Trauerfeier für Ernst Schwarz
Von Marianne Arens
26. Januar 2001
Am 22. Januar fand im Krematorium des Dortmunder Hauptfriedhofs im Kreis der Familie und Freunde eine Trauerfeier für Ernst Schwarz statt. Die Zahl der Trauergäste war ungewöhnlich groß. Längst nachdem alle Sitzplätze besetzt waren, betraten immer noch Gruppen von Stahlarbeitern den Saal, um ihrem Kollegen Lebewohl zu sagen. Auch der Betriebsrat, in den Ernst Schwarz 1995 als oppositioneller Kandidat gewählt worden war und auf dessen Sitzungen es oft zu heftigen Auseinandersetzungen kam, war fast vollzählig anwesend.
Der Sarg an der Frontseite des Saals war mit Blumen und Kränzen reich geschmückt, und an den Sarg gelehnt befand sich ein großes gerahmtes Porträt. Es handelte sich um das gleiche Bild von Ernst Schwarz, das sich auch auf vielen Handzetteln und Aufrufen befand, mit denen er seine Kollegen im Betrieb informiert hatte.
Der Nekrolog unterschied sich von einer üblichen Abdankung. Der Laienprediger verzichtete auf alle religiösen Floskeln und würdigte stattdessen die Stationen des kurzen, aber bewegten und inhaltsreichen Lebens.
Um das Außergewöhnliche im Leben von Ernst Schwarz verstehen, muss man einen Blick auf die gesellschaftliche Entwicklung zur Zeit seiner Kindheit und Jugend werfen.
Die Situation in Deutschland, in die er 1957 hineingeboren wurde, war vom beginnenden Nachkriegsboom und deutschen Wirtschaftswunder, aber auch von großen sozialen Konflikten geprägt. Wenige Monate vor seiner Geburt wurde die ungarische Revolution niedergeschlagen; in der Bundesrepublik wurde in einem vier Monate dauernden Metallarbeiterstreik in Schleswig-Holstein die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall durchgesetzt.
Seine Jugend verbrachte Ernst in der pulsierenden Stahlstadt Hattingen bei Mutter und Großmutter. Mit 17 begann er eine Schlosserlehre auf der Henrichshütte, und etwa zur gleichen Zeit wurde er politisch aktiv und wandte sich den Trotzkisten zu. Er beteiligte sich aktiv an Demonstrationen und Diskussionen, um sozialistische Prinzipien unter Arbeitern bekannt zu machen. Die darauf folgenden Jahre verbrachte er im Ausland, auf Arbeitsstätten in Südafrika, Venezuela, in Saudi-Arabien und in den USA.
Zurück in Deutschland und als Stahlarbeiter bei Hoesch in Dortmund lernte er Ende der achtziger Jahre seine Frau Almut kennen, um deren Wohlergehen und das ihrer Tochter er sich bis zu seinem Tod rührend kümmerte. Es war kein Zufall, dass er als überzeugter Sozialist und Internationalist 1991 - zur Zeit des Golfkriegs - auch sein aktives politisches Leben wieder aufnahm. In den folgenden Jahren setzte er sich als Betriebsrat für seine Kollegen ein und stritt für sozialistische Politik, während er gleichzeitig der schweren und aufreibenden Schichtarbeit nachging. Für ihn war die Mitgliedschaft im Betriebsrat kein Karrieresprungbrett und keine persönliche Arbeitsplatzsicherung. Er verabscheute Privilegien.
Viele Pläne wollte er mit seiner Frau und Familie noch verwirklichen, als sein erst 43-jähriges Leben abrupt durch einen Herzinfarkt beendet wurde.
Sehr bewegt waren alle Anwesenden, als zum Abschluss der Trauerfeier ein Parteifreund und Berufsmusiker eine einfühlsame, mehrstimmige Interpretation der "Internationale" auf der Geige spielte.
Ein Teil der Trauergäste, seine Frau und Familie, zahlreiche Freunde und seine vertrautesten Arbeitskollegen versammelten sich anschließend noch in einem Café, um sich weiter zu unterhalten. In einer kurzen Ansprache ließ der Vorsitzende der Partei für Soziale Gleichheit, Ulrich Rippert, den so plötzlich und unerwartet verstorbenen Freund und Genossen für die Anwesenden nochmals lebendig werden. Er erinnerte daran, wie er den jungen Schlosserlehrling Ernst vor mehr als einem Vierteljahrhundert kennen gelernt hatte, und schilderte die damals weit verbreitete Begeisterung für sozialistische Ideen unter jungen Arbeitern.
Ernst gehörte zu denjenigen, die eine Gesellschaft ablehnen, die auf Ausbeutung und Unterdrückung beruht. Er sah diese Unterdrückung nicht nur im großen geschichtlichen Zusammenhang von Krieg und Faschismus, sondern auch die kleine, alltägliche Ungerechtigkeit und Unterdrückung im Betrieb und ganzen gesellschaftlichen Leben.
Entschieden kämpfte er gegen den Opportunismus in der Arbeiterbewegung, in dem er das Haupthindernis im Kampf für eine bessere Zukunft sah. Rippert schilderte die Ereignisse auf einer Maidemonstration Mitte der siebziger Jahre. Stalinistische Schläger der DKP und Gewerkschaftsbürokratie griffen damals die Transparente des Bund Sozialistischer Arbeiter an, auf denen gegen die Sozialkürzungen der Schmidt-Regierung protestiert wurde.
Ernst Schwarz sei damals von drei gewalttätigen Ordnern umringt gewesen, habe aber nicht die Transparentstange benutzt, um seine Widersacher zu verprügeln - wozu er durchaus die Kraft gehabt hätte - sondern habe versucht zu argumentieren. Trotz seiner körperlichen Stärke habe er in Auseinandersetzungen nicht die Fäuste, sondern Worte und Argumente benutzt.
Als Anfang der neunziger Jahre sich die Überfälle auf Ausländer und Asylsuchende zu häufen begannen, habe er sich mit aller Kraft gegen Rassismus und Ausländerfeindschaft engagiert und versucht Arbeiter in den Betrieben zur Verteidigung der Ausländer zu mobilisieren. Ernst Schwarz habe etwas verkörpert, was heute sehr selten ist, betonte Rippert, er sei stolz darauf gewesen ein Arbeiter zu sein. Er sei fest davon überzeugt gewesen, dass die Arbeiterklasse in der kommenden gesellschaftlichen Entwicklung eine wichtige Rolle spielen müsse, und deshalb habe er sich für eine politische und kulturelle Entwicklung der Arbeiter eingesetzt.
"Hätte es einige tausend Arbeiter wie Ernst gegeben", so Rippert, "wäre die politische Entwicklung in den vergangenen zehn Jahren in Deutschland anders verlaufen."