Amerikas "Killing Hour": ein entlarvender Kommentar des Wall Street Journal
Von Joseph Kay
28. November 2001
aus dem Englischen (21. November 2001)
Ein Gastkommentar im Wall Street Journal vom 13. November ("Keine Zurückhaltung nach dem Fall der Taliban") enthüllt das Denken jener militaristischen und faschistoiden Teile der herrschenden Elite der USA, deren Ansichten regelmäßig in den Leitartikeln des Journal ihren Niederschlag finden.
Ralph Peters, ein Autor, der häufig im Journal schreibt, argumentiert in seinem Artikel, dass das amerikanische Militär die physische Vernichtung jeder Opposition in Afghanistan anstreben solle. Eine Zeile drückt das Wesen des ganzen Artikels aus: "Dies ist die Stunde des Tötens, und dem müssen wir Rechnung tragen."
Peters argumentiert gegen jedes Zögern und jede Hemmung im Kampf der USA um die Vorherrschaft in Zentralasien. Der Artikel ist brutal und blutrünstig. Er bringt in nackter Form den Charakter der politischen Elemente zum Ausdruck, die den Krieg in Afghanistan führen und den Angriff auf demokratische Rechte in den USA betreiben.
Peters ist ein pensionierter Oberstleutnant der US-Armee, Autor und Militäranalytiker. Er wird häufig vom "liberalen" Medienestablishment als Spezialist für militärische Angelegenheiten zitiert und tritt an prominenter Stelle in der Diane Rehm Show des öffentlichen Radios auf.
Er schrieb seinen Kommentar vom 13. November, als die Nordallianz nach mehreren Siegen im Norden des Landes nach Süden Richtung Kabul vorrückte. Die Nordallianz, ein Zusammenschluss von Warlords und Stammesfürsten, wird in ihrem Kampf gegen die herrschenden Taliban von den Vereinigten Staaten unterstützt. Sie setzt sich in erster Linie aus der usbekischen und tadschikischen Minderheit zusammen, während die Taliban sich auf die paschtunischen Stämme im Süden Afghanistans stützen.
Als die Allianz nach Süden vorstieß, gab es Bedenken, ob sie aufgrund der ethnischen Spannungen in der Lage sein werde, Kabul und andere Gebieten wirkungsvoll zu regieren. In gewissen außenpolitischen Kreisen der USA wird auch ein uneingeschränkter Sieg der Nordallianz und eine Konsolidierung ihrer Macht nicht ohne Sorge gesehen. Besonders das Außenministerium hat wegen der feindseligen Haltung Pakistans gegenüber der Nordallianz Vorbehalte. Die Stabilität Pakistans ist schon durch den Krieg gegen seine früheren Verbündeten, die Taliban im benachbarten Afghanistan, erschüttert. Es wird befürchtet, dass eine Machtübernahme der Nordallianz in Kabul den schwelenden Konflikt zwischen Pakistan und Indien, die beide Atomwaffen besitzen, wieder anheizen könnte.
Truppen der Nordallianz sind in der Vergangenheit wiederholt brutal gegen Paschtunen vorgegangen. Ähnlich wie die Taliban sind sie eine halbfeudale Truppe, die vor barbarischen Taten nicht zurückschreckt. So haben sie Gegner hingerichtet, indem sie sie, eingesperrt in Containern, in der Sonne verdursten ließen. Da die amerikanische Kriegspropaganda den Kampf für "Demokratie" und "Menschenrechte" und gegen den "Terrorismus" beschwört, befürchtet man, dass die Allianz die USA in Verlegenheit bringen könnte, wenn sie das Land ganz unter ihre Kontrolle bekommen sollte. Das war auch der Grund für Bushs Druck auf die Allianz letzte Woche, Kabul nicht einzunehmen, bevor ein Anti-Taliban-Bündnis, möglichst unter Einbeziehung paschtunischer Stammesführer, zusammengeschustert ist.
Peters Artikel hatte in erster Linie zum Ziel, solche politischen und diplomatischen "Feinheiten" abzulehnen und sich fest auf die Seite der Nordallianz zu stellen; wenn die USA die Warlords der Allianz benutzen könne, um ihre Gegner auszulöschen, sei dies umso besser. Er schreibt: "Krieg ist nicht der Zeitpunkt, auf die Stimme der Mäßigung zu hören, wie sie sich in den besorgten Äußerungen der Diplomaten zu Wort meldet. Wenn wir der unsinnigen Forderung nachgeben, die Nordallianz nicht nach Kabul einmarschieren zu lassen, dann lassen wir vielleicht die beste Gelegenheit verstreichen, noch vor dem Wintereinbruch den Zusammenbruch der Taliban auf breiter Front zu erreichen."
Wenn Peters über die "besorgte Stimme der Diplomaten" spricht, meint er vor allem Außenminister Powell und seine Fraktion in der Bush-Regierung. Dieser Teil der Regierung ist wiederholt vom rechten Flügel der Republikaner angegriffen worden, dessen Sprachrohr das Wall Street Journal ist. Powell wird vorgeworfen, er nehme zu sehr auf die arabischen und europäischen Staaten Rücksicht, wenn er zum Beispiel zögere, alsbald einen neuen Krieg gegen den Irak vom Zaun zu brechen.
Peters kritisiert die Unwilligkeit dieser Fraktion, die Nordallianz voll zu unterstützen. "Wenn wir Glück haben," fährt er fort, "dann bricht die Nordallianz ihr zeitweiliges Versprechen, nicht in Kabul einzumarschieren, und nimmt die Stadt bei der ersten Gelegenheit. [Was seither stattgefunden hat.] Ihr Instinkt ist besser als unserer, und sie wissen: wenn dein Feind am Boden liegt, dann musst du um so härter zuschlagen."
Wenn es nach Peters und den gesellschaftlichen Kräften geht, für die er spricht, dann sind die "Instinkte" der Nordallianz bestens entwickelt und das amerikanische Militär sollte sie zum Vorbild nehmen. Wenn Peters davon redet, "den Feind zu schlagen, wenn er am Boden liegt", dann meint er vielleicht einen Vorfall, der auf Film festgehalten wurde: Truppen der Nordallianz erschossen einen verletzten Taliban-Soldaten standrechtlich, nachdem sie ihn ausgezogen und gezwungen hatten, auf den Knien um sein Leben zu betteln. "Im Moment sind wir in der glücklichen Lage," fährt Peters fort, "dass Afghanen für uns Afghanen und ausländische Söldner töten. Anstatt sie zur Mäßigung aufzufordern, sollten wir ihnen so laut wie möglich zujubeln."
Die Bedeutung von Peters's Kolumne geht über die unmittelbare Frage der Nordallianz und Amerikas Krieg gegen Afghanistan hinaus. Er versucht die barbarischsten Aktionen gegen alle Gegner des amerikanischen Imperialismus, zu Hause und im Ausland, zu rechtfertigen. Massaker amerikanischer Truppen - wie in Vietnam geschehen - sollen als gesunde Beispiele dafür herhalten, wie man "den Feind schlägt, wenn er am Boden liegt".
"Es sind viel mehr Armeen auf dem Rückzug vernichtet worden, als im Kampf," schreibt er. "Wenn sich eine Truppe hoffnungslos geschlagen fühlt, die Angst der Soldaten das Band der Disziplin zerreißt und Panik ausbricht, dann können sich Kräfte, die noch Tage oder gar Stunden zuvor beeindruckend wirkten, in verzweifelt rennende Ziele für die Sieger auflösen... Kriege sind dazu da, gewonnen zu werden. Sie sind keine Spielplätze für Theoretiker. Feinde müssen vernichtet und nicht nur zurechtgewiesen werden. Und die beste Möglichkeit, einen militärischen Feind zu vernichten, ist, ihn gnadenlos und mit Entschlossenheit zu verfolgen, wenn seine Organisation auseinander zu brechen beginnt."
Peters zu Folge lautet die wichtigste Lehre, die das amerikanische Militär aus seinen Kriegen des letzten Jahrzehnts, besonders dem Golfkrieg, ziehen sollte, dass Zurückhaltung nicht besser ist als eine Niederlage: "Ein Teilsieg ist nicht mehr als eine verzuckerte Niederlage." Und er fährt fort: "Beim Wüstensturm hatten wir die Macht und den Schwung, bis nach Bagdad vorzudringen, aber wir hörten auf die Diplomaten.... Genau das gleiche Denken der Selbst-Beschränkung hat die Regierung dazu gebracht, den Fortschritt der Nordallianz aufzuhalten."
Die Lehre daraus: die USA müssen ihre militärische Vorherrschaft ohne Skrupel und diplomatische Rücksichtnahmen durchsetzen.
Mit diesen Schlussfolgerungen spricht Peters für einen wesentlichen Teil der amerikanischen herrschenden Klasse, der der Meinung ist, die USA sollten den Zusammenbruch der Sowjetunion nutzen, um die Welt in ihrem Interesse einseitig neu zu organisieren. In seinem Buch "Für die Zukunft kämpfen: Wird Amerika triumphieren?" verkündet Peters die Notwendigkeit und das Recht der USA, "die Erde zum Wohle der Menschheit zu beherrschen".
Peters und Konsorten denken, die Vereinigten Staaten müssten an den Taliban ein Exempel statuieren und den Krieg in Afghanistan zu einem Präzedenzfall für künftige Kriege machen, nach dem Motto: Das passiert mit denen, die den amerikanischen Interessen in den Weg kommen. Peters und das Wall Street Journal bringen mit ihrem Credo "Amerika über alles" die neokolonialen und faschistischen Tendenzen, die dem gegenwärtigen Krieg zu Grunde liegen, weit besser zum Ausdruck als die professionellen Lügner, deren heuchlerische Phrasen über den Kampf gegen den Terrorismus und die "Verteidigung der Zivilisation" den Bodensatz der offiziellen Propaganda bilden.
Peters Kolumne sollte den Völkern der Welt eine Warnung sein, welche Strategien und Ziele das amerikanische politische und Medien-Establishment motivieren. Sie sollte für künftige Generationen aufbewahrt und archiviert werden, die auf die heutige Zeit mit einer Mischung aus Scham und Zorn zurückblicken und mit Verachtung von den Kriegstreibern in der Redaktion des Journals sprechen werden.