Wie die Union gegen Ausländer hetzt
Die Thesenpapiere von CDU und CSU zur Zuwanderung
Von Elisabeth Zimmermann
22. November 2000
Am 9. November saßen die Unionspolitiker Edmund Stoiber, Angela Merkel und Friedrich Merz gemeinsam auf dem Podium der Berliner Demonstration "Für Menschlichkeit und Toleranz". Die Szene erinnert an den Mafiapaten, der Sonntags zur Beichte geht, um sich Montags wieder seinen gewohnten kriminellen Geschäften zu widmen. Inzwischen haben CDU und CSU Unmenschlichkeit und Intoleranz gegen Ausländer offen auf ihre Fahne geschrieben. Beide treten für eine drastische Beschränkung der Zuwanderung und die Abschaffung des Grundrechts auf Asyl ein und hoffen, aus entsprechenden Kampagnen politisches Kapital zu schlagen.
Die CDU hatte bereits drei Tage vor der Berliner Demonstration ihr neues Zuwanderungskonzept vorgestellt. Das Papier versucht einerseits, dem Bedarf und den Forderungen der Wirtschaft nach ausländischen Fachkräften nachzukommen und dafür entsprechende gesetzliche Grundlagen zu schaffen. Erstmals, seit Mitte der siebziger Jahre ein genereller Anwerbestopp für Nicht-EU-Ausländer verhängt wurde, anerkennt damit auch die CDU die Notwendigkeit einer beschränkten Zuwanderung.
Gleichzeitig werden die Hürden für unerwünschte Ausländer - d.h. insbesondere für Flüchtlinge - noch höher geschraubt. Die wirtschaftlichen und nationalen Interessen Deutschlands haben dabei ausdrücklich vorrang vor humanitären und demokratischen Grundsätzen.
Ursprünglich sollte das unter der Leitung des saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller (CDU) ausgearbeitete Papier die Sätze enthalten: "Deutschland ist ein Einwanderungsland" und "Das Boot ist noch nicht voll". Beide Sätze wurden auf Betreiben des CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz und der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel herausgestrichen. Dafür wurde der von Peter Müller abgelehnte Begriff der "deutschen Leitkultur" in leicht abgewandelter Form als "Leitkultur in Deutschland" eingefügt. Von Zuwanderern wird die "Bejahung und Einordnung in den bei uns für das Zusammenleben geltenden Werte- und Ordnungsrahmen" verlangt.
Weiter heißt es in dem Papier: "Das Vorhandensein guter deutscher Sprachkenntnisse sollte sich als ,Bonus' auswirken, etwa bei der Entscheidung über einen Zuwanderungsantrag oder auch sonst bei der Erteilung einer Arbeitserlaubnis oder eines dauerhaften Aufenthaltstitels. Auf der anderen Seite muss es möglich sein, Zuwanderer jedenfalls dann, wenn sie etwa auf öffentliche Leistungen angewiesen sind, zur Teilnahme an Integrationskursen und hier vor allem Sprachkursen zu verpflichten."
Der CDU-Innenminister von Baden-Württemberg, Thomas Schäuble, hat bereits angekündigt, einen Gesetzentwurf im Bundesrat einzubringen, um Ausländer zur Teilnahme an Deutsch- und Integrationskursen zu zwingen. Wenn die Teilnahme verweigert wird oder nicht zu entsprechenden Erfolgen führt, soll "der weitere Aufenthalt versagt werden", heißt es in dem Gesetzentwurf.
Der Zynismus dieser Forderung wird deutlich, wenn man bedenkt, dass solche Sprachkurse in den vergangenen Jahren systematisch den Spar- und Kürzungsmaßnahmen der öffentlichen Haushalte zum Opfer gefallen sind. Zahlreiche Ausländer, die liebend gern die deutsche Sprache erlernt hätten, fehlten dazu die Gelegenheit oder die finanziellen Mittel.
Letztlich geht es der CDU darum, ein Zweiklassenrecht für Ausländer zu schaffen. Wer über Bildung und finanzielle Mittel verfügt, ist - in beschränktem Rahmen - willkommen. Wer dagegen als politischer Flüchtling oder aus wirtschaftlicher Not nach Deutschland will, hat keine Chance. Gleichzeitig ist die CDU so in der Lage, den Anforderungen der Wirtschaft entgegenzukommen, während sie sich gleichzeitig die Möglichkeit offen hält, in kommenden Wahlkämpfen Kampagnen gegen Ausländer und Flüchtlinge zu führen, wie sie es im Landtagswahlkampf 1999 in Hessen vorgeführt hat und wie es der Fraktionsvorsitzende Merz seit langem fordert.
Auch beim Familiennachzug fordert die CDU drastische Einschränkungen. Im Zuwanderungskonzept ist dies recht allgemein gehalten. Eine "Klarstellung" des stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Wolfgang Bosbach, lässt dagegen an Deutlichkeit nicht zu wünschen übrig. Laut Bosbach würde eine Familienzusammenführung entsprechend der Richtlinien der EU-Kommission zu einer Zuwanderung von bis zu 250.000 Personen jährlich führen. Die CDU lehne diese Richtlinien daher ab. Darin, so Bosbach, wisse er sich mit Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) einig. Für den Fall, dass diese Richtlinien doch in Kraft träten, gäbe es nach seiner Meinung "nur noch marginale Spielräume für neue Zuwanderungstatbestände im Interesse unseres Landes".
Auch das Asylrecht gerät in dem CDU-Papier erneut unter Beschuss, obwohl die jährliche Zahl der Asylbewerber seit der Verfassungsänderung von 1993 von 400.000 auf 100.000 gesunken ist. Der Kampf gegen den "Asylmissbrauch" wird zum vorrangigen Ziel erklärt. Außerdem verlangt das Papier im Rahmen einer "europäischen Harmonisierung" die "Umwandlung des Asylgrundrechts in eine institutionelle Garantie".
Faktisch wäre dies gleichbedeutend mit der Abschaffung des Asylrechts. Der Rechtsanspruch auf Asyl würde in einen von staatlichem Gutdünken und Willkür abhängigen Gnadenakt umgewandelt. Er könnte nicht mehr - wie jedes Recht - vor Gericht eingeklagt werden. Stattdessen würde ein staatlicher Ausschuss nach Gutsherrenart über Recht- oder Nichtrechtmäßigkeit des Aufenthalts entscheiden.
Der Hinweis auf eine "europäische Harmonisierung" ist reine Augenwischerei. Die Handhabung des Asylrechts in Deutschland ist nämlich seit den Einschränkungen von 1992/93 bereits unter den Standard der Genfer Flüchtlingskonvention und anderer Menschenrechts-Vereinbarungen gesunken, welche die Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet hat. Und wie das oben angeführte Beispiel des Familiennachzugs verdeutlicht, hat die rot-grüne Bundesregierung dafür gesorgt, dass die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Erleichterungen vorerst nicht in Kraft treten konnten. Es ist also keineswegs so, dass ein großzügigeres oder umfassenderes deutsches Asylrecht nach unten angepasst werden muss, um eine europäische Harmonisierung zu ermöglichen. Das Gegenteil ist der Fall.
Der Parteitag der CSU
Noch unverblümter und schärfer als die CDU stellte am vergangenen Wochenende die bayrische Schwester CSU ihre ausländerfeindliche Haltung zur Schau. Die Zuwanderungspolitik stand im Mittelpunkt des CSU-Parteitags in München. Er bestand aus unzähligen Variationen zu dem Thema, Ausländer, "die uns nutzen", und Ausländern, "die uns ausnutzen", das Innenminister Günther Beckstein vorgegeben hatte.
Umjubelter Gast des Parteitags war der österreichische Regierungschef Wolfgang Schüssel, der internationale Berühmtheit erlangte, weil er den Freiheitlichen Jörg Haiders zum Eintritt in die Bundesregierung verhalf. Es wird immer deutlicher, dass die CSU vor allem deshalb so heftig gegen die europäischen Sanktionen gegen Österreich protestierte, weil sie selbst Haiders Themen und Methoden übernehmen will.
Der Parteitag verabschiedete ein Thesenpapier mit der Überschrift "Deutschland darf kein klassisches Einwanderungsland werden", das von Beckstein ausgearbeitet worden war und eine wesentlich deutlichere Sprache als das Papier der CDU spricht.
Auch hier wird demonstrativ das Reizwort von der "deutschen Leitkultur" angeführt. In These 1 heißt es: "Grundlage für das Zusammenleben von Deutschen und Ausländern ist unser europäisch-abendländisches Wertefundament - in den Wurzeln Christentum, Aufklärung und Humanismus - als Leitkultur."
These 2 fordert eine Begrenzung der Zuwanderung aus Nicht-EU-Staaten. These 3 anerkennt, dass in gewissen Grenzen, "eine sozialverträgliche, maßvolle Zuwanderung aus wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Gründen sinnvoll und aus humanitären Gründen geboten sein" kann.
These 4 kommt zur Sache. Es heißt dort: "Nur die Begrenzung der nach wie vor hohen ungesteuerten Zuwanderung nach Deutschland schafft Handlungsspielräume für die Aufnahme von Ausländern, die im Interesse von Staat und Gesellschaft liegt." Deutlicher kann man die Gegeneinanderstellung von Schutzsuchenden und Zuwanderern im Interesse der Wirtschaft nicht zum Ausdruck bringen.
These 5 tritt - wesentlich eindeutiger als das CDU-Papier - für die Beseitigung des Asylrechts ein: "Um den Asylmissbrauch einzuschränken, ist das Grundrecht auf Asyl nach Art. 16a Abs. 1 GG in eine institutionelle Garantie umzuwandeln... Durch eine Änderung von Art. 19 Abs. 4 GG ist die Einrichtung unabhängiger Beschwerdeausschüsse ... zu ermöglichen, die in einem vereinfachten Verfahren ... innerhalb kurzer Zeit nach der ablehnenden Entscheidung durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge entscheiden."
These 6 verlangt eine Beschleunigung der Asylverfahren, sowie eine weitere Schlechterstellung von Asylbewerbern bei der Sozialhilfe auch bei längerer Verfahrensdauer. Des weiteren müsse der Vollzug bei der Abschiebung gestrafft und effizienter gestaltet werden, "um keine Anreize für Zuwanderung unter dem Deckmantel des Asyls zu schaffen".
Für jeden, der mit den heutigen Bedingungen der Abschiebehaft und den brutalen und rücksichtslosen Abschiebungen von Tausenden von Menschen jährlich vertraut ist, ist es schwer vorstellbar, wie dies noch "effizienter" gestaltet werden soll. Schweben Beckstein und der CSU Massendeportationen in vom Bürgerkrieg zerrissene Länder wie Sri Lanka, die Türkei und viele afrikanische Länder vor?
These 7 und 9 kritisieren die EU-Vorschläge zur Familienzusammenführung: "Die vorgesehene Ausweitung des Familiennachzugs von Drittländern und die vorgeschlagenen Mindeststandards für Asylverfahren auf einem Niveau, das noch deutlich über den deutschen Rechtszustand hinausgeht, machen alle Bemühungen um Begrenzung des Zuzugs auf nationaler Ebene zunichte." - und treten für eine weitere Verschärfung der restriktiven deutschen Regelungen ein: "Dazu gehört, die Voraussetzungen an den Familiennachzug von der Erbringung von Integrationsleistungen wie z.B. dem Beherrschen der deutschen Sprache abhängig zu machen. Das Nachzugsalter für Kinder muss von derzeit 16 auf 6 Jahre, höchstens aber auf 10 Jahre gesenkt werden."
These 10 listet die Ausländer auf, die im Interesse der Wirtschaft erwünscht sind: "ausländische Fachkräfte, Unternehmer und Wissenschaftler". Ihre Anzahl soll über ein Einwanderungsgesetz und jährlich festzulegende Quoten bestimmt werden. "Die Quote wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischer Zuwanderung wird von der Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats unter Berücksichtigung des Bedarfs und der Situation am Arbeitsmarkt festgelegt", heißt es dazu in These 11.
Der reaktionäre und offen rassistische Unterton dieser Thesen wurde während der Parteitagsdiskussion noch deutlicher. Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber verteidigte den Begriff der "Leitkultur" und erläuterte, dass damit nicht nur das Beherrschen der deutschen Sprache gemeint sei, sondern vor allem die "Bereitschaft zur Anpassung". Von Weltoffenheit und Toleranz gegenüber anderen Kulturen keine Spur.
Günther Beckstein erläuterte, dass er unter "Leitkultur" verstehe, dass es keine Minarette in einem oberbayerischen Dorf geben könne. Alois Glück, der Vorsitzende der CSU-Fraktion im bayerischen Landtag behauptete, dass Menschen, die sich heute besonders kritisch zur "Leitkultur" äußerten, "ein gebrochenes Verhältnis zur eigenen Identität und zum Patriotismus" hätten. Er forderte, dass Asylverfahren nicht länger als sechs Monate dauern dürften.
Rot-grün gibt nach
Glaubt man den gegenwärtigen Äußerungen sozialdemokratischer und grüner Politiker, so haben die Vorschläge der Union im Moment wenig Chancen, in Bundestag und Bundesrat eine Mehrheit zu finden. Doch dieser Eindruck trügt. Angesichts der bisherigen Erfahrung mit der rot-grünen Regierung kann man davon ausgehen, dass sie auf die Kampagne der Union reagiert, indem sie selbst weiter nach rechts rückt.
Man erinnere sich nur an die Verfassungsänderung von 1993, die die Regierung Kohl nur mit Unterstützung der SPD durch den Bundestag bringen konnte. Damals war der Aushöhlung des Grundrechts auf Asyl eine monatelange Hetzkampagne gegen angeblichen "Asylmissbrauch" vorausgegangen. Gleichzeitig war auch die Anzahl von Mord- und Brandanschlägen auf Ausländer und Flüchtlinge und die von ihnen bewohnten Häuser und Unterkünfte stark angestiegen. Die SPD reagierte auf die Welle der Gewalt, indem sie sich der Union anschloss.
Ähnlich liegen die Dinge heute. Schon während des hessischen Landtagswahlkampfs 1999 fand sich kein sozialdemokratischer oder grüner Politiker, der die doppelte Staatsbürgerschaft gegen die Kampagne der CDU offensiv verteidigt hätte. Stattdessen schränkten sie in voraus eilendem Gehorsam die Möglichkeit für die doppelte Staatsangehörigkeit von sich aus auf einen kleinen Kreis ein. Angesichts der Kampagne der Union und der staatlichen Praxis verwundert es nicht, dass die Anzahl rassistischer und rechtsextremistischer Überfälle und Angriffe seither stark zugenommen hat. Die braunen Schläger fühlen sich ermutigt.
Zur Zeit hört man zwar noch Stimmen, die sagen, eine Abschaffung des Asylrechts sei mit SPD und Grünen nicht zu machen. Was praktische Maßnahmen angeht, liegt man allerdings nicht weit auseinander.
Die Argumente, mit denen die CDU für eine Umwandlung des Asylrechts in eine institutionelle Garantie begründet, hat sie zum Teil wörtlich von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) übernommen. Umgekehrt hat Schily das neue Papier der CDU als gute Grundlage bezeichnet, um einen Kompromiss im Hinblick auf eine gesetzliche Regelung der Einwanderung zu finden.
Und der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Dieter Wiefelspütz, hatte in einem Gespräch mit der Rheinischen Post schon Ende Oktober erklärt, dass er eine Einigung in der Zuwanderungsfrage innerhalb weniger Monate für möglich hält. "Alle haben sich bewegt - die Union hat sich bewegt, die SPD hat sich bewegt, die Bündnis-Grünen bewegen sich auch - da muss es doch möglich sein, dass man sich einigt."
Des weiteren erklärte Wiefelspütz: "Das Grundrecht auf Asyl ist nicht verhandelbar. Über alles andere kann man nicht nur reden, sondern muss man reden. Beim Asylverfahren wird wenig Spielraum sein. Aber auch darauf müssen wir noch einmal schauen."
Er sprach sich als klares Signal an die Union für konsequente Abschiebungen aus: "Wenn jemand zu Unrecht in Deutschland ist und nach rechtskräftigen Entscheidungen das Land verlassen muss, dann haben wir das Recht, dies auch durchzusetzen - mit allen rechtsstaatlichen Mitteln. Wir sind gerne bereit, dies stärker zu berücksichtigen."