Das bin Laden-Video: Die reaktionäre Politik des Terrorismus
Von der Redaktion
22. Dezember 2001
aus dem Englischen (18. Dezember 2001)
Das jüngst veröffentlichte Video, in dem sich Osama bin Laden an den Gräueln der Terrorattacke auf das World Trade Center weidet und die Verantwortung für die Anschläge übernimmt, ist ein anschaulicher Beweis für den politischen Bankrott des Terrorismus.
Bin Ladens Unterstützer unter den islamischen Fundamentalisten, insbesondere in Saudi Arabien, stellen die Echtheit des Videos in Frage und mutmaßen, dass es von der amerikanischen Regierung bearbeitet oder vollständig selbst fabriziert worden sei. Doch die Authentizität der Aufnahme ist kaum zu bezweifeln. Außerdem ist das gar nicht das Entscheidende, wenn es um eine politische Einschätzung bin Ladens und seiner Methoden geht. Die von ihm zur Schau gestellte Geisteshaltung stimmt mit der überein, die man aus anderen Aufzeichnungen kennt, und die seine eigene Organisation dem Fernsehsender Al Jazeera selbst hat zukommen lassen. Es sind die gleichen Auffassungen, die bin Laden bereits in einem Interview mit einem pakistanischen Journalisten in Kabul geäußert hat.
In dem jüngst veröffentlichten Video zeigt bin Laden völlige Gefühllosigkeit gegenüber dem Leiden derjenigen, die bei dem Angriff am 11. September getötet wurden. Er ist nicht nur gleichgültig gegenüber dem Schicksal der unschuldigen Opfer, die im World Trade Center und im Pentagon starben, sondern auch gegenüber dem Tod seiner eigenen Anhänger, der 19 Entführer, die in ihrer Mehrzahl junge Männer aus Saudi Arabien waren. Von den Tausenden Büroangestellten, die in New York und Washington umkamen, spricht er nur als dem "Feind". Gleichzeitig scheint bin Laden sich über die Ahnungslosigkeit der Entführer lustig zu machen, die in ihrer Mehrheit nur wussten, dass sie ein Selbstmordattentat begehen würden, aber keine Kenntnis über Details der Operation hatten, als sie am 11. September die Flugzeuge bestiegen.
Bin Ladens Bemerkungen sind ein weiterer Beweis dafür, dass der Terrorismus alles andere als ein gangbarer Weg im Kampf gegen den Imperialismus ist. Er führt in eine ausweglose Sackgasse und spielt zudem der herrschenden Elite in den Vereinigten Staaten in die Hände. Der islamische Fundamentalist begreift das Wesen des Imperialismus als Weltsystem nicht und weiß nicht, wie man ihn bekämpfen kann. Es ist absurd zu glauben, dass ein Terrorangriff wie der vom 11. September die herrschende Klasse Amerikas einschüchtern oder sie zu einem Wechsel in ihrer Nahostpolitik zwingen könnte.
Die Vorstellung, dass man die arbeitende Bevölkerung politisch erziehen und mobilisieren könnte, ist bin Laden und seinen Gesinnungsgenossen vollkommen fremd. Eine Gräueltat wie die Attentate vom 11. September macht es der arbeitenden Bevölkerung schwer, die historischen und politischen Hintergründe internationaler Ereignisse im Allgemeinen und die Verantwortung des amerikanischen und internationalen Imperialismus für die Krisen im Nahen Osten und Zentralasien im Besonderen zu verstehen. Ein Terrorangriff sät Verwirrung und Orientierungslosigkeit und behindert den Kampf für die internationale Vereinigung der Arbeiterklasse - der einzigen gesellschaftlichen und politischen Basis für einen Kampf gegen den Imperialismus.
Die herrschende Klasse der Vereinigten Staaten hat im letzten halben Jahrhundert Millionen Menschen getötet, von Hiroshima und Nagasaki bis zu den Kriegen in Korea, Vietnam, am Persischen Golf und nun in Afghanistan. Sie hat in Dutzenden Ländern Militärputsche, Diktaturen und Todesschwadronen organisiert. Nur die Aussicht auf gegenseitigen Selbstmord hielt Washington während des Kalten Krieges davon ab, einen Atomkrieg gegen die Sowjetunion zu beginnen.
Für den amerikanischen Imperialismus ist der Tod einiger tausend Menschen in New York und Washington ein geringer Preis für die Stärkung seiner Kontrolle über den Nahen Osten und Zentralasien, wo die wichtigsten Vorkommen des bedeutenden Rohstoffs Öl liegen. Mit den Angriffen auf das World Trade Center hat Osama bin Laden genauso den Zwecken des amerikanischen Imperialismus gedient, wie als CIA-Kollaborateur in den 1980-er Jahren in Afghanistan.
Politik und Ideologie
An einer Stelle in der Videoaufzeichnung erklärt bin Laden, dass die Verwüstungen, die die Anschläge am 11. September hinterließen, seine Erwartungen übertroffen haben: "Aufgrund meiner Erfahrung auf dem Gebiet dachte ich, dass das Feuer durch den Treibstoff im Flugzeug das Eisengerüst des Gebäudes zum Schmelzen und den Bereich, wo das Flugzeug eingeschlagen war, und die Flure oberhalb zum Einsturz bringen würde. Dies ist alles, was wir uns erhofft hatten."
Mit seinem Hintergrund als Ingenieur konnte bin Laden vielleicht die statischen Konsequenzen vorhersehen und wissen, was passiert, wenn ein voll getanktes Linienflugzeug in das World Trade Center einschlägt. Aber er hat nicht den geringsten Begriff von den politischen Konsequenzen dieser Tat oder von den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kräften, die hinter der amerikanischen Intervention im Mittleren Osten stehen.
Seine Politik, sofern dieser Begriff für solch primitive Ideen überhaupt verwandt werden kann, ist eine Verbindung von Demoralisierung und Opportunismus. Er rechtfertigt die Gräueltat vom 11. September, die weltweit Abscheu hervorgerufen und der amerikanischen Regierung den Weg zur Invasion in Zentralasien frei gemacht hat, mit der Behauptung, dass es dadurch einige Übertritte zum Islam in den Niederlanden gab. Bang erkundigt er sich bei einem seiner Gäste, einem Mullah aus Saudi Arabien, wie die Tat in fundamentalistischen Kreisen dort aufgenommen wurde - ein Hinweis darauf, wie begrenzt sein politisches Universum in Wirklichkeit ist.
Keine Erwähnung findet das Elend der Palästinenser oder der irakischen Bevölkerung. Bin Laden und seine Besucher sprechen auch nicht über andere Länder, die nun ins Visier Amerikas geraten sind, und ebenso wenig über die von den amerikanischen Bomben verursachten Zerstörungen und Verluste an Menschenleben in Afghanistan selbst.
Was bin Ladens Ideologie betrifft, so handelt es sich um eine rückwärtsgewandte, religiöse Anschauung, die die Restauration eines mittelalterlichen theokratischen Regimes auf der Grundlage seiner Islaminterpretation anstrebt. Im Laufe der mitgeschnittenen Unterhaltung gibt es ständige Hinweise auf Allah und Diskussionen über die Bedeutung der Träume bin Ladens, die er selbst, nach alter mystischer Art, als Botschaften Gottes interpretiert.
Die amerikanischen Medien haben das Video natürlich ausgeschlachtet, um die Propaganda der Bush-Regierung für den Krieg in Afghanistan und ihre Angriffe auf demokratische Rechte im Innern zu unterstützen. Aber sie äußern sich kaum über den religiösen Obskurantismus, der die gesamte Unterredung im Video durchzieht.
Bush und Co. beschreiben bin Laden immer wieder als "böse", aber spielen den religiösen Fanatismus herunter, auf den sich seine Neigung zu mörderischer Gewalt stützt. Dies könnte zu sehr an sie selbst erinnern, wird die Republikanische Rechte doch von Kräfte dominiert, deren Ideologie Ähnlichkeit mit der von bin Laden aufweist. Wenn man das "Gelobt sei Allah" gegen ein "Gelobt sei der Herr" tauscht und die Turbane und Bärte weglässt, könnte das Videoband eine geheime Konferenz von christlichen Fundamentalisten dokumentieren, die ein Bombenattentat auf eine Abtreibungsklinik oder die Ermordung von Ärzten feiern.
Die Ziele der Bush-Regierung
In der ganzen Welt waren Massen von Menschen verständlicherweise von dem Video abgestoßen. Dies war natürlich das Ziel der Bush-Regierung, als sie das Band veröffentlichte und es in einer zwischen dem Weißen Haus und den amerikanischen Medien abgestimmten Kampagne verbreitete.
Die amerikanische Regierung bemüht sich, die Empörung in der Bevölkerung zu nutzen, um ihre Militärintervention zu legitimieren und jede Kritik an standrechtlichen Maßnahmen gegen bin Laden, den Taliban-Führer Mullah Omar und weitere al Qaida- und Taliban-Mitglieder, die ihr in die Hände fallen, zu unterdrücken.
Diese Kampagne ist ebenso zynisch wie heuchlerisch - zynisch, weil es umfassende Beweise dafür gibt, dass die Vereinigten Staaten schon lange vor dem 11.September eine Militäraktion in Afghanistan geplant hatten und die Selbstmordanschläge einfach als Vorwand genommen haben, um ihre Pläne durchzuführen (Siehe hierzu auch. "Der Krieg gegen Afghanistan wurde lange vor dem 11.September geplant", http://www.wsws.org/de/2001/nov2001/plan-n22.shtml); heuchlerisch, weil bin Laden ein ehemaliger Verbündeter der amerikanischen Regierung ist.
Die CIA hat die islamischen Fundamentalisten in Afghanistan beinahe ein Jahrzehnt lang vorsätzlich gefördert und ermutigt, und mehrere amerikanische Regierungen haben die Mudschahiddin so lange als "Freiheitskämpfer" gepriesen, wie sich ihre Aktivitäten gegen die Sowjetunion und nicht die Vereinigten Staaten richteten. Bin Laden spielte in diesen Operationen eine Hauptrolle. Er baute Festungen und Kasernen für die Guerillas und rekrutierte weltweit islamische Fundamentalisten für ihre Sache. Seine al Qaida-Gruppe ist in einem sehr direkten Sinn ein Frankenstein-Monster, das mit amerikanischen Geldern und Waffen geschaffen wurde.
Ganz gleich welche Rolle bin Laden bei den Selbstmordanschlägen am 11. September gespielt hat, sie rechtfertigt in keiner Weise den amerikanischen Krieg in Afghanistan, in dem die reichste und mächtigste Nation der Erde eine der ärmsten und schwächsten verwüstet. Tausende afghanischer Bauern und Arbeiter sind getötet worden, Menschen, die nichts mit den Ereignissen in New York und Washington zu tun hatten - alte Männer, Frauen und Kinder, die im Schlaf von amerikanischen Kampfflugzeugen in ihren Lehmhütten getroffen wurden; gewöhnliche Taliban-Soldaten, viele von ihnen zwangsrekrutierte Jugendliche, die durch Flächenbombardements in ihren Schützengräben verbrannt wurden; Kriegsgefangene, die nach ihrer Kapitulation beschossen, bombardiert, erstickt oder auf andere Weise abgeschlachtet wurden, in Missachtung ihrer in der Genfer Konvention verankerten Rechte.
Der Medienkult um Donald Rumsfeld
In diesem Zusammenhang lohnt sich ein Blick auf die derzeitige Medienkampagne zur Glorifizierung des amerikanischen Verteidigungsministers Donald Rumsfeld. Rumsfeld ist ein Individuum, dessen Abgebrühtheit und Gleichgültigkeit gegenüber dem Gemetzel an Unschuldigen Osama bin Laden wie einen gewöhnlichen Amateur aussehen lässt. Seine Pressekonferenzen, auf denen die Medienvertreter und der Pentagon-Chef regelmäßig Witze über die Zerstörung von Menschenleben in Afghanistan austauschen, weisen eine beängstigende Ähnlichkeit mit der aufgezeichneten Unterhaltung zwischen bin Laden und seinen Anhängern auf.
Der Verteidigungsminister und diverse Pentagon-Generäle gebrauchen ständig die Sprache Jargon der Mafia, wenn sie darüber reden, die Taliban und al Qaida "wegzuputzen" und dabei alle Mittel von der 15.000-Pfund-Bombe "Daisy Cutter" bis hin zur individuellen Ermordung durch ferngesteuerte Raketen benutzen. Die versammelten Reporter sprechen denselben Jargon.
Die Medien bezeichnen diese Pressekonferenzen als "Rummy Show" - und benutzen dabei zärtlich den Spitznamen des Verteidigungsministers. Ein jüngst erschienener Bericht in der Washington Post nannte den Verteidigungsminister Amerikas neuen "Rockstar" und schrieb: "Jeder geht vor dem Energiebündel im Pentagon auf die Knie."
Die Washington Post stellte Rumsfeld auf ihren Trend- und Mode-Seiten in einem langen und schmeichelhaften Portrait vor und erklärte, warum die Medien so von ihm angetan sind. David Montgomery, der Autor des Artikels, bemerkt, dass Rumsfeld "keine Probleme mit dem Verb töten hat." Montgomery nennt dies "einen erfrischenden Bruch mit der alten benebelnden und euphemistischen Pentagon-Ausdrucksweise."
Der Autor beschreibt beifällig eine Pressekonferenz: "Während seines 35-minütigen Briefings benutzt Rumsfeld neun Mal das Wort töten' in verschiedenen Zeiten und Formen. Der General an seiner Seite, der auch Fragen beantwortet, sagt niemals töten. Er sagt: Wir haben ihr Kommando und ihre Kontrolle geschwächt."
Rumsfeld hat mehrfach erklärt, dass er die Tötung von Taliban-Soldaten ihrer Gefangennahme vorzieht. Er ist zum moralischen Hauptverantwortlichen für die Gräueltaten geworden, die an Kriegsgefangenen in Afghanistan verübt wurden - Morde, die die schlimmsten Massaker von Vietnam oder die Abschlachtung der amerikanischen Indianer im 19. Jahrhundert in Erinnerung rufen.
Ein Kommentator beschrieb die Videoaufnahme von bin Laden mit folgenden Worten: "Sie waren überglücklich. Sie beglückwünschten sich gegenseitig zur Zerstörung [...] Sie waren abscheulich in ihrer Arroganz und Ignoranz gegenüber dem menschlichen Leben." Diese Worte treffen genau so auf jede typische Pressekonferenz von Donald Rumsfeld zu.
Unbeantwortete Fragen
Eine andere Frage, die das bin Laden-Video aufgeworfen hat, ist von den amerikanischen Medien stillschweigend übergangen worden. Allein die Existenz der Videoaufzeichnung und die Art, in der bin Laden mit seinem saudischen Gast spricht, widersprechen dem, was die Bush-Regierung über al Qaida sagt, die als undurchdringliche Verschwörung mit bin Laden als kriminellem Meisterhirn dargestellt wird.
Warum sollte ein genialer Bösewicht solch ein Video aufnehmen, und warum sollte er es in einer Stadt liegen lassen, die gerade von seinen Feinden besetzt wird? Bin Laden ist nicht nur kein Meister der verdeckten Kriegsführung, ihm fehlen scheinbar die Grundbegriffe des Sicherheitsdenkens - er ist ein Mann, der kein Geheimnis für sich behalten kann, und gegenüber einem Gast, den er kaum kennt, kritische Informationen ausplaudert.
Dass das Band der CIA ausgehändigt wurde, wirft weitere Fragen auf: Arbeitet jemand aus bin Ladens Gefolgschaft mit den amerikanischen Geheimdiensten zusammen? Falls ja, gab es eine Warnung, die den Angriffen vom 11. September vorausging?
Wenn man bin Laden glauben kann, so wurde er vier Tage vor dem 11. September über die Anschläge informiert. Wie konnte diese Mitteilung den amerikanischen Überwachungs- und Abhöranlagen entgehen? Diese und andere Anormalitäten rund um die Anschläge vom 11. September verdienen eine nähere Untersuchung.