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Die Babcock Pleite

Politische Zusammenhänge und Hintergründe

Von Dietmar Henning
20. Juli 2002

Der finanzielle Zusammenbruch des Oberhausener Babcock-Konzerns kommt den SPD-Wahlkämpfern zwei Monate vor der Bundestagswahl mehr als ungelegen. Denn wie kaum ein anderes Ereignis macht das jetzt eingeleitete Insolvenz-Verfahren mit seinen katastrophalen Folgen für die Arbeiter deutlich, dass die SPD keine Antwort auf die großen wirtschaftlichen Probleme hat und gerade in ihrer Hochburg Nordrhein-Westfalen (NRW) Stammwähler verliert.

Hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) im Wahlkampf vor vier Jahren noch mit großer Geste eine - wenn auch auf lange Sicht erfolglose - Rettungsaktion für den Baukonzern Philipp Holzmann initiiert, so wurde bei Babcock in Oberhausen von Anfang an klar, dass die SPD und auch die Gewerkschaften keinerlei Differenzen mit den führenden Banken haben. Alle Beteiligten sind der Meinung, dass die Börsennotierungen und Aktienstände das Maß aller Dinge sind und die sozialen Bedürfnisse der Beschäftigten dem globalen Wettbewerb untergeordnet werden müssen.

In NRW, dem bevölkerungsreichsten Flächenstaat Deutschlands, in dem auch eines der größten europäischen Industriezentren, das Ruhrgebiet, liegt, holte die SPD bei der Bundestagswahl vor vier Jahren 5,1 Millionen Stimmen und sicherte sich so den Wahlsieg. Nun bläst ihr gerade dort der Wind ins Gesicht.

Chronologie der Pleite

Das Traditionsunternehmen, das auf den 1891 in London gegründeten Dampfkesselhersteller Babcock und Wilcox zurückgeht, besteht inzwischen aus rund 300 Einzelkonzernen. Die großen Anteilseigner sind TUI (8,9%), Deutsche Bank (8,8%), Crédit Agricole und WestLB (mit je 8,5%) sowie der US-Investor Guy Wyser-Pratte (10%). Der Rest, über 55 Prozent, befindet sich in Streubesitz. Die weltweit 22.000 Beschäftigten erwirtschafteten im letzten Geschäftsjahr bei einem Umsatz von 4,3 Milliarden Euro einen Gewinn von 26 Millionen Euro. Offiziell arbeitet die Babcock Borsig AG noch in den drei Hauptbereichen Energietechnik, Schiffbau und sonstige Beteiligungen.

Bereits mehrmals stand Babcock kurz vor der Pleite, das letzte Mal 1996/97. Vor fünf Jahren bewahrte ein Banken-Zuschuss von 300 Millionen Euro und ein vom Betriebsrat durchgesetzter Lohnverzicht der Beschäftigten den Konzern vorübergehend vor dem Konkurs. Der ehemalige Vorstandsvorsitzende Klaus Lederer kam zu dieser Zeit als Sanierer nach Babcock. Er verkaufte Teile des Konzerns und baute massiv Arbeitsplätze ab - noch vor drei Jahren standen bei Babcock 43.000 Arbeiter auf der Lohnliste. Fast jeder zweite wurde seitdem entlassen. Doch alle Angriffe auf die Beschäftigten waren aus der Sicht der Banken zu wenig. Ein Unstrukturierungsprogramm sieht noch viel größere Angriffe vor.

Es war der Vorstandsvorsitzende Lederer, der angesichts der gescheiterten Sanierung im Auftrag der Banken und Aktienbesitzer als erster das sinkende Schiff verließ. Im März diesen Jahres verkaufte Babcock die Hälfte seiner 50prozentigen Beteiligung an der profitablen Howaldtswerke Deutsche Werft AG (HDW) an den US-Finanzinvestor One Equity Partners. Auch Babcock-Großaktionär TUI (damals Preussag) gab seine Direktbeteiligung von 50 Prozent an den Investor ab. One Equity hat inzwischen angekündigt, den profitablen Kriegsschiffproduzenten ganz übernehmen zu wollen. Da Vorstandschef Lederer aber nur vier Monate zuvor angekündigt hatte, Babcock wolle die HDW vollständig übernehmen, gibt es Differenzen mit anderen Aktionären, insbesondere mit dem US-Investor Guy Wyser-Pratte. Dieser war wie schon bei seinem letzten gescheiterten Versuch bei der Düsseldorfer Rheinmetall AG bei Babcock eingestiegen, um auf die deutsche bzw. europäische Rüstungsindustrie zu setzen.

Während die ersten Warnungen über einen Verlust bei Babcock von mindestens 100 Millionen Euro im laufenden Geschäftsjahr ausgegeben wurden, legte Lederer am 14. Juni sein Amt als Vorstandvorsitzender nieder und übernahm die gleiche Position bei der HDW. Die Einnahmen Babcocks durch den Verkauf der HDW-Anteile (350 Millionen Euro) wurden zudem durch die Rückzahlung eines 500 Millionen Euro-Kredits an HDW aufgebraucht. Das Landgericht Köln verhängte außerdem einen inzwischen aber wieder aufgehobenen Arrestbeschluss in Höhe von 143 Millionen Euro für die 100prozentige Babcock-Tochter Steinmüller, weil diese millionenschwere Schmiergeldzahlungen im Zusammenhang mit dem Bau der Kölner Müllverbrennungsanlage an die örtlichen SPD-Funktionäre geleistet hatte.

Seit Ende Juni überschlugen sich dann die Meldungen. Fast täglich erhöhten sich die von Babcock benötigten Gelder, um eine Insolvenz zu verhindern. 200 Millionen Euro "Liquiditätshilfe" zur Ausbezahlung der Juni-Löhne stiegen binnen zwei Wochen auf 700 bis 800 Millionen Euro zur "Sanierung" des Konzerns. NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement (SPD) reiste nach Oberhausen und versprach Landesbürgschaften, auch Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) versprach Gelder vom Bund. Doch die Gläubiger-Banken verweigerten einen Zuschuss ihrerseits. Am 5. Juli teilte Babcock schließlich mit, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt zu haben.

Vom sozialdemokratischen Filz zum Co-Management

Die Verantwortung für die jetzt eingetretene Situation mit seinen katastrophalen Auswirkungen für die Beschäftigten Babcocks und darüber hinaus unzähliger Arbeiterfamilien trägt voll und ganz das enge Geflecht aus SPD und Gewerkschaft - vor allem der IG Metall. Aufgrund der hohen Gewinne und Produktivitätssteigerungen, die in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg erzielte wurden, konnte es sich die Industrie leisten, die seit Jahrzehnten auf Landesebene regierende SPD und die Gewerkschaften mit zahlreichen Posten in den Konzernen und auch mit direkten Bestechungsgeldern zu schmieren. Im Gegenzug unterstützte die SPD auf kommunaler und Landesebene die Industrie, wann immer sie konnte, während die IG Metall die Aufgabe übernahm, die Arbeiter unter Kontrolle zu halten und Personalabbau und Lohnsenkung durchzusetzen.

Nahezu jeder Posten im Betriebsrat eines Großindustrie-Unternehmens führte über das SPD-Parteibuch. Betriebsräte, Stadträte und örtliche Funktionäre der SPD wurden mit hochbezahlten Arbeitsplätzen in Industrie oder Politik bedacht. In Oberhausen lief ein Großteil dieses Filzes bis Ende der 80er Jahre über die Ruhrkohle AG, Thyssen und bis jetzt über Babcock. Der jetzige Arbeits- und Sozialminister in NRW, Harald Schartau (SPD), war beispielsweise zu Beginn der 80er Jahre IGM-Jugendsekretär und zuständig für Oberhausen. Durch die Förderung von Heinz Schleußer (ebenfalls in Oberhausen über die IGM-Thyssen-SPD-Connection bis zum Finanzminister in NRW aufgestiegen) wurde Schartau IGM-Bezirksleiter für NRW, bevor er seinen jetzigen Job antrat. Schartau gehörte dem Babcock-Aufsichtsrat von Ende 1992 bis Mitte 2000 an.

Der Vorsitzende im Babcock-Aufsichtsrat war und ist Friedel Neuber, der "Pate" der NRW-SPD. Er sitzt und saß in zahlreichen Aufsichtsräten, u.a. Thyssen-Krupp, Krupp-Hoesch, Deutsche Bahn, RWE, Preussag (jetzt TUI), Ruhrkohle AG usw. Von 1981 bis 2001 war er Vorstandsvorsitzender der öffentlich-rechtlichen WestLB, der nordrhein-westfälischen Landesbank. Neuber war 1999 einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden, als dem ehemaligen NRW-Ministerpräsidenten und heutigen Bundespräsidenten Johannes Rau sowie Finanzminister Schleußer Privatflüge auf Kosten der von ihm geleiteten WestLB nachgewiesen werden konnten.

Aber auch auf unterer Funktionärsebene arbeitet der SPD-Filz. Der Babcock-Konzern-Betriebsratvorsitzende Heinz Westfeld ist 2. Bevollmächtigter der IGM Oberhausen und Neubers Stellvertreter im Aufsichtrat von Babcock. Zudem sitzt er ebenso wie sein Betriebsratskollege Dieter Janssen für die SPD im Oberhausener Stadtrat.

Doch dieses enge Geflecht aus Abhängigkeiten und Privilegien gerät durch den steigenden Konkurrenzkampf auf internationaler Ebene immer stärker unter Druck. Die Konzerne können und wollen sich die direkten und indirekten Bestechungsgelder und auch die von SPD und IGM organisierte "sozialverträgliche" Kontrolle der Arbeiter nicht mehr leisten. "Das Ende der kraftvollen Klientelpolitik des alten SPD-Machtapparates am Rhein ist nicht plötzlich gekommen", schreibt das Handelsblatt in einem Kommentar zur Babcock-Insolvenz. "Der in der EU eröffnete Wettbewerb und die zunehmend globale Ausrichtung der NRW- Konzerne haben die alte schöne Umarmung von öffentlichen und halb öffentlichen Unternehmen, Gewerkschaften, Kommunen und SPD unterminiert."

Die SPD und die mit ihr verbündeten Gewerkschaften verstehen sich inzwischen durchweg als Co-Manager der Unternehmen und haben sich vollständig auf die Seite der Unternehmer geschlagen. Sie sind jetzt treibende Kraft beim Aufbrechen der alten Sozialstrukturen. Die Süddeutsche Zeitung umschreibt dies folgendermaßen: "Babcock ist eines der späten Resultate des berüchtigten NRW-Filzes der Ära Johannes Rau, der unter dem soliden Clement aufgebrochen wurde, aber keineswegs erledigt ist."

Es waren die Banken inklusive der SPD-dominierten WestLB, die die Pleite des Babcock-Konzerns eingeleitet haben, indem sie darauf bestanden, dass der Kredit von der HDW nicht wie früher "verrechnet" wird - Babcock besitzt immer noch 25 Prozent der HDW-Aktien -, sondern an den Schiffsbauer zurückgezahlt werden muss.

Die WestLB spielte dabei augenscheinlich eine führende Rolle. Sie verkündet auf ihrer Website, bis 2004 die Eigenkapitalrentabilität auf 18 Prozent zu erhöhen, d. h., nur noch in profitabelste Wirtschaftsbereiche zu investieren bzw. in ihren Beteiligungen eine massive Erhöhung der Rendite einzufordern. Bei Babcock war dies nicht gegeben. Der ehemalige Vorstandsvorsitzende Klaus Lederer war 1997 eigens von Friedel Neuber nach Babcock als Sanierer geholt worden, um dies zu ändern. Es ist daher sehr unwahrscheinlich, dass Neuber als Aufsichtsratsvorsitzender und Heinz Westfeld als sein Vertreter und gleichzeitig Konzernbetriebsratvorsitzender nichts von den Auswirkungen von Lederers Aktivitäten mitbekommen haben wollen.

Die Insolvenz eröffnet jetzt den Banken den für ihre strategischen Ziele notwendigen Weg. Babcock wird nicht zerschlagen und aufgelöst, wie dies früher bei Konkursen der Fall war. Die rot-grüne Bundesregierung hat dazu 1999 das Insolvenzrecht grundlegend geändert. Danach geht es nicht vorrangig um die Begleichung der Schulden durch den Verkauf und damit der Zerschlagung der Konzerne. Die neue rot-grüne Insolvenzordnung stellt den Mechanismus zur Verfügung, mit dem Konzerne wie Babcock unter dem alten Management umstrukturiert und profitabel gemacht werden können.

Die Banken haben zu erkennen gegeben, dass sie einem Sanierungskonzept der Unternehmensberatung Roland Berger zustimmen. Danach würde das Kerngeschäft Babcocks der traditionelle Energiebereich sein. Die verbliebenen Beteiligungen im Schiffbau sollen ebenso wie die "sonstigen Beteiligungen" (11.000 Beschäftigte) ganz abgestoßen werden.

Erneut sollen mehrere tausend Arbeitsplätze vernichtet werden. Die verbleibenden Beschäftigten müssen mit einer Kürzung ihrer Löhne rechnen. Schon zweimal haben sie auf Initiative der IG Metall und des Betriebsrates auf einen Teil ihrer Löhne verzichtet, 1996/97 und im Juni dieses Jahres. Die Kürzung, die der Betriebsrat vor drei Wochen auch gegen Proteste in Teilen der Belegschaft durchgesetzt hat, der Verzicht auf die tarifliche Lohnerhöhung, die dem Konzern eine Ersparnis von 26 Millionen Euro eingebracht hätte, ist zwar durch die Insolvenz obsolet. Aber der neue Vorstandsvorsitzende, der Insolvenz-Fachmann Rechtsanwalt Horst Piepenburg, hat bereits angekündigt, dass "die Beschäftigten bei den anstehenden Sanierungen auch wieder ihren Beitrag leisten" müssen.

Die Auswirkungen für die arbeitende Bevölkerung

Neben den Lohnkürzungen bei den verbleibenden Beschäftigten trifft es aber vor allem die zukünftigen Arbeitslosen hart. Nach dem endgültigen Aus für die Zechen und die Stahlproduktion Ende der 80er Jahre war Babcock mit 3.000 Beschäftigten der größte Arbeitgeber Oberhausens. Nur noch der Rest der Gute-Hoffnungshütte (jetzt MAN), die 1.800 Menschen in ihrem Turbokompressoren-Werk beschäftigt und die Ruhrchemie (jetzt Celanese AG) mit 1.400 Arbeitern bieten Industrie-Arbeitsplätze in der ehemaligen Kohle- und Stahlstadt.

Die Stadt Oberhausen - in Zusammenarbeit mit dem Land - war dem massiven Arbeitsplatzabbau in der Industrie in den 80er Jahren mit einem verstärkten Anwerben von Dienstleistungsunternehmen begegnet. So eröffnete 1996 auf dem Areal des ehemaligen Thyssen-Stahlwerks das Centro, das zu jener Zeit größte Einkaufszentrum Europas, rund 70.000 Quadratmeter groß. Daher steht die Stadt im Westen des Ruhrgebiets rein zahlenmäßig mit einer Arbeitslosenquote von 10,2 Prozent im Vergleich zu anderen Ruhrgebietsstädten recht gut da - Gelsenkirchens Quote (die höchste im Revier) beträgt 15,8 Prozent -, doch sind viele der neuen Arbeitsplätze ausgesprochene Billigjobs.

Wenn nun Tausende Industrie-Jobs bei Babcock und den Zulieferbetrieben abgebaut werden, wird dies insbesondere für viele ältere Arbeiter einen langen Weg in die Arbeitslosigkeit und Armut bedeuten. Es wird keine üppigen Sozialpläne geben und auch für die Aufrechterhaltung der Betriebsrenten in bisheriger Form fehlt das Geld, von den Verlusten angesichts des Kurssturzes der Babcock-Belegschaftsaktien ganz zu schweigen.

Einige ältere Babcock-Beschäftigte haben 800 bis 900 Überstunden aufgebaut, um früher in Rente gehen zu können - nun ist all dies umsonst gewesen. Die örtlichen SPD-Politiker diskutieren inzwischen eine Auffanggesellschaft, in der die Arbeiter zwischengeparkt werden und anschließend in die niedriger bezahlten Jobs gedrängt werden. Den Auszubildenden bei Babcock - ihr Schicksal ist noch offen - und den Jugendlichen in der Region wird durch den Wegfall qualifizierter Facharbeiterausbildung ihre Zukunft genommen.

Die Stimmung unter den Arbeitern ist gereizt. Empört wenden sich viele von SPD und Gewerkschaften ab. Schon jetzt wird deutlich, dass die Wahlenthaltung im September unter den früheren Stammwählern der SPD deutlich ansteigen wird.

"Ich wähle nie wieder SPD, wenn Babcock Pleite geht", sagte ein 41-jähriger Dreher, der seit 17 Jahren bei Babcock arbeitet zu Reportern des WSWS am Werkstor. "Und das sage ich auch meinen ganzen Kollegen. Der SPD kann man nicht mehr Vertrauen. Ich bin schon 31 Jahre in Deutschland, doch so etwas habe ich noch nie erlebt. Ich habe gedacht, die SPD würde die soziale Lage der Arbeiter verbessern."