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US-Präsident Clinton im Kosovo

Rhetorik und Realität

Von Barry Grey
30. November 1999
aus dem Amerikanischen (27. November 1999)

Der Besuch des amerikanischen Präsidenten Bill Clinton im Kosovo vom 23. November diente dazu, die militärische Macht der USA zu verherrlichen, die sich angeblich im Auftrag Washingtons weltweit für den Schutz der Menschenrechte einsetzt. Während dieses Besuchs häuften sich jedoch die Hinweise darauf, dass die Behauptungen über einen Völkermord von serbischer Seite stark übertrieben waren, mit deren Hilfe die öffentliche Meinung zur Unterstützung der 78tägigen Bombardierung Jugoslawiens gewonnen werden sollte. (Siehe die WSWS -Artikel: "Untersuchungsergebnisse widerlegen Behauptungen der NATO vom Völkermord im Kosovo" (http://www.wsws.org/de/1999/nov1999/koso-n13.shtml), 13. November 1999 ; "Genauso viele Morde an Kosovaren unter NATO-Besatzung wie vor dem Krieg" (http://www.wsws.org/de/1999/nov1999/koso-n23.shtml), 23. November 1999)

Die sozialen und politischen Bedingungen, die fünf Monate nach Ende des Krieges im NATO-besetzten Kosovo herrschen, diskreditieren die Rechtfertigung noch mehr, die von den USA und ihren europäischen Verbündeten für ihre militärische Intervention angeführt wurde. Das Kosovo bleibt ein verwüstetes Land. Während auf dem Balkan der Winter Einzug hält, können Hunderttausende Bewohner ihre elementarsten Bedürfnisse nicht befriedigen - es fehlt das Dach über dem Kopf, Wasser, sanitäre Anlagen, Strom und auch Arbeit. Sogar der Vertreter der UNO im Kosovo, Bernard Kouchner, prangerte die USA und ihre Kriegspartner öffentlich an, weil sie sich weigern, die allernotwendigste finanzielle Hilfe bereitzustellen, um ein neues humanitäres Desaster zu verhindern.

Die von den USA unterstützte Kosovarische Befreiungsarmee UCK hat unter den Augen von NATO-Truppen und UN-Funktionären ihre eigenen ethnischen Säuberungen durchgeführt und dabei über 100.000 Serben, Roma und Angehörige anderer Minderheiten aus der Provinz vertrieben. Allem Geschwätz über Menschenrechte zum Trotz berichten zahlreiche Kommentatoren über eine Zunahme von Mafia-Geschäften, Verbrechen und politischen Repressalien unter der selbsternannten provisorischen Regierung der UCK.

Die New York Times publizierte zum Beispiel am 22. November einen Artikel ihres Kosovo-Korrespondenten Steven Erlanger unter dem Titel "Chaos und Intoleranz herrschen trotz UN-Anstrengungen im Kosovo vor". Der Artikel zeigt ein Bild sozialer Verwüstung, mutwilliger Verbrechen und Repressalien im großen Stil, die sich nicht nur gegen Serben und andere Minderheiten richten, sondern auch gegen Albaner, die sich der UCK und ihren von den USA gesponserten Führern, Hashim Thaci und General Agim Ceku, nicht beugen wollen.

Erlanger schreibt: "Das Abfackeln serbischer Häuser findet fast täglich auf organisierte Art und Weise statt, was den Druck auf die serbische Minderheit erhöht, aus dem Land zu flüchten oder sich selbst in einer Enklave ins Ghetto zu sperren, umgeben von feindlichen Albanern, die nur daran denken, wie sie selbst unterdrückt worden waren."

Er zitiert einen Bericht, der zu Beginn dieses Monats vom UN-Vertreter für Menschenrechte im ehemaligen Jugoslawien, Jiri Dienstbier, geschrieben wurde. Darin heißt es: "Den ethnischen Säuberungen an den Albanern vom letzten Frühjahr, die von Mord, Folter, Plünderungen und dem Niederbrennen der Häuser begleitet waren, folgten im Herbst ethnische Säuberungen an den Serben, Romas, Bosniern und anderen Nicht-Albanern, die von den gleichen Grausamkeiten begleitet waren."

Erlanger liefert Beispiele von anti-serbischer Agitation durch die Kosovo-Schutztruppe, die mit dem offiziellem Segen der NATO und der UN-Verwaltung aus der angeblich aufgelösten UCK hervorgegangen ist. Er zitiert führende UN- und Militärvertreter, lau denen auf dem Gelände der Kosovo-Schutztruppe zwei Internierungslager entdeckt wurden, obwohl diese angeblich keinerlei Polizeiaufgaben ausüben darf. Und in diesen Lagern befanden sich sowohl Albaner als auch Serben, "von denen einige klare Merkmale von Schlägen aufwiesen".

Dieselben Vertreter stellten laut Erlanger fest, dass mindestens zwei örtliche Führer der Partei von Ibrahim Rugova, einem albanischen Nationalisten und politischen Rivalen von Thaci, ermordet worden waren.

Am Tag nach Clintons Erscheinen im Kosovo veröffentlichte die Washington Post einen Artikel unter dem Titel: "Kosovo-Rebellen machen ihre eigenen Gesetze". Er berichtet, wie die UCK sowohl Albaner als auch Serben zwangsläufig vertreibt. Der Artikel erklärt: "Die Vertreibungen sind Bestandteil einer Entwicklung, die von UN-Polizisten und NATO-Vertretern in vier der größten kosovarischen Städte als Beweis für die Zunahme von illegalen, aber von der Regierung unterstützten Aktivitäten ehemaliger Rebellenkämpfer im Kosovo angeführt werden." Weiter heißt es da: "Ehemalige UCK-Kämpfer haben sich in Gruppen organisiert, welche Serben und Albaner gleichermaßen einschüchtern, um sich ihre Wohnungen anzueignen, Geld einzutreiben oder die Mietzahlungen der Wohungen zu kassieren."

Solche Machenschaften der UCK können die Vertreter der USA nicht überraschen, sie haben diese Organisation nämlich noch vor zwei Jahren selbst als terroristische Gruppe eingestuft. Als sie sich im vergangenen Jahr entschieden, die UCK offen zu unterstützen, waren sie sich völlig darüber bewusst, dass die separatistischen Aufständischen den Serben und anderen Minderheiten gegenüber eine intolerante Haltung einnehmen, dass sie das erklärte Ziel verfolgen, den Kosovo und Teile von Mazedonien mit Albanien zu einem "Groß-Albanien" zu vereinen und dass sie Beziehungen zur albanischen Mafia und deren Drogenschmuggel unterhalten. Im Hinblick auf den ethnischen Chauvinismus konnte es der albanische Nationalismus der UCK ohne weiteres mit dem serbischen Nationalismus des jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic aufnehmen. Es gab keinen Grund zu der Annahme, dass die UCK - einmal an der Macht - weniger brutal als die von ihr abgelösten serbischen Kräfte vorgehen würde.

Vor diesem politischen Hintergrund nahmen sich die Erklärungen über ethnische Toleranz und Demokratie, die Clinton im Kosovo von sich gab, nicht nur einfältig, sondern völlig weltfremd aus. Dass Washingtons Bekenntnis zu den Menschenrechten reine Heuchelei ist - zweckmäßig für Länder, die den globalen Zielen der USA im Wege stehen, überflüssig für freundliche Regime - wurde durch die Tatsache beleuchtet, dass Clinton direkt von einem fünftägigen Staatsbesuch in der Türkei kam. Ankara, das für seine repressive Politik berüchtigt ist, führt seit 15 Jahren einen Krieg gegen die Kurden in der Südosttürkei, in dessen Verlauf mehrere Zehntausend Kurden getötet und über eine Million Zivilisten aus ihren Häusern vertrieben wurden. Dies hat jedoch Clinton nicht davon abgehalten, dem türkischen Regime demonstrativ die Unterstützung der USA zu versichern.

Das eisige Schweigen der Albaner, die in der Stadt Urosevac Clintons Aufruf vernahmen, die Albaner sollten den Serben verzeihen, wurde in der Presse groß herausgestellt. In Anbetracht der Rolle Washingtons, das die serbische Bevölkerung verteufelt und die UCK an die Macht gehievt hat, konnte dies jedoch nicht überraschen. Sollte es im Publikum wirklich Menschen gegeben haben, die für eine Versöhnung sind, so wären sie ein großes Risiko eingegangen, wenn sie es gewagt hätten, diese Meinung offen zu äußern. Sie wären isoliert und den Repressalien der UCK ausgesetzt worden.

In seiner Rede an die US-Soldaten auf dem militärischen Stützpunkt Bondsteel im Kosovo wiederholte Clinton diese offizielle Linie wie folgt: "Dies war ein Krieg verursacht durch die Entschlossenheit eines Mannes, ein ganzes Volk aufgrund seines ethnischen und religiösen Hintergrunds aus dem Land zu treiben." Pech für das Weiße Haus, dass der schreiende Gegensatz zwischen der amerikanischen Propaganda von den serbischen Morden und den tatsächlichen Zahlen albanischer Toter, wie auch die hässliche Realität des amerikanischen Protektorats seit dem Krieg diese banale und eigennützige Erklärung Lügen straft.

Unvermeidlich stellt sich die Frage: Was waren die wirklichen Gründe und Motive für den von den USA geführten Angriff auf Serbien?

Das World Socialist Web Site hat eine große Fülle von Material über dieses Thema veröffentlicht, insbesondere eine Erklärung vom 24. Mai 1999 mit dem Titel: "Die Gründe für den Krieg der NATO gegen Jugoslawien? Weltpolitische Macht, Öl und Gold" (http://www.wsws.org/de/1999/mai1999/balk-m26.shtml). An dieser Stelle soll lediglich darauf hingewiesen werden, dass der Ausbruch ethnischer Konflikte im ehemaligen Jugoslawien nicht nur und nicht einmal vorrangig auf die Machenschaften von Milosevic zurückzuführen ist. Seine serbisch chauvinistische Politik unterscheidet sich nicht wesentlich von jener seiner nationalistischen Gegenstücke in Slowenien, Kroatien und Bosnien, die mit voller Unterstützung der USA regieren.

Sloweniens Kucan, Kroatiens Tudjman, Bosniens Izetbegovic und Serbiens Milosevic wurden alle durch die Interventionen westlicher Regierungen und Banken groß, die seit den achtziger Jahren wirtschaftliche Sparmaßnahmen und Privatisierungen der Industrie und Banken durchsetzten. Dadurch verschärften sich die zentrifugalen Tendenzen innerhalb der multi-ethnischen jugoslawischen Föderation. Seit 1991 haben zuerst Deutschland und dann die USA die Auflösung der Föderation befürwortet und die Abspaltung Sloweniens, Kroatiens und Bosniens gefördert, obwohl Historiker und andere Balkankenner davor warnten, dass das Auseinanderbrechen Jugoslawiens unweigerlich zu heftigen ethnischen Konflikten führen müsse.

Alle großen Mächte brannten darauf, die Überbleibsel der staatlichen Wirtschaft so schnell wie möglich zu beseitigen und kapitalistische Marktbeziehungen einzuführen. Gleichzeitig hatten die USA, Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Italien und Griechenland ihre jeweils eigenen Ziele hinsichtlich der Märkte und Ressourcen Jugoslawiens, des ganzen Balkans und seiner Nachbarregionen.

In den fünf Monaten seit dem Ende des Kosovokrieges sind immer mehr Berichte in der bürgerlichen Presse aufgetaucht, die auf die wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen hinwiesen, die den US-Imperialismus dazu bewogen haben, Krieg gegen Serbien zu führen. Die russische Invasion in Tschetschenien im Kaukasus und die wachsenden Spannungen zwischen Washington und Moskau haben diese Fragen in den Vordergrund gerückt.

Im Mittelpunkt steht der Kampf um die Herrschaft über die ölreiche Region um das Kaspische Meer - den Kaukasus und die ehemaligen Sowjetrepubliken in Zentralasien. Amerikanische Bemühungen, die Vorherrschaft über diese Region zu erlangen, standen auch im Mittelpunkt von Clintons Besuch in der Türkei, einem Land, dessen geographische Lage - es bildet eine Landbrücke zwischen dem Balkan und dem Transkaukasus - es zu einem strategischen Pluspunkt für die Weltmächte machen, die darauf aus sind, diese riesigen unerschlossenen Öl- und Gasreserven in der kaspischen Region auszubeuten.

Das wichtigste Ergebnis von Clintons Türkei-Aufenthalt war die Unterzeichnung eines Abkommens zwischen der Türkei, Georgien, Aserbeidschan, Kasachstan und Turkmenistan über den Bau einer Ölpipeline, die von der aserischen Hauptstadt Baku bis zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan verläuft, und einer Gaspeline, die quer durch das Kaspische Meer von Turkmenistan in die Türkei führt. Washington hat schon seit einigen Jahren fieberhaft an diesen Projekten gearbeitet und kein Geheimnis daraus gemacht, dass es die billigeren und kürzeren alternativen Routen ablehnt, weil sie entweder durch den Iran oder durch Russland führen würden.

Amerikanische Sprecher haben öffentlich erklärt, dass die Vorschläge der USA über den Verlauf der Pipelines ein wichtiger Bestandteil einer allgemeinen Strategie sind, die Russland schwächen und die ehemaligen sowjetischen Republiken in Transkaukasien und Zentralasien in den Einflussbereich Washingtons eingliedern soll. Der Krieg gegen den wichtigsten Verbündeten von Russland, Serbien, wie auch Amerikas Hauptaugenmerk auf die Türkei, sind nicht aus dem strategischen Vorstoß des US-Imperialismus in diese lebenswichtige kaspische Region wegzudenken.