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Der Krieg gegen den Irak und Amerikas Streben nach Weltherrschaft

Von David North
10. Oktober 2002
aus dem Englischen (4. Oktober 2002)

Den folgenden Vortrag hielt David North, Chefredakteur der World Socialist Web Site, am 1. Oktober 2002 auf einer gut besuchten Veranstaltung an der University of Michigan in Ann Arbor.

Am 17. September 2002 veröffentlichte die Bush-Regierung ihre "Nationale Sicherheitsstrategie für die Vereinigten Staaten von Amerika". Dieses wichtige Papier ist in den etablierten Medien bisher nicht gründlich analysiert worden. Das ist höchst bedauerlich, denn es beinhaltet die politische und theoretische Rechtfertigung für eine kolossale Steigerung des amerikanischen Militarismus. Zur Leitlinie für die Politik der USA erhebt es das Recht, zu jeder Zeit an jedem Ort der Welt militärische Gewalt anzuwenden, und zwar gegen jedes Land, das in ihren Augen eine Bedrohung amerikanischer Interessen darstellt oder irgendwann dazu werden könnte. Kein anderes Land, nicht einmal Nazideutschland auf dem Höhepunkt von Hitlers Wahn, hat in der modernen Geschichte einen derart uneingeschränkten Anspruch auf die globale Hegemonie - direkter ausgedrückt: die Weltherrschaft - erhoben, wie jetzt die Vereinigten Staaten.

Lässt man die zynischen Euphemismen und bewussten Verschleierungen beiseite, ist die Botschaft des Papiers unverkennbar: Die Regierung der Vereinigten Staaten beansprucht das Recht, jedes Land ihrer Wahl zu bombardieren, zu überfallen und zu zerstören. Sie weigert sich, im Rahmen des internationalen Rechts die Souveränität anderer Länder anzuerkennen, und behält sich das Recht vor, überall auf der Welt jede Regierung zu beseitigen, die ihrem Eindruck nach dem, was die Vereinigten Staaten als ihre vitalen Interessen erachten, im Wege steht oder dies irgendwann tun könnte. Kurzfristig richten sich ihre Drohungen gegen sogenannte "gescheiterte Staaten" - also ehemalige Kolonien und verarmte Länder in der Dritten Welt, die vom Imperialismus ausgeplündert worden sind. Doch auch die größeren Konkurrenten der Vereinigten Staaten, die das Papier im imperialistischen Jargon aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg als "Großmächte" bezeichnet, befinden sich durchaus in Schussweite der Regierung Bush. Die Kriege gegen kleine und wehrlose Staaten, die die Vereinigten Staaten heute vorbereiten - in erster Linie gegen den Irak - werden sich noch als die Vorbereitung von militärischen Angriffen auf eindrucksvollere Ziele erweisen.

Eingangs prahlt das Papier: "Stärke und Einfluss der USA in der Welt sind heute größer als je zuvor - und unübertroffen." Mit atemberaubender Arroganz wird erklärt: "Die Nationale Sicherheitsstrategie basiert auf einem typisch amerikanischen Internationalismus, der die Einheit unserer Werte und unserer nationalen Interessen zum Ausdruck bringt." Diese Formel ist so prägnant, dass man sie sich einprägen sollte: Amerikanische Werte + amerikanische Interessen = typisch amerikanischer Internationalismus. Eine ganz besondere Art von Internationalismus: Was gut ist für Amerika, ist auch gut für die Welt! Entsprechend bezeichnet Präsident Bush in seiner Einleitung die amerikanischen Werte als "richtig und gültig für jeden Menschen, in jeder Gesellschaft".

Diese Werte sind nichts weiter als eine Ansammlung der banalen Weisheiten der amerikanischen Plutokratie, beispielsweise "Achtung vor dem Privateigentum"; "wachstumsfördernde Gesetze und Rahmenbedingungen zur Förderung von Investitionen, Innovationen und unternehmerischer Tätigkeit"; "eine Steuerpolitik - insbesondere niedrigere Steuerhöchstsätze -, die Anreize für die Schaffung von Arbeit und für Investitionen bietet"; "eine starke Finanzwirtschaft, in der Kapital möglichst effizient eingesetzt werden kann"; "eine solide Fiskalpolitik, die unternehmerische Aktivitäten fördert". Als Nächstes erklärt das Papier: "Die Lehren der Geschichte sind klar: Marktwirtschaftliche Systeme, und nicht Kommandosysteme unter strikter Regierungskontrolle, sind das beste Mittel, um Wohlstand zu fördern und Armut abzubauen. Politische Maßnahmen, mit denen die Anreizwirkung und die Institutionen des Marktes gestärkt werden, sind für alle Volkswirtschaften relevant - in Industrieländern, Schwellenländern und Entwicklungsländern."

Während diese Plattheiten der politischen Rechten verkündet werden, gerät die Weltwirtschaft in eine immer tiefere Krise. Ganze Kontinente leiden unter den Auswirkungen einer marktorientierten Wirtschaftspolitik, die ihre soziale Infrastruktur restlos zerstört und Milliarden Menschen in Lebensumstände gebracht hat, die man mit Worten kaum noch beschreiben kann. Zehn Jahre nach der Demontage der Sowjetunion und der Wiedereinführung des Kapitalismus liegt die Sterberate in Russland über der Geburtenrate. Südamerika, das der Internationale Währungsfonds bedenkenlos für seine gesellschaftsschädigenden Experimente benutzt hat, befindet sich im Zustand der wirtschaftlichen Auflösung. In Südafrika ist ein erheblicher Prozentsatz der Bevölkerung mit dem HIV-Virus infiziert. Die Weltbank berichtet:

"Die AIDS-Krise hat verheerende Auswirkungen auf die Entwicklungsländer, insbesondere in Afrika. Die Gesundheitssysteme - geschwächt durch die Auswirkungen von AIDS, durch Konflikte und schlechtes Management - bekommen die traditionellen Krankheiten nicht mehr in den Griff. Immer noch sterben Millionen an Malaria und Tuberkulose - allein die Malaria vermindert das jährliche Wachstum des Bruttoinlandsprodukts in den Ländern südlich der Sahara um etwa 0,5 Prozent. Die Lebenserwartung ist in dieser Region von 50 Jahren im Jahr 1987 auf 47 Jahre im Jahr 1999 gefallen; in den Ländern, die am stärksten von AIDS betroffen sind (z. B. Botswana, Simbabwe, Südafrika und Lesotho), hat sich die durchschnittliche Lebensdauer um mehr als zehn Jahre verkürzt." (1)

Diese katastrophalen Verhältnisse sind ein Ergebnis des kapitalistischen Systems und der Herrschaft des Marktes. Das Strategiepapier vermerkt im Vorübergehen, dass "die Hälfte der Menschheit von weniger als 2 Dollar pro Tag lebt", doch erwartungsgemäß schlägt die Bush-Regierung als Heilmittel die verstärkte Anwendung derselben Wirtschaftspolitik vor, die erst zu dem Elend in der Welt geführt hat.

Zur näheren Definition des "typisch amerikanischen Internationalismus" führt das Papier aus: "Die Vereinigten Staaten werden sich zwar ständig um die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft bemühen, doch wir werden auch Alleingänge nicht scheuen." In einem weiteren Absatz warnt das Papier, die USA würden "alles Notwendige unternehmen, um zu gewährleisten, dass unsere Bemühungen um die Erfüllung unserer globalen Sicherheitsaufgaben und um den Schutz von Amerikanern nicht beeinträchtigt werden durch mögliche Ermittlungen, Verhöre oder Verfahren des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC), dessen Rechtsprechung für Amerikaner keine Gültigkeit besitzt und den wir nicht akzeptieren". Mit anderen Worten, das Führungspersonal der Vereinigten Staaten will sich nicht durch die Gepflogenheiten des internationalen Rechts einschränken lassen.

Die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse

In einer Studie über die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse schreibt Telford Taylor, Mitglied der amerikanischen Anklagebehörde, die von dem Hauptankläger Robert H. Jackson geleitet wurde: "Die Gesetze des Krieges gelten nicht nur für Angehörige untergegangener Nationen, die der Verbrechen verdächtigt werden. Es gibt keine moralische oder juristische Grundlage dafür, die Nationen selbst von einer genauen Überprüfung auszunehmen. Die Gesetze des Krieges gelten nicht nur für eine Seite." (2) Die Weigerung der Vereinigten Staaten, die Autorität des Internationalen Strafgerichtshofs anzuerkennen, ist von enormer weltpolitischer Bedeutung, denn sie zeigt, dass sich die Führung Amerikas des kriminellen Charakters ihrer Politik durchaus bewusst ist und auch weiß, dass sie dafür nach internationalem Recht schwer büßen müsste.

Wie Telford Taylor betont, basierte die strafrechtliche Verfolgung der Nazi-Führer in Nürnberg auf der neuen juristischen Konzeption, dass die Planung eines Angriffskriegs ein Verbrechen darstellt. Dieser Vorwurf war erstrangig selbst gegenüber denjenigen Anklagepunkten, die sich auf die Gräueltaten der Nazis gegen Juden, gegen die Zivilbevölkerung in besetzten Ländern und gegen Kriegsgefangene bezogen. In einem Memorandum zur Begründung, weshalb die Nazi-Führer für die Planung eines Angriffskriegs verurteilt werden sollten, schrieb Taylor:

"Nur ganz unverbesserliche Paragraphenreiter können sich über die Schlussfolgerung ereifern, dass ein Betreiber aggressiver Kriegshandlungen das Risiko eingeht, für seine Planungen bestraft zu werden, selbst wenn bisher kein Tribunal zu dem Schluss gelangt ist, dass die Vorbereitung eines Angriffskriegs ein Verbrechen darstellt." (3)

Taylor fuhr fort:

"Es ist wichtig, dass der Prozess nicht zu einer Untersuchung über die Gründe des Krieges wird. Man kann nicht nachweisen, dass der Hitlerismus die einzige Ursache für den Krieg war, und man sollte es nicht versuchen. Auch sollte meiner Meinung nach keine Zeit oder Mühe darauf verwendet werden, den zahlreichen betroffenen Nationen und Individuen jeweils ihren Teil der Verantwortung für den Kriegsausbruch zuzuweisen. Die Frage der Ursache ist wichtig und wird noch viele Jahre Gegenstand von Diskussionen sein, doch sie gehört nicht in diesen Prozess, der sich rigoros nach der Doktrin richten muss, dass die Planung und Durchführung eines Angriffskriegs illegal ist, ganz unabhängig davon, welche Faktoren die Angeklagten dazu veranlasst haben. Die Gründe, die dazu beigetragen haben, können die Angeklagten vor der Geschichte, nicht aber vor dem Tribunal geltend machen." (4)

Diese Frage ist heute von überragender Bedeutung - nicht nur hinsichtlich der gegenwärtigen, weit fortgeschrittenen Vorbereitungen auf einen grundlosen amerikanischen Krieg gegen den Irak. Wenn der in Nürnberg geschaffene Präzedenzfall für heute irgendeine Bedeutung hat, dann muss man sagen, dass sich die gesamte Linie des Strategiepapiers außerhalb des internationalen Rechts bewegt. Die wesentliche Aussage dieses Papiers über die Grundlagen der amerikanischen Strategie lautet, dass die Vereinigten Staaten zu einseitigen Militäraktionen gegen andere Länder berechtigt sind, ohne glaubwürdig belegen zu müssen, dass sie auf eine eindeutige und nachweisbare Angriffsdrohung reagieren. Dieser Anspruch auf die uneingeschränkte Vollmacht, nach freiem Ermessen Gewalt anzuwenden, wird mit oberflächlichen Begründungen versehen, die nicht einmal einer flüchtigen Analyse standhalten: "Wir müssen bereit sein, Schurkenstaaten und ihre terroristischen Handlanger aufzuhalten, bevor sie die Fähigkeit besitzen, die Vereinigten Staaten und unsere Verbündeten und Freunde mit Massenvernichtungswaffen zu bedrohen oder anzugreifen."

Wer definiert, was ein "Schurkenstaat" ist? Ist es jeder Staat, der direkt oder indirekt amerikanische Interessen herausfordert? Die Liste aller Länder, die in den Augen der Bush-Regierung "Schurkenstaaten" darstellen, von "potenziellen Schurkenstaaten" ganz abgesehen, ist sehr lang. Kuba steht mit Sicherheit darauf. Nach der Wiederwahl Gerhard Schröders zum Kanzler könnte auch Deutschland darauf stehen!

Auch eine genaue Definition des Begriffs "Terrorist" wäre angezeigt. Er ist bekanntlich sehr verwaschen und kann je nach politischem Bedarf umgedeutet werden. Und wie soll bewiesen werden, ob zwischen einem sogenannten "Schurkenstaat" und einem "terroristischen Handlanger" eine Verbindung besteht, bevor die USA ersteren angreifen? Erst vor wenigen Tagen haben der Präsident, seine Nationale Sicherheitsberaterin und der Außenminister von einer Verbindung zwischen Irak und al-Qaida gesprochen, ohne irgendwelche faktischen Beweise für diese Behauptung vorzulegen, die im Widerspruch zu der wohlbekannten Gegnerschaft des säkularen irakischen Regimes zu islamisch-fundamentalistischen Organisationen steht.

Und schließlich kann der Anspruch auf das Recht, militärisch gegen "Schurkenstaaten und ihre terroristischen Handlanger" vorzugehen, noch bevor diese mit Massenvernichtungswaffen drohen oder sie anwenden können, nur bedeuten, dass die USA sich das Recht vorbehalten, jeden Staat anzugreifen, den sie als potenzielle Bedrohung auffassen. Ein Staat, der momentan keine Bedrohung für die Vereinigten Staaten darstellt und erst recht keinen Angriff auf sie vorbereitet, kann also trotzdem ein legitimes Angriffsziel darstellen, wenn er in den Augen der US-Regierung eine potenzielle oder aufkeimende Gefahr für die nationale Sicherheit Amerikas bildet.

Eine Definition von "Bedrohung", die kein offenes Vorgehen gegen die USA voraussetzt, sondern lediglich das Potenzial, irgendwann in der Zukunft zu einer Gefahr zu werden, würde praktisch jedes Land der Welt zu einem möglichen Angriffsziel Amerikas machen. Das ist keine Übertreibung. Das Papier spricht nicht nur von "Feinden", sondern auch von "potenziellen Gegnern", und warnt sie vor jeder "militärischen Aufrüstung in der Hoffnung, die Stärke der USA zu übertreffen oder zu erreichen". Es richtet eine direkte Warnung an China, es solle nicht versuchen, "fortgeschrittene militärische Kapazitäten" aufzubauen, denn sonst "beschreitet China einen veralteten Weg, der letztlich sein Streben nach nationaler Größe behindern wird" - das heißt, es würde zu einer Bedrohung, die einen militärischen Präventivschlag der USA erfordern könnte.

Während das Papier China vorhält, "fortgeschrittene militärische Kapazitäten" seien ein "veralteter Weg", verkündet es nur zwei Seiten weiter ungeniert: "Es ist an der Zeit, die entscheidende Bedeutung der militärischen Stärke Amerikas zu bekräftigen. Wir müssen unsere Verteidigungskapazitäten so weit ausbauen und pflegen, dass sie unangreifbar sind." Dieses Vorhaben wiederum setzt eine enorme Ausdehnung der amerikanischen Militärpräsenz auf der ganzen Welt voraus. "Um die Unsicherheit zu bekämpfen und den zahlreichen Sicherheitsaufgaben gerecht zu werden, die sich uns stellen, brauchen die USA Stützpunkte und Stationen in Westeuropa und Nordostasien und darüber hinaus sowie befristete Zugangsvereinbarungen für den Einsatz amerikanischer Truppen in weit entfernten Gebieten."

Das Papier stellt wiederholt fest, dass die neue Doktrin der Präventivschläge gegen bestehende und/oder potenzielle Gefahren sowie der Abschied von der früheren Abschreckungsdoktrin eine notwendige Reaktion auf die Ereignisse vom 11. September 2001 sei, mit denen sich die USA unvermittelt einer neuen, nie dagewesenen und bislang unvorstellbaren Bedrohung ausgesetzt sahen. "Die Bedrohung des Kalten Krieges", heißt es in dem Bericht, "war so beschaffen, dass die USA... in erster Linie den Feind von Gewaltanwendung abschrecken mussten, so dass es zu einer furchterregenden Strategie der sicheren gegenseitigen Vernichtung kam. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Ende des Kalten Krieges hat sich unsere Sicherheitslage von Grund auf geändert." Etwas später bezeichnet das Papier die Sowjetunion als "einen insgesamt auf den Erhalt des Status quo orientierten, risikoscheuen Gegner. Abschreckung war eine wirkungsvolle Verteidigung".

Für diejenigen unter uns, in deren Augen die achtziger Jahre zu der eher jüngeren Geschichte gehören, die sich noch an die sechziger Jahre erinnern und zufällig sogar das eine oder andere über die Geschichte der fünfziger Jahre wissen, sind diese Worte bemerkenswert. Wer die Geschichte des Kalten Kriegs nicht kennt, dürfte kaum auf die Idee kommen, dass die Autoren dieses Strategiepapiers - die jetzt die UdSSR in fast nostalgischen Begriffen als einen "auf den Erhalt des Status quo orientierten, risikoscheuen Gegner" beschreiben, noch in den achtziger Jahren die Sowjetunion als "Hort des Bösen" bezeichneten, gegen den sich die USA auf den totalen Krieg vorbereiten mussten. Der heutige Verteidigungsminister, Donald Rumsfeld, stand in enger Verbindung zu dem rechtsgerichteten "Committee for the Present Danger" ("Komitee zur Abwendung der aktuellen Gefahr"), das in den siebziger Jahren gegründet worden war und jedem Rüstungskontrollabkommen mit der Sowjetunion erbittert widersprach. Diese Organisation forderte eine massive militärische Aufrüstung gegen die UdSSR und vertrat den Standpunkt, dass die USA einen Atomkrieg gegen die Sowjetunion führen und gewinnen könnten. Die Pläne der Reagan-Regierung, ein Raketenabwehrsystem im Weltraum zu errichten - der "Krieg der Sterne" - entsprachen den Forderungen des äußersten rechten Flügels der Republikanischen Partei, dessen Mitglieder, insbesondere Cheney, Rumsfeld und Wolfowitz, heute zu den wichtigsten politischen Lenkern der Bush-Regierung gehören. Sie verlangten damals die Entwicklung einer Technologie, die es den Vereinigten Staaten ermöglichen würde, den Einsatz von Atomwaffen gegen die UdSSR ernsthaft in Erwägung zu ziehen.

Dies bringt uns zu den Geschichtsfälschungen und politischen Verdrehungen, die der Nationalen Sicherheitsstrategie der Bush-Regierung zugrunde liegen: der Behauptung, dass die in diesem Papier ausgeführte Politik im Wesentlichen eine Reaktion auf die Ereignisse des 11. September sei und den unausweichlichen militärischen Verpflichtungen entspreche, die den USA aufgrund der Bedrohung durch al-Qaida und andere Terrororganisationen auferlegt worden seien. Der Plan zur Erlangung der Weltherrschaft, der in der Nationalen Sicherheitsstrategie der Bush-Regierung dargelegt wird, ist keine durch die außerordentlichen Ereignisse des 11. September ausgelöste Reaktion. Er ist über mehr als zehn Jahre hinweg ausgearbeitet worden.

Auflösung der UdSSR

Die Ursprünge der Nationalen Sicherheitsstrategie, die vor zwei Wochen enthüllt wurde, gehen auf die Auflösung der Sowjetunion im Dezember 1991 zurück. Diese hatte sehr weit reichende Auswirkungen auf die USA. Nahezu 75 Jahre lang war das Schicksal des amerikanischen Imperialismus unauflöslich mit dem der Sowjetunion verknüpft gewesen. Die Oktoberrevolution, mit der die bolschewistische Partei an die Macht kam, folgte nur wenige Monate auf den Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg. Seit den ersten Tagen ihres Aufstiegs zur wichtigsten imperialistischen Macht standen die USA einem Arbeiterstaat gegenüber, der den Anbruch einer neuen Geschichtsepoche, der Epoche der sozialistischen Weltrevolution, verkörperte. Obwohl die stalinistische Bürokratie später die revolutionären internationalistischen Ideale verriet, die ursprünglich von Lenin und Trotzki vertreten worden waren, setzten sich die politischen Nachwirkungen des Sturzes des Kapitalismus in Russland noch über Jahrzehnte hinweg fort - in der Zunahme des sozialen Bewusstseins und der politischen Militanz der Arbeiterklasse in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern, einschließlich der USA, und in der Welle anti-imperialistischer und anti-kolonialer Kämpfe auf der ganzen Welt, insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg.

Die USA gingen zwar als führende Macht des Weltkapitalismus aus dem Zweiten Weltkrieg hervor, konnten die Welt aber trotzdem nicht nach eigenem Gutdünken einrichten. Ihre ursprüngliche Hoffnung, dass der Besitz der Atombombe die USA in die Lage versetzen würde, die Sowjetunion einzuschüchtern und im Notfall zu zerstören, zerschlug sich, als die sowjetische Seite 1949 ihrerseits eine solche Waffe entwickelte. Der Sieg der chinesischen Revolution im selben Jahr versetzte der Aussicht Amerikas auf die uneingeschränkte Herrschaft über Asien einen vernichtenden Schlag.

Die Anfangsjahre des Kalten Krieges waren geprägt von einer erbitterten Auseinandersetzung innerhalb der herrschenden Kreise der US-Regierung über ihr Verhalten gegenüber der Sowjetunion. Die wütende Kommunistenhatz und die politische Verfolgung der späten 1940-er und frühen 1950-er Jahre bildeten den Hintergrund, vor dem diese Debatte stattfand. Eine bedeutende Fraktion der herrschenden Elite trat für die "Rollback-Strategie" ein - d. h. für die Zerstörung der Sowjetunion und des maoistischen Regimes in China, selbst wenn dies den Einsatz von Nuklearwaffen erforderte. Eine andere Fraktion, die sich um George F. Kennan scharte, einen Theoretiker im Außenministerium, trat für die Strategie des "Containment" ("Eindämmung") ein.

Seinen Höhepunkt erreichte der Konflikt zwischen diesen Fraktionen während des Koreakriegs, als die Truman-Regierung kurz davor stand, den Einsatz von Atomwaffen gegen die chinesische Armee freizugeben. Auf einer Pressekonferenz am 30. November 1950 wurde Truman gefragt, wie er auf den Eintritt Chinas in den Koreakrieg reagieren wolle. Der Präsident antwortete: "Wir werden, wie bisher auch, alle Schritte unternehmen, die angesichts der militärischen Lage erforderlich sind." Auf die ausdrückliche Frage hin, ob dies den Einsatz der Atombombe einschließe, antwortete Truman: "Dies schließt alle Waffen ein, die uns zur Verfügung stehen." Als die erschütterten Reporter darauf drängten, dass er diese Aussage präzisiere, wiederholte Truman, dass der Einsatz der Atombombe in Erwägung gezogen werde. (5)

Der folgende Aufschrei der Weltöffentlichkeit zwang die US-Regierung, Trumans Aussage zurückzuziehen. Am Ende lehnte die Truman-Regierung die Forderung von General MacArthur ab, 30 bis 50 Atombomben auf die Grenze zwischen der Mandschurei und Korea zu werfen, um "einen Gürtel aus radioaktivem Kobalt" vom Japanischen zum Gelben Meer zu ziehen. Dieser Vorschlag entsprang nicht dem Gehirn eines wahnsinnigen Generals. Solche und ähnliche Ideen wurden ernsthaft erwogen und befürwortet. Auch der Kongressabgeordnete Albert Gore senior, der Vater des späteren Vizepräsidenten, trat öffentlich für den Einsatz von Atomwaffen ein. Zwei Faktoren führten schließlich zu der Entscheidung, im Koreakrieg keine Atombomben einzusetzen. Erstens bezweifelte man deren Effektivität in der gegebenen militärischen Situation. Der zweite, gewichtigere Faktor bestand in der Befürchtung, dass die Bombardierung Koreas eine politische Kettenreaktion auslösen könnte, die zu einem nuklearen Schlagabtausch zwischen den USA und der Sowjetunion führen würde. Während der verbleibenden Jahrzehnte des Kalten Krieges bestand die "Abschreckung" eigentlich nicht darin, dass die USA die Sowjetunion an gewissen Dingen hinderte, sondern darin, dass die Möglichkeit eines sowjetischen Gegenschlags die USA an gewissen Dingen hinderte.

Dies ist nicht der Ort für eine ausführliche Darstellung der nuklearen Strategie der USA während des Kalten Krieges. Noch weniger kann der ganze Kalte Krieg diskutiert werden. Doch um die Ereignisse der letzten zehn Jahre und das gegenwärtige Verhalten der US-Regierung zu verstehen, muss man betonen, dass weite Teile der amerikanischen herrschenden Klasse die Schranken verabscheuten, die der amerikanischen Militärgewalt durch die Existenz der Sowjetunion gesetzt waren. Während dieser gesamten Periode gab es eine starke Fraktion innerhalb des "militärisch-industriellen Komplexes" (Präsident Eisenhower), die ständig auf eine Konfrontation mit der Sowjetunion drängte. Wie ich bereits sagte, machten sich viele Personen, die heute einflussreiche Posten in der Bush-Regierung innehaben, in den siebziger und achtziger Jahren für eine massive Militäraufrüstung gegen die Sowjetunion stark und vertraten sogar den Standpunkt, dass ein Atomschlag gegen die UdSSR durchaus in Betracht käme.

Die zunehmende Aggressivität der amerikanischen Außenpolitik wurde nicht nur von der Republikanischen Partei vorangetrieben. Die Regierung unter dem Demokraten Jimmy Carter verfiel auf die Idee, in Afghanistan den islamischen Fundamentalismus anzuheizen, um die zentralasiatischen Sowjetrepubliken zu destabilisieren. Wie Carters Nationaler Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski vor einigen Jahren zugab, befanden sich die amerikanischen Operationen in Afghanistan bereits in vollem Gange, als sich die Sowjetunion zur militärischen Intervention in diesem Land entschloss.

Und noch etwas muss über die sowjetisch-amerikanischen Beziehungen während des Kalten Krieges gesagt werden. Meiner Ansicht nach kann man gut begründet und überzeugend darlegen, dass die Stärke der amerikanischen Aggressivität mit dem allgemeinen Zustand der kapitalistischen Weltwirtschaft zusammenhängt. Auf dem Höhepunkt der Expansion des internationalen Kapitalismus nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die erbitterten Auseinandersetzungen innerhalb der amerikanischen herrschenden Elite für gewöhnlich auf der Grundlage der Argumente beigelegt, die für einen Kompromiss mit der Sowjetunion sprachen. In dem Maße, wie die weltweite wirtschaftliche Expansion dem amerikanischen Kapitalismus ermöglichte, im geopolitischen Rahmen der sogenannten Ost-West-Teilung Profite zu machen, traf die amerikanische herrschende Elite die strategische Entscheidung, eine nukleare Konfrontation mit der UdSSR zu vermeiden oder zumindest hinauszuzögern. Offene militärische Konflikte wurden auf Randgebiete beschränkt.

Als der Weltkapitalismus in den siebziger Jahren jedoch in eine lange Stagnations- und Abschwungsperiode eintrat -, bedingt durch tiefe strukturelle und systembedingte Probleme, deren fortgeschrittenes Symptom die heutige Depression ist - setzten sich weitaus aggressivere Tendenzen durch und fanden ein freundliches Echo innerhalb der herrschenden Kreise. Ergänzend könnte man hinzufügen, dass die beiden großen Ölschocks der 1970-er Jahre - der erste wurde 1973 durch den Boykott des Ölverkaufs von Seiten der arabischen Staaten ausgelöst, der zweite 1979 durch die iranische Revolution - die amerikanische herrschende Klasse in ihrer Entschlossenheit bestärkten, jede künftige Unterbrechung ihres Zugangs zu Öl, Gas und anderen wichtigen strategischen Rohstoffen zu verhindern.

Die massive militärische Aufrüstung der 1980-er Jahre zeigte an, dass einflussreiche Teile der herrschenden Elite in den USA bereit waren, eine große Konfrontation mit der Sowjetunion zu riskieren. Diese kriegslüsterne Außenpolitik war ein getreues Abbild der Innenpolitik der Reagan-Regierung, die ein aggressives, erfolgreiches "Rollback"-Programm in Gang setzte, mit dem die Gewerkschaften zerschlagen und die sozialen Reformen abgeschafft wurden, die sich die Arbeiterklasse in den vorangegangenen 50 Jahren erkämpft hatte.

Am Ende war es die Sowjetbürokratie, die den Entschluss zur Zerstörung der UdSSR fasste. Die Selbstauflösung der Sowjetunion im Jahr 1991 - der endgültige Verrat der Sowjetbürokratie am Erbe der Oktoberrevolution - verschaffte dem amerikanischen Imperialismus eine einmalige historische Chance. Zum ersten Mal konnte er in einer weltpolitischen Umgebung agieren, in der keine - militärischen oder politischen - Hindernisse dem Einsatz von Gewalt zur Erreichung seiner Ziele im Wege standen. Von nun an gaben die bösartigsten und reaktionärsten Tendenzen in der internen Diskussion über die strategischen Ziele der USA den Ton an.

Der Untergang der UdSSR, erklärten sie, verschaffe den USA die Gelegenheit, ihre unanfechtbare globale Hegemonie zu errichten. Die Aufgabe der USA bestand nun darin, den "unipolaren Moment" zu nutzen, wie es der rechte Kolumnist Charles Krauthammer 1991 ausdrückte, um eine absolute globale Dominanz zu erreichen. Die USA, so Krauthammer, sollten ohne Zögern nach freiem Ermessen militärische Gewalt anwenden. Die Europäer und die Japaner verdienten nur Verachtung, und man müsse ihnen klarmachen, dass sie den USA lediglich zuarbeiten dürften. Es wäre vielleicht ratsam, wenn die Führer der USA Lippenbekenntnisse zum Multilateralismus ablegen würden, doch in Wirklichkeit war dieser politische Ansatz gestorben. Die Zeit war nun gekommen, dass die USA ihre Macht unilateral einsetzen. Sie sollten "ohne falsche Scham die Regeln der Weltordnung festlegen und bereit sein, ihnen Geltung zu verschaffen". (6)

Charles Krauthammer merkte bei diesen absurden Gedankengängen wahrscheinlich gar nicht, dass er eine Voraussage bestätigte, die vor vielen Jahren einer der größten Marxisten des 20. Jahrhunderts getroffen hatte. Im Jahr 1933 machte Leo Trotzki darauf aufmerksam, dass Deutschland den Ersten Weltkrieg angezettelt hatte, um Europa zu "organisieren". Die Ziele des amerikanischen Imperialismus, so Trotzki, würden weitaus ehrgeiziger ausfallen. "Die Vereinigten Staaten", schrieb Trotzki, "müssen die Welt ‚organisieren’. Die Geschichte konfrontiert die Menschheit mit einem Vulkanausbruch des amerikanischen Imperialismus." (7)

Die Militärstrategie der ersten Regierung Bush

Die erste Bush-Regierung reagierte auf den Untergang der UdSSR, indem sie die gesamte Militärstrategie der USA auf den Prüfstand stellte. In erster Linie wollte sie aggressiv das Machtvakuum ausnutzen, das die Auflösung der Sowjetunion hinterlassen hatte, und dabei die Welt in einen geopolitischen Klammergriff nehmen, der jedes andere Land davon abhalten würde, zum ernsthaften Konkurrenten der USA aufzusteigen. Der Schlüssel zu diesem Vorhaben war der Einsatz militärischer Macht zur Einschüchterung und gegebenenfalls Zerschlagung jedes bestehenden oder potenziellen Gegners oder Feinds. Im Jahr 1992 forderten Verteidigungsminister Richard Cheney und der damalige General Colin Powell eine umfassende Ausweitung der Einsatzaufgaben des amerikanischen Militärs. Ihrer Ansicht nach sollte das Militär befähigt werden, in 100 Tagen einen größeren Krieg und in weniger als 180 Tagen zwei solche Kriege zum Abschluss zu bringen.

Die Wahl Bill Clintons brachte keine durchgreifende Veränderung dieser zunehmend aggressiven Einstellung der amerikanischen Militärplaner. Unter der Parole "Shaping the World Through Engagement" ("Gestaltung der Welt durch Verantwortung") bildete sich in den 1990-er Jahren sowohl in der Demokratischen als auch in der Republikanischen Partei ein politischer Konsens heraus, wonach militärische Stärke das wichtigste Mittel sein werde, mit dem die USA ihre langfristige globale Dominanz sichern würden.

Das entscheidende Gewicht, das der militärischen Stärke beigemessen wurde, ergab sich nicht aus der Kraft, sondern aus der tiefen Schwäche des amerikanischen Kapitalismus. Im Wesentlichen ist der Militarismus ein Symptom des ökonomischen und sozialen Niedergangs. Die herrschende Elite verliert aus gutem Grund das Vertrauen in die wirtschaftliche Stärke des amerikanischen Kapitalismus gegenüber seinen internationalen Rivalen und fürchtet in zunehmendem Maße gesellschaftliche Verwerfungen im eigenen Land. Vor diesem Hintergrund hält sie militärische Stärke für das Mittel, mit dem sie allen beunruhigenden, negativen Entwicklungstendenzen entgegenwirken kann. Thomas Friedman schrieb dazu im März 1999 in der New York Times: "Die verborgene Hand des Marktes kann ohne die verborgene Faust nicht wirken - McDonald’s kann nicht florieren ohne McDonnell Douglas, den Hersteller des F-15-Bombers. Und die verborgene Faust, die den Technologien aus dem Silicon Valley die Welt erschließt, ist die Armee der Vereinigten Staaten von Amerika, die Luftwaffe, die Marine und das Marineinfanteriekorps... Ohne Amerika auf der Wacht kein America On Line (AOL)."

Die Frage des Irak spielt in den Diskussionen der höchsten Kreise über die strategischen Zielsetzungen Amerikas seit längerem eine zentrale Rolle. In gewissem Sinne kam der erste Krieg gegen den Irak für den amerikanischen Imperialismus noch einige Monate zu früh. Im Januar-Februar 1991, als das Schicksal der UdSSR noch ungewiss war, hielt es die Bush-Regierung für zu riskant, die Grenzen des UN-Mandats zu überschreiten und in einer einseitigen Aktion die Regierung Saddam Husseins zu stürzen. Doch kaum war der Krieg beendet, beschlich die Mächtigen in der herrschenden Elite das Gefühl, dass man eine Chance verpasst habe. Im Rahmen der neuen strategischen Zielsetzung, den Aufstieg jeder Macht oder Mächtekombination zu verhindern, die Amerikas Vormachtstellung herausfordern könnte, betrachtete man nun die Eroberung des Irak als entscheidendes strategisches Ziel. In zahllosen Papieren argumentierten politisch rechts stehende Strategen offen, dass der Sturz des Regimes von Saddam Hussein den Vereinigten Staaten die strategische Kontrolle über das Öl verschaffen würde, jenen äußerst wichtigen Rohstoff, der für die Volkswirtschaften ihrer potenziellen wirtschaftlichen und militärischen Rivalen in Europa und Japan von herausragender Bedeutung war. Die Politikwissenschaftler George Friedman und Meredith Lebart argumentierten in ihrem einflussreichen Buch "Der kommende Krieg mit Japan", das 1991 erschien:

"Das Öl macht den Persischen Golf zu mehr als einer regionalen Frage. Er wird zum Dreh- und Angelpunkt der Weltwirtschaft. Den USA würde die Vorherrschaft über diese Region die Möglichkeit einer beispiellosen Macht auf Weltebene eröffnen. Wenn sie andererseits zulassen, dass eine andere regionale Macht, wie der Irak oder der Iran, die Kontrolle über diese Region erringt und ihre eigene Machtstellung befestigt, dann würden sich die USA diese Möglichkeit verbauen - es sei denn, sie sind bereit, einen Bodenkrieg in der Region zu führen.

Die Reaktion der USA auf den irakischen Einmarsch in Kuwait 1991 diente ausdrücklich einem bestimmten Zweck: der Irak sollte keine Macht über die Ölvorkommen der Region erhalten. Doch sie eröffnete auch eine ganz andere Möglichkeit. Eine erfolgreiche Rückeroberung Kuwaits, die Zerschlagung des Saddam-Regimes und die Eroberung der Kontrolle über den Irak würde den USA die Kontrolle über einen großen Teil der weltweiten Ölvorkommen und der weltweiten Ölproduktion verschaffen. Selbst eine gnädige Ausübung dieser Macht würde den USA die Kontrolle über das internationale Wirtschaftssystem bescheren...

Sie wären dann in der Lage, die Förderquoten und damit auch die Preise festzulegen und den Transport des Öls zu steuern. Ein Land wie Japan, das 60 Prozent seines Ölbedarfs aus den Ländern an der Straße von Hormus bezieht, würde feststellen, dass sein größter wirtschaftlicher Konkurrent - die einzige große Volkswirtschaft der Welt, die sich überdies Japan gegenüber zunehmend verbittert zeigt, - die direkte Kontrolle über die Öllieferungen nach Japan ausübt...

Die führende politische Macht, die USA, findet sich plötzlich in einer Position wieder, in der sie ihre politische Macht einsetzen können, um die Weltwirtschaft im Griff zu halten.

Der Persische Golf wird zwangsläufig zum Zankapfel zwischen den USA und Japan werden. Japans Verwundbarkeit hinsichtlich der Ölzufuhr aus dieser Region steigert die japanische Unsicherheit unbedingt. Die Regionalisierung des Konflikts und die regionale Segmentierung der Volkswirtschaften werden den USA wichtige Möglichkeiten eröffnen: die Beeinflussung der Öllieferungen an Japan könnte der Herausforderung, die japanische Exporte für die USA darstellen, durchaus ein Ende setzen." (8)

Außer in den amerikanischen Massenmedien, die ein regelrechtes Tabu über diese heikle Frage verhängt haben, ist man sich an vielen Orten der Welt im klaren, dass es den USA in erster Linie nicht um angebliche Massenvernichtungswaffen, sondern um Öl geht. Der Krieg in Afghanistan verschaffte ihnen die Möglichkeit, in Zentralasien - wo wahrscheinlich die zweitgrößten Ölreserven der Welt lagern - neue amerikanische Militärbasen zu eröffnen. Die Eroberung des Irak wiederum würde den USA die Kontrolle über die zweitgrößten Rohöl-Vorkommen in der Region um den Persischen Golf verschaffen. Um den unsäglichen Thomas Friedman zu zitieren: "Wir besitzen den Irak, nachdem wir ihn zerstört haben."

Die Bush-Regierung, deren Führungspersonal aus Leuten wie Cheney besteht, die ihre kriminellen Fähigkeiten an der Spitze von Ölkonzernen verfeinert haben, betrachtet den Persischen Golf als potenzielles Juwel in der Krone eines aufsteigenden amerikanischen Weltreichs. Wenn die Vorherrschaft in dieser Region mit der effektiven Kontrolle über die Öl- und Erdgasreserven kombiniert wird, die in absehbarer Zukunft in Zentralasien gefördert werden, dann, so glauben die Führer des amerikanischen Imperialismus, haben sie die langfristige strategische Hegemonie erreicht, welche die Vereinigten Staaten so lange missen mussten. Diese Vision der Weltherrschaft vermittels der Kontrolle über strategische Rohstoffvorkommen ist eine reaktionäre Wahnvorstellung, die sich breite Schichten des Establishments begeistert zu eigen machen. Der Geisteszustand, der in der politischen und finanziellen Aristokratie Amerikas vorherrscht, schlägt sich auch in einem neuen Buch von Robert Kaplan nieder. Es trägt den Titel: "Kriegerische Politik: Weshalb Führung ein heidnisches Ethos erfordert". In einem typischen Absatz führt er aus:

"Je erfolgreicher unsere Außenpolitik, desto stärker kann Amerika die Welt beeinflussen. Um so wahrscheinlicher wird es, dass künftige Historiker die Vereinigten Staaten im 21. Jahrhundert nicht nur als Republik, sondern auch als Weltreich bewerten, mag es sich auch von Rom und allen anderen Reichen der Geschichte unterscheiden. Denn mit dem Fortschreiten der Jahrzehnte und Jahrhunderte, wenn die USA dereinst nicht nur auf 43, sondern auf 100 oder 150 Präsidenten zurückblicken, die dann wie die Herrscher vergangener Reiche - des Römischen, des Byzantinischen, des Osmanischen - in langen Listen aufgeführt werden, rückt der Vergleich mit der Antike näher. Insbesondere Rom ist ein Modell für eine Hegemonialmacht, die verschiedene Mittel einsetzt, um in einer ungeordneten Welt für ein Mindestmaß an Ordnung zu sorgen..." (9)

Dieses Gewäsch ist nur als eine Art groteskes kulturelles Phänomen von Interesse - es ist ein Beispiel für den umnebelten Geisteszustand der herrschenden Elite, die jeden Sinn für die Geschichte und für die heutige Realität verloren hat, von normalem Anstand ganz zu schweigen.

Kaplan scheint gar nicht auf die Idee zu kommen, dass die USA im Versuch, diese Fantasien in die Tat umzusetzen, auf Widerstand stoßen werden - in erster Linie von den unmittelbaren Opfern der amerikanischen Demütigungen, den Bevölkerungsmassen der zur Eroberung ausersehenen Länder. Hinzu kommt die Opposition der imperialistischen Rivalen Amerikas in Europa und Japan, die eine Situation, die sie wirtschaftlich zu erdrosseln droht, einfach nicht hinnehmen können. Ihre zunehmenden Befürchtungen hinsichtlich der Folgen, welche die langfristigen strategischen Ziele der USA - die Errichtung der Weltherrschaft - nach sich ziehen, kommen bereits in ihrer immer offeneren Opposition gegen die US-Kriegspläne im Irak zum Ausdruck. Ein Krieg der USA gegen den Irak wird wahrscheinlich zu einer enormen Verschärfung der Konflikte zwischen den Imperialisten führen - insbesondere zwischen den USA und ihren wichtigsten ökonomischen und geopolitischen Konkurrenten. So wird die Bühne für den dritten Weltkrieg bereitet.

Die sozialen Beziehungen in den USA

Bisher haben wir uns bei der Untersuchung der Ursachen für die Kriegstreiberei der USA auf die globalen geostrategischen und ökonomischen Beweggründe konzentriert. Es gibt jedoch einen weiteren entscheidenden Faktor in der politischen Gleichung - den immer explosiveren Zustand der sozialen Beziehungen innerhalb der USA und die Bedrohung der kapitalistischen Herrschaft, die davon ausgeht.

Während der vergangenen zehn Jahre haben Politikwissenschaftler in den USA immer wieder besorgt festgestellt, dass der soziale Zusammenhalt bröckelt. Samuel Huntington, der vor allem für sein Buch "The Clash of Civilizations" ("Kampf der Kulturen") bekannt ist, warnte bereits vor mehreren Jahren, dass das Ende des Kalten Krieges der US-Regierung die Grundlage geraubt habe, auf der sie bisher Massenunterstützung für den Staat erzeugen konnte. Es gab nun, schrieb er, offenbar kein wirkliches Gefühl für nationale Interessen mehr, die Massenunterstützung genossen. Das von Huntington vermerkte Problem ist allerdings nicht vorwiegend ideologischer Natur. Es wurzelt in den zunehmend unversöhnlichen sozialen Konflikten innerhalb der amerikanischen Gesellschaft. Es wird immer schwieriger, die ungeheure soziale Ungleichheit zu bemänteln, die gegenwärtig die amerikanische Gesellschaft kennzeichnet. Die Konzentration unerhörter persönlicher Reichtümer bei einem sehr kleinen Prozentsatz der Bevölkerung hat weitreichende soziale Implikationen, ganz egal, wie eifrig die Massenmedien die Reichen und deren Lebensstil glorifizieren.

Der Verfall demokratischer Normen und die immer offenkundigeren Funktionsstörungen des amerikanischen Politikbetriebs sind objektive Folgen der sozialen Polarisierung. Im Jahr 2000 war es zum ersten Mal seit der Zeit unmittelbar nach dem Bürgerkrieg nicht möglich, einen wirklich demokratischen Ausgang der Wahlen herbeizuführen. Am Ende wurde der Präsident von der Finanzplutokratie handverlesen.

Die USA werden von sozialen Problemen heimgesucht, die im Rahmen der bestehenden politischen Ordnung nicht gelöst werden können. Sie werden von der offiziellen Politik nicht einmal zur Kenntnis genommen. Das Zweiparteiensystem, dessen Personal vollkommen von der finanziellen Unterstützung der Plutokratie abhängt, vertritt die allgemeine Bevölkerung in keiner Weise. Wie sonst kann man erklären, dass das tiefe Unbehagen und die ambivalente Haltung von Millionen Amerikanern gegenüber den Kriegsvorbereitungen innerhalb des politischen Establishments überhaupt nicht zum Ausdruck kommen. Dieses stützt sich auf verschiedene Fraktionen der reichsten zwei Prozent der Bevölkerung und ist nicht im geringsten fähig, die Sorgen und Interessen der breiten Massen zu artikulieren.

Die gegenwärtige Wirtschaftskrise hat die Entfremdung zwischen der Arbeiterklasse und der herrschenden Klasse stark vertieft. Die andauernden Enthüllungen über kriminelle Machenschaften der Konzernspitzen drohen die wirtschaftliche Krise - die an sich schon recht ernst ist - in eine allgemeine Krise der Klassenherrschaft zu verwandeln. In nicht geringem Maße hofft die Bush-Regierung, dass durchschlagende Erfolge im Ausland die Bevölkerung irgendwie von der innenpolitischen Krise ablenken werden. Doch die Geschichte liefert viele Beispiele für Katastrophen, die reaktionäre Regierungen heimsuchten, nachdem sie auf Krieg gesetzt hatten, um Probleme im eigenen Land einzudämmen. Regierungen, die im Krieg ein Mittel gegen das Versagen der eigenen Wirtschaft und gegen verschärfte soziale Konflikte sehen, ziehen allerlei unerwartete Nebenwirkungen auf sich - im äußersten Fall eine Revolution.

Die Kriegstreiberei der Bush-Regierung stellt jeden Studenten vor politische und auch moralische Fragen von größtem Ausmaß. Zunächst möchte ich folgenden Punkt so stark betonen, wie ich nur kann: Die Politik der Bush-Regierung ist kein bloßer Fehler... sie ist verbrecherisch. Die Verantwortlichen für diese Politik sind keine fehlgeleiteten Individuen. Es sind politische Verbrecher. Doch das Verbrecherische dieser Politik folgt aus dem zutiefst kriminellen Charakter des amerikanischen Imperialismus - der versucht, das versagende kapitalistische System durch Plünderungen und Massenmord am Leben zu erhalten. Es gibt keinen wesentlichen Unterschied zwischen den innen- und den außenpolitischen Methoden der herrschenden Elite.

Die jüngsten Enthüllungen über Korruption in Konzernen sind von weitreichender gesellschaftlicher Bedeutung. Das Tagesgeschäft der amerikanischen Unternehmen hat kriminellen Charakter angenommen. Die herrschende Elite hat enormen Reichtum angehäuft, indem sie gezielt und systematisch die industriellen, finanziellen und sozialen Ressourcen ausplündert. Die amerikanischen Geschäftsführer könnten ihre Position in den Unternehmen, die sie ruiniert haben, mit einem leicht abgewandelten Cäsar-Zitat beschreiben: "Ich kam, sah und stahl." Es besteht wirklich kein großer Unterschied zwischen den mafia-artigen "Bisnismen", die in den letzten zehn Jahren Russland ausgeraubt haben, und der kriminellen Bande an den Spitzen der amerikanischen Unternehmen, die ihre Konzerne ausgeplündert haben. Die Methoden, mit denen die amerikanische Kapitalistenklasse ihre internationalen Ziele erreichen will, unterscheiden sich davon nicht grundlegend. Sie will das irakische Öl, also macht sie sich auf, es zu stehlen - mit Hilfe des US-Militärs.

Studenten haben die Verantwortung, sich diesen Kriminellen entgegenzustellen - doch diese Opposition muss sich auf ein wissenschaftliches Verständnis der Politik und sozialen Dynamik der kapitalistischen Gesellschaft stützen. Ein ernsthafter und dauerhafter Kampf gegen den imperialistischen Krieg kann nicht losgelöst werden vom Kampf gegen die sozioökonomischen Interessen, die den Krieg hervorbringen - d. h. gegen den Kapitalismus. Dieser Kampf kann außerdem nur dann Erfolg haben, wenn er darauf abzielt, diejenige gesellschaftliche Kraft innerhalb der USA und weltweit zu mobilisieren, die objektiv in Opposition zum Kapitalismus steht. Diese gesellschaftliche Kraft ist die Arbeiterklasse, die die überwiegende Masse der Bevölkerung in der modernen kapitalistischen Gesellschaft ausmacht.

Im Zentrum des Kampfs gegen den Krieg steht also die Organisierung und Mobilisierung der Arbeiterklasse als unabhängiger politischer Kraft. In den USA bedeutet dies vor allem, die Arbeiterklasse von der politischen Vorherrschaft der Demokratischen Partei zu befreien und eine neue, unabhängige sozialistische Partei aufzubauen. Der programmatische Eckpfeiler einer solchen Partei muss der Kampf gegen den Imperialismus sein, gestützt auf die Perspektive der internationalen Einheit der Arbeiterklasse.

Es gibt in den USA eine solche Partei. Es ist die Socialist Equality Party, die in politischer Solidarität mit dem Internationalen Komitee der Vierten Internationale steht. Denkt darüber nach, ob ihr Mitglied werden wollt.

Anmerkungen:

(alle Zitate aus dem Englischen übersetzt)

1. PovertyNet, Poverty Reduction and the World Bank, World Bank Executive Summary.
2. The Anatomy of the Nuremberg Trials, New York 1992, S. 641.
3. Ebd, S. 51.
4. Ebd, S. 51f.
5. Stanley Weintraub, MacArthur’s War: Korea and the Undoing of an American Hero, New York 2000, S. 253f.
6. Foreign Affairs, vol. 70, no. 1, 1991, S. 33.
7. Writings of Leon Trotsky 1933-34, New York, 1998, S. 302.
8. New York, 1991, S. 210f.
9. New York, 2002, S. 153.

(Dieser Artikel ist auch in der gleichheit - November/Dezember 2002 enthalten.)