, dass ein Großteil der zur Verfügung stehenden Renditen den nationalen bürgerlichen Regimen dieser Länder zur Verfügung stand. Diese Situation wurde für die großen imperialistischen Mächte immer unerträglicher.

Während der vergangenen anderthalb Jahrzehnte ging eine Welle von Privatisierungen um die Welt, auch in den früheren Kolonialländern, wo sie Teil der vom IWF diktierten "Umstrukturierungsprogramme" waren. Bislang war das Öl hiervon nicht betroffen. Doch es stellt ein Hauptziel dar. In den letzten Tagen der Clinton-Administration beispielsweise wurde eine Kongressanhörung veranstaltet mit dem Titel: "Die Politik der OPEC - Eine Bedrohung der US-Wirtschaft". Der Vorsitzende beschuldigte die Clinton-Administration, sie sei "auffällig passiv gegenüber den kontinuierlichen Angriffen der OPEC auf unser System des freien Marktes und auf unsere Anti-Kartell-Normen" (Siehe George Caffentzis, Inwiefern "kein Blut für Öl").

Die Erwägung dieser Ökonomischen Fragen gibt eine deutlichere Vorstellung davon, was mit "Regimewechsel" gemeint ist. Es beinhalte weit mehr als die Entfernung bestimmter Individuen, von denen viele einst mit den USA alliiert oder befreundet waren, jetzt aber in Konflikt mit ihnen gekommen sind. Regimewechsel bedeutet eine völlige ökonomische Umstrukturierung.

Richard Haass, bis vor kurzem Direktor des Politikplanung des US-Außenministeriums, stellte es in seinem Buch Intervention sehr klar dar. Gewalt allein und die schlichte Entfernung bestimmter Individuen, betonte er, sei nicht genug und bringe an sich keine spezifischen politischen Veränderung. "Der einzige Weg, die Wahrscheinlichkeit einer solchen Veränderung zu vergrößern, besteht in sehr eindringlichen Formen Intervention, wie des Nation-Buildings (Nationenaufbau), was zunächst die Eliminierung aller Opposition beinhaltet, und darauf hin das Engagement durch eine Besetzung, die das wirkungsvolle Ingangsetzen einer anderen Gesellschaft erlaubt" (zitiert nach: John Bellamy Foster, "Krieg und das imperiale Amerika", in Monthly Review, Mai 2003).

In jüngsten Ansprachen erklärte Haass, im einundzwanzigsten Jahrhundert sei "das spezifische Ziel amerikanischer Außenpolitik die Einbindung anderer Länder und Organisationen in Abmachungen, die eine Welt aufrechterhalten, welche mit US-Interessen und -Werten einher geht." Was er als "geschlossene Wirtschaftsräume" bezeichnet, "stellt eine Gefahr dar", besonders im Mittleren Osten. Dies sei der Grund, warum Bush die Einrichtung einer Freihandelszone zwischen den USA und dem Mittleren Osten innerhalb eines Jahrzehnts vorgeschlagen habe.

Was diese Politik der verbrannten Erde bedeutet, sieht man am Fall des Irak, wo US-Firmen Schlange stehen, um aus dem Ölverkauf Profit zu schlagen. Darunter befinden sich:

Halliburton, mit einem Zweijahresvertrag über das Löschen der Ölfeuer sowie die Förderung und den Vertrieb irakischen Öls in Höhe von bis zu 7 Milliarden Dollar; Kellog, Brown and Root, die einen 71-Millionen-Dollar Vertrag über die Reparatur und Inbetriebnahme von Öltürmen erhalten haben; Bechtel, mit einem Anfangsvolumen von 34,6 Millionen Dollar, das aber auf bis zu 680 Millionen Dollar erhöht werden kann, um Systeme zur Stromerzeugung und Wasserversorgung wiederherzustellen; MCI WorldCom mit einem 30-Millionen-Dollar Vertrag zum Aufbau eines drahtlosen Netzwerks im Irak; Stevedoring Services Of America, mit einem langjährigen Vertrag in Höhe von 4,8 Millionen Dollar über die Reparatur und Verwaltung der irakischen Häfen, eingeschlossen der Tiefwasserhafen von Umm-Kasr; ABT Associates, ein Vertrag über anfänglich 10 Millionen Dollar für die Unterstützung des Gesundheitssystemen; Creative Associates International, mit einem Vertrag von anfänglich 1 Million Dollar, der auf bis zu 62,6 Millionen ansteigen kann, für die Bereitstellung von "sofortigem Bildungsbedarf" für Iraks Grund- und Weiterführende Schulen;

Dyncorp, mit einem Multimillionen-Vertrag über möglicherweise 50 Millionen Dollar, für die Beratung der irakischen Regierung beim Aufbau effektiver Gesetzeshütung, gerichtlicher und strafrechtlicher Behörden; International Rescue Group, mit einem Vertrag von anfänglich 7,18 Millionen für Hilfe bei der Ereignisplanung bei Notfällen und Soforthilfe; sowie eine Unmenge von Kleinverträgen mit anderen Firmen, die bereitstehen um von Unterverträgen mit Abnehmern von Großverträgen zu profitieren. (Siehe Die Konzerninvasion des Irak: Profil der von US-Firmen erhaltenen Verträge im amerikanisch-britisch besetzten Irak, zusammengestellt von US Labor Against the War)

Globale Neuordnung

Es geht nicht ausschließlich um Ölrenditen. Was im Irak stattfindet ist der gewalttätige Ausdruck eines weltweiten Vorgangs - des Niederreißens aller Beschränkungen der Reichweite und Vorherrschaft des US-Kapitals. Diese "Neuordnungspolitik", die in den 80ern begonnen wurde, brachte den Transfer von Milliarden Dollars aus einigen der ärmsten Ländern der Welt in die Kassen der Banken. Durch Privatisierung wurden Grundbedürfnisse - wie Wasser, Strom, Gesundheits- und Bildungssysteme - dem Profiterwerb geöffnet.

Nichts darf diesem Projekt der globalen Neuordnung im Wege stehen - und schon gar nicht Grenzen, die von nationalen Regierungen gezogen. Wie eine Reihe von ideologischen Unterstützern dieser Strategie kommentiert haben, ist die Aufgabe der USA, eine internationale Politik- und Wirtschaftsordnung zu schaffen, die der von Großbritannien im neunzehnten Jahrhundert angeführten gleichkommt.

Die Quintessenz dieser Ordnung war laut einem Papier mit dem Titel Verteidigung der Imperien von Deepak Lal, das vom American Enterprise Institute veröffentlicht wurde, dass es internationale Eigentumsrechte garantierte, im Gegensatz zu nationalen. Der Zusammenbruch dieser Ordnung im Ersten Weltkrieg, so behauptet er, führte zu der Unordnung der 1920er und 1930er Jahre, gefolgt von der Nachkriegsperiode, in der die neuen Nationalstaaten ihre nationale Souveränität gegen die internationalen Eigentumsrechte behaupteten. Heute, so Lal, ist diese Situation durch den Aufstieg der USA zur Welthegemonie endgültig überkommen worden.

Die Erfordernis des internationalen, und speziell des US-Kapitals nach globaler Reichweite und Eindringen in jeden Winkel der Welt findet ihren Ausdruck in dem Hinweis der neuen Doktrin, dass nationale Souveränität begrenzt und bedingt sei.

Wie Richard Haass in einer Rede vom letzten Januar, als die USA sich auf die Invasion im Irak vorbereiteten, erklärte, sei eine der wichtigsten Entwicklungen der jüngste Periode, dass "Souveränität kein Blankoscheck ist". An die Worte Roosevelts erinnernd, fügte er hinzu: "Souveränität ist vielmehr für jeden Staat davon abhängig, ob er einige fundamentale Verpflichtungen erfüllt, sowohl gegenüber seinen eigenen Bürgern, als auch der internationalen Gemeinschaft. Wenn ein Regime darin versagt, sich diesen Verpflichtungen zu fügen oder seine Vorrechte missbraucht, dann riskiert er, seine Souveränitätsrechte zu verwirken - in manchen Fällen inklusive seine Immunität vor bewaffneter Invasion... Die Nichteinmischung ist nicht länger sakrosankt..." (Richard Haass Souveränität: Bestehende Rechte, Entstehende Verantwortungen, 14. Januar 2003)

Der australische Außenminister wiederholte diese Worte, als er die Entscheidung der Howard-Regierung verkündete, Interventionstruppen auf die Salomonen zu schicken. Multilateralismus, so erklärte er vor dem Nationalen Presseclub, werde mehr und mehr zum Symbol für eine "uneffektive und ziellose Politik". Australien sei bereit, sich "Koalitionen von Willigen" anzuschließen, um die Aufmerksamkeit auf dringende Sicherheitsfragen und andere Herausforderungen zu lenken. "Souveränität ist in unseren Augen nichts Absolutes. Zum Wohle der Menschheit zu handeln ist wichtiger."

Doch wer entscheidet, ob eine Nation ihre Souveränitätsrechte verwirkt hat und dass eine "Koalition der Willigen" im Interesse der Menschlichkeit handeln muss? Ganz klar: Die dominierenden imperialistischen Mächte, und die USA geben das Startsignal für diejenigen in ihrem Dunstkreis.

Der Widerspruch zwischen Weltwirtschaft und Nationalstaat

Der unmittelbare Antrieb zur weltweiten Dominanz der USA wurzelt in der Krise der kapitalistischen Akkumulation, ausgedrückt im andauernden Abwärtsstreben der Profitrate und das Versagen der angestrengtesten Bemühungen der letzten 25 Jahre, es zu beenden. Doch das ist nicht alles. Auf der tiefsten Ebene repräsentiert der Ausbruch des US-Imperialismus den verzweifelten Versuch, wenn auch auf reaktionäre Weise, den zentralen Widerspruch aufzulösen, der das kapitalistische System während des größten Teils des letzten Jahrhunderts gestört hat.

Der wirtschaftliche und politische Aufstieg der USA begann mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Wie Trotzki analysierte, wurzelte der Krieg im Widerspruch zwischen der Entwicklung der Produktivkräfte im globalen Maßstab und der Teilung der Welt in rivalisierende Großmächte. Jede dieser Mächte suchte diesen Widerspruch durch die Etablierung ihrer eigenen Vorherrschaft zu lösen - und kam so in Konflikt mit ihren Rivalen.

Die Russische Revolution, beabsichtigt und ausgeführt als erster Schritt der sozialistischen Weltrevolution, war der erste Versuch einer Abteilung der Arbeiterklasse, den Widerspruch zwischen Weltwirtschaft und überkommenem nationalstaatlichem Rahmen auf einer fortschrittlichen Grundlage zu lösen. Letztlich erwiesen sich die Kräfte des Kapitalismus als zu stark, und die Arbeiterklasse war infolge einer tragischen Verknüpfung von verpassten Gelegenheiten und offenem Verrat nicht in der Lage, dieses Programm weiterzuführen.

Doch das historische Problem, das mit solch vulkanischer Gewalt hervorgetreten war - die Notwendigkeit, die global entwickelten Produktivkräfte auf einer höheren Grundlage zu reorganisieren und sie von den zerstörerischen Fesseln des Privateigentums und des Nationalstaates zu befreien - hörte dadurch nicht auf zu bestehen. Es konnte eine Zeitlang unterdrückt werden. Doch die bloße Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaft selbst garantierte, dass das Problem wieder an die Oberfläche kommen würde, sogar noch explosiver als in der Vergangenheit.

Die amerikanische Eroberung des Irak muss in diesem historischen und politischen Kontext gesehen werden. Der Anlauf zu globaler Vormachtstellung repräsentiert den Versuch des amerikanischen Imperialismus, den zentralen Widerspruch des Weltkapitalismus zu lösen, durch die Schaffung einer Art Amerikanischen Imperiums, durch Handeln nach den Gesetzen des "freien Marktes" (interpretiert im Sinne der ökonomischen Bedürfnisse und Interessen des US-Kapitals), und gestützt auf seine militärische Macht und die seiner Alliierten.

Die wahnwitzige Vision einer Weltordnung legte Bush in seiner Ansprache an die Absolventen von West Point am 1. Juni 2002 dar. Die USA, so sagte er, hätten nun die beste Chance seit dem Aufstieg des Nationalstaates im siebzehnten Jahrhundert, "eine Welt zu schaffen, wo die großen Mächte friedlich miteinander wetteifern, anstatt sich auf Kriege vorzubereiten." Wettbewerb zwischen großen Nationen sei unvermeidlich, doch Krieg sei es nicht. Denn "Amerika besitzt eine militärische Stärke jenseits aller Herausforderungen, und beabsichtigt sie auch zu behalten, daher wird das destabilisierende Wettrüsten anderer Zeitalter sinnlos, und Rivalitäten beschränken sich auf Handel und andere friedliche Vorgehen."

Diese Absicht, die Welt umzuorganisieren ist heute noch weit reaktionärer als 1914, als sie zuerst aufkam. Das Drängen der USA auf Weltherrschaft, in seinem Innersten getrieben von der Krise im Herzen des Profitsystems, kann keinen Frieden bringen, und schon gar keinen Wohlstand, sondern nur sich verschärfende Angriffe auf die Weltbevölkerung, bestärkt durch militärische und diktatorische Herrschaftsformen.

Worin liegt also der Weg vorwärts? Wie soll man den Anlauf zu weltweiter Dominanz des US-Imperialismus bekämpfen, mit all den Katastrophen, die aus ihm erwachsen? Das ist die Aufgabe, vor die uns die Geschichte gestellt hat.

Doch die Geschichte, wie Marx bemerkte, stellt niemals eine Aufgabe, ohne zugleich die materiellen Bedingungen ihrer Lösung bereitzustellen.

Die Globalisierung der Produktion, deren räuberische und reaktionäre Beantwortung der Ausbruch des US-Imperialismus ist, hat zugleich die Bedingungen geschaffen für eine historisch fortschrittliche Antwort durch die Vereinigung der Massen von einfachen arbeitenden Menschen in einem internationalen Maßstab, der niemals zuvor möglich war und von dem man in der Vergangenheit nur träumen konnte.

Hierin bestand die objektive Bedeutung der Demonstrationen, die vor dem Einmarsch im Irak weltweit losbrachen - Demonstrationen, deren Teilnehmer sich völlig korrekt als Teil einer Weltbewegung sahen, und die aus diesem Verständnis Stärke gewannen. Die Massenmobilisierung deckte auf, dass nicht nur die Produktivkräfte globalisiert worden sind, sondern ebenso auch die politischen Aktionen der kämpfenden Menschheit.

Diese neuartige Situation war Gegenstand eines Kommentars in der New York Times, es gäbe wohl doch zwei Weltmächte - die Vereinigten Staaten und die weltweite öffentliche Meinung. Oder, wie es kürzlich ein Kommentar der Financial Times ausdrückte, es könnte Karl Marx sein, der zuletzt lache, denn der globale Kapitalismus "wirft Bedrückungen auf, welche die Politik globalisieren könnten."

Lehren aus den globalen Antikriegsprotesten

Doch fünf Monate danach müssen wir nun eine Untersuchung dessen vornehmen, was stattgefunden hat. Die Bewegung zeigte das gewaltige Potential, das besteht, doch sie zeigte auch die Probleme, die überwunden werden müssen, damit dieses Potential realisiert werden kann. Diese Probleme konzentrieren sich auf das eine: Die Krise der politischen Perspektiven.

Was die Demonstrationen an den Tag legten, war das Fehlen eines deutlich ausgearbeiteten Programms. Wenn überhaupt eines existierte, dann war es, daß wenn nur genügend Druck ausgeübt werden würde, dies den Krieg verhindern könne. So gesehen waren die Demonstrationen eine Art gigantisches Experiment über den Wert der Protestpolitik.

Es war, als hätte die Geschichte gesagt: "Trotz der Lehren der Vergangenheit glaubt Ihr also, dass massenhafter Druck die herrschenden Mächte entscheidend beeinflussen kann - was nicht eure Schuld ist. Nun gut, ich werde für Euch einen gigantischen Versuch organisieren, und zwar in Form der größten weltweiten Proteste aller Zeiten. Und damit nicht genug, ich werde es so arrangieren, dass die Vereinten Nationen ihre Zustimmung zu diesem Krieg verweigern werden - der Wert dieser Organisation wird damit ebenso auf die Probe gestellt werden - und wir werden sehen, ob dies die Invasion verhindern kann." Und die Geschichte fügte hinzu: "Am Ende dieses Experiments werdet Ihr die notwendigen Schlüsse aus seinem Versagen ziehen."

Was sind diese Schlüsse? Dass die Massenbewegung ein zusammenhängendes Programm und eine Perspektive erfordert, die nicht auf Druck gegen die herrschenden Klassen abzielt, sondern auf die Eroberung der politischen Macht.

Bei der Entwicklung dieser Perspektive gibt es keine einfachen Antworten. Es geht nicht darum, sich hinter irgendeinem neuen oder schlauen Slogan zu verstecken, auch nicht darum, noch größere Proteste zu organisieren. Die Massenbewegung muß mit dem Verständnis bewaffnet werden, daß nur durch die Eroberung der politischen Macht durch die internationale Arbeiterklasse die schwierigen und komplexen Probleme überwunden werden können, mit denen die Menschheit konfrontiert ist. Dies erfordert zuallererst eine Untersuchung der Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts. Diese Aufgabe bildet die Grundlage der Arbeit der World Socialist Web Site.

Um dies Schlußfolgerungen zu verdeutlichen, würde ich gerne einen Blick auf einen kürzlich erschienenen Artikel von George Monbiot werfen, eines der führenden britischen Autoren dessen, was man Globale Gerechtigkeitsbewegung nennen könnte. Im Guardian vom 17. Juni stellt Monbiot korrekt dar, daß obwohl die Globalisierung alles Vergangene hinwegfegt, sie ebenso wie sie zerstört auch Neues schafft, was der Weltbevölkerung ungekannte Möglichkeiten zur eigenen Mobilisierung eröffnet. das ist genau der Punkt, den die WSWS machte, als Monbiot und andere die "Globalisierung" als den großen Feind beschimpften. Jetzt, schreibt er, hat das Business, indem es seine Herrschaft erweitert hat, die Bedingungen geschaffen, unter denen die Weltbevölkerung ihre Angriffe auf es koordinieren können. Dies bedeutet, daß "wir uns einem revolutionären Zeitpunkt nähern könnten."

Doch das Problem liegt darin, daß die Bewegung kein Programm hat, was er völlig richtig als ihre entscheidende Schwäche ansieht. Unsere Aufgabe, fährt er fort, sei "nicht, die Globalisierung zu überwinden, sondern sie einzunehmen, und sie zum Vehikel zu machen für der Menschheit erste demokratische Weltrevolution."

Er schlägt zwei Hauptmaßnahmen vor. Die erste ist die Abschaffung von Internationalem Währungsfond und Weltbank und ihre Ersetzung durch eine Einrichtung, wie sie Keynes und die Bretton-Woods-Konferenz 1944 vorschlugen und deren Ziel das Verhindern von übermäßigen Handelsüberschüssen und -defiziten sein sollte. Die zweite ist die Abschaffung des UN-Sicherheitsrates und seine Vollmachten einer reformierten UN-Generalversammlung zu übertragen, in der die verschiedenen Nationen Stimmrecht nach der Größe ihrer Bevölkerung und ihrer Position auf einem "globalen Demokratieindex" besäßen.

In Anbetracht dieser Vorschläge für eine "demokratische Weltrevolution" kann man nur sagen: Der Berg hat sich angestrengt, und hervorgebracht hat er... eine Maus.

Monbiot hat Recht, wenn er fordert, dass neue demokratische Formen einer Weltregierung geschaffen werden müssen. Doch wenn die Demokratie irgendeinen realen Inhalt haben soll, dann den, dass die gewaltigen transnationalen Konzerne, Banken und Weltfinanzinstitutionen aus privaten Händen genommen werden und in öffentliches Eigentum überführt, zum Gegenstand demokratischer Kontrolle werden müssen. Kurz: Echte Demokratie - Herrschaft des Volkes - kann nur erreicht werden durch Beendigung der Herrschaft des Kapitals. Diese beiden können nicht nebeneinander bestehen.

Margaret Thatcher verstand dies sehr gut. Es gäbe, so sagte sie, nicht so etwas wie die "Gesellschaft" und subsumierte die Operationen des "freien Marktes" unter der Aussage: "Es gibt keine Alternative". Sie hatte Recht.

Doch das ist genau der Punkt: Wenn es keine Alternative gibt, gibt es keine Demokratie. Demokratie beinhaltet die Wahl zwischen Alternativen, beim Treffen von Entscheidungen und dabei, sie vielleicht zu ändern, oder sie zu verbessern und zu entwickeln. Wenn es keine Alternativen gibt, besteht Diktatur, die Diktatur des Kapitals und die Unterordnung der Interessen, Bedürfnisse und Erwartungen der Weltbevölkerung unter sein nie endendes Profitstreben.

Zum Abschluss möchte ich Euch bitten, Euch vorzustellen, wie anders die Lage heute wäre, wenn die Massenbewegung, die im Februar hervortrat, die bitteren Erfahrungen des zwanzigsten Jahrhunderts untersucht und durchgearbeitet, und wäre sie von dem Verständnis geleitet worden, dass der Kampf gegen Imperialismus und Krieg die Entwicklung der internationalen sozialistischen Revolution bedeutet. Die politische Arena von heute sähe sehr anders aus.

In Wirklichkeit scheinen die imperialistischen Mächte mit ihrem monströsen Verbrechen davongekommen zu sein, und es besteht eine Art politischer Kampfpause. das wird vorübergehen. Neue Kämpfe werden sich entwickeln. Doch die Schlüsselfrage bleibt: Mit welchem Programm, welcher Perspektive? Sie werden zu solch einem Grade voranschreiten, dass sie sich auf die Konzeption gründen, dass die Aufgabe nicht das Ausüben von Druck auf diese oder jene Regierung ist, noch viel weniger auf die UNO, oder dass es möglich wäre, die Parteien und Organisationen wiederzubeleben, die einst über Masseneinfluss verfügten, sondern die internationale sozialistische Bewegung der Arbeiterklasse des einundzwanzigsten Jahrhunderts vorwärtszubringen, auf der Grundlage aller Lehren des zwanzigsten.

Das Ziel der World Socialist Web Site ist, dieser Bewegung die notwendige Orientierung zu geben und die internationale revolutionäre Partei ihrer Führung aufzubauen. Wir sehen diese Konferenz als Schritt in Richtung dieses Ziels.