Ein Briefwechsel über "Pazifistische Moralisten unterstützen US-Kriegstreiberei"
26. Oktober 2001
Im folgenden geben wir einen Leserbrief zum Artikel "Pazifistische Moralisten unterstützen US-Kriegstreiberei" von David Walsh vom 19. Oktober und eine Antwort des Autors wieder.
In seinem Artikel vom 19. Oktober schreibt David Walsh: "Sozialisten verurteilen den Angriff vom 11. September nicht, weil er moralisch böse' und verwerflich wäre, sondern weil er politisch reaktionär ist. Er steht vollkommen im Gegensatz zur Entwicklung eines vereinten und politisch bewussten Kampfs der internationalen Arbeiterklasse."
Sollen wir aus diesem Kommentar schließen, dass eine politische Organisation wie die eure einen solchen Akt unterstützen würde, wenn er die Entwicklung eines einheitlichen, politisch bewussten Klassenkampfs irgendwie fördern sollte?
J.H.
19. Oktober
Lieber Herr H.,
Eine solche Schlussfolgerung wäre - bewusst oder nicht - politisch unehrlich. Wir haben unsere Haltung zu den Angriffen vom 11. September in Dutzenden Artikeln und Kommentaren schon seit den ersten Tagen nach den Attacken klar gemacht. Unsere Feindschaft gegenüber den Selbstmordattentaten ist prinzipieller Natur, und nicht, wie bei den amerikanischen Medien und der Bush-Regierung, von politischen oder ökonomischen Nützlichkeitserwägungen bestimmt. Um es zu wiederholen: Etwas zu erklären heißt nicht, es gut zu heißen.
Unsere Verurteilung des Angriffs vom 11. September ist nicht taktischer Natur. Unter keinen Umständen könnte eine solche Gräueltat einen fortschrittlichen sozialen Kampf voran bringen. Der extrem rechte politische Standpunkt der Täter war selbst in diesem Terrorakt ausgedrückt: der Tötung Tausender unschuldiger Männer und Frauen.
Bürgerliche Moralisten greifen Marxisten immer wieder wegen ihrer angeblichen "Unmoral" an. Trotzki nahm diesen Standpunkt schon vor Jahrzehnten in "Ihre Moral und Unsere" auseinander. Er kommentierte: "Die herrschende Klasse zwingt ihre Ziele der Gesellschaft auf und gewöhnt sie daran, alle solche Mittel, die ihren Zielen widersprechen, als unmoralisch anzusehen." Und weiter: "Die Mittel können nur durch das Ziel gerechtfertigt sein. Aber auch das Ziel selbst muss gerechtfertigt sein."
Bei den in Frage stehenden Ereignissen sind weder die Ziele der Terroristen, noch ihre Mittel gerechtfertigt. Das Ziel der Angreifer ist vermutlich, die Außenpolitik der Vereinigten Staaten zu ihren Gunsten zu ändern. Letztlich interessieren sich bin Laden und bürgerliche Nationalisten wie er genauso wenig für das Schicksal der arabischen oder afghanischen Massen, wie Washington. Sie wollen im Nahen Osten herrschen, oder auf Kosten der gegenwärtigen Machthaber eine größere Beteiligung an der Macht. Ihre Ziele sind politisch reaktionär und folglich auch ihre Methoden.
Wir denken, dass alle Mittel gerechtfertigt sind, die, in Trotzkis Worten, "wirklich zur Befreiung der Menschheit führen." Der Mord an 6.000 Zivilisten ist ein abscheulicher Akt, der die Täter als Feinde der Befreiung der Menschheit brandmarkt. Insoweit diese Kräfte bisher in Anspruch genommen haben, einen legitimen "antiimperialistischen" Kampf zu führen, haben sie sich mit diesem Verbrechen selbst die Maske vom Gesicht gerissen.
Dass Mittel und Ziel zusammenhängen, trifft nicht nur in diesen Fall zu. Der Anspruch der USA, im zweiten Weltkrieg für "Freiheit und Demokratie" zu kämpfen, wurde unter anderem durch den Abwurf zweier Atombomben auf die dicht besiedelten japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki im Jahre 1945 widerlegt. Der Historiker Gabriel Jackson schrieb dazu in "Zivilisation und Barbarei": "Auf diese Weise verwischten die Vereinigten Staaten für jeden, der sich um eine moralische Differenzierung bei einer Beurteilung der Herrschaftsausübung in verschiedenen Regierungsformen bemüht, den Unterschied zwischen Faschismus und Demokratie."
Mit freundlichen Grüßen
David Walsh
22. Oktober 2001