Die amerikanische Öffentlichkeit bleibt über die Ziele eines Kriegs gegen den Irak im Unklaren
Von Patrick Martin
8. August 2002
aus dem Amerikanischen (6. August 2002)
Im offiziellen Washington ist eine Diskussion über das Wann und Wie eines Kriegs gegen den Irak ausgebrochen, aber es handelt sich um keine wirkliche politische Debatte. Vertreter verschiedener Fraktionen der herrschenden Elite - Repräsentanten der Bush-Regierung, führende Parlamentarier der Demokratischen und der Republikanischen Partei, das militärische und geheimdienstliche Establishment - bringen ihre Argumente ein, aber die amerikanische Bevölkerung bleibt außen vor. Diese Diskussionen haben keinen wirklichen demokratischen Inhalt und drehen sich unter anderem darum, wie die öffentliche Meinung manipuliert werden kann und soll.
Schon die Begriffe selbst, die bei der Senatsanhörung am 31. Juli und 1. August benutzt wurden, zeigen den zynischen und unheilvollen Charakter des parlamentarischen Verfahrens. Ein Sprecher nach dem anderen bekundete sein Einverständnis, dass Saddam Hussein als irakischer Herrscher gestürzt werden solle und dass die Vereinigten Staaten das Recht besäßen, in einem Land auf der anderen Seite der Welt eine Politik des "Regimewechsels" zu betreiben. Die einzigen Differenzen, die zutage traten, bezogen sich auf die geeignetste Methode, dieses Ziel zu erreichen - und die besten Wege, um der amerikanischen Bevölkerung einen solchen Krieg zu "verkaufen".
Die ganze offizielle Debatte in den Vereinigten Staaten könnte, Pirandello möge uns verzeihen, den Titel Sechs Kriege suchen einen Vorwand tragen. Das gesamte Establishment in Politik und Medien stimmt mit dem Ziel überein, einen Krieg gegen den Irak zu führen. Aber den verschiedenen Fraktionen schweben unterschiedliche Szenarios vor.
Einige treten für das afghanische Modell ein: den Einsatz von hochentwickelten Waffensystemen, CIA-Spionen und einer kleinen amerikanischen Bodentruppe, kombiniert mit massiven Lufteinsätzen. Andere, vor allem im Pentagon, stellen sich eher so etwas wie den Golfkrieg von 1991 vor, mit nur halb so vielen Soldaten, 250.000 Mann vielleicht, um das Land zu besetzen. Ein weiterer Vorschlag besteht darin, Panzerkolonnen von Kuwait aus nach Bagdad zu schicken und nur die irakische Republikanische Garde ins Visier zu nehmen in dem Glauben, dass reguläre irakische Soldaten nicht für Saddam Hussein kämpfen werden. Eine vierte Version ist ein Luftangriff auf die irakische Hauptstadt, bei dem der irakische Präsident getötet und dadurch das Regime enthauptet werden soll. Es gibt auch Fürsprecher eines Szenarios, bei dem ein Staatsstreich durchgeführt und Hussein getötet werden soll.
Der politische Vorwand für einen Angriff auf den Irak verändert sich ständig, da die Bush-Regierung, bislang ohne Erfolg, nach einem Vorwand sucht, mit dem sich die Öffentlichkeit hinter ihre Kriegspläne bringen lässt.
An einem Tag ist der Krieg gegen den Irak notwendig, weil seit 1998 keine Waffeninspekteure der Vereinten Nationen mehr im Land waren und Bagdad angeblich weiter an der Entwicklung von chemischen, biologischen und atomaren Waffen arbeitet. (Als jedoch der Irak in der vergangene Woche anbot, die Inspekteure wieder ins Land zu lassen, wies die Bush-Regierung diesen Vorschlag umgehend zurück.)
Am nächsten Tag wird Husseins Sturz als unabdingbar erklärt, weil der irakischer Herrscher bereits über Massenvernichtungswaffen verfügt und sie Al Qaida zur Verfügung stellen könnte - obwohl die Feindschaft zwischen dem islamischen Fundamentalismus von Al Qaida und dem säkularen Nationalismus von Husseins baathistischem Regime bestens bekannt ist.
Noch einen Tag später kommt heraus, dass Hussein entfernt werden muss, weil er selbst Massenvernichtungswaffen gegen amerikanischen Ziele einsetzen könnte (obwohl dies für sein Regime den Selbstmord bedeuten würde) oder sie gegen Israel richten könnte (ein Land, das über schätzungsweise 200 Atombomben verfügt).
Am folgenden Tag wird Hussein zur Bedrohung für seine arabischen Nachbarn und die Versorgung der Weltmärkte mit Öl vom Persischen Golf erklärt, obwohl der Irak ein Grenzabkommen mit Kuwait geschlossen hat, in dem er alle Ansprüche auf das Emirat fallen lässt, und trotz der Tatsache, dass sich alle Golfstaaten öffentlich gegen einen amerikanischen Angriff auf Bagdad ausgesprochen haben.
Am Ende der Woche wird Saddam Hussein schließlich zum Verantwortlichen für die Angriffe auf das World Trade Center und das Pentagon am 11. September erklärt, womit ein Vergeltungskrieg gerechtfertigt wäre.
Über diesen jüngsten - und verzweifeltsten - Versuch, einen casus belli zu fabrizieren, berichtete am 2. August die Los Angeles Times. Die Zeitung schrieb, dass sich das Weiße Haus und das Pentagon für die Behauptung entschieden hätten, der Attentäter Mohammed Atta habe sich einige Monate vor dem 11. September mit irakischen Vertretern in Tschechien getroffen, obwohl sowohl die CIA wie auch das FBI die tschechischen Berichte als unbewiesen und nicht fundiert zurückgewiesen haben. Wie aus dem Bericht auf der Titelseite der Los Angeles Times klar hervorging, traf die Bush-Regierung ihre Entscheidung nicht auf Grundlage von neuen geheimdienstlichen Informationen, sondern weil sie spürt, dass eine Verbindung zum 11. September notwendig ist, um Unterstützung für ihre Kriegspläne zu gewinnen.
Der Grund für das Hin und Her auf der Suche nach einem Kriegsvorwand liegt darin, dass der amerikanischen Bevölkerung die wahren Motive nicht vorgelegt werden können. Den Kriegsvorbereitungen liegen zwei Ursachen zugrunde: Zum einen das Streben der amerikanischen Elite nach einer unanfechtbaren Kontrolle über das Öl des Persischen Golfs, das die wichtigste strategische Beute in der Welt darstellt, und zum anderen der Wunsch der Bush-Regierung, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit von der wachsenden sozialen und politischen Krise im Innern abzulenken, die ihren klarsten Ausdruck in den Unternehmensskandalen und den fallenden Aktienmärkten findet.
In der Senatsanhörung äußerten sich sowohl Demokraten als auch Republikaner besorgt darüber, dass es der Bush-Regierung bislang weder gelungen ist, einen umsetzbaren Plan für die militärischen Operationen zu entwerfen, noch internationale Unterstützung oder die öffentliche Meinung in Amerika für eine Invasion im Irak und den Sturz Saddam Husseins zu gewinnen.
Der Republikanische Senator Chuck Hagel aus dem Bundesstaat Nebraska fragte: "Würden wir den gesamten Nahen Osten weiter destabilisieren, wenn wir militärisch gegen ihn [Saddam Hussein] vorgehen? Wer wären unsere Alliierten? Und welche Art von Unterstützung gäbe es im Irak? Fragen dieser Art sind von großer Bedeutung. Ihr könntet den ganzen Nahen Osten mitsamt dem Iran in Brand setzen."
Der Ausschussvorsitzende Joseph Biden, ein Demokrat aus dem Bundesstaat Delaware, äußerte sein Vertrauen in Zusicherungen der Bush-Regierung, dass bis zum Beginn des Jahre 2003 keine offenen militärischen Schritte gegen den Irak unternommen würden. Er sagte, andernfalls wäre er "sehr, sehr überrascht", und fügte hinzu, dass Präsident Bush "keineswegs kurz davor ist, eine harte Entscheidung über das Wann und Wie zu treffen". Doch bei einem späteren Auftritt in der Fernsehsendung Meet the Press des Senders NBC am 4. August sagte Biden, dass es letztendlich eine Entscheidung für den Krieg geben werde und dass Bush in der Lage sei, dies vor dem Kongress und der Öffentlichkeit zu begründen.
Der ranghöchste Republikaner im Ausschuss, Richard Lugar aus dem Bundesstaat Indiana, zeichnete in seinen eröffnenden Worten ein düsteres Bild der Konsequenzen eines Kriegs im Persischen Golf. "Dies ist keine Handlung, mit der das amerikanische Volk einfach konfrontiert werden kann," sagte er. "Wir müssen nüchtern die menschlichen und wirtschaftlichen Kosten der Kriegspläne und Nachkriegspläne einschätzen."
Die Senatsanhörung wurde am 1. August geschlossen und wird im September mit der Anhörung von Regierungsvertretern fortgesetzt. Ähnliche Anhörungen wird es im Ausschuss für internationale Angelegenheiten geben, dessen Vorsitz der konservative Republikaner Henry Hyde aus dem Bundesstaat Illinios innehat, der auch den Bemühungen zur Amtsenthebung von Präsident Clinton vorstand. Hyde sagte, dass eine großangelegte Invasion des Iraks "vielleicht nicht die beste Handlungsweise ist", und drängte auf eine "ernsthafte Debatte" über jeden Plan, der schließlich vom Weißen Haus vorgelegt werde.
Die amerikanische Presse berichtet auch weiter über tiefe Differenzen innerhalb der Bush-Regierung über die Kriegspläne. Die Washington Post berichtete am 1. August, dass Vizepräsident Dick Cheney und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld "am stärksten und aggressivsten auf ein Vorgehen gegen Hussein drängen und argumentieren, dass er eine ernste Gefahr darstelle und die Zeit nicht auf der Seite der Vereinigten Staaten sei", während Außenminister Colin Powell und der Leiter der CIA George Tenet "skeptische Fragen in Bezug auf eine militärische Kampagne stellen, besonders darüber, was nach dem ziemlich raschen Sieg kommt, von dem die meisten in der Regierung ausgehen."
Ein Großteil der hochrangigen Armee- und Marineführer habe sich aus praktischen Gründen gegen einen unmittelbaren Schlag gegen den Irak ausgesprochen. Sie befänden sich damit auf einer Linie mit Powell, dem ehemaligen Generalstabschef, in "einer ungewöhnlichen Allianz zwischen dem Außenministerium und der uniformierten Seite des Pentagons, Elementen der Regierung, die in außenpolitischen Debatten sonst eher entgegengesetzte Meinungen vertreten."
Laut Washington Post wurde am 10. Juli auf einem Treffen des Rats für Verteidigungspolitik, einer Gruppe von zivilen Beratern, die für einen schnellstmöglichen Krieg eintreten, Unmut über die Opposition aus den Reihen des Militärs geäußert und gefordert, dass in der Armeeführung "einige Köpfe rollen".
Die Kritik an Bushs Politik gegenüber dem Irak, die von Armeegenerälen, Demokraten und Liberalen geäußert wird, ist keine Opposition gegen eine amerikanische Aggression. Die Bedenken bestehen vielmehr darin, dass die Regierung leichtfertig vorgeht, nicht die notwendigen Vorbereitungen für einen anhaltenden und blutigen Kampf trifft und den internationalen Auswirkungen eines solchen Krieges nicht ausreichend Beachtung schenkt.
Besondere Bedenken gibt es hinsichtlich der vehementen Opposition gegen einen amerikanischen Krieg, die von der Mehrzahl der europäischen Länder und den langjährigen Alliierten und Handlangern der Vereinigten Staaten im Nahen Osten selbst vorgebracht wird. Der französische Präsident Jacques Chirac und Bundeskanzler Gerhard Schröder formulierten die gemeinsame Position der europäischen Regierungen mit Ausnahme Großbritanniens und erklärten am 30. Juli, dass sie einen amerikanischen Krieg gegen den Irak nur dann unterstützen würden, wenn er die Zustimmung des UN-Sicherheitsrates habe - ein unwahrscheinlicher Umstand angesichts der Tatsache, dass Frankreich, Russland und China allesamt über ein Vetorecht im Sicherheitsrat verfügen.
König Abdullah von Jordanien besuchte Washington am 1. August und traf Bush im Weißen Haus. Während eines Kurzaufenthalts in London auf dem Weg zu den Gesprächen gab er Presseinterviews, in denen er erklärte, die amerikanischen Regierungsvertreter machten einen "schrecklichen Fehler", wenn sie die internationale Opposition gegen eine Invasion im Irak ignorieren würden. "Jeder sagt, dass dies eine schlechte Idee ist," sagte er. "Wenn es den Anschein hat, dass die Amerikaner sagen, wir wollen Bagdad treffen, dann ist das nicht das, was die Jordanier denken oder die Briten, die Franzosen, die Russen, die Chinesen und jeder sonst."
Abdullah reagierte schroff und abweisend auf Behauptungen von amerikanischen Regierungsvertretern, dass sie Jordanien als Ausgangsbasis für Truppenbewegungen in den Irak und Luftangriffe auf das Land benutzen würden. Der jordanische Außenminister Marwan Muascher sagte: "Jordanien hat deutlich gemacht, dass es nicht als Ausgangsbasis benutzt werden kann," und fügte hinzu: "Wir sind nicht gefragt worden."
In einer Kolumne, die am 1. August in der Washington Post erschien, warnte Samuel Berger, der unter Clinton Nationaler Sicherheitsberater war, vor der Gefahr einer "Schweinebucht im Persischen Golf", d.h. einem schlecht vorbereiteten Angriff, der zu einem militärischen und politischen Debakel gerät.
Berger schrieb: "Wir müssen das notwendige Kampfziel umfassender beschreiben als einfach nur die Eliminierung von Husseins Regime. Wir müssen dies auf einem Weg erreichen, der Amerikas gesamte Sicherheit stärkt - und nicht vermindert." Der ehemalige Berater von Clinton äußert sich besonders besorgt über die Destabilisierung anderer Regimes in der Region und kommt zu dem Schluss: "Es wäre beispielsweise ein Pyrrhussieg, wenn wir Saddam Hussein loswerden, nur um mit einer radikalen Regierung in Pakistan konfrontiert zu sein, die über ein bereits vorhandenes Atomwaffenarsenal verfügt."
Ähnliche Bedenken brachte die New York Times am 3. August in einem Leitartikel zum Ausdruck, in dem an Bush appelliert wurde, er solle "aufrichtig darüber reden, warum seinem Eindruck nach ein militärisches Vorgehen gegen den Irak bald notwendig sein könnte und was die Ziele, Kosten und möglichen Konsequenzen eines Krieges wären." Die New York Times äußerte Angst vor den Konsequenzen eines Krieges, selbst wenn er erfolgreich ist, und bemerkte: "Ein militärischer Sieg im Irak würde Washington eine Zeit lang die Verantwortung übergeben, die Zukunft der größeren ölproduzierenden Länder im Herzen des Nahen Ostens zu bestimmen. Die erste Herausforderung bestünde darin, den Zerfall des Iraks zu verhindern. [...] Ein zersplitterter Irak wäre eine Versuchung für den Iran, eine Bedrohung für die Türkei und ein möglicher Anlass für einen regionalen Krieg."
Die New York Times kommt in ihrer typischen Scheinheiligkeit zu dem Schluss, dass einem unilateralen Angriff der Vereinigten Staaten auf den Irak "demokratische Beratung und informierte Entschussfassung vorausgehen muss". Es gibt allerdings keine Garantie, dass die Bush-Regierung sich auch nur um die formelle Zustimmung des Kongresses für das militärische Vorgehen bemühen wird.
Sowohl Biden als auch Lugar erklärten, dass sie dies von Bush erwarten, so wie es sein Vater im Jahre 1990 vor dem ersten amerikanischen Krieg im Persischen Golf getan habe. Zwei Demokratische Senatoren, Dianne Feinstein aus Kalifornien und Patrick Leahy aus Vermont, brachten am 30. Juli eine Resolution ein, in der die Regierung aufgefordert wird, keinen Krieg mit dem Irak ohne parlamentarischen Konsens zu beginnen. Der Republikaner Arlen Specter hatte bereits zwei Wochen zuvor eine ähnliche Resolution eingebracht, aber der Führer der Republikanischen Minderheit Trent Lott erklärte, dass das Weiße Haus aus seiner eigenen Autorität heraus einen Krieg gegen den Irak beginnen könne.
Die amerikanische Verfassung behält die Befugnis, einen Krieg zu erklären, ausdrücklich dem Kongress vor, aber diese Vorschrift ist von amerikanischen Präsidenten während des Kalten Kriegs und danach größtenteils ignoriert worden. Der Kongress hat zum letzten Mal den Krieg erklärt, als die Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg eintraten. Seither haben amerikanische Regierungen Kriege in Korea, Vietnam, dem Persischen Golf und Afghanistan geführt und bei kleineren Kämpfen in Dutzenden anderer Länder ihre Truppen eingesetzt, ohne dass sie die Zustimmung des Parlaments hatten oder gestützt auf Resolutionen, die keine offenen Kriegserklärungen darstellten.