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Die USA und der Balkankrieg: Unterwegs in die Katastrophe

Von der Redaktion
7. April 1999
aus dem Amerikanischen (6. April 1999)

Kaum zwei Wochen hat es gedauert, bis die von den USA initiierte Bombardierung Jugoslawiens eine gewaltige Flüchtlingskrise ausgelöst und den gesamten Balkan an den Rand eines totalen Krieges gebracht hat. Die militärischen Ziele werden von den Vereinigten Staaten und ihren NATO-Verbündeten täglich umformuliert, während der Krieg immer barbarischere Dimensionen annimmt.

Man darf sich nichts vormachen: Die Bevölkerung in Europa und in den USA wird in eine Katastrophe unabsehbaren Ausmaßes gezerrt. Mit diesem Preis bezahlt die Menschheit die Politik der skrupellosen Elite, die in der Regierung der USA imperialistische Interessen verfolgt.

Was das Weiße Haus noch gestern behauptete, wird durch seine heutigen Erklärungen widerlegt. Hatte Clinton zunächst den künftigen Einsatz von Bodentruppen ausgeschlossen, so wird nun ohne jegliche Diskussion oder Erklärung die Entsendung einer 2000 Mann starken Truppe angekündigt, die Kampfhubschrauber vom Typ Apache gegen serbische Truppen im Kosovo einsetzen soll.

Albanien soll in eine Festung von USA und NATO verwandelt werden, in der 8000 Soldaten stationiert werden; die Truppenstärke der NATO in Mazedonien wird gleichfalls erhöht, sowie die Bombardierung Belgrads und anderer serbischer Städte verschärft.

Die Entwicklung des Krieges widerlegt von Tag zu Tag die Erwartungen der maßgeblichen US-Politiker, die ihre Fehlkalkulationen stets durch einen noch stärkeren Einsatz militärischer Gewalt auszugleichen versuchen. Dadurch wiederum werden das Chaos, das massenhafte Leid und die politische Destabilisierung der gesamten Region gesteigert. Die Spannungen mit den übrigen regionalen Mächten, insbesondere mit Rußland, nehmen zu. Washington reagiert darauf, um seine "Glaubwürdigkeit" zu wahren, mit einer neuerlichen Eskalation des Krieges.

Der immer weiter um sich greifende Konflikt entfaltet sich vor den Augen einer Öffentlichkeit, die von einer ungeheuerlichen Propagandakampagne der Medien betäubt wird und kaum in der Lage ist, mit den Ereignissen Schritt zu halten. Doch allein schon das Tempo der Ereignisse macht deutlich, daß die Kriegstreiberei unter Führung der USA ihre eigene Dynamik entwickelt, die sich der Kontrolle der Beteiligten teilweise entzieht.

Die Tragik der bisherigen Ereignisse - innerhalb von weniger einem Monat - läßt die sich anbahnende Katastrophe vorausahnen. Am 18. März gaben die USA und die NATO bekannt, daß die Befreiungsarmee des Kosovo (UCK) ein Friedensabkommen unterzeichnet habe, das die jugoslawische Regierung verpflichte, dem Kosovo die frühere Autonomie wieder in vollem Umfang einzuräumen sowie die Stationierung von 28.000 NATO-Soldaten in der serbischen Provinz zu akzeptieren. Nach drei Jahren (in dieser Zeit würde die UCK unter dem Schutz von USA und NATO ihre Machtstellung ausbauen) sollte dann die Forderung der Separatisten nach einem unabhängigen Kosovo entschieden werden. Dieses einseitige Abkommen wurde Belgrad unter der Androhung, die NATO werde bombardieren, als Ultimatum vorgelegt.

Clinton, sein nationaler Sicherheitsberater Samuel Berger und Außenministerin Madeleine Albright rechneten sich aus, daß der jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic, um Luftangriffen zu entgehen, ihre Bedingungen entweder gleich annehmen oder andernfalls bald nachgeben werde, sobald die ersten Bomben gefallen seien. Milosevic gab nicht nach, und am 24. März begannen die Luftschläge.

In einer Ansprache an die Nation erklärte Clinton der amerikanischen Bevölkerung am selben Tag, der Zweck der Bombardierung sei die "Beschädigung" der militärischen Kapazitäten Belgrads, das zur Unterzeichnung des in Frankreich ausgehandelten Abkommens gezwungen werden solle. Zur augenscheinlichen Überraschung der USA reagierte Belgrad jedoch mit einer Militäroffensive gegen die albanische Bevölkerung des Kosovo. Das Ergebnis war genau das, was die Bombardierung angeblich hatte verhindern sollen - eine Massenflucht der Kosovaren in die Nachbarländer Albanien und Mazedonien sowie in die jugoslawische Republik Montenegro.

Als die ersten Bombenabwürfe auf serbische Truppen im Kosovo nicht die gewünschten Resultate zeigten, bestanden die USA darauf, daß auch Belgrad und weitere zentrale Städte in Serbien bombardiert werden müßten. Seither wurden die Kriegsziele der USA und der NATO parallel zur Eskalation der Militäroffensive immer mehr erweitert.

Inzwischen fordern Washington und die NATO offiziell die sichere Rückkehr der Hunderttausenden Flüchtlinge aus dem Kosovo. Inoffiziell fordern verschiedene NATO-Kreise den Einsatz von Truppen, um die Albaner zurück zu ihren Dörfern und Städten zu "geleiten", sowie die Einrichtung eines von US- und NATO-Truppen kontrollierten Protektorats in der gesamten Provinz oder in einem Teilbereich. Andere erklären, daß man die Forderung nach Autonomie für das Kosovo überhaupt durch den Kampf für einen unabhängigen Staat ersetzen solle. Typisch war eine Kolumne, die Clintons früherer Außenminister Warren Christopher in der Washington Post veröffentlichte. Unter der Überschrift "Mit allen nötigen Mitteln" schrieb Christopher: "Wir - die NATO und die USA - müssen uns im Kosovo durchsetzen. Wir müssen dieses Ziel unzweideutig verfolgen und dabei alle Gewaltmittel einsetzen, die sich als notwendig erweisen."

Es gibt eine Unmenge Fragen, die Christoph und die übrigen Befürworter einer Bodeninvasion nicht ansprechen. Welche Bedeutung hätte eine solche Intervention, zunächst einmal, für den Balkan?

Sprechen Christopher und seine Anhänger von einer Flächenbombardierung Jugoslawiens? Schließen sie den Einsatz taktischer oder sogar strategischer Nuklearwaffen aus?

Wie wollen jene, die sich für die Absetzung Milosevics stark machen, dieses Ziel erreichen, und um welchen Preis? Die einzig logische Schlußfolgerung, die sich aus solchen Forderungen ergibt, ist die langfristige Besetzung Serbiens und dessen Verwandlung in eine de-facto-Kolonie der USA.

Eine solche Politik würde die unbefristete Entsendung Hunderttausender amerikanischer und NATO-Truppen in ein feindliches Gebiet nach sich ziehen. Wie viele Tausend amerikanische und europäische Soldaten sind die führenden US-Politiker bereit, im Namen der "nötigen Mittel" zu opfern? Wie viele Tausend, oder gar Millionen Serben?

Selbst unter der Annahme, daß die US- und NATO-Truppen einen raschen militärischen Sieg erringen, was durchaus nicht selbstverständlich ist, würde die Eroberung Serbiens einen neuen Komplex explosiver Schwierigkeiten mit sich bringen. Welche Maßnahmen würden zum Beispiel eingesetzt, um Kräften und Regierungen entgegenzutreten, die den besiegten Serben von außen Hilfe und Unterstützung leisten würden? Denn mit Sicherheit würden letztere eine Exilregierung bilden. Würden Angriffe auf amerikanische Truppen in Serbien dann Vorstöße nach Rumänien oder Bulgarien erfordern?

Darüber hinaus stellen sich entscheidende Fragen, die weit über Südosteuropa hinausgehen. Wie steht es mit Rußland? Wie lange würde es dauern, bis ein Einmarsch der USA und der NATO zu einer ausgewachsenen militärischen Konfrontation mit Moskau führen würde, das bekanntlich nach wir vor über ein umfangreiches Arsenal an Atomwaffen verfügt?

Clinton, Albright und Co. versichern uns seelenruhig, daß die Ereignisse auf dem Balkan Rußland niemals bis zu einem militärischen Konflikt mit dem Westen treiben können. Doch Dummheit und Stolz wachsen bekanntlich auf einem Holz, und die Folgen können in diesem Falle fatal werden. Die USA behaupten, daß das Schicksal des Kosovo, Tausende Meilen von Amerika entfernt, zu ihren entscheidenden Interessen zähle, während sie leugnen, daß Rußland, dessen geopolitische Interessen auf dem Balkan Jahrhunderte zurückreichen, in dieser Region vitale Interessen hat. Die Politiker scheinen zu übersehen, daß der Balkan 45 Jahre lang eine Schlüsselstellung im Verteidigungsring der Sowjetunion einnahm. Und zuvor war Rußland durch einen ausländischen Angriff auf seinen Verbündeten Serbien zum Eintritt in den Ersten Weltkrieg veranlaßt worden.

Auch über die innenpolitischen Auswirkungen eines von den USA angeführten Bodenkrieges findet keinerlei öffentliche Diskussion statt. Ein Einmarsch und eine Besetzung Serbiens würde unweigerlich Hunderttausende amerikanischer Soldaten in eine Jahre andauernde Kampfsituation bringen. Ein solches Unterfangen könnte nicht mit einer Freiwilligenarmee bewältigt werden. Es würde die Wiedereinführung der Wehrpflicht erfordern.

Ein totaler Krieg hätte darüber hinaus enorme wirtschaftliche und soziale Folgen zum Schaden der arbeitenden Bevölkerung. Die Militärausgaben würden auf Kosten der letzten verbliebenen Sozialprogramme ins Unermeßliche steigen. Jeder Krieg schürt die Inflation, und dies wiederum führt zu steigenden Zinsen. Der gegenwärtige Aktienboom, der durch niedrige Zinssätze und billige Kredite genährt wurde, würde rasch unterhöhlt werden. Eine tiefe Rezession mit Massenarbeitslosigkeit wäre die Folge.

Wer immer geneigt ist, auf Clintons Zusicherungen zu vertrauen, wonach der eskalierende Militäreinsatz auf dem Balkan für die amerikanische Bevölkerung relativ schmerzlos verlaufen werde, sollte sich die Beispiele früherer größerer Bodenkriege in den letzten fünfzig Jahren ins Gedächtnis rufen. Die Vereinigten Staaten stolperten in einen Krieg mit China, nachdem General Douglas MacArthur 1950 dem Präsidenten Truman versichert hatte, daß chinesische Truppen niemals in Korea intervenieren würden. Der Vietnamkrieg begann mit der Entsendung von 16.000 US-Beratern, aber auch hier wurden Fehlkalkulationen, Irrtümer und eine gewaltige Überschätzung der Wirkung bloßer militärischer Macht im Interesse amerikanischer Ziele zum Ausgangspunkt für ein langes Blutvergießen.

Siehe auch:
Weshalb wurde die Clinton-Regierung von den Ereignissen in Kosovo überrascht?
(2. April 1999)
Die Logik des Krieges - Der Angriff auf Serbien hat Auswirkungen auf ganz Europa
( 31. März 1999)
Rot-grüner Militarismus - Die deutsche Regierung und der Krieg gegen Serbien
( 31. März 1999)
Weitere Artikel zum Kosovo-Konflikt
Englisch-sprachige Artikel zum Kosovo-Konflikt