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Massive Proteste gegen EU-Gipfel in Barcelona

Von Chris Marsden
22. März 2002
aus dem Englischen (19. März 2002)

Nach Angaben der Organisatoren haben 300.000 bis 500.000 Menschen in Spanien an den Protesten vor dem EU-Gipfel in Barcelona am Wochenende teilgenommen. Selbst die offiziellen Schätzungen sprechen von bis zu 250.000 Teilnehmern, weit mehr als die 50 bis 60.000, die erwartet worden waren.

In den Medien wurde der enorme Umfang des Protests höchstens am Rande erwähnt; stattdessen konzentrierten sie sich auf die gewaltsamen Zusammenstöße der Polizei mit ein paar hundert Anarchisten am Abend des 16. März. Die verschiedenen Organisationen, die den Protest organisierten, erklärten, dass diese Zusammenstöße isolierte Ereignisse gewesen seien und dass die Demonstrationen friedlich verlaufen seien.

Eine Demonstrantin, Anne-Marie Mujiea, erklärte gegenüber Euobserver.com: "Manchmal konnte man sich vor lauter Demonstranten nicht mehr bewegen." Aber die Berichte, speziell in den britischen Medien, bestanden weitgehend aus sensationslüsternen Berichten über Zusammenstöße der Polizei mit im äußersten Fall 2.000 Demonstranten, die mit 98 Festnahmen endeten. Die Polizei feuerte Gummigeschosse ab und setzte wiederholt Schlagstöcke ein. Ein Protestierer, Ruben Bayona, sagte: "Die Polizei fing an. Ich sage nicht, dass sie nicht provoziert wurde, aber sie ließ sich ausgesprochen leicht provozieren."

Die spanische Regierung hatte alles mögliche unternommen, die Proteste klein zu halten. Sie wären noch viel größer gewesen, wenn das Schengener Abkommen, das die freie Bewegung der EU-Bürger garantiert, nicht für die Zeit des Gipfels außer Kraft gesetzt worden wäre. Es wurde eine Bannmeile verhängt und Straßen und Transportmittel in der Nähe wurden stillgelegt. Dutzende Busse mit Globalisierungsgegnern wurden an der französischen Grenze festgehalten. Mehr als 8.000 Polizisten waren am Veranstaltungsort im Einsatz, der durch einen riesigen Metallzaun abgesperrt war.

Die Organisatoren hatten versucht, mit der Polizei zu kooperieren, und zugestimmt, die Hauptdemonstration auf Samstag zu legen, nach dem Ende des EU-Gipfels, und die Route der Demonstration vom Konferenzort weg, von der Placa de Catalunya zum Hafen zu führen.

Die Proteste waren von verwirrten anti-kapitalistischen Gefühlen geprägt; viele Stimmen wandten sich gegen die Kriegstreiberei der Bush-Regierung - eine Gruppe hatte sich als afghanische Gefangene im Camp X-Ray auf Kuba verkleidet - viele andere Gruppen forderten die Erhaltung der Sozialstaatssysteme in Europa und wandten sich gegen ökonomische Liberalisierung. Dass sich so viele versammelten, um gegen die schlimmsten Ausplünderungen der Völker der Welt durch die Wirtschaft und die Großmächte zu protestieren, war in jedem Fall eine eindeutige Widerlegung der Kommentatoren und Politiker, die eine solche Opposition nach den Terroranschlägen vom 11. September für unzulässig erklärt hatten.

Zahlreiche ehemalige Liberale hatten sich als unverhüllte Verteidiger des imperialistischen Militarismus zu Wort gemeldet und erklärt, dass jede Opposition gegen den US-Imperialismus angesichts des Anti-Amerikanismus bin Ladens und seiner al-Qaida unzulässig sei. Sie behaupteten, die Anti-Globalisierungsbewegung werde sich totlaufen, aber diese Vorhersage, dass alle anderen sich ihren Verbeugungen vor der Bush-Regierung anschließen würden, hat sich als Wunschtraum erwiesen.

Das bedeutet nicht, dass die Proteste glorifiziert oder ihre politischen Unzulänglichkeiten ignoriert werden sollten. Die beteiligten Organisationen vertreten im allgemeinen eine rückwärts gerichtete Reaktion auf das globale Kapital - sie sind für die unveränderte Erhaltung bestehender europäischer Institutionen oder für die Schaffung neuer auf der Grundlage eines nationalistischen Programms, oder sie fordern die eine oder andere Form internationaler ökonomischer Regulierung nach dem Keynesianischen Modell, organisiert durch reformierte Organisationen wie den Internationalen Währungsfond (IWF) oder die Weltbank.

Es gab drei politische Blocks auf der Demonstration: Die Bewegung gegen ein kapitalistisches Europa mit mehr als 100 Organisationen; einen Block separatistischer Bewegungen unter dem Sammelbegriff "Nationen ohne Staat", der aus katalanischen, baskischen, korsischen und schottischen Nationalistengruppen bestand. Und schließlich sozialdemokratische, stalinistische und kleinbürgerlich-radikale Parteien und Gewerkschafter, die den Marsch aber wegen verstopfter Straßen nicht erreichen konnten.

Die Platzierung solcher Gruppen, die wenigstens dem Namen nach mit einer sozialistischen Perspektive auftreten, am Ende der Demonstration ist ein Anzeichen für die Feindschaft von Gruppen wie Attac gegenüber einer Perspektive, die sich auf die Mobilisierung der Arbeiterklasse stützt. Sie appellieren an die herrschende Klasse, Reformen zu machen, anstatt eine wirklich unabhängige Bewegung gegen den Kapitalismus aufzubauen.

Soweit auf eine antikapitalistische Rethorik zurückgegriffen wird, richtet sie sich überwiegend gegen die Vereinigten Staaten, wobei die europäischen sozialdemokratischen Traditionen dem angelsächsischen Marktliberalismus entgegengesetzt werden. Die Organisatoren appellierten an die EU, nicht den amerikanischen Weg zu gehen. Eine Sprecherin der Demonstranten, Ada Colau, erklärte gegenüber den Medien: "Wir sind hier, um ‚Nein' zu sagen zu einer Europäischen Union, die... zu einem Modell der Globalisierung wird und, wie die USA, immer mehr für Waffen und Krieg ist."

Am Vortag hatte ein eigener und kleinerer Protest des Europäischen Gewerkschaftsbunds stattgefunden, an dem mehrere tausend Delegierte aus allen 15 EU-Ländern teilnahmen. Dort wurden Vollbeschäftigung und soziale Rechte gefordert, aber auch hier unter einer nationalistischen Perspektive. Die Hauptforderung auf der Demonstration richtete sich gegen die Liberalisierung der Energiewirtschaft und des Transportgewerbes.

Siehe auch:
EU-Gipfel in Barcelona - Schweigen über Kriegspläne gegen den Irak
(21. März 2002)
Marxistischer Internationalismus und radikale Protestpolitik: Eine Antwort auf Professor Chossudovskys Kritik an der Globalisierung
( 3. März 2000)
Der Marxismus und die Globalisierung der Produktion
( 26. Juni 1997)