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Scharons Kriegsverbrechen im Libanon: eine Bilanz

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Von Jean Shaoul
7. März 2002
aus dem Englischen (25. Februar 2002)

Dies ist der dritte Teil einer Serie über die Verwicklung des israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon in die Kriegsverbrechen, die 1982 während der israelischen Invasion im Libanon begangen wurden und die in den Massakern in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatilla gipfelten

Kaum waren Arafat und die letzten Kämpfer der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) abgereist, verschlechterten sich die Beziehungen Israels zu seinem Schutzpatron und zu seinem Vasallen. Die Interessen begannen auseinander zu driften.

Als erstes stellten die Amerikaner - in der Absicht, die arabischen Regime zu besänftigen und die Auswirkungen des Kriegs auf die amerikanische Innenpolitik zu mildern - eine neue Friedensinitiative, den Reagan-Plan vor. Dieser Plan schloss eine Annexion, Beherrschung oder dauerhafte Kontrolle der besetzten Gebiete durch Israel ausdrücklich aus. Er forderte ein Einfrieren des Ausbaus bestehender und der Gründung neuer Siedlungen und eine "Selbstregierung der Palästinenser der Westbank und des Gazastreifens in Konföderation mit Jordanien", eine sogenannte Konföderationslösung. Weder die Selbstregierung noch die Grenzen eines solchen Gebildes waren klar definiert, und die PLO sollte keine Rolle spielen, aber trotz dieser Inkonsequenz war der Plan für die Palästinenser günstiger als alles, was bisher angeboten worden war.

So sehr Israel von den USA abhängig war, hatte es nicht die Absicht, dies zu akzeptieren, und erklärte das auch ganz offen und herausfordernd. Scharon sagte: "Israel wird das nicht nur nicht akzeptieren, es wird nicht einmal darüber diskutieren. Die USA hätten sich eine Menge Peinlichkeiten und Frustrationen ersparen können", wenn sie den Vorschlag gar nicht erst gemacht hätten. Israel kündigte umgehend die Gründung neuer Siedlungen auf der Westbank und auf den Golanhöhen an.

Obwohl sich die Konflikte zwischen den USA und Israel in den nächsten zwölf Monaten weiter verschärften, erhöhte Reagan 1983 die Militärhilfe für Israel und schlug vor, sie 1984 auf demselben Niveau zu halten, worauf sie vom Kongress weiter erhöht wurde.

Das Verhältnis zu Baschir Gemayel, der mittlerweile zum Präsidenten gewählt worden war, und auf den Israel nach der Bekanntgabe des Reagan-Plans mehr denn je angewiesen war, verschlechterte sich zusehends. Begin war der Meinung, dass jetzt Zahltag sei. Er bestellte Gemayel zu einem Treffen nach Israel und forderte von ihm am 15. September die Unterzeichnung eines Friedensvertrags. Aber Gemayel war vor allem libanesischer Nationalist, auch wenn er die Hilfe der Israelis noch so gut gebrauchen konnte. Um die Kontrolle in einem vereinten Libanon behalten zu können, musste er sich irgendwie mit den moslemischen Führern einigen. Die Unterzeichnung eines Vertrages mit Israel, das jetzt so ziemlich von allen als Feind gesehen wurde, hätte die Spaltung des Libanon bedeutet.

Begin verlangte von Gemayel auch, in Sabra und Schatilla einzudringen und die restlichen "Terroristen" zu verjagen; er behauptete, Arafat habe 2.000 PLO-Kämpfer zurückgelassen. Das war ein weiterer Vorschlag, den Gemayel nicht direkt umsetzen konnte, ohne die politischen Verhältnisse im Libanon zu destabilisieren. Er war auch über Begins Vorstellung empört, in einem 45-Kilometerstreifen im Südlibanon eine Militärpräsenz unter der Kontrolle einer weiteren israelische Marionette, des Majors Saad Haddad, zu errichten.

Israel hatte Gemayel unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er im Libanon nur mit Zustimmung Israels regieren könne. Im Verlauf des Treffens streckte Gemayel Begin die Arme entgegen und sagte: "Legen Sie mir doch gleich Handschellen an," und fügte hinzu: "Ich bin nicht Ihr Vasall." Er drohte, Haddad des Hochverrats anzuklagen, und lehnte rundheraus ab, einen Vertrag zu unterschreiben oder gegen die Lager vorzugehen. Tatsächlich waren die Falangisten hoffnungslos zerstritten. Einige in der Falange waren gegenüber Israel feindlich eingestellt und arbeiteten jetzt mit den Syrern zusammen, die gegen Gemayels Beziehungen mit Israel waren. Gemayel musste zwischen diesen und den zahllosen anderen Fraktionen im Libanon balancieren.

Am 3. September schickte Israel seine Truppen über die in Übereinstimmung mit Habib festgelegte Waffenstillstandslinie. Sabra und Schatilla am Stadtrand von Beirut waren für viele Palästinenser zum Zufluchtsort geworden, die ihre Wohnungen hatten verlassen müssen. Sie waren die wichtigste Unterstützungsbasis der PLO. Die israelischen Truppen beseitigten dort Landminen und richteten Beobachtungsposten ein. Obwohl das ein klarer Bruch der Waffenstillstandsvereinbarung war, scheinen weder die USA noch sonst jemand in der internationalen Streitmacht von den Israelis verlangt zu haben, sich wieder zurück zu ziehen.

Israel verlangte, die Murabitun Miliz - die größte moslemische paramilitärische Gruppe und stärkste Verbündete der PLO im Libanon - müsse aus Beirut abziehen. Am 11. September zogen die USA zwei Wochen vor Ablauf ihres Mandats ihre letzten Truppen ab, die geschickt worden waren, um die Sicherheit der Palästinenser zu garantieren. Der Abzug der Amerikaner war das Signal auch für den Abzug der anderen internationalen Kräfte. Im Ergebnis hatten die sogenannten internationalen Beschützer die Entwaffnung der Palästinenser und ihrer Verbündeten überwacht und sie dann denen ausgeliefert, die sie am meisten fürchteten: den Israelis und den christlichen Milizen.

Das Massaker von Sabra und Schatilla

Am 14. September wurde Gemayel bei einem Bombenanschlag ermordet, der mit einer riesigen Explosionskraft das zentrale Hauptquartier der Falangisten in Beirut zerstörte. Führer der Palästinenser und der Moslems wiesen jede Verantwortung dafür zurück. Da das Hauptquartier das bestbewachte Gebäude in Beirut war, müssen die Attentäter Unterstützung von innen gehabt haben. Es wurde niemals geklärt, welcher seiner Feinde für Gemayels Tod verantwortlich war.

Kaum hatte Begin von Gemayels Ermordung gehört, als er sein den USA gegebenes Versprechen brach und der israelischen Armee befahl, nach West-Beirut einzumarschieren. Er rechtfertigte seinen Schritt gegenüber Habibs Stellvertreter Morris Draper mit der Notwendigkeit, "Racheakte der Christen gegen die Palästinenser zu verhindern" und nach Gemayels Ermordung Ordnung und Stabilität zu wahren. Ein paar Tage später ließ Scharon die Katze aus dem Sack. "Unser Einmarsch in West-Beirut diente dem Krieg gegen die von den Terroristen hinterlassene Infrastruktur," sagte er vor der Knesset, dem israelischen Parlament. Damit meinte er die palästinensischen Zivilisten und ihre moslemischen Verbündeten.

Scharon befahl dem Generalstabschef Rafael Eitan, der später die ultrarechte Partei Tehiya gründete, die Milizen der Falange in die Lager zu lassen, um sie von den Terroristen "zu säubern". Die israelische Armee sollte die Operation nicht selbst ausführen. Ihre Marionetten konnten die Drecksarbeit für sie erledigen. Der Korrespondent der New York Times, David Shipler, erklärte warum. Er sagte, dass schon Mitte August "israelische Vertreter privat über einen Plan von Verteidigungsminister Ariel Scharon gesprochen haben, die Falangisten nach West-Beirut und in die Lager hineinzulassen, um mit der PLO aufzuräumen. Das Kalkül war, dass die Falangisten, die noch alte Rechnungen zu begleichen hatten und die palästinensischen Kämpfer besser kannten, rücksichtsloser als Israelis vorgehen und wahrscheinlich effektiver sein würden."

Eitan gab Befehl Nummer Sechs heraus, dass die "Flüchtlingslager [Sabra und Schatilla] nicht betreten werden. Die Durchsuchung und Säuberung der Lager wird von den Falangisten und der libanesischen Armee gemacht." Er kontaktierte Elie Hobeika, den mörderischen falangistischen Kommandeur der Damouri-Brigade, und sagte ihm, was man von ihm erwartete.

Am 15. September drang die israelische Armee wieder in Beirut ein und übernahm die Kontrolle; sie tötete dabei 88 Menschen und verletzte 254. Schnell umzingelte sie Sabra und Schatilla und riegelte sie ab. Auf dem Weg dahin hatte sie schon kleinere Lager angegriffen. Am 16. September um 11.20 Uhr gab Israel zu, die Lager zu kontrollieren. Eine israelische Presseerklärung gab bekannt: "Unsere Armee kontrolliert alle Schlüsselpositionen in Beirut. Flüchtlingslager, in denen sich weitere Terroristen verschanzt halten, sind umzingelt und eingeschlossen."

Am gleichen Tag wurden etwa 50 Soldaten der Haddad-Truppe, die nahezu vollständig in die israelische Armee integriert waren und völlig unter ihrem Kommando operierten, nach Beirut gebracht. Mit 100 Falange-Milizionären drangen sie nach Sabra und Schatilla ein - eine lächerlich kleine Truppe, falls sich wirklich in den Lagern noch ganze Waffenarsenale und 2.000 bewaffnete Guerilleros befanden, wie Scharon behauptete.

Mehrere Journalisten, unter ihnen Robert Fisk, haben auf der Grundlage eigener Erlebnisse, von Augenzeugenberichten und von Interviews mit Überlebenden Bücher über die grauenvollen Ereignisse in Beirut geschrieben. Andere Aspekte der Geschichte sind aus dem Beweismaterial der Kahan-Kommission zusammengetragen worden, der offiziellen israelischen Untersuchungskommission über die Massaker. Zwei Punkte müssen betont werden: es sind niemals irgendwelche Waffen in den Lagern gefunden worden und dem Eindringen der christlichen Milizen gingen keinerlei Kämpfe voraus. In den nächsten 36 Stunden wüteten die Marionetten Israels, die christlichen Milizen, in den Lagern und vergewaltigten und töteten wahllos Menschen mit Messern und Gewehren. Leute wurden gefoltert, darunter auch schwangere Frauen, und die Leichen vieler Opfer wurden verstümmelt.

Augenzeugen machten für die meisten Morde Haddads Truppen verantwortlich. Die Falangisten unter dem Kommando von Elie Hobeika waren nicht weniger blutrünstig. Ein Falangist fragte Hobeika über Funk, was mit 50 palästinensischen Frauen und Kindern geschehen sollte. Er antwortete. "Das ist das letzte Mal, dass ihr mir so eine Frage stellt. Ihr wisst genau, was ihr zu tun habt." Der Soldat lachte als Antwort.

Es gab zahlreiche Berichte, dass Hunderte Männer während und nach den Massakern zusammengetrieben und in israelische Internierungslager im Südlibanon geschafft wurden. Viele wurden nie wieder gesehen. Die genaue Zahl der Getöteten und Verwundeten ist zwar nicht bekannt, israelische Schätzungen nennen aber eine Zahl von 800 Toten, während das palästinensische Rote Kreuz eine Zahl von mehr als 2000 angibt. Mindestens ein Viertel von ihnen waren libanesische schiitische Moslems.

Die Gräueltaten wurden vor den Augen der israelischen Truppen auf den Beobachtungsposten auf Anhöhen am Rande der Lager verübt. Schon am Abend berichteten libanesische Soldaten dem Internationalen Roten Kreuz über Exzesse, die ihnen von palästinensischen Frauen in den Lagern berichtet worden waren. Am Morgen des 17. Septembers fand der Journalist Ze'ev Schiff von Ha'aretz heraus, was geschehen war, und berichtete der israelischen Regierung darüber. Er ging allerdings nicht an die Öffentlichkeit, obwohl ausländische Journalisten schon über die Gräueltaten zu berichten begannen. Der israelische Außenminister Itzak Schamir, der später Ministerpräsident wurde, behauptete, die Botschaft nicht verstanden zu haben. Aber auch schon davor hatte ein Falange-Kommandeur dem General Yaron gefunkt: "300 Zivilisten und Terroristen sind getötet worden."

Im Laufe des Tages trafen sich Generalstabschef Eitan und die Generäle Drori und Yaron mit der Führung der Falangisten und gratulierten ihr zu ihrer "guten Arbeit"; sie autorisierten sie, frische Kräfte einzusetzen und ihren Job zu vollenden. Am Nachmittag wussten mindestens 45 israelische Soldaten, was vor sich ging. Die Palästinenser appellierten an sie, das Blutbad zu stoppen. Sie lehnten ab.

Auch die US-Aufklärung hatte von dem Morden erfahren. Morris Draper, der US-Sondergesandte, hatte keinen Zweifel an der Rolle Israels. Am 16. verlangte er von Israel. "Ihr müsst die Massaker beenden. Sie sind obszön. Ich habe einen Offizier in den Lagern, der die Leichen zählt. Ihr solltet euch schämen. Die Situation ist schrecklich. Sie töten Kinder. Ihr habt die volle Kontrolle über das Gebiet und seid deshalb verantwortlich für das Gebiet. " [Hervorhebung hinzugefügt].

Drapers Worte bestätigen, falls noch eine Bestätigung nötig war, Israels Verantwortung nach internationalem Recht und nach den Bestimmungen der von Habib vermittelten Vereinbarung für die Sicherheit der Zivilbevölkerung von Beirut. Er hatte schon am Abend vorher, als die Massaker schon in vollem Gange waren, vor den "schrecklichen Folgen" gewarnt, wenn die Milizen in die Lager gelassen würden. Aber erst am 18. September, 36 Stunden nach Beginn des Blutbads, zogen die Israelis die Milizen aus den Lagern zurück. General Yaron sagte später aus, dass das nicht aus humanitären Erwägungen, sondern auf Druck der Amerikaner geschah. Dieses Eingeständnis beleuchtet nur den kriminellen Charakter der Weigerung der USA, seine Statthalter während der ganzen Zeit im Zaum zu halten.

Die Bilanz zeigt, dass Scharon nach jedem objektiven Maßstab ein Kriegsverbrecher ist, dessen mörderische Aktivitäten und Verletzungen des Kriegsrechts bei der Verfolgung der politischen und wirtschaftlichen Interessen des Zionismus ein halbes Jahrhundert zurückreichen.

Die Bilanz zeigt auch, dass das Massaker nicht nur von den Israelis unterstützt wurde, sondern dass es nur möglich war, weil die USA ihre ausdrückliche Garantie gebrochen haben, von der die Vereinbarung über den Abzug der PLO abhängig war. Die USA haben nie formell gegen die Invasion von Beirut oder die Ereignisse von Sabra und Schatilla protestiert. Auch wenn öffentlich Verärgerung und Unzufriedenheit zur Schau getragen wurde - privat wurde das Vorgehen Israels abgenickt.

Die Kahan-Kommission

Während nicht eines der arabischen Regime einen Finger rührte, um den Palästinensern zu helfen, machte die israelische Arbeiterklasse deutlich, dass sie nicht bereit war zu dulden, dass ihre Regierung die Palästinenser eliminierte, und forderte ein Ende des Pogroms. Sabra und Schatilla riefen weltweit einen Sturm der Entrüstung hervor, aber was noch wichtiger ist, in Israel selbst demonstrierten 400.000 Menschen, d.h. ein Zehntel der Bevölkerung, auf den Strassen von Tel Aviv gegen die Begin-Regierung und forderten eine Untersuchung.

Die Kahan-Kommission wurde eingerichtet, um die öffentliche Entrüstung zu beruhigen. Ihr 1983 veröffentlichter Bericht war inhaltlich begrenzt und in gewissem Maße ein Persilschein. Trotzdem machte er in grobem Umfang den Ablauf der Ereignisse vom 16.-18. September und Israels Rolle erkennbar. Seine Schlussfolgerungen waren aber nicht aus den gewonnenen Erkenntnissen abgeleitet.

Er beschränkte sich auf die unmittelbaren Ereignisse und ignorierte den Kontext und das folgende "Verschwinden" von Palästinensern, die sich im Gewahrsam der israelischen Armee und ihrer Marionetten im Südlibanon befanden. Der Titel des Berichts erwähnte die Palästinenser nicht einmal. Er ignorierte Israels juristische Verantwortung nach internationalem Recht und seine Verpflichtungen aus der Vereinbarung, an der es beteiligt gewesen war, mittels des einfachen Tricks, Beirut nicht als unter Kontrolle einer Besatzungsmacht zu definieren. Er kam zu dem Ergebnis, dass die israelische Armee nicht direkt an den Schlächtereien beteiligt war, was auch niemand ernsthaft behauptet hatte. Die Kommission akzeptierte die Rechtfertigung der Regierung und der Armee für die Entsendung der christlichen Milizen und hielt trotz gegenteiliger Zeugenaussagen fest, dass die Armee nicht wusste, was in den Lagern vor sich ging.

Er wies zwar die Anschuldigung zurück, die Armee habe die Konsequenzen "vorher gekannt", aber er akzeptierte nicht die Behauptung Begins, die israelische Regierung habe die tragischen Konsequenzen der Entsendung der christlichen Milizen in die Lager nicht erwartet oder vorausgesehen. Die Kommission stellte fest, israelische Beamte hätten bei geheimen Treffen von Mossad-Agenten mit Baschir Gemayel "Dinge von [Baschir] gehört, die keinen Zweifel an den Absichten der Falange-Führung ließen, das Palästinenser-Problem zu eliminieren, wenn er an die Macht komme - selbst wenn das den Einsatz außergewöhnlicher Mittel gegen die Palästinenser erfordere." Außerdem gaben israelische Generäle zu, dass sie die Falange-Miliz einsetzten, weil sie ihr Befehle geben konnten, die sie der libanesischen Armee nicht hätten geben können.

Es ist interessant, dass die Kommission alle Schuld für die Gräueltaten auf die Falange unter der Führung von Hobeika abwälzte und "Gerüchte" zurückwies, dass Haddad und seine Leute bei dem Morden eine Rolle gespielt hätten oder auch nur anwesend gewesen seien, obwohl zahllose Zeugen ihre mörderischen Aktivitäten bezeugten. Dabei war die Falange ein engerer politischer Verbündeter gewesen als Haddad: sie war von den Israelis ausgebildet und mit den gleichen Waffen ausgerüstet worden und leistete Israel die gleichen Dienste in Beirut, dem Schuf-Gebirge und der Region Metn, wie Haddad im Süden.

Die Bereitschaft mit dem Finger auf die Falange zu zeigen kann nur im Zusammenhang mit Israels Plänen für die Zukunft verstanden werden. Für Israel war die politische Nützlichkeit der Falange mit der Ermordung Gemayels erschöpft, obwohl sie noch militärischen Nutzen hatte. Das bedeutete, dass Israel noch mehr auf Haddads Truppen als Polizeitruppe im Süden angewiesen war. Es erklärt auch, warum Hobeikas Aussage vor dem belgischen Gericht vermutlich so kompromittierend für Scharon gewesen wäre. Er war bereit auszupacken und behauptete, Videoaufnahmen und anders Material zu besitzen, das Scharons Rolle in der Affäre bewiesen hätte.

Die Kommission wies Israel eine gewisse "indirekte Verantwortung" für das Massaker zu. Sie verurteilte Begin, Scharon und die Generäle in unterschiedlicher Schärfe. Sie schloss, dass Scharon eine "persönliche Verantwortung" für die Geschehnisse in den Lagern trage und empfahl seine Entlassung als Verteidigungsminister. Scharon wurde zwar tatsächlich als Verteidigungsminister abgelöst, er blieb aber als Minister ohne Geschäftsbereich im Kabinett.

Die Kommission sprach keine Empfehlung hinsichtlich Generalstabschef Rafael Eitan aus - dem Mann, der das Massaker erwartet hatte, der erlaubt hatte, die Truppen, die so gute Arbeit geleistet hatten, durch frische zu ersetzen, und der über die Rolle der Armee gelogen hatte - weil er in Kürze in Ruhestand gehen sollte. Eitan wurde Parlamentsabgeordneter und gründete eine ultrarechte Partei.

General Yaron, der schon am ersten Abend von dem Blutbad wusste und nichts tat, sollte für drei Jahre suspendiert werden. Kurz danach wurde ihm die Rekrutierung und Ausbildung der Armee übertragen und 1986 erhielt er den Spitzenjob des Militärattachés in Washington. Die Kommission empfahl, den Direktor des militärischen Geheimdiensts zu entlassen, und wies General Drori einen großen Teil der Verantwortung zu, "ohne das mit einer Empfehlung zu verbinden".

Es hat fast zwanzig Jahre gedauert, bis Ariel Scharon, der Mann, der 1983 nicht mehr Verteidigungsminister sein konnte, für das höchste Amt als Ministerpräsident tragbar schien. Mit Sabra und Schatilla hat er sich in den Augen der Rechten unvergängliche Verdienste erworben. Die Palästina-Politik, die er seit Jahrzehnten verkörpert - Völkermord oder ethnische Säuberung - hat das Versprechen einer Zwei-Staaten-Lösung abgelöst, wie sie in dem Abkommen von Oslo von 1993 festgelegt worden war. Jetzt geifert die extreme Rechte offen nach einem "Bevölkerungstransfer" aus der Westbank, einem Ende der "Zurückhaltung" und der Wiederbesetzung der im Krieg von 1967 eroberten Gebiete, alles Maßnahmen, die ein Blutbad erfordern würden, das die Grausamkeiten von Sabra und Schatilla in den Schatten stellt.

Literatur:

R. Brynon, Security and Survival: The PLO in Lebanon, Westview Press, 1990

M. Chomsky, The Fateful Triangle: The United States, Israel and the Palestinians, Pluto Press, 1999

R. Fisk, Pity the Nation, Oxford University Press, 1990

T. Friedman, From Beirut to Jerusalem, HarperCollins, 1989

Z. Schiff, E. Ya'ari, Israel's Lebanon War, 1985

Siehe auch:
Scharons Kriegsverbrechen im Libanon: Teil 1
(2. März 2002)
Scharons Kriegsverbrechen im Libanon: Teil 2
( 5. März 2002)