Erklärung der Socialist Equality Party der Vereinigten Staaten von Amerika
Die Arbeiterklasse und die amerikanischen Wahlen 2000
1. Teil: Die gesellschaftlichen Veränderungen hinter der amerikanischen Politik
7. Oktober 2000
aus dem Amerikanischen (3. Oktober 2000)
Zu Beginn ihrer Endphase hat die Präsidentschaftskampagne in den Vereinigten Staaten einmal mehr den tiefen Graben offengelegt, der zwischen dem politischen Zweiparteiensystem und der breiten Mehrheit der amerikanischen Wählerschaft besteht. Ungeachtet Hunderter Millionen Dollars, die in die Werbekampagnen des republikanischen Gouverneurs George W. Bush und des demokratischen Vizepräsidenten Al Gore fließen, kann keiner der zwei Kandidaten ernsthaft behaupten, er genieße breite öffentliche Unterstützung. Die Wähler vertrauen weder den Kandidaten noch ihren Parteien.
Der Wahlkampf ist diesmal mehr als sonst eine Übung in Schönfärberei, Irreführung und offenem Betrug. Bei allem Werben um die Unterstützung der Öffentlichkeit verbergen doch beide Kandidaten nach Möglichkeit die wahren politischen und ökonomischen Interessen, denen ihre Parteien dienen. Weder Gore noch Bush können offen aussprechen, welche politische Realität ihrem Wahlkampf zugrunde liegt. Werden doch nach der Wahl vom 7. November nicht ihre Wahlversprechen die Politik der neuen Regierung bestimmen, sondern die Interessen der Konzerne, welche sowohl die demokratische als auch republikanische Kandidatur finanzieren.
Kurz vor den Wahlen steigen die Anzeichen einer Wirtschaftskrise: steigende Ölpreise, eine Welle von Entlassungen und Hinweise auf eine Verlangsamung des Weltwirtschaftswachstums, die ein Ende jenes Booms ankündigt, der durch massives Investieren von Risikokapital genährt wurde, das aber auf Dauer nicht zu halten ist. Die weitsichtigeren ökonomischen Analysten warnen davor, dass internationale wirtschaftliche Spannungen ein Katalysator für eine ernsthafte Rezession - und sogar Depression - in den USA werden könnten. Trotz des Anscheins von Prosperität, warnte Business Week in seiner Ausgabe vom 2. Oktober, "lauern Risiken hinter jeder Ecke der Weltwirtschaft. ... Die Frage ist jetzt, ob die Weltwirtschaft Belastungen ausgesetzt wird, die sich potentiell zu wirklichen Problemen auswachsen können."
Ob die vielzitierte Prosperität in den unmittelbar auf die Novemberwahlen folgenden Monaten in einen Zusammenbruch mündet oder nicht - es wird bereits allgemein anerkannt, dass die Vorteile des Wirtschaftswachstums der letzten zehn Jahre überwiegend den reichsten fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung zugute gekommen sind. Soziale Gegensätze und Probleme, die sich in zwanzig Jahren politischer Reaktion aufgestaut haben, kommen jetzt zum Ausbruch und verändern die politische Landschaft Amerikas.
Auf die Wahlen wird eine Zeit tiefer sozialer Spannungen und Klassenkonflikte folgen. Ob die nächste Regierung von einem Präsidenten Gore oder einem Präsidenten Bush geführt wird - sie wird versuchen, die ganze Last der Krise auf den Rücken der Arbeiterklasse abzuwälzen.
Aber auch die Wahl eines der Kandidaten der zwei kleinen Parteien wäre keineswegs eine wirkliche Alternative zu den Demokraten oder den Republikanern. Der Kandidat der Reformpartei, Patrick Buchanan, ist ein rechter Nationalist, der versucht, den politischen Boden für eine faschistische Bewegung zu bereiten, ähnlich den rassistischen und einwanderungsfeindlichen Parteien der Rechtsextremen in Europa. Ralph Nader von der Grünen Partei nährt die Illusion, dass die liberale Reformpolitik, die heute von den Demokraten zurückgewiesen wird, wieder zum Leben erweckt werden könnte, würde man nur Druck auf die amerikanischen Konzernspitzen ausüben. Gleichzeitig appelliert er an die gleichen nationalistischen Gefühle, die das A und O von Buchanans Wahlkampf sind.
Alle Kandidaten versuchen, die fundamentale Wahrheit zu verbergen, dass die Ursache der sozialen Kluft zwischen der privilegierten Elite und den breiten Massen der arbeitenden Bevölkerung das Profitsystem selbst ist.
Je näher der Wahltag rückt, desto mehr geraten Arbeiter unter Druck, für "das kleinere Übel" zu stimmen - was laut der Gewerkschaftsbürokratie der Demokrat Gore ist. Die Socialist Equality Party weist diese Perspektive zurück. Die Arbeiterklasse muss in erster Linie damit beginnen, die Lehren aus Jahrzehnten politischer Unterordnung unter die Demokratische Partei zu ziehen.
Die vergangenen acht Jahre demokratischer Präsidentschaft unter Bill Clinton haben die Nutzlosigkeit aller Versuche gezeigt, innerhalb des kapitalistischen Zweiparteiensystems eine progressive Antwort auf soziale Ungleichheit, Militarismus und die Unterhöhlung demokratischer Rechte zu finden.
Die Socialist Equality Party widmet sich dem Aufbau einer tatsächlichen Alternative für die arbeitende Bevölkerung und stützt sich dabei auf ihr internationales Instrument der politischen Analyse, das World Socialist Web Site. Die entscheidende Frage, die sich in den Wahlen 2000 stellt, ist die nach einer unabhängigen politischen Organisation der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines egalitären, demokratischen und sozialistischen Programms.
Soziale Spannungen unter der Oberfläche
Bei den US-Wahlen 2000 fällt besonders auf, dass die demokratische und die republikanische Partei offenbar zu ihrer eigenen Überraschung erkannt haben, dass die überwältigende Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung aus Arbeitern und Angestellten besteht, die wenig oder keinen Vorteil aus dem Börsenboom der letzten zehn Jahre gezogen haben.
Nach zwanzig Jahren, in denen beide Parteien eine Politik der Steuersenkungen für die Reichen, Haushaltskürzungen bei Programmen für Arbeiter und Arme und eine generelle Umverteilung des Reichtums von unten nach oben betrieben haben - alles im Namen der Vorherrschaft des kapitalistischen Marktes - , wetteifern der Demokrat Al Gore und der Republikaner George W. Bush darum, sich den Wählern als Vorkämpfer der Interessen des "hart arbeitenden und für alles bezahlenden" kleinen Mannes zu präsentieren.
Stunde für Stunde senden besonders die Medien der großen Bundesstaaten im industriellen Mittelwesten der USA Werbespots, die sowohl die demokratische als auch die republikanische Partei - beide vom Geldadel der amerikanischen Gesellschaft ausgehalten und kontrolliert - als wahre Volkstribune anpreisen.
Vizepräsident Gore liegt den Umfragen zufolge vorne, seitdem er sich auf dem Wahlparteitag der Demokraten in die Pose eines populistischen Gegners der mächtigen Konzerninteressen geworfen hatte. Der demokratische Kandidat geißelte die republikanischen Steuersenkungspläne als Bonanza für die Reichen, während er sich selbst zum Kämpfer für "Arbeiterfamilien" hochstilisierte.
Gore widmete im September eine ganze Woche einer tagtäglichen vernichtenden Kritik an den unpopulärsten Wirtschaftszweigen - der Gesundheitsindustrie, der Pharmaindustrie, der Tabakindustrie - und forderte schließlich die Freigabe von Öl aus der nationalen Ölreserve, um der Preistreiberei der großen Ölgesellschaften zu begegnen.
Bush, der Gouverneur aus Texas, führt seine Kampagne für die republikanische Partei unter dem Slogan eines "mitfühlenden Konservatismus" und versucht den Eindruck zu erwecken, er unterscheide sich von anderen Führern des republikanischen Kongresses dadurch, dass ihm Menschen in Not nicht gleichgültig sind. Mit seinen Vorschlägen für eine bessere Bildung, für Zuschüsse bei Medikamenten für Rentner und Verbesserungen bei der Sozialhilfe wetteifert er mit den Demokraten.
Als er in den Umfragen zurückfiel, modelte Bush seinen Steuerplan um und bezeichnete dieses schamlose Geschenk an die Reichen, als "Hilfsplan für die Mittelklasse". Auf republikanischen Wahlversammlungen und in Werbesendungen werden jetzt regelmäßig Familien mit einem Jahreseinkommen von um die 40.000 Dollar gezeigt, die erzählen, wie sie vom Bush-Plan profitieren werden.
Ähnliche Appelle finden bei den gegenwärtigen Kongressanhörungen zum Reifenkonzern Firestone statt. Einer nach dem anderen - Demokraten und Republikaner - geißeln die Habsucht der Konzerne, obwohl die gleichen Politiker die Deregulierungsmaßnahmen der achtziger und neunziger Jahre unterstützt haben, die das Desaster mit den geplatzten Reifen überhaupt erst verursacht haben.
Im Wettlauf um das Repräsentantenhaus und den Senat mäßigen die Kandidaten beider Parteien ihre übliche Law-and-Order Demagogie, ihr patriotisches Fahnenschwenken und ihre Angriffe auf Sozialhilfeempfänger und präsentieren sich ganz neu als Anwälte einer bezahlbaren Gesundheitsfürsorge und mehr Ausgaben für die Bildung, die Umwelt und eine soziale Infrastruktur.
Das Schauspiel der zwei milliardenschweren Sprösslinge der herrschenden Klasse mutet wie eine Farce an, in der sich beide, der eine Sohn eines Senators, der andere Sohn eines Präsidenten, als Vorkämpfer der Arbeiterklasse präsentieren. Aber es reicht nicht, diese plötzliche Wende im Focus amerikanischer Politik lediglich als zynischen Wahlwerbetrick abzutun.
Die Anstrengungen beider Parteien, sich mit wirtschaftlichen und sozialen Themen an die Arbeiterklasse zu wenden, zeigt eine tiefe Nervosität des politischen Establishments. Beide Parteien des Kapitals reagieren auf eine Änderung in der öffentlichen Stimmungslage, die sich unter der Oberfläche des offiziellen politischen Lebens vollzieht - und die beide fürchten.
Die Rechtswende der vergangenen zwanzig Jahre war so ausgeprägt, dass Liberalismus, die vorherrschende politische Philosophie des bürgerlichen Establishments seit den Tagen des Franklin Roosevelt, in der offiziellen Politik zu einem Schimpfwort wurde, während jede Kritik an der Kluft zwischen Reich und Arm schon beinahe als Verrat galt.
Die populistischen Merkmale der Kampagne 2000 haben eine große objektive Bedeutung. In einem politischen System, das lange Zeit weltweit am weitesten von Klassenfragen entfernt war, wo große Summen für Medienkampagnen ausgegeben wurden, um die öffentliche Meinung zu desorientieren und zu manipulieren, ist es unmöglich geworden, die Diskrepanz zwischen der offiziellen Darstellung des allgemeinen Wohlstands und der Lebensrealität der großen Mehrheit noch länger zu verschweigen.
Als Ergebnis merkt man dem Wahlkampf Anzeichen einer gewissen Spannung, ja Krise an. Die alten rechten Rezepte, die die öffentliche Meinung noch in den achtziger und neunziger Jahren verwirren konnten, haben nicht mehr die gleiche Wirkung. Republikanische Kandidaten und rechte Gastgeber der Talkshows beklagen gleichermaßen, dass sich, wie einer es ausdrückte, "keiner mehr für Steuersenkungen interessiert".
Die soziale Krise vertieft sich
Im politischen Leben Amerikas kommen nun die wahren ökonomischen Gegensätze und Klassenspannungen ans Licht. Unter den großen Industrieländern zeichnen sich die Vereinigten Staaten durch die bei weitem stärkste soziale Polarisierung und den tiefsten Graben zwischen Reich und Arm aus - oder genauer gesagt: zwischen den Reichen und allen andern.
Während des längsten Wirtschaftsbooms der amerikanischen Geschichte hat der Lebensstandard der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung entweder stagniert, oder er ist gefallen. Seit den siebziger Jahren haben die Reallöhne sowohl für Arbeiter wie auch für Angestellte ständig abgenommen, während sich das Wirtschaftswachstum mehr als verdreifacht hat. Die arbeitende Bevölkerung produziert mehr und mehr Wohlstand, aber sie hat immer weniger davon. Für die meisten Familien bedeutet das, dass sie länger arbeiten müssen und gleichzeitig immer tiefer in Schulden versinken, um gerade mal die Rechnungen bezahlen zu können. Für die Schwächsten der Gesellschaft sind die Konsequenzen noch härter: Armut, Obdachlosigkeit, Hunger, faktisches Analphabetentum.
Es ist nicht bloß die Frage eines relativen, oder selbst absoluten Niedergangs des Einkommensniveaus von Millionen amerikanischer Familien. In Wirklichkeit geht es um einen erschreckenden Zerfall der sozialen Infrastruktur und des tagtäglichen Funktionierens der Gesellschaft: Das staatliche Bildungssystem versinkt in der Krise, die medizinische Versorgung wird zusehends abgebaut und überdies ständig teurer, und die Transportsysteme zerfallen - was sich in heruntergekommenen Straßen, explodierenden Autoreifen und einem Luftverkehrswesen äußert, das vor dem Kollaps steht.
Fast täglich dokumentieren neue Berichte von Sozialämtern und privaten Fürsorgestellen die soziale Krise:
- Eine Studie vom 10. September fand heraus, dass im reichsten Land der Welt dreißig Prozent der Kinder von Alleinerziehenden von Hunger bedroht sind.
- Ein Bericht in der New York Times vom 17. September enthüllte, gestützt auf statistische Daten, dass das Durchschnittseinkommen der unteren neunzig Prozent der Bevölkerung in zehn Jahren nur um 1,6 Prozent angestiegen ist, während das oberste ein Prozent einen Zuwachs um 89 Prozent verzeichnen konnte.
- Die Studie eines Mietervereins vom 20. September stellte fest, dass ein Arbeiter mit dem gesetzlichen Mindestlohn sich nirgendwo in den Vereinigten Staaten eine "bescheidene" Dreizimmerwohnung leisten könnte.
- Die Veröffentlichung der Liste des Jahres von Forbes 400 am 22. September, eine Auflistung der reichsten Individuen Amerikas, die meisten von ihnen Milliardäre, unterstreicht den starken Gegensatz zwischen der Anhäufung von Reichtum am oberen Ende und der Verschlechterung der Bedingungen für die breite Mehrheit der Bevölkerung.
Ein Pressebericht über die soziale Spaltung in Amerika führte vor kurzem Daten über Steuerzahlungen auf, um zu demonstrieren, dass "die wachsende Flut der Bits und Bytes die Yachten weit stärker in die Höhe hebt als die Ruderboote". Solche Berichte lassen eine entscheidende Frage aus: Was ist das für ein Wirtschafts-"Boom", der nur eine relativ kleine Gruppe begünstigt und so viele auf der Strecke lässt? In welchem Sinn kann man überhaupt von wirtschaftlichem Fortschritt sprechen, wenn die Arbeiter, die den Reichtum schaffen, immer härter kämpfen müssen, um zu überleben?
Weder Gore noch Bush möchten solche Fragen diskutieren. Beide sind Zeit ihre Lebens glühende Verteidiger des Profitsystems gewesen. Wenn die Frage der sozialen Ungleichheit ins Zentrum der Kampagne 2000 rückt, dann nicht weil die demokratischen und republikanischen Politiker das wollten, sondern weil sich die objektiven Widersprüche in der amerikanischen Gesellschaft zugespitzt haben. Unabhängig davon, welcher Kandidat die Wahlen gewinnt, sind die Weichen für das Aufbrechen explosiver politischer und sozialer Konflikte unter der nächsten Regierung gestellt.
Ein Vierteljahrhundert Angriffe auf Arbeiter
Es gibt einen grundlegenden Widerspruch in der Haltung gespielter Sympathie für Arbeiter, die beide Parteien an den Tag legen. Die Kampagne 2000 findet nach einem Vierteljahrhundert statt, das von harten Angriffen beider Parteien auf die Arbeiterklasse gezeichnet war. Die Demokraten und die Republikaner sprechen über zunehmend schwierige soziale Bedingungen, ohne zu erwähnen, dass diese Bedingungen das Ergebnis einer Politik sind, die sämtliche sich abwechselnden demokratischen und republikanischen Regierungen seit den siebziger Jahren verfolgt haben. Sie scheinen auf eine Art politischen Gedächtnisschwund der amerikanischen Bevölkerung zu rechnen.
Bush beklagt den Zustand des Bildungswesens; aber die republikanische Partei hat die Krise der staatlichen Schulen mit Haushaltskürzungen auf Bundes- und Landesebene und durch ihr Bündnis mit den rechtextremen und fundamentalistischen Gruppen, die das staatliche Bildungssystem überhaupt zerstören wollen, selbst verschärft. Gore beteuert seine Besorgnis über die Millionen, die keine Gesundheitsversorgung erhalten, während er die Bilanz der Clinton-Gore-Regierung außen vor lässt, die eine Zunahme der nicht versicherten Menschen von 38 Millionen auf 44 Millionen verzeichnet.
Die demagogischen Schuldzuweisungen der beiden großen Parteien können ihre gemeinsame Verantwortung für die Lebensbedingungen der arbeitenden Bevölkerung nicht verdecken. Seit der Demokrat Jimmy Carter 1976 zum Präsidenten gewählt wurde, hatten die Demokraten und die Republikaner jeweils zwölf Jahre lang die Kontrolle im Weißen Haus. In achtzehn der letzten zwanzig Jahre hat die eine Partei die Präsidentschaft innegehabt, während die andere eins oder beide Häuser des Kongresses kontrollierte. Trotz aller gegenseitigen Attacken haben die Demokraten und Republikaner ein gemeinsames Programm durchgeführt: Sie haben die reiche Elite, die eine kleine Prozentzahl der Bevölkerung ausmacht, auf Kosten aller anderen bereichert.
Dieser Prozess begann während Carters Präsidentschaft, als die Konzerne versuchten, die Klassenbeziehungen nach den sozialen Explosionen und politischen Wirbelstürmen der sechziger und frühen siebziger Jahre neu zu ordnen. Konfrontiert mit einem verschärften internationalen Wettbewerb forderte das kapitalistische Amerika freie Hand, um die Arbeitswelt umzukrempeln und eine Erhöhung des Arbeitstempos und andere Maßnahmen zur Erhöhung der Produktivität einzuführen. Die hauptsächliche Waffe gegen die Arbeiterklasse war die absichtliche Schaffung von Massenarbeitslosigkeit, um den Widerstand der Arbeiter gegen die verschärfte Ausbeutung zu schwächen.
Carter berief den Wall Street Bankier, Paul Volcker, an die Spitze der Zentralbank Federal Reserve Board, und beauftragte ihn damit, eine straffe Geldpolitik einzuführen, die darin gipfelte, dass die Zinssätze über zwanzig Prozent stiegen. Volckers Maßnahmen brachten die gewünschten Resultate: eine tiefe Rezession und ein scharfes Ansteigen der Arbeitslosigkeit.
Carter überwachte die Rettung von Chrysler, in der zum erstenmal eine große Gewerkschaft, die United Auto Workers, unter der Drohung von Betriebsschließungen und massiven Stellenstreichungen Lohnsenkungen und einer Verschärfung des Arbeitstempos zustimmte. Seine Regierung führte auch die Deregulierung der Flugzeugindustrie ein - an deren Spitze der liberale Demokrat Edward Kennedy stand -, die erste einer Reihe von Maßnahmen, die auf eine Arbeits-"Flexibilisierung" und die Abschaffung konzerneigener Einrichtungen für Gesundheit und Sicherheit, Umwelt- und Konsumentenschutz abzielten.
In den achtziger Jahren kam die Wahl von Ronald Reagan, und es begann ein Frontalangriff auf die Arbeiterklasse sowohl im Inland als auch im Ausland. Reagan setzte die größten Steuersenkungen der Geschichte für Reiche durch, während er eine enorme Aufstockung des Verteidigungshaushalts einführte, die zwei Ziele verfolgte: die Sowjetunion, Washingtons Rivalen im Kalten Krieg, in den Bankrott zu treiben und die Ressourcen der amerikanischen Regierung aufzubrauchen, so dass für ein nennenswertes Niveau an Sozialausgaben keine Mittel mehr übrigblieben
Die Reagan-Regierung brach eine größere Konfrontation mit den Gewerkschaften vom Zaun, indem sie absichtlich einen Streik der Fluglotsengewerkschaft PATCO provozierte, alle Streikenden entließ, die Streikführer verhaftete und die Gewerkschaft finanziell ruinierte. Das Ziel war eine große, sichtbare Niederlage der Arbeiterbewegung, um seitens der Bundesregierung in allen Bereichen der Wirtschaft einen rücksichtslosen Schlag gegen Streikende durch Entlassungen, Verhaftungen und die finanzielle Ruinierung ihrer Organisationen durch Geldstrafen zu legitimieren. PATCO lieferte den Auftakt für eine ganze Reihe von Schlägen gegen die Gewerkschaft und von Lohnsenkungen durch mächtige Konzerne wie Phelps Dodge, Greyhound, Continental Airlines, Hormel und Dutzende anderer, wie es sie seit einem halben Jahrhundert nicht gegeben hatte.
Diese Angriffe wurden von der AFL-CIO sanktioniert, die mit den Unternehmern zusammenarbeitete, um die Arbeiter, die an Streiks oder Aussperrungen beteiligt waren, zu isolieren und ihre Kämpfe zu sabotieren. Es war ihr Ziel, Arbeiter zu demoralisieren und den Einfluss der einfachen Mitglieder in den Gewerkschaften zu schwächen. Während die Mitgliedschaft der Gewerkschaften, die Häufigkeit der Streiks und das Niveau der Reallöhne ständig abnahmen, stieg das Einkommen der Gewerkschaftsbürokratie und festigte sich die Macht der Funktionäre.
Die politische Wende der frühen achtziger Jahre beendete nicht nur den jahrzehntelangen sozialen Konsens gegen das "union-busting", d. h. gegen die Zerschlagung von Gewerkschaften. Sie machte auch mit der Vorstellung Schluss, die Politik der Regierung könne die schlimmsten Auswüchse des Kapitalismus durch eine Kontrolle der Kapitalisten abmildern und wenigstens minimale soziale Hilfe gewähren. Die Reagan-Regierung führte mit der Unterstützung des mehrheitlich demokratischen Kongresses eine Rekordkürzung der Unternehmens- und Einkommenssteuer durch, welche die Reichen stark begünstigte. Sie deregulierte ganze Zweige der amerikanischen Industrie und begann, die Sozialausgaben für die Armen massiv zu beschneiden. Das Ergebnis war ein explosives Anwachsen des Reichtums und Einkommens der obersten amerikanischen Gesellschaftsschicht und eine ständige Verschlechterung der Lebensbedingungen für Millionen der arbeitenden Bevölkerung.
Die Bereicherung der Wohlhabenden auf Kosten der gesamten übrigen amerikanischen Gesellschaft war weder ein Zufall, noch das unbeabsichtigte Resultat globaler Kräfte, die jenseits der Kontrolle der Politiker und Konzernchefs wirkten. Das bewusste Ziel der herrschenden politische Elite war die Beseitigung aller Hindernisse für den Profit der Konzerne und die persönliche Bereicherung. Subjektive Politik kam mit objektiven Prozessen zusammen, vor allem mit einer Umwälzung im Computerwesen und der Telekommunikation, so dass eine wachsende soziale Polarisierung entstand.
Von Reagan zu Clinton
Clintons Wahl 1992 war teilweise eine Reaktion der Bevölkerung auf über zehn Jahre Haushaltskürzungen, Lohnsenkungen und andere Angriffe auf die Arbeiterklasse. Aber die demokratische Partei, die 1992 an die Macht kam, hatte eine ganz andere Beziehung zum kapitalistischen Amerika als die demokratischen Regierungen des New Deal und der Ära der Great Society.
Clinton selbst stützte sich beim Kampf um die Nominierung für die Demokratische Präsidentschaft stark auf das Geld der Wall Street. Er war ein Mitbegründer des Democratic Leadership Council, einer Gruppe von Politikern, deren Aufgabe es war, in der demokratischen Partei ein rechteres Programm durchzusetzen; Versprechen auf bedeutende soziale Reformen und das Ziel einer größeren Gleichheit bei der Wohlstandsverteilung sollten getilgt werden, während die republikanische Demagogie in Fragen des Sozialstaates, der Kriminalität und einer starken Armee imitiert wurde.
Die acht Jahre der Clinton Regierung - sechs davon eine politische Kohabitation mit den Republikanern im Kongress - ermöglichten eine Orgie der Akkumulierung von Reichtum, die das "Jahrzehnt der Habsucht" der achtziger Jahre in den Schatten stellte. Nachdem Clinton seine einzige nennenswerte reformistische Initiative, die allgemeine Krankenversicherung, aufgegeben hatte, wurde seine Regierung durch die Wahl eines republikanischen Kongresses 1994 und die darauf folgende Serie konstruierter Untersuchungen paralysiert.
In einem Politikbereich erwies sich Clinton sogar noch aggressiver als seine Vorgänger. Die Clinton-Regierung eskalierte den Gebrauch militärischer Gewalt zur Unterstützung der wirtschaftlichen und strategischen Interessen des amerikanischen Kapitalismus auf der ganzen Welt. Unter Clinton wurden amerikanische Truppen zu Dutzenden von globalen Brennpunkten geschickt, und es hagelte US-Raketen auf sogenannte Schurkenstaaten vom Irak über Sudan und Afghanistan bis hin zu Jugoslawien. Clinton hat seinem Nachfolger eine Politik des intensiven Militarismus hinterlassen, die durch erhebliche Steigerungen der Militärausgaben in den letzten beiden Haushalten unterstrichen wurde.
Während er rücksichtslos die Interessen des amerikanischen Kapitals im Ausland verfolgte, beugte sich Clinton dem Diktat der herrschenden Schicht in Fragen der Sozialpolitik im Innern. In seiner Rede zur Lage der Union von 1995 erklärte er: "Die Ära der staatlichen Fürsorge ist vorbei". Er unterzeichnete 1996 das Gesetz, das die Sozialhilfe der Bundesregierung für alleinstehende Mütter eliminierte, die grausamste Sozialkürzung der letzten zwanzig Jahre. Sein Schatzkanzler Robert Rubin arbeitete eng mit dem Vorsitzenden der Bundesbank, Alan Greenspan, zusammen, um den Höhenflug der Börse von 1995-99 zu fördern, während dessen die Börsenpreise sich verdreifachten und beinahe über Nacht enorme Vermögen aus dem Boden gestampft wurden.
Weit davon entfernt, die Politik von Reagan und Bush umzudrehen, hat die Clinton-Gore Regierung eine immer extremere Konzentration des Reichtums in der Hand einer finanziellen Elite organisiert. Laut der Haushaltsabteilung des Kongresses, die von der Führung der Republikaner kontrolliert wird und wohl kaum eine Bastion des Egalitarismus darstellt, sind neun Zehntel des Wachstums des nationalen Reichtums in den letzen 25 Jahren dem reichsten einen Prozent der amerikanischen Bevölkerung zugefallen.