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Zwei entlarvende Kommentare zum Krieg gegen Afghanistan

Von Nick Beams
1. November 2001
aus dem Englischen (26. Oktober 2001)

Zwei kürzlich erschienene Zeitungsartikel, ein Leitartikel der Washington Post und ein Kommentar in der Financial Times, werfen wichtige Fragen über den amerikanischen Krieg gegen Afghanistan auf.

Der Leitartikel der Washington Post erlaubt einen Blick auf den wachsenden Einfluss unilateraler Tendenzen innerhalb der Bush-Regierung. Diese vertreten die Auffassung, dass die Vereinigten Staaten ihre globale militärische Vorherrschaft ausüben sollten, ohne sich von ihren "Koalitionspartnern" im Krieg gegen Afghanistan oder selbst von den langjährigen europäischen Verbündeten behindern zu lassen.

Der Kommentar in der Financial Times,verfasst von Gordon Adams, einem Mitglied der Clinton-Regierung von 1993 bis 1997, stellt sich auf den gegenteiligen Standpunkt: Adams drängt die USA, eine langfristige Partnerschaft mit anderen Nationen einzugehen, um die Probleme der Welt - von der Instabilität auf dem Balkan bis hin zur Gefahr einer Rezession - in den Griff zu bekommen. Aber der von ihm formulierte Kurs ist so weit von der momentanen Wirklichkeit entfernt, dass er nur um so deutlicher zeigt, wie sehr der Unilateralismus, den die Washington Post vertritt, die aktuelle Marschroute der herrschenden Kreise der USA bestimmt.

Der Leitartikel der Washington Post vom 22. Oktober weist am Anfang auf die "relativ starke Unterstützung" hin, die Bush auf dem jüngsten asiatisch-pazifischen Gipfel in Schanghai von Präsident Jiang Zemin und anderen asiatischen Führern erhalten hat, und betont die Bedeutung der "Koalition" im Krieg gegen Afghanistan.

Doch er warnt davor, dass "die Koalition" ein begrenztes Leben habe. "In dem Maße, wie sich der Feldzug in Afghanistan hinzieht und andere Ziele im Krieg gegen den Terrorismus ins Visier geraten, lohnt es sich, die Warnung ins Gedächtnis zu rufen, die Verteidigungsminister Donald Rumsfeld kürzlich aussprach. ‘In diesem Kampf gibt es nicht nur eine einzige Koalition,' sagte er. Stattdessen solle es ‘mehrere flexible Koalitionen' geben, ‘die sich ändern und entwickeln'. Er fügte hinzu: ‘Ich möchte noch einmal betonen, dass die Mission die Koalition bestimmt und nicht die Koalition die Mission bestimmen darf'."

Der Leitartikel erklärte die Bedeutung von Rumsfelds Bemerkungen damit, dass die Bush-Regierung in dem Sinne beraten werde, dass "jede weitere Aktion gegen den Terrorismus ‘die Koalition' bewahren oder, wie Mr. Jiang und andere vorgeschlagen haben, die Zustimmung der Vereinten Nationen erhalten müsse." Das sei "ein Rezept, das nur zur Lähmung führt. Es stammt von denen, die jede machtvolle Aktion der USA außerhalb Afghanistans oder gegen andere terroristische Organisationen als al Qaeda ablehnen."

Abfällige Bemerkungen über China und eine UNO-Beteiligung sind nichts Ungewöhnliches, sie gehören fast schon zum guten Ton. Aber dann folgte ein Seitenhieb auf die europäischen Mächte und ihre Opposition gegen Pläne der USA für einen Angriff auf den Irak.

"Arabische und europäische Regierungen," heißt es, "sind besonders besorgt über einen potentiellen Feldzug der USA gegen den Irak. Ihnen sind die korrupte Stabilität und die wirtschaftlichen Chancen, die Saddam Hussein bietet, lieber als eine Zerstörung seiner Milzbrand-Vorräte, deswegen streuen sie Gerüchte, dass ein solcher Kurs das Wiederaufleben des vielgescholtenen ‘Unilateralismus' der Bush-Regierung bedeuten würde. Welche Alternative hätte dagegen ‘die Koalition' zu bieten? Das liegt auf der Hand: Druck auf Israel auszuüben, denn dieses ist immer noch der naheliegendste ‘Grund' für den Unmut der Moslems."

Der Leitartikel betrachtet ein israelisch-palästinensisches Abkommen durchaus für ein lohnenswertes Ziel und meint, eine neue Strategie gegen den Irak müsse sorgfältig gegen andere Ziele abgewogen werden. "Aber Tatsache ist, dass das allgemeine Verständnis der Koalition nicht davon ausgeht, wie sehr sich die Welt seit dem 11. September verändert hat. Probleme, die jahrzehntelang ignoriert oder als zweitrangig betrachtet wurden, wie der Mangel an politischer Freiheit und wirtschaftlichem Fortschritt in den arabischen Staaten, wo der islamische Extremismus am stärksten ist, müssen jetzt im Zentrum jedes ernsthaften langfristigen Kampfs gegen den Terrorismus stehen."

Die USA und die neunziger Jahre

Die wirkliche Bedeutung der Feststellung, dass "sich die Welt durch den 11. September verändert hat", und dass das von "der Koalition" noch nicht verstanden werde, ergibt sich aus einer Untersuchung der Geschichte des vergangenen Jahrzehnts.

Der Zusammenbruch der Sowjetunion öffnete 1991 weite, zuvor unzugängliche Gebiete der Erde für das Eindringen der USA und der anderen imperialistischen Großmächte. Das hatte zur Folge, dass das Machtgleichgewicht, das auf der Grundlage der Vorherrschaft der USA nach dem zweiten Weltkrieg etabliert worden war, nun durch die Möglichkeit neuer Bündniskonstellationen in Frage gestellt wurde. Es bestand die Gefahr, dass die USA ausmanövriert werden konnten. Daher war die alles überlagernde Sorge amerikanischer Strategen in den letzten zehn Jahren, wie die globale Vorherrschaft der USA in der Ära nach dem Kalten Krieg verteidigt werden kann.

Zbigniew Brzezinski, der nationale Sicherheitsberater von Präsident Carter, der nach wie vor stark an den Diskussionen über die amerikanische Außenpolitik beteiligt ist, drückte das so aus: "Im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts hat sich die Weltlage tiefgreifend verändert. Zum ersten Mal in der Geschichte trat ein außereurasischer Staat nicht nur als der Schiedsrichter eurasischer Machtverhältnisse, sondern als die überragende Weltmacht schlechthin hervor. Mit dem Scheitern und dem Zusammenbruch der Sowjetunion stieg ein Land der westlichen Hemisphäre, nämlich die Vereinigten Staaten, zur einzigen und im Grunde ersten wirklichen Weltmacht auf. [...] Inwieweit die USA ihre globale Vormachtstellung geltend machen können, hängt aber davon ab, wie weit weltweit engagiertes Amerika mit den komplexen Machtverhältnissen auf dem eurasischen Kontinent fertig wird - und ob es dort das Aufkommen einer dominierenden, gegnerischen Macht verhindern kann." (Zbigniew Brzezinski, Die einzige Weltmacht, 1997).

Die drei Kriege, welche die USA in den letzten zehn Jahren geführt haben - der Golfkrieg von 1990-91, der Krieg gegen Jugoslawien 1999 und jetzt der Krieg gegen Afghanistan -, dienten der Erhaltung der globalen Überlegenheit. Sie konzentrierten sich besonders auf die wichtige Frage der Kontrolle der Bodenschätze der eurasischen Landmasse, besonders von Öl und Gas, zuerst im Nahen und Mittleren Osten und jetzt in Zentralasien.

Aber in dem Maße, wie die USA ihre Militärmacht zur Geltung bringen, fühlen sie sich zunehmend von den Beschränkungen und Rücksichtnahmen behindert, die sich aus Beziehungen ergeben, die sie in einer früheren Periode eingegangenen sind und die ganz anderen Zwecken dienten. Beim Golfkrieg von 1990-91 mussten sich die USA in den Vereinten Nationen immer noch mit anderen Großmächten einigen. Das Ende des Kriegs hinterließ in führenden Kreisen der USA ein Gefühl der Unzufriedenheit, das auch nach zehn Jahren noch anhält, dass dieser Krieg sein Ziel nicht erreicht habe und dass das Militär auf Bagdad hätte vorrücken sollen.

Im US-Krieg gegen Jugoslawien wurden die Vereinten Nationen weitgehend links liegen gelassen, und der Angriff wurde im Rahmen der Nato geführt. Aber auch hier erwiesen sich Konflikte mit den europäischen Verbündeten, besonders mit Deutschland, als eine Quelle der Frustration.

Beim Krieg gegen Afghanistan gehen die USA nach einem andern modus operandi vor. Die Vereinten Nationen wurden gar nicht erst gefragt, weil es sich um einen "Krieg zur Selbstverteidigung" handle, wie es in einem Brief des amerikanischen UNO-Botschafters John Negroponte an den Sicherheitsrat heißt. Er wird aber auch nicht im Rahmen der Nato geführt, selbst wenn diese ihre volle Unterstützung erklärt hat.

Das Vorgehen hat sich seit den Ereignisse vom 11. September geändert: Die USA entscheiden ihre Vorgehensweise jetzt selbst und gehen dabei neue Beziehungen ein, wobei die gestrigen Verbündeten nicht notwendigerweise auch die von heute oder morgen sein müssen. Entscheidungen der USA werden keinen Beschränkungen anderer mehr unterliegen.

Wie der Leitartikel der Washington Post nahe legte, hat sich der Maßstab für die Beurteilung von Aktionen gegen solche "Schurkenstaaten" wie den Irak geändert: "Um in dieser neuen Weltsituation effektiv handeln zu können, werden die USA nicht nur unterschiedliche Koalitionen eingehen müssen, sie werden vielleicht auch gegen einige Mitglieder der gegenwärtigen Anti-Al-Qaeda-Koalition vorgehen müssen. Dabei liegt die größte Gefahr nicht darin, dass die Bush-Regierung in Unilateralismus verfallen könnte. Sie liegt darin, dass die Vereinigten Staaten es versäumen könnten, die gegenwärtige Koalition aggressiv und kreativ genug auseinander brechen zu lassen, wenn die Zeit gekommen ist."

Anders ausgedrückt müssen die USA, um ihre strategischen Interessen "aggressiv zu verfolgen", wenn nötig nicht nur einen Konflikt mit den kleineren Mitgliedern der heutigen Koalition riskieren, sondern ihn auch nicht scheuen, wenn es um die großen europäischen Mächte geht.

Ein Plädoyer für amerikanisches Engagement

Der Kommentar von Gordon Adams in der Financial Times unter dem Titel "An den Rest der Welt denken" beginnt mit der Warnung, beim "Krieg gegen den Terrorismus" nicht "die tiefere Dynamik und die Risiken des internationalen Systems aus den Augen zu verlieren".

"Die Koalition gegen den Terror ist keine Koalition für die Lösung aller anderen internationalen Probleme. Die tieferliegenden Spannungen und Bedrohungen sind nicht verschwunden.... Mit dem Terrorismus im Blickfeld könnten andere Probleme sogar noch gefährlicher werden, weil sie sich dahinschleppen.... Al Qaeda hat nicht alle anderen internationalen Probleme verschwinden lassen," warnt Adams. "Der Balkan ist weiterhin instabil; Russlands Wirtschaft stockt, seine Demokratie ist instabil und die neuen Staaten an seiner Peripherie sind von Konflikten gezeichnet; der Nahe Osten ist ein Pulverfass; Indien und Pakistan sind nicht weit von einem Krieg entfernt; Indonesien steht vor dem Kollaps; die Straße von Taiwan ist weiterhin eine Gefahrenzone; Zentralafrika steht immer noch in Flammen; die internationale Kriminalität und der Drogenhandel nehmen weiter zu; und eine Rezession breitet sich aus."

Diese Liste - und sie könnte problemlos verlängert werden - kommt einer Anklage der globalen kapitalistischen Ordnung gleich. Zehn Jahre nach dem "Triumph des Marktes" hat sie die Welt ins Chaos gestürzt. Wie soll dieses Chaos überwunden werden? Nach Adams wird Stabilität nur möglich sein, "wenn sich die USA systematisch global in einer langfristigen Partnerschaft mit anderen Nationen engagieren", welche die "dem Terrorismus zu Grunde liegenden Probleme löst".

"Alle Mittel der Staatskunst werden benötigt: amerikanische Diplomatie und Beistand zur Sicherung politischer Stabilität und wirtschaftlichen Wachstums; eine Politik, die dafür sorgt, dass die Segnungen der globalisierten Wirtschaft allen zu Gute kommen und nicht nur wenigen; eine Verpflichtung, Demokratie und Freiheit zu fördern; Partnerschaft mit den Europäern bei der Sicherung der Grenzen Europas; ein Engagement, um den Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern wiederzubeleben; Austausch mit und Hilfe für Nordkorea; eine globale Koalition für den Kampf gegen internationales Verbrechen und Drogenkartelle; internationale Abkommen zur Kontrolle von Massenvernichtungswaffen; globale Anstrengungen zur Verminderung der Umweltverschmutzung; und ein US-Militär, das verpflichtet ist, den Frieden, zu dessen Herstellung es beiträgt, auch zu erhalten."

Allein die Aufstellung einer solchen Wunschliste für Stabilität unterstreicht die Tatsache, dass es unmöglich ist, sie zu verwirklichen. Nur wenige Wochen nach den Ereignissen vom 11. September, und nachdem die USA diese zum Vorwand für einen weiteren Krieg für ihre globalen Interessen genommen haben, klingen Adams' Rezepte wie das Echo einer fernen Vergangenheit. Die Logik der Ereignisse treibt nicht in Richtung internationaler Zusammenarbeit im Interesse von Frieden und Wohlstand, sondern in Richtung, wie Leo Trotzki das einmal ausdrückte, eines "Vulkanausbruchs des US-Imperialismus".

Siehe auch:
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