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Die Rede des amerikanischen Präsidenten zur Lage der Nation

Eine Kriegserklärung an die ganze Welt

Von der Redaktion
1. Februar 2002
aus dem Englischen (31. Januar 2002)

Selten hat es in amerikanischen Geschichte eine Rede zur Lage der Nation gegeben, die auf einen derart drohenden und kriegerischen Ton gestimmt war, wie die Ansprache von George W. Bush am Dienstag Abend. Der Präsident der USA skizzierte die Grundzüge einer fortwährenden, unaufhörlichen Kriegsführung auf jedem Kontinent und gegen jegliche Regierung, die der amerikanischen herrschenden Klasse in ihrer Raubgier je im Weg stehen könnte.

Bush drohte Angriffe auf Iran, Irak und Nordkorea an - diese drei Länder nannte er direkt beim Namen. Er warnte in diesem Zusammenhang theatralisch vor "Tausenden gefährlicher, in allen Methoden des Mordes ausgebildeter Killer, die oftmals von ungesetzlichen Regimen unterstützt werden". Dabei hatten die genannten Länder, wie die US-Regierung selbst eingesteht, mit den Terroranschlägen vom 11. September nicht das Geringste zu tun.

Stattdessen entwarf Bush mit der Behauptung, Iran, Irak und Nordkorea strebten die Entwicklung chemischer, biologischer und atomarer Waffen an, eine neue Rechtfertigung für Militäraktionen. "Aufgrund ihres Strebens nach Massenvernichtungswaffen stellen diese Regime eine ernste, zunehmende Gefahr dar", so Bush.

"Solche Staaten und ihre terroristischen Verbündeten", erklärte er, "bilden eine Achse des Bösen, deren Bewaffnung den Weltfrieden bedroht."

Mit der Wortwahl "Achse des Bösen" versuchte Bush Erinnerungen an den Kampf der Alliierten gegen die Achsenmächte im Zweiten Weltkrieg heraufzubeschwören, doch diese Rhetorik kann nicht darüber hinweg täuschen, dass in Wirklichkeit die US-Regierung und Bush selbst in die Fußstapfen der Nazis treten. Ähnlich aggressive Kriegshetze in den öffentlichen Verlautbarungen einer Großmacht und ähnlich zynische Lügen und Provokationen zur Rechtfertigung militärischer Aggressionen kann man wahrhaftig nur in den Tiraden Adolf Hitlers finden.

Welteroberungspläne

Dieser Vergleich ist nicht übertrieben. Ebenso wie einst Hitler und die Nazis setzt sich der amerikanische Militarismus die Eroberung und Beherrschung der ganzen Welt zum Ziel. Die jüngste Rede zur Lage der Nation formulierte die zügellosen Begierden des Militärs und der skrupellosesten, korruptesten und verbrecherischsten Kreise der Herrschenden in den USA, die in George W. Bush ihren direkten Vertreter finden.

Ebenso wie einst Hitler zeichnet Bush ein Bild der Welt, das die Realität auf den Kopf stellt. Kleine, schwache Länder stellen darin eine tödliche Gefahr für die mächtigsten und am besten bewaffneten Staaten dar. Bevor Hitler in der Tschechoslowakei und Polen einmarschierte, um sie in Schutt und Asche zu legen, hatte er beide Länder in den Jahren 1938-39 demagogisch zur Bedrohung der nationalen Sicherheit Deutschlands hochstilisiert. Im Jahr 2002 fasst Bush Nordkorea, Iran und Irak mit den Worten ins Visier: "Die Vereinigten Staaten von Amerika werden den gefährlichsten Regimen der Welt nicht gestatten, sie mit den zerstörerischsten Waffen der Welt zu bedrohen."

In Wirklichkeit haben diese Länder nur zwei Gemeinsamkeiten: verzweifelte Armut und langjähriges Leiden als Opfer des US-Imperialismus. Es liegt eigentlich auf der Hand, wer das "gefährlichste Regime der Welt" ist: die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika. Immerhin ist der Militärhaushalt der USA umfangreicher als die neun nächst größten zusammengenommen. Eine ganze Serie kleiner Länder mussten in den letzten Jahren Invasionen, Besetzungen oder Angriffe der USA ertragen: Panama, Haiti, Jugoslawien, Irak, Somalia, Sudan und neuerdings Afghanistan.

Es gibt ganz bestimmte Gründe, weshalb Bush am Dienstag Abend ausgerechnet die drei genannten Länder anführte. Als ein letztes Überbleibsel des Sowjetblocks aus Zeiten des Kalten Krieges ist Nordkorea seit geraumer Zeit das bevorzugte Feindbild der extremen Rechten, die Bushs politische Basis abgeben. Mit Irak, dem wahrscheinlichsten Angriffsziel unter den ölproduzierenden arabischen Ländern, hat Bush für seinen Vater noch eine Rechnung zu begleichen. In Washington ist man schon lange ungehalten darüber, dass es dem Senior nicht gelungen war, in Bagdad ein von Amerika abhängiges Marionettenregime einzusetzen. Der Konflikt des Iran mit den USA besteht seit der Revolution von 1978/79, in der die - von den USA unterstützte - Diktatur des Schahs gestürzt worden war.

Darüber hinaus geben vor allem zwei strategische Erwägungen den Ausschlag darüber, dass ausgerechnet diese drei Länder zur Zielscheibe amerikanischer Militäraktionen auserkoren wurden: Erstens Öl und zweitens die Kriegsvorbereitungen der USA gegen China als diejenige Macht, die Washington als seinen Hauptkonkurrenten in Nord- und Ostasien betrachtet.

Der Nahe und Mittlere Osten sowie Zentralasien beherbergen mehr als zwei Drittel der weltweiten Öl- und Gasvorkommen. Mit dem Angriff auf Afghanistan leiteten die USA ihre dauerhafte militärische Präsenz in Zentralasien ein. Der Iran steht diesen Bestrebungen direkt im Wege, weil er in den persisch-sprachigen Gebieten im Westen Afghanistans eigene Interessen verfolgt. Der Iran und der Irak sind zudem nach Saudi-Arabien der zweit- und der drittgrößte Ölproduzent in der Region.

Unter militärischen Gesichtspunkten gleicht das Netzwerk von Stützpunkten und Nutzungsrechten, das die USA seit dem 11. September errichtet haben, immer mehr einer Schlinge, die sich um China zuzieht: Usbekistan, Tadschikistan, Kirgisien, Pakistan, Indien, die Philippinen, gefolgt von dem jüngsten Säbelrasseln gegen die nordkoreanische Halbinsel.

Die britische Tageszeitung Guardian kommentierte am Mittwoch: "Nach jeder neuen Wendung des Kriegs gegen den Terrorismus scheint es einen neuen Außenposten des Pentagon in der asiatisch-pazifischen Region zu geben, von der ehemaligen UdSSR bis zu den Philippinen. Eine der bleibenden Folgen des Krieges besteht möglicherweise in der militärischen Einkreisung Chinas." Die Zeitung zitiert aus der Pentagon-Publikation Quadrennial Defense Review, die, allerdings ohne China zu nennen, vor der "Entstehung eines militärischen Konkurrenten mit erheblichen Ressourcen in der Region" warnt und eine Politik fordert, "die in erster Linie auf die Erlangung weiterer Zugangs- und Nutzungsrechte hinsichtlich der Infrastruktur ausgerichtet ist".

Der enorme Umfang der militärischen Ambitionen der USA lässt sich an der von Bush anvisierten Erhöhung des Verteidigungshaushaltes ablesen. Er soll um 48 Milliarden Dollar aufgestockt werden. Diese Erhöhung ist größer als der gesamte Militärhaushalt jedes anderen Landes. Auch seine Forderung, jeder amerikanische Jugendliche solle einen zweijährigen Sozialdienst ableisten, entspricht der Logik eines ungezügelten Militarismus. Sie läuft auf die Wiedereinführung des Wehrdienstes für amerikanische Jugendliche hinaus.

Die innenpolitische Krise und die Kriegstreiberei

Die Politik der internationalen Freibeuterei, die sich Bush zu eigen gemacht hat, geht letztlich auf die unlösbaren sozialen Konflikte innerhalb der USA selbst zurück. Es gibt keine andere Erklärung für die hektische Eile, von der die Kriegstreiberei geprägt ist. Wie sagte doch Bush vor dem Kongress am Dienstag Abend: "Die Zeit ist aber nicht auf unserer Seite. Ich werde nicht abwarten, wenn sich Gefahren zusammenziehen. Ich werde nicht untätig zusehen, wie die Gefahr näher und näher kommt."

In der Tat drohen dem amerikanischen Imperialismus Gefahren, doch sie gehen nicht von kleinen Terroristenbanden oder von den Regierungen kleiner und verarmter Länder am anderen Ende der Welt aus. Sie haben ihre Ursache in der tiefen Krise des Weltkapitalismus und in den schroffen Gegensätzen, die sich innerhalb der USA zwischen der im Geld schwimmenden Elite und der breiten Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung auftun.

Bush gab zu, dass die Wirtschaft der USA in eine Rezession eingetreten ist, doch er hatte keine Lösung für die Ausbreitung von Arbeitslosigkeit, Armut und sozialem Elend. Ihm fiel dazu nichts anderes ein, als weitere Steuersenkungen für die Reichen und die Großunternehmen. Nur beiläufig erwähnte er in seiner Rede zur Lage der Nation notwendige soziale Einrichtungen wie das Erziehungs- und Gesundheitswesen. In seinem neuen Haushaltsentwurf, der kommende Woche vorgelegt werden soll, werden nahezu alle zusätzlichen Gelder in das Militär und die "innere Sicherheit" fließen.

Die Rede zur Lage der Nation stand im Schatten des Zusammenbruchs von Enron, des siebtgrößten US-amerikanischen Unternehmens, das über sehr enge politische Beziehungen zu Bush und der Republikanischen Partei verfügt. Hinzu kam eine ganze Serie weiterer Firmenpleiten: die Einzelhandelskette Kmart, Global Crossing, Sunbeam und die gesamte Stahlindustrie. Doch zur Frage von Arbeitsplätzen und der Sicherung des Lebensstandards der Bevölkerung hatte Bush nichts zu sagen. Lediglich zusätzliche staatliche Gelder für die Unternehmen stellte er in Aussicht.

Bushs Innenpolitik konzentriert sich auf Repressionsmaßnahmen, den Aufbau von Polizei und Militär im Innern. Der "Krieg gegen den Terrorismus" ist nur der Vorwand, hinter dem die gewaltsame Niederschlagung enormer sozialer Unruhen vorbereitet wird. Diese Regierung verdankt ihre Macht keinen demokratischen Wahlen, sondern einer äußerst knappen Entscheidung des Obersten Gerichts der USA, das Bush mit 5 gegen 4 Stimmen zum Amt verhalf. Die Bush-Administration stützt sich in zunehmendem Maße auf Armee und Polizei, wobei die Kulisse der kapitalistischen Demokratie entbehrlich wird.

Obwohl Bush von den kriecherischen und zynischen Medien in den Himmel gehoben wird und die Demokratische Partei vor ihm zu Kreuze kriecht, spürt diese Regierung ihre Isolation und fürchtet tief im Innern jede wirkliche Opposition. Die Umfragen und "Expertenmeinungen", wonach Bush bei der amerikanischen Bevölkerung weiß Gott wie beliebt sei, dienen lediglich der politischen Einschüchterung. In den Betrieben und Büros oder in den Wohnsiedlungen der Arbeiter begegnet man Bush im Allgemeinen mit Gleichgültigkeit, Misstrauen oder Verachtung. Der Krieg in Afghanistan ist bei der breiten Masse der amerikanischen Bevölkerung kaum ein Gesprächsthema und kein Gegenstand größerer Gefühle.

Das ist natürlich kein Anlass sich zurückzulehnen. Die Entstehung einer Opposition gegen die Bush-Regierung ist unvermeidlich, um aber Erfolg zu haben, muss sie von der Entwicklung des politischen Bewusstseins in der Masse der Bevölkerung ausgehen.

In erster Linie muss die amerikanische Bevölkerung verstehen, welche Gefahren die Kriegstreiberei der USA mit sich bringt. Nicht nur die unmittelbaren Opfer der amerikanischen Welteroberungspläne werden sich wehren, sondern letztlich auch die anderen atomar bewaffneten Großmächte. An die Adresse Chinas und Russlands, Japans, Frankreichs und Deutschlands gerichtet geben Bush und das Pentagon ganz unmissverständlich zu verstehen: Wer sich dem US-Imperialismus in den Weg stellt, wird vernichtet.

Der skrupellose, geradezu wahnwitzige Charakter der US-amerikanischen Außenpolitik folgt aus der verzweifelten Krise der Herrschenden. Wenn die Arbeiterklasse nicht als organisierte, unabhängige politische Kraft interveniert, droht diese Kriegstreiberei die amerikanische Bevölkerung in militärische Schlächtereien hineinzuziehen, die bis hin zu Völkermord gehen werden. Sie kann zu einer Katastrophe von unabsehbaren Ausmaßen führen.

Sowohl innerhalb der USA als auch auf Weltebene muss eine Massenbewegung der arbeitenden Bevölkerung gegen die Gangster in Washington aufgebaut werden. Sie muss eine politische Alternative vertreten, um die Arbeitsplätze zu verteidigen, die sozialen Einrichtungen auszubauen und die Militärmaschinerie aufzulösen.

Siehe auch:
Weitere Artikel zur Politik der Bush-Regierung
(Dieser Artikel ist auch in der gleichheit - März 2002 enthalten.)