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Die Logik des Krieges

Der Angriff auf Serbien hat Auswirkungen auf ganz Europa

Von Peter Schwarz
31. März 1999

Eine knappe Woche intensiver Luftangriffe auf Serbien haben nicht nur zahlreiche militärische und zivile Einrichtungen, Produktionsstätten und Menschenleben in Rauch und Flammen aufgehen lassen, zu den ersten Opfern des Krieges gehören auch die verbliebenen Bestandteile jener Weltordnung, die Europa in den vergangenen fünf Jahrzehnten ein gewisses Maß an Stabilität verliehen hat.

Die offizielle Begründung für den Angriff der Nato - es gelte, eine humanitäre Katastrophe zu verhindern und den Kosovo-Konflikt einzudämmen - hat sich innerhalb kürzester Zeit als Täuschung erwiesen. Anstatt die Krise auf dem Balkan zu lösen, balkanisiert dieser Krieg die Weltpolitik. Es droht ein Flächenbrand, der sich auf die gesamte Region ausdehnt und ganz Europa in Mitleidenschaft zieht.

Wie unschwer vorauszusehen war, haben die Luftangriffe auf Ziele in Serbien und im Kosovo eine der größten Fluchtbewegungen seit Beginn der Krise im ehemaligen Jugoslawien ausgelöst. Nach Angaben der albanischen Regierung sind seit Beginn der Offensive fast 100.000 Flüchtlinge über die gebirgige Grenze aus dem benachbarten Kosovo gekommen. Die Nato selbst spricht sogar von 500.000 Kosovo-Albanern, die sich zur Zeit auf der Flucht befinden.

Diese Angaben lassen sich ebensowenig überprüfen, wie Behauptungen der albanischen Regierung, mehrere tausend Kosovaren seien von serbischen Einheiten auf barbarische Weise umgebracht worden. Seit sich sämtliche OSZE-Beobachter und Journalisten aus dem Kosovo zurückgezogen haben, fällt es schwer zu unterscheiden, was Wahrheit und was Kriegspropaganda ist. Dennoch steht außer Zweifel, daß die Nato-Offensive gegen Serbien das Wechselspiel von nationalem Haß und Gewalt im Kosovo weiter verschärft hat. Das ergibt sich schon aus dem gesamten Lauf der bisherigen Ereignisse.

Seit dem Auseinanderbrechen Jugoslawiens lief das Eingreifen der Großmächte darauf hinaus, den Vielvölkerstaat in immer kleinere autonome Einheiten aufzuspalten. Das wurde teils mit dem Recht der Nationen auf Selbstbestimmung, teils mit humanitären Motiven begründet. Im Ergebnis hat es dazu geführt, Erbitterung und nationale Ressentiments zu schüren und rechten nationalistischen Cliquen an die Macht zu verhelfen, die abwechselnd von den Großmächten unterstützt und gegeneinander ausgespielt werden.

Die Krise im Kosovo ist ein Ergebnis dieser Politik. Sie war seit langem abzusehen. Aber solange das Regime in Belgrad gebraucht wurde, um das Dayton-Abkommen in Bosnien durchzusetzen, wurde sie ignoriert. Dann begannen die westlichen Mächte, die Untergrundarmee UCK aufzurüsten und diplomatisch aufzuwerten. Deren Strategie war darauf ausgerichtet, durch Anschläge auf serbische Einrichtungen Vergeltungsmaßnahmen herauszufordern und ein Eingreifen der Nato zu provozieren.

Inzwischen werden - insbesondere gegen Washington - immer wieder Vorwürfe laut, eine friedliche Lösung sei gezielt verhindert worden. So wirft der Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE, Willy Wimmer, den USA vor, sie hätten die OSZE und die Kontaktgruppe "völlig an die Wand gespielt". In einem Interview mit dem Deutschlandfunk sagte er Mitte Januar: "Man muß oft den Eindruck haben, daß die Europäer deshalb nichts zustande bringen dürfen, damit die Vereinigten Staaten hier eingreifen können. Möglicherweise verfolgt man mit der Balkan-Politik ganz andere Dinge."

Die offizielle Begründung für den Angriff auf Serbien, der über Jahre angestaute nationale Haß müsse mit Bomben gedämpft werden, glich schließlich dem Bemühen, ein Feuer mit Benzin zu löschen.

Jetzt entfaltet der Krieg seine eigene Logik. Während das offizielle Ziel der Nato weiterhin darin besteht, die serbische Regierung zur Unterzeichnung eines Abkommens zu zwingen, das eine Autonomie des Kosovo im Rahmen des serbischen Staates festschreibt, hat die Eskalation des Kriegs einer solchen Lösung längst den Boden entzogen.

Mit jedem Tag, an dem sich das Gemetzel im Kosovo verschärft, werden die Rufe nach dem Einsatz von Nato-Bodentruppen oder einer massiven Aufrüstung der UCK lauter. In beiden Fällen wäre die völlige Loslösung oder eine Teilung des Kosovo die unausweichliche Folge. Die Schaffung eines albanischen Ministaates im Kosovo würde wiederum die Forderung nach einem Großalbanien nach sich ziehen und die umliegenden Staaten in den Konflikt hineinziehen: Albanien, das schon jetzt Kriegspartei zu werden droht, und vor allem Mazedonien.

Rund ein Viertel der zwei Millionen Einwohner dieses 1991 gegründeten Staats sind albanischer Herkunft, in der mazedonischen Armee stellen sie sogar die Hälfte der Soldaten. Daneben leben starke serbische, bulgarische und griechische Minderheiten im Land. Wie sehr die Emotionen bereits hochkochen, zeigten am vergangenen Donnerstag die gewalttätigen Demonstrationen serbischer Jugendlicher vor den Botschaften der USA, Großbritanniens und Deutschlands in Skopje.

Auch Griechenland bliebe durch einen Konflikt in Mazedonien nicht unberührt. Es hat sich jahrelang geweigert, auch nur den Namen dieses Staates anzuerkennen, aus Angst, er könnte Gebietsansprüche auf den gleichnamigen nördlichen Teil des eigenen Staates erheben.

Außerdem sind in Mazedonien rund 10.000 Nato-Soldaten stationiert, die für die Überwachung eines Kosovo-Abkommens bereitstehen. Sie könnten in den Krieg hineingezogen werden, ohne daß der massive innenpolitische Widerstand, der in den meisten Nato-Staaten gegen einen solchen Einsatz besteht, überwunden werden müßte.

Auch Montenegro, das an Albanien, den Kosovo, Serbien und Bosnien grenzt, wird von der Nato massiv unter Druck gesetzt, sich aus dem jugoslawischen Staatsverband zu lösen.

Die brüchige Waffenruhe in Bosnien ließe sich unter diesen Umständen kaum aufrecht erhalten, denn mit welcher Begründung könnte eine Abtrennung des serbischen Teils von Bosnien noch verhindert werden, wenn sich der Kosovo und Montenegro mit militärischer Unterstützung der Nato von Jugoslawien lösen?

Der gegenwärtige Krieg hat also das Potential zu einem Flächenbrand mit unabsehbaren Folgen und es gibt nicht den geringsten Hinweis darauf, daß die Regierungen, die diesen Krieg vom Zaum gebrochen haben, eine Antwort darauf haben.

Eine weitere Folge des Kriegs gegen Serbien ist die dramatische Verschlechterung der Beziehungen zu Rußland. Innerhalb Europas droht eine Neubelebung des Kalten Krieges, die auch auf die geplante Osterweiterung der EU und der Nato tiefgreifende Auswirkungen hätte.

Die russische Regierung hat im Rahmen der Kontaktgruppe das Autonomieabkommen für den Kosovo mit getragen, aber seine Erzwingung mit militärischen Mitteln strikt abgelehnt. Der demonstrativen Mißachtung des russischen Vetos und der Angriff auf ein Land, das traditionell mit Rußland verbündet ist, hat eine Welle der Empörung ausgelöst, die ein nationalistisches Regime an die Macht zu spülen droht.

Die Regierung von Jewgenij Primakow hat darauf zunächst mit symbolischen Gesten reagiert -der Absage eines Staatsbesuchs in Washington und dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zur Nato. Kühlt sich das Verhältnis dauerhaft ab, hätte dies schwerwiegende Folgen für das innere Gleichgewicht Europas.

Der französische Präsident Chirac hat nun, in Absprache mit der deutschen Regierung, den russischen Premierminister dafür gewonnen, als Vermittler nach Belgrad zu fahren. So soll der Bruch mit Rußland gekittet werden. Primakow soll der serbischen Regierung vorschlagen, daß sich auch ein starkes russisches Kontingent an einer Friedenstruppe im Kosovo beteiligt. Diese könnte dann unter dem Banner der UNO statt dem der Nato agieren.

In den europäischen Nato-Ländern haben sich in den ersten Kriegstagen die politischen Parteien bis auf einige Ausnahmen geschlossen hinter ihre Regierungen gestellt. In der Presse waren dagegen von Anfang an kritische Töne zu vernehmen. Zwei Themen herrschten dabei vor.

Zum einen die Sorge darüber, daß der Angriff auf Serbien ohne Mandat der UNO unter offensichtlicher Mißachtung des geltenden internationalen Rechts erfolgte.

"Was unkommentiert vor den Augen der Zeitgenossen zusammenbricht, ist etwas schon erreichtes, mühsam Aufgebautes: das Völkerrecht," lautete ein typischer Kommentar in der deutschen Presse. "Im Völkerbund, im Kellogg-Pakt und letzten Endes in der Charta der Vereinten Nationen haben sich die Völker gegenseitig versprochen, ihre Grenzen unter allen Umständen zu respektieren und sich nicht in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten einzumischen." ( taz 25. März 1999)

Die unausgesprochene Befürchtung in all diesen Kommentaren ist, daß hier ein Präzedenzfall geschaffen wird, der das Faustrecht, das Recht des Stärkeren in die internationalen Beziehungen einführt. Wenn heute das Veto von Rußland und China im Sicherheitsrat mißachtet wird, warum dann morgen nicht auch das von Frankreich, Großbritannien oder Deutschland, das einen ständigen Sitz anstrebt?

Das zweite Thema ist die Frage, was kommt, wenn der Krieg weiter eskaliert. Es ist offensichtlich, daß die meisten europäischen Regierungen auf eine solche Entwicklung nicht vorbereitet sind und gehofft hatten, die Kriegsdrohung werde ausreichen, um Belgrad zum Einlenken zu bewegen.

Herbert Kremp fragt in der konservativen Welt besorgt: "Alle Fragen, die jetzt zu stellen sind, kommen immer wieder auf den wesentlichen Punkt zurück: Haben die westlichen Politiker den Gegner richtig eingeschätzt, bevor sie die Nato zum Angriff autorisierten?"

Und Josef Joffe, ein Befürworter des Nato-Angriffs, schreibt in der Süddeutschen Zeitung: "Das ethnische Beben, das 1991 wieder ausbrach, ist gegen Marschflugkörper immun. Was nach den Bomben kommen soll? Es gibt nur eine einzige gute Antwort: keinesfalls Bodentruppen, die den Frieden erst erkämpfen müssen."

Trotzdem erschallt der Ruf nach Bodentruppen immer lauter. As erster hochrangiger Diplomat hat sich der österreichische EU-Beauftragte für den Kosovo, Wolfgang Petritsch, offen dafür ausgesprochen. Auch der ehemalige Kommandeur der UN-Friedenstruppe in Bosnien, der französische General Philippe Morillon, hält den Einsatz von Bodentruppen für unvermeidlich.

Die deutsche Regierung hat auf entsprechende Anfragen stets ausweichend reagiert. Das es aber auch hier entsprechende Überlegungen gibt, zeigt das Auftreten des früheren Verteidigungsministers Volker Rühe, der lautstark für den Rückzug der 3000 deutschen Soldaten aus Mazedonien eintritt. Er fürchtet offenbar, daß diese Soldaten, obgleich eigentlich als Vorhut einer Friedenstruppe entsandt, zur Vorhut einer Kampftruppe werden könnten.

Der Einsatz von Bodentruppen würde die Konflikte innerhalb Nato und innerhalb der europäischen Länder weiter verschärfen.

In Deutschland, das sich seit der Niederlage von 1945 an keinem Krieg mehr beteiligt hat, würde ein solcher Einsatz einen Schock auslösen. Schon jetzt haben sich 400 Mütter der in Mazedonien stationierten Soldaten zusammengeschlossen, um einen Kriegseinsatz zu verhindern. Sie wollen zu diesem Zweck Kontakt zu Soldatenmüttern in Serbien aufnehmen.

In Italien und Frankreich sind die Regierungskoalitionen schon jetzt über den Nato-Einsatz gespalten. In Frankreich wird er von der Kommunistischen Partei unter Robert Hue und der Bürgerbewegung von Innenminister Jean-Pierre Chevènement, in Italien von den Italienischen Kommunisten unter Armando Cossutta und den Grünen abgelehnt. Eine weitere Eskalation des Krieges könnte vor allem in Italien, wo selbst die katholischen Bischöfe gegen den Krieg auftreten, zum Sturz der Regierung führen. Cossuttas Partei hat bereits mit dem Rückzug ihrer Minister gedroht und das Parlament hat die Einstellung der Luftangriffe und die sofortige Wiederaufnahme der Verhandlungen gefordert.

Noch stärker ist die Opposition gegen den Krieg in Griechenland, wo sich auch die Regierung geschlossen dagegen stellt. Das Nato-Mitglied unterhält nicht nur traditionell enge Beziehungen zu Serbien, sondern ist über Mazedonien auch direkt von den Auswirkungen des Krieges betroffen.

Während es in der europäischen Bevölkerung zweifellos eine breite Opposition gegen den Krieg gibt, entspringt die regierungsamtliche "Opposition", die ihren Widerhall auch in der Presse findet, vor allem machtpolitischen Überlegungen: der wachsenden Rivalität mit den USA, deren Einmischung in europäische Angelegenheiten als Versuch empfunden wird, Europa zu schwächen.

Siehe auch:
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