Die Grünen unterstützen den Krieg gegen Afghanistan
Von Dietmar Henning
17. Oktober 2001
Die deutschen Grünen unterstützen den Krieg der USA gegen Afghanistan ohne Einschränkung. Der Länderrat, das höchste Gremium zwischen den Parteitagen, hat sich am 6. Oktober - d.h. unmittelbar vor den militärischen Angriffen auf Afghanistan - mit großer Mehrheit hinter die Kriegspolitik der US-Regierung gestellt. Mit 44 Ja-Stimmen bei 13 Enthaltungen und 8 Gegenstimmen verabschiedete das Gremium einen Beschluss, der auch die militärische Unterstützung durch die deutsche Bundeswehr einschließt.
"Auf Antrag der USA hat der NATO-Rat nach Artikel 5 des Washingtoner Vertrages den Bündnisfall beschlossen", heißt es in dem Beschluss. "Er hat damit nach Vorlage von Dokumenten durch die US-Regierung ohne Widerspruch festgestellt, dass die Terrororganisation bin Ladens Verantwortung für die Anschläge trägt. Die Ausrufung des Bündnisfalles gibt den USA das Recht, Hilfe gegen den bewaffneten Angriff einzufordern, militärische Hilfe eingeschlossen. Auch die Bundesregierung hat dem Beschluss des NATO-Rates zugestimmt. Diese schwere Entscheidung tragen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN angesichts der terroristischen Angriffe in den USA mit."
Die beiden Parteivorsitzenden, Claudia Roth und Fritz Kuhn, begründeten diese Haltung damit, dass es sich bei den geplanten Militäraktionen gar nicht um einen Krieg handle. "Bei den Anschlägen in New York handelt es sich um eine neue, um eine privatisierte Form der Gewalt, die mit dem klassischen Begriff von Krieg nichts mehr gemein hat und auf die wir neue Antworten finden müssen," sagte Fritz Kuhn. Und Claudia Roth ergänzte: "Noch einmal: es geht nicht um einen Krieg gegen ein Land, um einen Krieg gegen eine Religion, sondern es geht um den Kampf gegen terroristische Gewalt und dabei schließe ich auch repressive polizeiliche und militärische Mittel nicht aus."
Auch im Beschluss des Länderrats heißt es: "Es geht nicht um Krieg gegen ein Land, eine Kultur oder eine Religion, sondern um die Bekämpfung von Terroristen." In diesem Zusammenhang wird auch die "Besonnenheit" der US-Regierung gelobt. "Sofern ein militärisches Hilfeersuchen an Deutschland gerichtet wird, das die Zustimmung des Deutschen Bundestages erforderlich macht", schlussfolgern die Grünen, "fordern wir unsere Bundestagsabgeordneten auf, im Rahmen dieser grundsätzlichen Kriterien zu entscheiden."
Außenminister Joschka Fischer, der am Länderrat teilnahm, versuchte - mit Blick auf die Feministinnen im Publikum - den Krieg sogar als Beitrag zur Befreiung der Frau zu verkaufen. "Wir müssen uns schon fragen, wie es mit unserer Moral steht," sagte er. "Gab es denn zum Beispiel Demonstrationen gegen die Unterdrückung von afghanischen Frauen?"
All diese Argumente sind ebenso fadenscheinig wie haltlos. Dass sie von den führenden Vertretern der Grünen ohne den geringsten Widerspruch geschluckt werden, sagt viel über den Zustand dieser Partei aus.
Die pausenlose Bombardierung eines völlig verarmten, wehrlosen Landes durch die mächtigste Militärmacht der Welt seit dem 7. Oktober hat überdeutlich gezeigt, dass es sich hier nicht um eine Polizeiaktion gegen einzelne Terroristen handelt - für deren persönliche Schuld bis heute keine stichhaltigen Beweise vorliegen - sondern um einen klassischen Kolonialkrieg, an dessen Ende die militärische Unterjochung einer ganzen Region und die Einsetzung von Regimen stehen soll, die den kriegführenden Mächten willfährig zu Diensten sind.
In großen Teilen Asiens wird dies so gesehen, auch von Kreisen, die dem Islamismus durchaus ablehnend gegenüberstehen. Selbst in der deutschen Presse, die die offizielle Kriegspropaganda größtenteils unkritisch wiedergibt, schimmern vereinzelt die wirklichen Kriegsgründe durch. So hieß es am 12. Oktober im Leitartikel von Die Woche: "Hinter dem Kampf gegen den Terrorismus scheint schon das kaschierte Ziel der Expedition auf: Die Ölressourcen Zentralasiens und des gesamten Mittleren Ostens zu sichern."
Und Rudolph Chimelli wies am 10. Oktober in der Süddeutschen Zeitung unter der Überschrift "Der süße Duft von Petroleum" auf den wirklichen Hintergrund des Afghanistan-Kriegs hin. "Wenn die Amerikaner einmal hier sind, werden sie für immer bleiben", zitiert er einen "indischen Diplomaten" in Usbekistan, der, so Chimelli, "das langfristige geostrategische Interesse der USA an Mittelasien und seinen Rohstoffen viel wichtiger findet als den aktuellen Kriegslärm oder als bin Laden, den Joker im großen Spiel'."
Es ist bei einigen Vertretern der Grünen oft schwer zu beurteilen, wo politische Kurzsichtigkeit, Naivität und Dummheit aufhören und Zynismus und Lüge anfangen. Was dagegen Außenminister Fischer betrifft, so ist er sich zweifellos bewusst, dass es bei diesem Krieg und der deutschen Beteiligung daran um etwas ganz anderes geht, als um eine Polizeiaktion gegen Terroristen oder gar die Befreiung der afghanischen Frau, nämlich um den Anteil Deutschlands an einer Neuordnung der Welt, die sich mit den blutigen Schlägen gegen Afghanistan ankündigt.
Im Tandem mit Kanzler Schröder, der vergangene Woche im Bundestag "ein neues Selbstverständnis deutscher Außenpolitik" ankündigte, zu dem auch "militärisches Handeln" gehöre, bemüht sich Fischer darum, die Rolle Deutschlands als Großmacht zu stärken. "Es geht darum, eine Weltordnung zu schaffen, die Zonen der Ordnungslosigkeit oder gar... des völligen politischen Ordnungsverlustes nicht mehr zulässt," erklärte er im Anschluss an Schröders Rede, wobei er implizit deutlich machte, das Deutschland in dieser neuen Weltordnung eine wichtige Rolle als Ordnungshüter beansprucht. Er schloss seinen Beitrag mit der Warnung, dass "die Europäer in der neuen Weltordnung marginalisiert" würden, wenn die europäische Integration nicht beschleunigt vorangetrieben werde.
Der Spiegel kommentiert diesen Auftritt mit den Worten: "Des Kanzlers nationale Ambition und die europäischen Plädoyers seines Außenministers gehören zusammen: Erst mit dem Schritt Deutschlands in die kalte Wirklichkeit des Weltgeschehens erscheint es möglich, dass Europa global agieren kann. Die Neupositionierung der Deutschen ist heikel. Fischer weiß um die Angstreflexe vor deutscher Hegemonie in Europa und versucht, sie mit diplomatischer Kleinarbeit zu entkräften."
In diesem Zusammenhang erschließt sich auch die Bedeutung der Kriegsunterstützung durch den Länderrat der Grünen. Einzelne Grüne mögen Vorbehalte gegen das brutale Vorgehen der amerikanischen und britischen Streitkräfte haben. So fordert Claudia Roth inzwischen, nach einem Besuch von Flüchtlingslagern in Pakistan, eine Einstellung der Bombenangriffe auf Afghanistan um humanitäre Hilfe zu ermöglichen - als hätte sie nicht wenige Tage vorher dafür gestimmt. Aber wenn es um die nationalen Interessen Deutschlands geht, steht die Partei geschlossen hinter ihrem Außenminister - auch wenn das Krieg bedeutet.
Bereits der Entwurf für ein neues Grundsatzprogramm, der im Juli dieses Jahres veröffentlicht wurde, sprach sich offen dafür aus, dass die wirtschaftlichen Interessen Deutschlands mit den Zielen der Außenpolitik in Einklang gebracht werden - eingebettet natürlich in die übliche ökologische und soziale Rhetorik. Wörtlich heißt es dort: "Es geht darum, legitime soziale, ökologische und wirtschaftliche Interessen mit den Zielen einer wertegeleiteten Außenpolitik in Einklang zu bringen."
An dieser Zielsetzung ändern im übrigen auch die Gegenstimmen auf dem Länderrat nichts. Denn die acht Funktionäre, die mit ihrer Stimme gegen den vorgelegten Beschluss votierten, drückten mitnichten eine Opposition in der Kriegsfrage aus. Vielmehr ging und geht es ihnen um den Bestand der Grünen. Ihr Wortführer, der Bundestagsabgeordnete Winfried Herrmann, kritisierte: "Damit sind wir meilenweit von der Basis entfernt. Den Funktionsträgern in den Landes- oder Kreisverbänden kannst du eine militärische Beteiligung vielleicht noch in endlosen Telefonaten erklären. Aber unsere Wähler kriegst du damit nicht mehr."