Newsweek-Reportage beschönigt Kriegsverbrechen der USA in Afghanistan
Von Kate Randall
11. September 2002
aus dem Englischen (4. September 2002)
Das international bekannte Nachrichtenmagazin "Newsweek" brachte in seiner Ausgabe vom 26. August eine Reportage unter dem Titel "Der Todeskonvoi von Afghanistan". Dazu wird auf der Titelseite erläutert: "Im November ließen die afghanischen Verbündeten Amerikas Hunderte Taliban-Gefangene, die sich ergeben hatten, in versiegelten Frachtcontainern ersticken. Wo blieben die US-Truppen? "
Aus der durch Augenzeugen belegten Reportage geht hervor, dass der Tod von womöglich mehr als 1000 Gefangenen in Anwesenheit von US-Soldaten eintrat. Sie zeigt im Einzelnen auf, wie Ende November letzten Jahres Taliban-Kämpfer, die sich nach der Schlacht bei Konduz der Nordallianz ergeben hatten, bei der Festung Qala Zeini zu Hunderten in versiegelte LKW-Container verladen wurden. Ohne Luft- oder Wasserzufuhr ließ man sie während der zwei- bis dreitägigen Fahrt zum Gefängnis Sheberghan bewusst ersticken und verdursten. Anschließend wurden ihre Leichen in einem Massengrab in Dasht-e Leili westlich von Sheberghan verscharrt.
Der Newsweek -Artikel schildert diese Gräueltaten zwar recht detailliert, aber mit der eindeutigen politischen Zielsetzung, die Schuld für die Kriegsverbrechen der Nordallianz aufzuladen und die USA davon freizusprechen.
Neben dem Newsweek -Bericht sind inzwischen eine ganze Reihe von Enthüllungsartikeln über den Umgang der USA und ihrer Verbündeten mit Taliban-Gefangenen erschienen. Sie bestätigen die Informationen, die der irische Regisseur Jamie Doran in seinem Dokumentarfilm "Massaker in Mazar" dargestellt hatte. Dieser Film wurde im Juni vor einem ausgewählten Publikum in Europa gezeigt, von der amerikanischen Presse jedoch weitgehend ignoriert. Menschenrechtsgruppen und einige europäische Politiker hatten eine internationale Untersuchungskommission über Kriegsverbrechen der USA gefordert.
Zuvor hatten die Medien bereits vielfach über die Ermordung von Gefangenen im Gefängnis Qala-i-Janghi in Mazar-i-Scharif berichtet, wo Ende November mindestens 400 gefangene Taliban unter den Augen einer US-Sondereinsatztruppe ermordet wurden. Über dieses Massaker hat CNN vor kurzem eine Dokumentation erstellt.
Auf die ersten Interviews hin, die das Internationale Komitee des Roten Kreuzes mit Überlebenden im Gefängnis Sheberghan geführt hatte, brachten die New York Times und mehrere andere Zeitungen erste Berichte über die Vorfälle. Die World Socialist Website veröffentlichte am 13. Dezember einen Artikel über die Gräueltaten.
Im Falle des Newsweek -Berichts ist die politische Zielsetzung der Autoren offensichtlich. Die Gräueltaten werden eingestanden, die Verantwortung der USA hingegen abgemindert oder sogar bestritten. Ihre Recherchen, so die Autoren, hätten ergeben, "dass die amerikanischen Truppen aufs Engste mit Verbündeten' zusammenarbeiteten, deren Handlungen durchaus als Kriegsverbrechen gelten könnten". Sie fahren jedoch fort zu behaupten: " Newsweek konnte nichts in Erfahrung bringen, das darauf hinweisen würde, dass die amerikanischen Truppen im Voraus über die Morde wussten, dass sie Zeuge gewesen wären, wie die Gefangenen in die unbelüfteten Container gepfercht wurden, oder dass sie die Möglichkeit gehabt hätten, dies zu verhindern."
Den Widerspruch, dass die US-Truppen auf der einen Seite direkt mit der Nordallianz zusammenarbeiteten, auf der anderen Seite aber im Wesentlichen unschuldig sein sollen, versuchen die Autoren nicht aufzulösen. Dabei widersprechen die Tatsachen, die sie in ihrer Reportage darstellen, dieser Unschuld ganz direkt. In ihrem Bemühen, die USA von allen Vergehen freizusprechen, sieht sich Newsweek außerdem veranlasst, die geschilderten Vorfälle aus ihrem politischen Gesamtzusammenhang herauszureißen. Beispielsweise unterschlägt sie Aussagen von Vertretern der US-Armee, die zu jener Zeit die Nordallianz zur Tötung von Taliban-Gefangenen ermutigten.
Was die Reportage der Newsweek aufzeigt
Anlass für die Reportage waren Untersuchungen von Bill Haglund, einem auf forensische Untersuchungen spezialisierten Anthropologen und Archäologen, am Massengrab von Dasht-e Leili. Er war dorthin gereist, nachdem überlebende Gefangene in Sheberghan Vertretern des Bostoner Verbandes "Ärzte für Menschenrechte" von den Morden erzählt hatten.
Newsweek beschreibt die Szenerie des Todes in Dasht-e Leili: "Gerissene Gebetsketten. Eine Wollkappe. Ein paar Schuhe. Diese Überreste nebst Reifenspuren von LKWs und Abdrücken von Baggerschaufeln ließen erkennen, dass Haglund gefunden hatte, wonach er suchte." Nach Nahrung suchende Tiere hatten abgenagte Knochen hinterlassen, die zum Teil von frisch beerdigten Leichen stammten, sodass noch Fleisch an ihnen hing.
Das Grabgelände ist mindestens 4000 Quadratmeter groß. Bei Probegrabungen in einem nur etwa 5,50 Meter breiten Abschnitt bis zu 1,50 Meter Tiefe fanden Haglund und seine einheimischen Helfer 15 Leichen. Haglund möchte keine Schätzungen über die Anzahl der Verscharrten vornehmen, aber Newsweek zitiert Aziz ur Rahman Razek, den Direktor der Afghanischen Menschenrechtsorganisation: "Ich kann zuverlässig sagen, dass mehr als eintausend Menschen in den Containern gestorben sind."
Die Opfer - ausnahmslos junge Männer - waren "leicht bekleidet, was einigen Berichten entspricht, wonach sie sich [vor ihrem Tod] an einem sehr heißen Ort aufgehalten hatten", kommentiert Haglund. Die Leichen wiesen keine Anzeichen von Schusswunden oder Schlägen auf, was ebenfalls die Schilderungen der Überlebenden bestätigt, wonach sie erstickt sind. Wie ist es zum Tod dieser Männer gekommen?
Am 25. November sollte die Kapitulation der Taliban-Kämpfer offiziell beginnen. Die meisten, so Newsweek, hätten sich "wie Schafe" ergeben, nachdem ihnen die Kommandeure der Nordallianz, unter ihnen General Rashid Dostum, versprochen hatten, dass sie in ihre Dörfer zurückkehren dürften - eine Politik, von der die Bush-Regierung nichts wissen wollte, insbesondere im Hinblick auf Taliban, die nicht aus Afghanistan stammten.
Die Newsweek -Reporter sprachen mit einem Mann, den sie als Mohammed bezeichnen. Er war um die fragliche Zeit bei einem Container-Depot außerhalb von Mazar-i-Sharif von Angehörigen der Miliz Dostums angesprochen worden. Sie eröffneten ihm, dass sein LKW gebraucht werde, um gefangene Taliban zum Gefängnis Sheberghan zu bringen. Er fand sich am selben Abend in Qala Zeini ein, wo einige weitere LKWs mit Containern bereits warteten. Er schätzt die Anzahl der anwesenden Nordallianz-Soldaten auf etwa 150.
Mohammed schildert, wie die Gefangenen - unter ihnen Afghanen, Pakistaner, Araber und Tschetschenen - in Pickups und Lastwagen eintrafen und in die Container getrieben wurden. Die meisten, sagt er, seien an den Oberarmen gefesselt gewesen und hätten eine Augenbinde getragen, einige seien auch an den Füßen gefesselt gewesen. Die Szene weckt Erinnerungen daran, wie die europäischen Juden in Viehwaggons zu den Todeslagern der Nazis transportiert wurden. Drei weitere Tage lang trafen immer neue Lastwagen mit Taliban ein, die dann zu 150 bis 300 Mann in je einen Container verladen wurden. Als sie hörten, wie die Behälter von außen verriegelt wurden, wurde ihnen klar, dass sie nicht wie versprochen nach Hause gebracht, sondern sterben würden.
Die Gefangenen in Mohammeds Container schrieen: "Wir sterben! Gebt uns Wasser! Wir sind Menschen, keine Tiere." Mohammed und einige andere Fahrer schlugen Löcher in ihre Container, sodass einige Männer überleben konnten, aber die meisten Gefangenen hatten weniger Glück.
Mohammed schätzt, dass der Konvoi bei seiner Abfahrt aus 13 Containern bestand. Neben jeden Fahrer wurden Soldaten gesetzt. Ein weiterer Fahrer, der Ghassan genannt wird, berichtete der Newsweek, dass einige Gefangene in seinem Container, die noch am Leben waren, gegen die Innenwände schlugen. Die Soldaten der Nordallianz sagten daraufhin zu ihm: "Die wollen nur Wasser... fahr' weiter."
In der Newsweek heißt es wörtlich: "Als die Lastwagen schließlich beim Gefängnis Sheberghan eintrafen, waren viele schrecklich ruhig. Mohammed steuerte den LKW, der an zweiter Stelle fuhr, doch als der Container des ersten Fahrzeugs geöffnet wurde, stieg er aus und lief in den Hof des Gefängnisses. Von den etwa 200 Männern, die vor weniger als 24 Stunden in den versiegelten Container geladen worden waren, hatte kein einziger überlebt." "Sie öffneten die Türen und die Toten quollen wie Fische heraus", erinnert er sich. Am nächsten Tag, den 30. November, trafen weitere sieben Containerladungen mit Gefangenen ein, und am 1. Dezember nochmals sieben. Die Fahrer berichten, dass die meisten dieser Container Tote enthielten.
Die Leichen der Gefangenen wurden mit Lastwagen nach Dasht-e-Leili gebracht. Dort wurde eine Grube ausgehoben, die Toten wurden hineingeworfen, und die Erde mit Baggern wieder aufgeschüttet. Anwohner berichten, dass Dostums Soldaten die Zufahrt zum Ort des Geschehens absperrten, um ihr Treiben zu verheimlichen. "Keine Autos, keine Eselskarren, nicht einmal Fußgänger durften die Straße benutzen", erzählte ein Dorfbewohner der Newsweek.
Amerikaner vor Ort
Wo waren die Soldaten der USA, während diese Gefangenen erstickten und in einem Massengrab verscharrt wurden? Zwar ist die Newsweek der Ansicht, dass ihre Erkenntnisse keine Rückschlüsse auf eine Verwicklung der USA in diese Verbrechen zulassen, doch die in dem Bericht aufgeführten Tatsachen zeigen bereits, dass US-Truppen bei der Kapitulation der Taliban-Kämpfer zugegen und auch Zeuge waren, als die Männer in die Container verladen wurden und die Toten in Sheberghan eintrafen.
Das Magazin schreibt, dass nach Angaben von Amerikanern und Afghanen, die sich damals vor Ort befanden, "Dutzende von Soldaten der Sondereinsatztruppen" in Yerganak waren, einer Wüstensiedlung in der Nähe von Konduz, wo die Kapitulation der Taliban-Soldaten vollzogen werden sollte. "Einige Angehörige der Sondereinsatzteams fuhren auf vierrädrigen Motorrädern in der Gegend herum; es gibt Filmaufnahmen von Dostum auf einem Beifahrersitz", heißt es in dem Bericht. Auch waren US-Kampfflugzeuge in der Luft.
Insbesondere verweist Newsweek auf die Rolle des zwölfköpfigen A-Teams 595 von der Fifth Special Forces Group, die in Fort Campbell in Kentucky stationiert ist. Diese A-Teams "waren die Stoßtruppen des US-Angriffs auf dem Boden und der US-Luftwaffe", schreibt die Zeitschrift. Weiter heißt es: "Während der drei Tage, in denen die ersten Konvois mit Toten in Sheberghan eintrafen, befanden sich Angehörige der Sondereinsatztruppen vor Ort. Außerdem war in diesem Gefängnis ein eigenes, aus vier Mann bestehendes Geheimdienst-Team in Kampfausrüstung gerade damit beschäftigt, Gefangene auszusondern, die der Mitgliedschaft in der al-Qaida verdächtigt wurden und weiter verhört werden sollten."
Newsweek zitiert einen weiteren Fahrer der Container-LKWs namens Abdullah. Er machte sich Sorgen über das Schicksal der Gefangenen, die in die luftdichten Behälter getrieben wurden, und setzte sich mit einem Bekannten, Said Vasiquallah Sadat, in Verbindung, der als Übersetzer für die Amerikaner arbeitete. Am nächsten Tag "traf in Qala Zeini eine Gruppe Amerikaner in zwei staubbedeckten Pickups ein. Aber die Container waren schon fort, und die Amerikaner - so Abdullah - machten kehrt und fuhren zurück nach Mazar."
Vasiquallah wollte gegenüber der Newsweek zwar nicht bestätigen, dass er die Amerikaner über die Container informiert habe, sagte aber: "Meiner Ansicht nach haben die Amerikaner das schnell gemerkt. Sie waren von Anfang an im Gefängnis Sheberghan."
US-Truppen befehligen
Der Versuch der Newsweek, Militär und Zivilbehörden der USA von jeder Schuld freizusprechen, widerspricht dem gesunden Menschenverstand. Seit dem Eintreffen der ersten US-Truppen in Afghanistan im vergangenen Oktober bezeichnet die Bush-Regierung den Einsatz als Krieg Amerikas gegen den Terrorismus. Washington legte Wert auf die Feststellung, das sich das US-Militär nicht in einen Bürgerkrieg einmische, sondern einen Krieg gegen die Taliban führe, bei dem die Nordallianz als ihr Verbündeter und Stellvertreter handle. Folglich hatten die Amerikaner eindeutig das Sagen.
Auf einer Pressekonferenz am 16. November 2001 beschrieb Verteidigungsminister Donald Rumsfeld die Rolle der US-Truppen und ihre Beziehung zur Nordallianz mit folgenden Worten: "Im Norden sind überwiegend Spezialtruppen der US tätig, die in Abteilungen der Nordallianz eingegliedert sind und ihnen helfen bei der Kommunikation, der Nahrungsmittelbeschaffung, der Munitions- und Medikamentenbelieferung, der Ausstattung mit Winterausrüstung und bei der Kommunikation mit der Luftwaffe, die von den Vereinigten Staaten gestellt wird" (unsere Hervorhebung).
Außerdem wird Afghanistan immerhin seit Monaten intensiv von der US-Armee überwacht. Hochentwickeltes elektronisches Gerät wird eingesetzt, um Truppenbewegungen zu verfolgen und kleinste Ziele am Boden anzupeilen, zum Beispiel Tunnel und Höhlen. Wie soll es da möglich sein, dass ihnen die Fahrt eines LKW-Konvois ebenso entgeht wie der Tod von möglicherweise Tausenden Gefangenen, die in einem von der Nordallianz kontrollierten Gebiet verscharrt werden?
Noch im Juni bestritt der Sprecher des Verteidigungsministeriums, dass die USA Kenntnis von dem Vorfall hatten oder gar daran beteiligt waren. Oberstleutnant Dave Lapan erklärte: "Das Oberkommando hat die Angelegenheit untersucht und keinen Hinweis auf Kenntnis oder Anwesenheit entdeckt. Unsere Jungs waren nicht dort, sahen nicht zu und wussten nichts davon - sollte tatsächlich so etwas passiert sein."
Auf einer Pressekonferenz des Pentagons am 26. August sagte Marinegeneral Peter Pace vor Reportern, dass das Militär "die Seite der USA sehr gründlich untersucht hat". Dabei sei festgestellt worden, "dass keine Menschenrechtsverletzungen von Seiten der US-Bodentruppen gemeldet wurden". Weiter sagte der General, dass die USA nicht beabsichtigten, die Vorwürfe zu untersuchen, und wich der Frage aus, ob sie eine Untersuchung von Seiten Afghanistans unterstützen würden.
Auf der einen Seite brüsten sich die USA, sie würden in Afghanistan Terroristen jagen und für diesen Krieg die Nordallianz einsetzen. Sobald jedoch Beweise für Massaker und Gräueltaten auftauchen, behauptet die Bush-Regierung, sie habe damit nichts zu tun und könne nichts unternehmen, um sie zu verhindern. Diese Doppelmoral ist angesichts der Fakten nicht zu halten.
Der politische Hintergrund
Wenn man die Ereignisse in ihren richtigen politischen Zusammenhang stellt, zeichnet sich deutlich ab, dass die Nordallianz auf die Initiative hoher Vertreter der Bush-Regierung hin handelte. Sprecher des Weißen Hauses haben wiederholt alle Taliban-Kämpfer mit der al-Qaida gleichgesetzt und sie als "illegale Krieger" bezeichnet, die nicht unter die Genfer Konvention fallen würden.
In einem Auftritt in der amerikanischen Interviewsendung "Meet the Press" bezeichnete Rumsfeld die Überlebenden des Massakers im Gefängnis von Mazar-i-Sharif als "letzten harten Kern der al-Qaida" und ergänzte: "Wenn die Leute sich nicht ergeben, sind sie selbst schuld." In der Woche vor dem Massaker in der Festung Qala-i-Janghi erklärte Rumsfeld gegenüber Reportern, er hoffe, die al-Qaida-Kämpfer würden "entweder getötet oder gefangen werden".
Rumsfeld, Präsident Bush und andere Vertreter der USA lehnten es offiziell ab, ausländischen Taliban-Kämpfern, die sich ergeben, freies Geleit nach Pakistan zu gewähren. Rumsfeld erklärte am 9. November: "Wir hoffen, dass sie [die Nordallianz] sich nicht auf Verhandlungen einlassen, die zur Freilassung der al-Qaida-Truppen führen würden oder ermöglichen würden, dass ausländische, nicht-afghanische Staatsangehörige freigelassen werden, das Land verlassen und Nachbarländer destabilisieren."
Am 26. November, inmitten der Kapitulation bei Kunduz, erklärte Bush: "Eines unserer Ziele besteht darin, sie auszuräuchern, sie in die Flucht zu schlagen und ihrer gerechten Strafe zuzuführen... Ich sagte auch, dass wir alle erforderlichen Mittel anwenden werden, um dieses Ziel zu erreichen."
Die Verlautbarungen verschiedener Vertreter der Bush-Regierung waren derart aufhetzend, dass es selbst der US-Presse auffiel. Die Washington Post berichtete am 23. November über besorgte Berichte der Presse im Nahen Osten, die Rumsfelds Äußerungen als "grünes Licht der Vereinigten Staaten für den Mord an sogenannten afghanischen Arabern" interpretierte. In der internationalen Presse erschienen zugleich Kommentare, die korrekterweise darauf hinwiesen, dass die Verlautbarungen aus Washington letztlich die Nordallianz zur Hinrichtung nicht-afghanischer Gefangener anstachelten.
Zudem fielen diese Äußerungen Rumsfelds und anderer zu einer Zeit, als bereits nachgewiesen war, dass die Nordallianz Massaker an womöglich Hunderten gefangenen Taliban verübte, wie sie es in der Schlacht um Mazar-i-Sharif nur zwei Wochen vor dem Häftlingsaufstand in der Festung Qala-i-Janghi getan hatte. Die Auffassung der Newsweek, dass die USA nicht von weiteren Tötungen hätten wissen können, ist absurd.
Ganz unabhängig von der genauen Rolle der US-Bodentruppen lassen die Aussagen der Regierungsvertreter erkennen, dass der Mord an den Taliban-Gefangenen im Rahmen der US-Politik stattfand.
Weshalb der Newsweek -Artikel?
Die Berichte über Gräueltaten in Afghanistan, die eine weite Verbreitung erfuhren, zwangen die US-Behörden zu einer wenigstens halboffiziellen Erklärung für die Vorfälle. Eben diese Funktion erfüllt der Bericht der Newsweek, der wahrscheinlich auf irgendeiner Regierungsebene sanktioniert worden ist. Er bestätigt vieles, das bereits über das Sterben in den Containern berichtet worden ist, liefert einige zusätzliche Einzelheiten und setzt dann alles daran, die amerikanischen Truppen reinzuwaschen. Dieses Muster ist klassisch, wenn es um gezielte Vertuschung geht.
Der Zeitpunkt seines Erscheinens legt außerdem die Vermutung nahe, dass der Bericht mit zunehmenden Spannungen zwischen der Bush-Regierung und der von Tadschiken dominierten Nordallianz zusammenhängt. Diese Spannungen haben sich nach dem Mordanschlag auf den afghanischen Vizepräsidenten Haji Abdul Qadir am 6. Juli noch verschärft.
Der Mord an Qadir, dem zweiten führenden Paschtunen in der afghanischen Regierung nach Präsident Hamid Karzai, wurde in weit verbreiteten Gerüchten Vertretern der Tadschiken innerhalb der Regierung zugeschrieben. Nach der Ermordung Qadirs reisten der stellvertretende Verteidigungsminister Paul Wolfowitz und der Sondergesandte der USA Zalmay Khalilzad nach Afghanistan, um sich mit Karzai und dem usbekischen Warlord Dostum zu treffen. Dort verliehen sie ihrer Ablehnung des Anschlags und ihrer Sorge Ausdruck, dass die afghanische Regierung ihre Fraktionskämpfe nicht mehr unter Kontrolle halten könne. Seither hat das US-Militär die Zuständigkeit für Karzais Sicherheit übernommen, denn sie traut niemandem in der afghanischen Regierung zu, diese selbst gewährleisten zu können.
Da die Bush-Regierung nicht mehr leugnen kann, dass Gräueltaten an Taliban-Gefangenen verübt wurden, weist sie jede Verantwortung dafür von sich und deutet an, dass die USA Vertreter der Nordallianz, die an diesen Verbrechen beteiligt waren, nicht in Schutz nehmen werden. Der Newsweek -Bericht erfüllt also auch die Funktion eines Warnschusses der USA an die Adresse ihrer gegenwärtigen Verbündeten in Afghanistan.
Der Newsweek -Bericht enthält Beweise für Kriegsverbrechen aus erster Hand. Er räumt ein, dass zu verschiedenen Zeitpunkten im Ablauf der Gräueltaten US-Militärpersonal zugegen war. Die Aussagen Donald Rumsfelds und anderer US-Vertreter zeigen schließlich, dass der Mord an Taliban-Gefangenen amerikanische Politik war. Als Ganzes genommen reichen diese Tatsachen aus, um eine umfassende unabhängige Untersuchung wegen Kriegsverbrechen in die Wege zu leiten. Sie machen ein solches Verfahren sogar dringend erforderlich. Dabei muss nicht nur gegen die Nordallianz, sondern auch gegen das US-Militär und die Bush-Regierung ermittelt werden.