Der Ton zwischen Berlin und Washington wird rauer
Von Ulrich Rippert
24. August 2002
Seit sich Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) in der ersten Augustwoche mit deutlichen Worten gegen eine Beteiligung an einem möglichen Irak-Krieg ausgesprochen hat, verwandelte sich der Disput in einen offenen Konflikt zwischen der deutschen und der amerikanischen Regierung.
Am Montag vergangener Woche wurde der amerikanische Botschafter Daniel R. Coats im Kanzleramt vorstellig, um der Bundesregierung offiziell das "Unbehagen" der amerikanischen Administration zu übermitteln. Die Reaktion in Berlin war schroff. Weder Kanzler Schröder noch Außenminister Fischer (Grüne) nahmen sich die Zeit, um die Kritik des US-Botschafters anzuhören. Statt dessen schickten sie den sicherheitspolitischen Berater des Kanzlers, Dieter Kastrup, und Kanzleramtsminister Frank Steinmeier.
In einer Pressemitteilung erklärte die Bundesregierung anschließend, Coats habe lediglich um Erläuterung der deutschen Position in der Irak-Frage gebeten. Dieser Darstellung widersprach Coats am Dienstag "öffentlich und vehement" (Süddeutsche Zeitung). Es sei ausdrücklich und ausschließlich darum gegangen, die amerikanische Position darzulegen, sagte Coats der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Er habe klargestellt, dass die von Bundeskanzler Gerhard Schröder für die Kritik an der amerikanischen Irak-Politik gewählten "Sätze und Worte" aus amerikanischer Sicht nicht angemessen seien. Außerdem ärgere es die USA, dass der Kanzler unterstelle, die Regierung in Washington bedenke die Folgen eines Angriffs nicht.
Kanzler Schröder wies die Kritik umgehend zurück. Auf einer bundesweiten SPD-Funktionärskonferenz am vergangenen Sonntag in Berlin wiederholte er seine ablehnende Haltung gegenüber der amerikanischen Irak-Politik und betonte, Freundschaft gegenüber den USA bedeute nicht, "in allem Ja und Amen zu sagen". Er könne nur davon abraten, durch eine militärische Intervention "einen neuen Krisenherd" zu schaffen, nachdem der Frieden auf dem Balkan immer noch nicht fest etabliert, der Nahostkonflikt noch nicht beherrschbar und auch die Taliban in Afghanistan noch nicht endgültig besiegt seien.
Deutschland müsse sich "von niemandem Vorwürfe machen lassen, es komme seinen internationalen Verpflichtungen nicht nach". Mittlerweile stelle die Bundeswehr nach den USA das zweitgrößte Truppenkontingent in internationalen Einsätzen, erklärte Schröder.
Die Vehemenz, mit der Schröder in den vergangenen Tagen seine Kritik an den amerikanischen Kriegsplänen vortrug, ist ungewöhnlich. Bisher haben sozialdemokratische Spitzenpolitiker immer die Interessen der stärksten und einflussreichsten imperialistischen Macht vertreten. Vom Koreakrieg in den fünfziger Jahren über den Vietnamkrieg bis hin zum Krieg in Afghanistan unterstützte die SPD die amerikanische Kriegspolitik.
Doch nun ändert sich die Situation. Zum ersten Mal seit Ende des Zweiten Weltkriegs stoßen die unterschiedlichen Interessen der USA und Deutschlands offen aufeinander. Mit seiner Kritik an der amerikanischen Kriegstreiberei im Fall Irak formuliert Gerhard Schröder die wachsenden Sorgen der europäischen Großmächte, die eine gefährliche Destabilisierung des Nahen Osten mit völlig unabsehbaren Folgen befürchten und eine uneingeschränkte amerikanische Vorherrschaft über die wichtigsten Energieressourcen unter allen Umständen verhindern möchten.
Gleichzeitig spielt aber die transatlantische Achse in der deutschen Außenpolitik nach wie vor eine wichtige Rolle. Der Wiederaufbau nach 1945 wäre ohne amerikanische Milliardenkredite kaum möglich gewesen und die engen wirtschaftlichen und politischen Beziehungen über den Atlantik bildeten während der gesamten Nachkriegszeit einen wichtigen Faktor der Stabilität.
So kommt es Schröder sehr gelegen, dass er sich bei seiner Kritik an den Kriegsplänen der Bush-Administration auch auf wachsende Konflikte in der amerikanischen Politik stützen kann. Hinter seiner zur Schau getragenen Entschlossenheit gegen jede Beteiligung der Bundeswehr an einem "militärischen Abenteuer" steht die schlichte Tatsache, dass er - zumindest gegenwärtig - auch für einflussreiche Teile der amerikanischen Politik spricht, die immer schärfer gegen Bushs Kriegspläne Stellung nehmen. Vieles deutet darauf hin, dass es über den Atlantik hinweg sogar Absprachen gab und eine gewisse Arbeitsteilung vereinbart wurde.
Kaum hatte Schröder in markigen Worten seine ablehnende Haltung zu einem erneuten Waffengang gegen den Irak kundgetan, da meldete sich in Washington ein namhafter Politiker nach dem anderen zu Wort, um mit ähnlichen Argumenten die Bush-Administration vor einem "militärischen Abenteuer" zu warnen.
Die Online-Ausgabe von BBC berichtete am 19. August von zunehmender Skepsis, die sich in den Vereinigten Staaten gegen einen Irak-Krieg regt. US-Präsident Bush habe bislang nicht klar genug dargelegt, weshalb eine Militäraktion gegen Bagdad überhaupt geboten sei, rügen Kritiker.
Zunächst hatten sich Brent Scowcroft, während des Golfkriegs 1991 Sicherheitsberater des US-Präsidenten George Bush sen. und der Kongressabgeordnete Dick Armey vom rechten Flügel der Republikaner sowie der demokratische Senator Carl Levin kritisch zu den US-Kriegsabsichten geäußert.
"Ein Angriff auf Irak in nächster Zeit würde die weltweite Koalition gegen den Terrorismus, die wir in den vergangenen Monaten so mühsam aufgebaut haben, ernsthaft gefährden, wenn nicht sogar zerstören", warnte Scowcroft im Wall Street Journal. Als Reaktion auf einen Angriff könnte Bagdad chemische und biologische Kampfstoffe einsetzen und damit einen Krieg zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn auslösen.
Namentlich erwähnt werden nun auch die beiden prominenten Republikaner und früheren US-Außenminister Henry Kissinger und Laurence Eagleburger, die gegenüber US-Fernsehanstalten Zweifel über die "Klugheit" eines solchen Kriegs äußerten. Kissinger sagte im Sender NBC, dass ein beabsichtigter Angriff auf das Regime von Saddam Hussein in der amerikanischen Bevölkerung besser vorbereitet werden müsse.
In einem Artikel für die Washington Post vom 12. August hatte Kissinger bereits zu bedenken gegeben, dass eine Militärintervention nur stattfinden dürfe, wenn die Amerikaner "bereit wären, solch eine Anstrengung so lange auf sich zu nehmen, wie es erforderlich" sei. Laurence Eagleburger argumentierte, dass ein Angriff auf den Irak so lange ungerechtfertigt sei, bis der Präsident allen Amerikanern Beweise geliefert habe, "dass Saddam seinen Finger am atomaren, biologischen und chemischen Drücker hat und er entschlossen ist, auch davon Gebrauch zu machen."
Auch die Neue Zürcher Zeitung widmete sich am 19. August 2002 der inneramerikanischen Diskussion. Am vorangegangenen Wochenende hatte sich eine weitere gewichtige Stimme eingeschaltet, die des ehemaligen Sicherheitsberaters unter Präsident Carter, Zbigniew Brzezinski. In einem Beitrag für die Washington Post nannte er eine Reihe von Bedingungen, welche die USA herstellen müssten, bevor sie den Irak angreifen könnten.
Wohlgemerkt: Auch Brzezinski geht es nicht darum, einen Krieg gegen Irak rundum abzulehnen. Vielmehr möchte er die Voraussetzungen für ein effektives Vorgehen der eigenen Kräfte verbessern. Notwendig sei erstens, dass der Präsident in einer Ansprache an die Bevölkerung seine Argumente sorgfältig darlege und begründe, weshalb die Bedrohung durch Saddams Massenvernichtungswaffen so ernst sei, dass die USA zum Handeln gezwungen seien. Zweitens müsse die US-Administration verdeutlichen, warum Abschreckung als Mittel nicht mehr genüge.
Drittens empfiehlt Brzezinski, dass Präsident Bush die internationale Initiative ergreifen solle. Insbesondere sollten die USA eigene Vorschläge für umfassende Waffeninspektionen im Irak ins Spiel bringen. Falls Saddam die Inspektionen erneut ablehne, könnte dies als legitimer Kriegsgrund hingestellt werden. Auf diese Weise fiele es leichter, die zögerlichen europäischen Regierungen für sich zu gewinnen.
Darüber hinaus sollten sich die USA möglichst bald mit den Verbündeten und den betroffenen arabischen Staaten zu Gesprächen über eine irakische Nachkriegsordnung zusammenfinden. All diese Schritte seien geeignet, dem militärischen Vorgehen der USA international eine größere Legitimation zu verschaffen. Die Neue Zürcher Zeitung gibt Brzezinskis Standpunkt mit den Worten wieder: "Wenn es denn Krieg sein soll, so muss er in einer Weise geführt werden, die die globale Hegemonie der USA legitimiert und gleichzeitig zu einem zuverlässigeren System der internationalen Sicherheit führt."
Nach BBC-Informationen stößt neuerdings auch General Norman Schwarzkopf ins Horn der Kritiker. Schwarzkopf war im Golfkrieg 1991 Befehlshaber der US-Truppen. Heute sagt er, wenn die USA siegreich sein wollten, seien sie wesentlich auf Verbündete in der Region angewiesen, also etwa auf Kuwait, die Türkei und Saudi-Arabien. "Das wird keine leichte Schlacht", sagte er in einer Nachrichtensendung von NBC. Es sei doch einleuchtend, "dass man nicht gern an zwei Fronten kämpft, wenn es sich vermeiden lässt".
Dagegen treten Israels Regierungschef Ariel Scharon und Außenminister Schimon Peres dafür ein, den geplanten Angriff auf den Irak nicht zu verzögern. Scharon habe Bush mitgeteilt, eine Verschiebung werde Bagdad nur die Gelegenheit geben, sein Programm zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen zu beschleunigen, sagte ein Regierungssprecher in Israel.
Schröders Allianz mit Teilen der herrschenden Elite der USA macht deutlich, dass sich seine Kritik an den Kriegsplänen der Bush-Administration nicht um die Frage für oder gegen Krieg dreht. Es geht vielmehr darum, wie und unter welchen Bedingungen ein Krieg geführt und wie die Beute geteilt wird.
Die Kritik von Kissinger, Eagleburger, Scowcroft oder Brzezinski richtet sich nicht grundsätzlich gegen einen Krieg im Irak, sondern gegen dessen unzureichende Vorbereitung. Gerade weil ein solcher Krieg tiefgreifende politische und militärische Konsequenzen hat, fordern sie eine bessere Planung und die Vorbereitung der amerikanischen Bevölkerung auf möglicherweise hohe Verluste. Sie fürchten, dass amerikanische Soldaten in verlustreiche Straßenkämpfe verwickelt werden könnten und dass die tiefen sozialen, ethnischen und religiösen Konflikte in der Region zu einer Ausweitung des Krieges mit unabsehbaren Folgen führen.
Die deutschen und europäischen Konzerne und Banken wiederum, für die Schröder spricht, fürchten um ihre lukrativen Exportmärkte in der Region und um die Auswirkungen einer weiteren Ölkrise. Gegen die Einsetzung eines gefügigen Regimes im Irak haben sie nichts einzuwenden, solange dieses nicht nur nach der amerikanischen, sondern auch nach ihrer eigenen Pfeife tanzt.
Schröders Allianz mit Teilen der amerikanischen Elite kann nur zeitlich begrenzter Natur sein. Die wachsenden Spannungen zwischen Deutschland und den USA haben tiefe objektive Ursachen. Sie speisen sich aus den tiefen Widersprüchen der Weltwirtschaft und aus der wachsenden Polarisierung der Gesellschaft dies- und jenseits des Atlantiks. Unter den Bedingungen der Globalisierung und einer drohenden Rezession nimmt der Kampf um die Aufteilung von Ressourcen und Märkten zwangsläufig unversöhnliche und gewaltsame Formen an. Gleichzeitig wird der Krieg immer häufiger zur Antwort auf innenpolitische Probleme, auf die die herrschende Elite keine Antwort hat.
Seit nunmehr über zehn Jahren zeichnet sich die Tendenz ab, internationale Konflikte mit militärischen Mitteln zu lösen - und zwar nicht nur von Seiten der USA. Die rot-grüne Koalition in Berlin, die vor vier Jahren mit dem Versprechen zur Wahl antrat, keine deutschen Soldaten außerhalb des Nato-Gebiets einzusetzen, hat nach Schröders eigenen Worten inzwischen mehr Soldaten im Ausland stationiert, als jede andere Regierung mit Ausnahme der USA!
Die deutschen Arbeiter dürfen sich bei der Ablehnung eines Irak-Kriegs nicht auf Schröder und die SPD verlassen, die die Interessen der deutschen Banken und Konzerne vertreten. Ihr wichtigster Verbündeter ist die amerikanische Arbeiterklasse. Der Kampf gegen die wachsende Kriegsgefahr erfordert eine internationale Bewegung der Arbeiterklasse, die darauf ausgerichtet ist, die Kriegsfrage mit der sozialen Frage zu verbinden.