Ein Interview mit einem Betriebsrat von VW-Südafrika
"Die Arbeitsbedingungen sind schlechter als unter dem Apartheid-Regime"
Von Dietmar Henning und Andreas Kuckartz
19. April 2000
Ende März besuchte Bonisile Mzeku auf einer Rundreise Deutschland. Mzeku ist einer der 1300 Arbeiter, die der VW-Konzern im südafrikanischen Werk Uitenhage entlassen hat. Die Arbeiter hatten gestreikt, um gegen den Gewerkschaftsausschluss von 13 Betriebsräten, die sie im vergangenen Jahr gewählt hatten, zu protestieren. Das WSWS berichtete über diese Auseinandersetzung. Auf Pressekonferenzen bzw. Solidaritäts-Veranstaltungen in Köln und Dortmund hatten zwei Reporter des WSWS die Gelegenheit, mit dem südafrikanischen Betriebsrat zu sprechen.
WSWS: Was ist der aktuelle Stand in der Auseinandersetzung im VW-Werk in Uitenhage?
Mzeku: Nachdem VW ein Drittel der Belegschaft entlassen hat, ist die Produktion im Werk auf etwa 10 Prozent der üblichen Quote gefallen. Die Produktion in der Lackiererei und beim Karosseriebau liegt still. Ursprünglich dachte VW daran, den gesamten Betrieb für zwei bis drei Monate zu schließen, auch um während dieser Zeit Streikbrecher anzulernen. Wie diese Überlegungen publik wurden, beschlossen die wiedergekommenen Arbeiter, die für die entlassenen Kollegen neu eingestellten Arbeitskräfte nicht anzulernen und auszubilden. Daraufhin nahm die Geschäftsleitung wieder Abstand von dem Vorhaben der Schließung. Sie fürchten die Solidarität zwischen den entlassenen und den wiedergekommenen Arbeitern, aber auch die zwischen uns VW-Arbeitern und denen in der Region. Es gab und gibt zahlreiche Solidaritätsveranstaltungen in der Region.
WSWS: Was passiert mit den entlassenen Arbeitern?
Mzeku: Wir sind jetzt seit fast zwei Monaten ohne Arbeit. Ende März sollten vor einer staatlichen Schlichtungsstelle (Commission for Conciliation, Mediation and Arbitration) Anhörungen stattfinden. Beide Seiten sollten ihre Position vortragen. Doch dieser Vorschlag der Schlichtungsstelle wurde von der VW-Geschäftsführung abgelehnt. Jetzt trifft man sich am 5. April.
WSWS: Was war der eigentliche Grund für die Auseinandersetzung?
Mzeku: Es war zunächst eine innergewerkschaftliche Auseinandersetzung. Unsere Gewerkschaft, die NUMSA (National Union of Metalworkers of South Africa, Metallgewerkschaft), hatte 13 VW-Betriebsräte aus ihren Reihen ausgeschlossen. Wir hatten sie im vergangenen Jahr bei den Wahlen gegen die alten Betriebsräte durchgesetzt, die immer weiter den Forderungen des Managements nachgaben. Nach massiven Protesten seitens der Arbeiter von VW hat man zwar schnell den Ausschluss zurückgenommen, aber dafür eine Suspendierung ausgesprochen. Die 13 Betriebsräte stehen in Opposition zur Gewerkschaftsführung. Sie werfen ihr vor, sich mehr und mehr von ihrer Basis zu entfernen und mit der Regierung und den Unternehmen über unsere Köpfe hinweg zusammenzuarbeiten. Im konkreten Fall führten die NUMSA-Gewerkschaftssekretäre Verhandlungen mit dem VW-Management und schlossen eine Vereinbarung über Arbeitsbedingungen ab, ohne die Belegschaft und die Vertrauensleute zu hören.
WSWS: Was war der Inhalt dieser Vereinbarung zwischen Gewerkschaft und VW?
Mzeku: Es wurden eine ganze Reihe von Verschlechterungen vereinbart, angeblich, um VW in Südafrika wettbewerbsfähiger zu machen. In diesem A4-Abkommen, welches nach einem Exportmodell benannt ist, wurde z. B. die reguläre 6-Tage-Woche wieder eingeführt, die Pausenzeiten wurden um zirka eine halbe Stunde gekürzt und Urlaubskorridore vereinbart, d.h. man kann jetzt seinen Urlaub nicht mehr frei wählen, sondern muss ihn in bestimmten Zeiten nehmen. Insgesamt sind die Arbeitsbedingungen jetzt noch schlechter als unter dem Apartheid-Regime.
WSWS: Kannst du konkrete Beispiele nennen?
Mzeku: Ja, natürlich. Es ist z.B. üblich, dass die Sonntagsschicht doppelt bezahlt wird. Jetzt werden aber die zwei Stunden der Nachtschicht von Sonntag auf Montag, von 22.00 bis 6.00 Uhr morgens, allesamt als Normalarbeitsstunden gezählt. So wurden einem zwei Stundenlöhne gestohlen.
Früher war es auch üblich, dass man seinen Arbeitsplatz eine Viertelstunde vor Schichtende verlassen durfte, um sich noch duschen und umziehen zu können. Diese Viertelstunde ist uns gestrichen worden, damit die Produktion nicht unterbrochen wird.
Das A4-Abkommen mit den schlechteren Arbeitsbedingungen galt früher nur für die Export-Produktions-Linie. Heute gilt sie für alle.
Eine andere Vereinbarung betrifft die Weihnachtsferien. Bisher war es so, dass die Ferien am 11. Dezember begannen, was in unserer Kultur wichtig ist. Das Unternehmen hatte gefordert, dass die Ferien erst am 23./24. Dezember beginnen dürften. Während angeblich die Diskussionen darüber noch liefen, hatten die Betriebsräte längst ein Abkommen unterschrieben, mit dem die Forderung des Unternehmens erfüllt wird. Wir haben darüber aus der Zeitung erfahren.
WSWS: Du erwähntest gerade die Unterstützung von Seiten von Arbeitern. Gibt es andere, die euch unterstützen?
Mzeku: Nein. Die Unterstützung in Südafrika kommt nur von den Gemeinden, von den Leuten in den Townships und von kleinen Gewerkschaften, die keinem Dachverband angehören. Kurz vor meiner Abreise nach Deutschland waren z. B. zwei Vertrauensleute von Toyota in Pretoria und Durban gekommen. Sie wurden von der Belegschaft geschickt, um sich über unsere Situation zu erkundigen.
Von der Regierung und den sie tragenden Organisationen, dem ANC, dem Gewerkschaftsdachverband COSATU oder der Kommunistischen Partei haben wir nichts gehört. Viele Gewerkschaftssekretäre oder KP-Funktionäre sind nun Minister in der Regierung oder den Distrikt-Regierungen. Die Gewerkschaft wird jetzt ausschließlich als Sprungbrett für eine Politikerkarriere gesehen.
Kritiker der Gewerkschaft wurden dagegen entlassen oder diszipliniert. Die Gewerkschaftsvertreter sind sogar gefährlicher als das Unternehmen selbst.
WSWS: Wie meinst du das?
Mzeku: Wenn das Unternehmen gegen Arbeiter vorgeht, dann muss es bestimmte Regeln - z.B. für Anhörungen - einhalten, die für Maßnahmen der Gewerkschaft nicht gelten.
Im Januar hatte die Gewerkschaft - und nicht etwa das Unternehmen - eine gerichtliche Verfügung erwirkt, um die Betriebsräte aus ihren Büros im Werk zu werfen. Die Gewerkschaft hat dann am 17. Januar ein Treffen der Gewerkschaftsmitglieder einberufen. Gleichzeitig fand aber eine Veranstaltung statt, in der es um Darlehen für die Schuluniformen der Kinder ging. Da das ein wichtiges Thema war und die Gewerkschaft nicht über den geplanten Inhalt ihres Treffens informiert hatte, wurde die Gewerkschaftsveranstaltung nur von vielleicht 50 Leuten besucht. Anschließend erfuhren wir dann, dass der Gewerkschaftsvorsitzende auf der Veranstaltung der Gewerkschaft anwesend und dass dort über die Bestätigung der Suspendierung der Betriebsräte entschieden worden war. Am 20. Januar mussten unsere Vertreter dann die Büros räumen.
WSWS: Wie viele Mitglieder hat die NUMSA heute noch bei VW?
Mzeku: Vor dieser Auseinandersetzung waren es etwa 4500 Mitglieder, also fast die gesamte Belegschaft. Inzwischen ist ein sehr großer Teil aus der Gewerkschaft ausgetreten. Der Austritt war sogar die Voraussetzung dafür, dass sie sich einen Rechtsanwalt nehmen konnten.
WSWS: Gab es eine Reaktion von der deutschen IG Metall?
Mzeku: Die IGM lehnt bis heute eine Aussage zu diesem Konflikt ab. Der Vorsitzende des Weltbetriebsrates, der deutsche Gesamtbetriebsratsvorsitzende Hans Uhl kam zu Beginn des Konflikts drei Tage nach Südafrika. Doch er rief nicht etwa uns, sondern nur die VW-Geschäftsführung an, sie solle mit uns einen Termin vereinbaren. Das Treffen kam so natürlich nicht zustande. Nach drei Tagen flog Uhl, ohne mit uns gesprochen zu haben, wieder zurück.
Briefe von deutschen Kollegen an den Betriebsrat von VW in Deutschland wurden von diesem nicht beantwortet. Stattdessen bekamen die Kollegen eine Antwort des VW-Personalchefs Dr. Schuster!
WSWS: Was haben die entlassenen Betriebsräte bisher versucht?
Mzeku: Die Arbeiter von VW schickten Anfang März zwei Delegierte nach Sao Paolo in Brasilien, wo eine Sitzung des Weltbetriebsrates stattfand. Doch Uhl, der Geschäftsführer des Weltbetriebsrates von VW ist, und sein Stellvertreter Volkert aus Deutschland weigerten sich, auch nur das Thema Südafrika auf die Tagesordnung zu bringen - obwohl einer der südafrikanischen Kollegen zum Weltbetriebsrat gehört. Entsprechende Anträge von brasilianischen Kollegen wurden abgelehnt. Es fand dann allerdings ein informelles Treffen mit Uhl statt. Die beiden südafrikanischen Kollegen wussten gar nicht, ob sie mit einem Kollegen oder einem VW-Manager sprechen. Da gab es überhaupt keinen Unterschied. Dies deckt sich auch mit meiner Erfahrung. Wir hatten mit Uhl ein Gespräch im Oktober vergangenen Jahres. Ich hatte ihm damals gesagt, nachdem ich ihm eine Weile zugehört hatte, er solle nicht unsere Zeit stehlen. Er sprach wie der Personalchef von VW
WSWS: Seid ihr von der Reaktion seitens der Regierung überrascht?
Mzeku: Ja. Mit dem Ende der Apartheid und der Neuwahl einer neuen, tatsächlich von uns gewählten Regierung, haben wir große Hoffnungen auf eine Verbesserung unserer Lebenssituation verbunden. Stattdessen sahen wir uns bei VW und in ganz Südafrika verstärkt Angriffen der Unternehmer ausgesetzt. Die Probleme zwischen uns und der NUMSA-Führung entstanden, weil unsere Gewerkschaft nichts gegen diese Angriffe unternahm und sogar Verschlechterungen für uns vereinbarte. Diese Probleme begannen bereits im Juli letzten Jahres. Da war viel Zeit, die die ANC-Regierung zur Vermittlung hätte nutzen können. Sie reagierte aber überhaupt nicht. Sie informierten sich aber auch nur über eine Seite, die NUMSA.
Die Verbesserungen, die wir noch während der Zeit der Apartheid durchgesetzt hatten, wurden Stück für Stück zurückgenommen. Die Löhne und auch die Arbeitsbedingungen sind heute bei VW schlechter als unter dem Apartheid-Regime.
WSWS: Wie hat sich die KP verhalten?
Mzeku: Auch die KP, die ebenso wie COSATU mit in der Regierung sitzt, hat kein Wort gesagt. Wir erwarteten dies, aber da kam nichts. Ich bin darüber sehr enttäuscht. Der Generalsekretär der KP, Blade Nzimande, kam letztes Jahr noch zu uns. Die VW-Geschäftsführung wollte ihn nicht ins Werk lassen. Die Arbeiter drohten daraufhin spontan mit einer Arbeitsniederlegung. Erst dann wurde er hereingelassen. Genauso war es mit dem COSATU-Vorsitzenden. Aber das war vor den Wahlen.
In Südafrika gibt es eine Reklame für einen Schokoriegel. Zwei Freunde sitzen nebeneinander, der eine hat den Schokoriegel. Auf die Frage seines Freundes nach einem Stück des Riegels erwidert dieser: ,Gefährde nicht unsere Freundschaft!' So ist es jetzt bei uns in Südafrika. Wir haben eine Grenze überschritten und sehen jetzt, wie viele auf der anderen Seite stehen, von denen wir glaubten, sie seien Freunde.
WSWS: Möchten Sie noch etwas unserem internationalen Publikum sagen?
Mzeku: Ja. Ich möchte sagen, dass die internationale Unterstützung jetzt für uns wichtiger ist denn je. Alles wird schlechter in Südafrika. Die Massenarbeitslosigkeit nimmt zu. Es werden zwar einige neue Arbeitsplätze geschaffen wie jetzt bei VW, aber die neuen Arbeiter sind die jüngeren Leute, die noch keine Familie haben. Für ältere Arbeiter wird es immer schwieriger, einen Job zu bekommen. Aber auch die jüngeren Kollegen müssen mit schlechteren Verträgen arbeiten. So darf man z. B. nicht mit mehr als zwei Kollegen zusammenstehen, das gilt dann als unerlaubte Versammlung. Bei VW sind schon die ersten drei jüngeren Kollegen aus diesem Grund entlassen worden. Auch zwei Arbeiter aus der Führung des Solidaritätskommitees für die VW-Arbeiter sind sofort entlassen worden. Dabei arbeiteten sie nicht einmal bei VW, sondern bei National Standards und Goodyear. Die Konzerne halten zusammen. Auch wir Arbeiter müssen zusammenhalten.