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Die Pilotenstreiks bei Northwest und Air Canada und die Globalisierung der Fluggesellschaften
Von Jerry White
12. September 1998 Aus dem Englischen (4. September 1998)
Die Pilotenstreiks der Fluggesellschaften Northwest Airlines und Air
Canada sind die jüngsten einer ganzen Reihe von Arbeitskämpfen
im internationalen Flugverkehr. Allein im letzten Jahr haben die Piloten
von British Airways, Air France, All Nippon Airways, Cyprus Airways und
der Philippine Airlines die Arbeit niedergelegt. Auch streikten das Flug-
und Bodenpersonal in Mexiko, Spanien, Südafrika und anderen Ländern.
Die großen Fluggesellschaften versuchen gemeinsam, Lohnerhöhungen
zu verhindern, die Produktivität zu steigern und Arbeitsplätze
an Standorte mit Billiglöhnen zu verlagern. Im letzten Jahrzehnt haben
sie transnationale Allianzen gebildet, um die globalen Arbeitskraftreserven
auszubeuten.
Die Luftfahrtindustrie ist schon von Natur aus seit langem international.
Doch in den 80er Jahren hat der Globalisierungsprozess eine sprunghafte
Entwicklung dieser Branche eingeleitet. Die transnationale Produktion hat
zu dramatischen Steigerungen im Personen- und Gütertransport geführt.
In den 90er Jahren erreichte das Ausmaß internationaler Integration
und grenzüberschreitender Fusionen einen neuen Höhepunkt. Zu
Beginn dieses Jahrzehnts hatten die US-Fluggesellschaften Verluste von
8 Mrd. Dollar zu verzeichnen. Dies war auf mehrere Faktoren zurückzuführen:
die wirtschaftliche Rezession, der Rückgang im Luftreiseverkehr, die
steigenden Ölpreise während des Golfkriegs und der Preisverfall
aufgrund von Überkapazitäten. 1993 suchten sich Gesellschaften
wie die vom Bankrott bedrohte Northwest Airlines globale Partner, die ihnen
ermöglichten, bei niedrigem Kostenaufwand die Weltmarktaktivitäten
auszudehnen.
Gleichzeitig wollten die amerikanischen Fluglinien auf dem europäischen
Markt vordringen, um bei der Errichtung eines neuen einheitlichen Markts
für den Luftverkehr der EU nicht außen vor zu bleiben.
Eine ganze Periode lang waren die Fluglinien weltweit an strikte Regulierungen
einzelner Regierungen gebunden. Dies betraf Beschränkungen bei Flugrouten,
Preisen, Steuern, Passagier- und Frachtaufkommen, Gewinnrückführung
und Landegenehmigungen sowie die Zahl der Landebahnen auf den Flughäfen.
In einigen Ländern gab es auch beschränkte Garantien für
Tarifverträge. Viele europäische Linien sowie die Fluggesellschaften
in unterentwickelten Ländern waren staatlich.
Die Einführung des "freien Markts" in den USA mit der Deregulierung
1978 bedeutete immense Veränderungen für die amerikanischen Luftfahrt,
die größte der Welt. Eine Welle von Pleiten, Fusionen und feindlichen
Übernahmen führte zur Zerstörung von Zehntausenden von Arbeitsplätzen,
zur Vernichtung von gewerkschaftlichen Rechten und zur Ersetzung von Vollzeit-
durch Teilzeitarbeitsplätze. In den kapitalistischen Ländern
der ganzen Welt übernahmen die Fluggesellschaften diese Methoden,
um "wettbewerbsfähig" zu bleiben. Bald wurden eine Vielzahl staatlicher
Gesellschaften privatisiert, angefangen mit British Airways und Japan Air
Lines im Jahr 1987. Staatliche Regulierungen und die nationale Begrenztheit
von Anteilseignern und Management der Fluglinien wurden aufgehoben. Damit
einhergehend erlebten die Beschäftigten der Fluggesellschaften Angriffe
auf ihre Rechte im amerikanischen Stil.
Um den amerikanischen Fluglinien das Vordringen auf dem Weltmarkt zu
erleichtern, forcierte die amerikanische Regierung die Deregulierungsmaßnahmen.
Die Bush-Regierung handelte als erstes ein Abkommen über "offenen
Luftraum" mit den Niederlanden aus. Die Vereinbarung ermöglichte den
Luftfahrtgesellschaften beider Länder unbeschränkten Service
sowohl auf dem Territorium beider Länder als auch außerhalb,
beendete alle Beschränkungen der Flugfrequenzen, der Nutzung bestimmter
Flugzeugtypen und der Preise.
Damit wurde der ersten transatlantischen Allianz der Weg geebnet, die
die amerikanische Northwest Airlines mit der KLM Royal Dutch Airlines 1993
schloß. Die beiden Fluglinien operierten, als ob sie eine wären.
Unter anderem konnte die Agentur einer Gesellschaft Passagieren Flugtickets
für die gesamte Reiseroute verkaufen, obwohl einige Abschnitte von
der anderen Gesellschaft bedient wurden.
Das immer komplexere Netz grenzüberschreitender Kooperationen
beschleunigte die Auflösung nationaler Regulierungen. Regierungsvertreter
konnten in bilateralen Verhandlungen immer weniger ihr sogenanntes "nationale
Interesse" identifizieren. In Wirklichkeit handelt heute jede nationale
Regierung im Interesse riesiger transnationaler Fluggesellschaften und
deren Profitstreben.
Die Clinton-Regierung hat in den letzten drei Jahren 30 weitere Vereinbarungen
über "offenen Luftraum" ausgehandelt. Sie betreffen Länder in
Europa, dem Nahen Osten, Asien und Mittelamerika. Noch liberalere Abkommen
wurden mit Kanada, Frankreich und Japan getroffen. Gleichzeitig hat das
amerikanische Verkehrsministerium den größeren Gesellschaften,
die globale Allianzen geschlossen haben, Schutz vor kartellrechtlichen
Beschwerden garantiert.
Globale Allianzen
Die Fluggesellschaften haben globale Allianzen genutzt, um ihren Marktanteil
zu vergrößern, ohne die Kosten durch den Kauf neuer Flugzeuge,
Marketing und Neueinstellungen zu erhöhen. Diese "Quasi-Fusionen"
haben nach dem Zusammenschluß von Northwest-KLM in der gesamten Branche
zugenommen. In den nächsten fünf Jahren werden fünf bis
zehn solcher Allianzen den Weltmarkt dominieren, stellte kürzlich
ein Finanzprüfungsbericht der Luftfahrtindustrie fest.
Die drei größten globalen Zusammenschlüsse sind folgende:
Star Alliance: United Airlines, Scandinavian Airlines, Lufthansa, Air
Canada, Thai Airways, Singapore Airlines, Air New Zealand und Ansett Australia
Delta Alliance: Delta Air Lines, Sabena, Swissair, Finn Air, Austrian
Airlines, Air Portugal, Air France und Aer Lingus
British Airways-American Airlines: BA, AA, Qantas, Finnair, Iberia,
Cathay Pacific, Japan Air Lines, Lan Chile, Argentinean Airline, und Canadian
Air Lines.
Auf den dramatisch verschärften internationalen Wettbewerb haben
die Fluggesellschaften mit Kostensenkungsmaßnahmen, Entlassungen,
Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen und Druck auf Löhne und
soziale Leistungen reagiert. In letzten Juni wurden den streikenden Air-France-Piloten
erklärt, sie müßten mit den Lufthansa-Piloten konkurrieren,
die 1992 eine 24prozentige Gehaltskürzung akzeptiert hatten. Auch
müßten sie eine Arbeitszeitverlängerung im Cockpit hinnehmen,
um im Wettbewerb mit der deutschen Fluggesellschaft und British Airways
zu bestehen. Diese Methode des gegenseitigen Ausspielens hat dazu gedient,
die Bedingungen für die Beschäftigten weltweit auf den niedrigsten
gemeinsamen Nenner herunterzuschrauben.
1997 veröffentlichte die Internationale Transportarbeiter-Föderation
(International Transport Workers Federation ITF) eine Studie über
die Auswirkungen der Liberalisierung und Globalisierung auf Arbeitsplätze,
Arbeitsbedingungen und Arbeitsbeziehungen weltweit. Die Studie, die in
der Wirtschaftsakademie von Cardiff erstellt wurde, stützte sich auf
Gewerkschaften, die eine halbe Million Beschäftigte repräsentieren.
Danach waren 78 Prozent mit einer Verschärfung der Arbeitsintensität
konfrontiert, 40 Prozent berichteten über Lohnsenkung oder Lohnstopp.
Zwei Drittel erklärten, daß ihr Arbeitsplatz nicht mehr sicher
sei. Über die Hälfte der Betroffenen hatten Erfahrungen mit der
Vergabe von Arbeiten an Subunternehmer gemacht. 68 Prozent berichteten
über den Verlust ihrer Arbeitsmotivation.
Viele große Fluggesellschaften haben außerdem Billiglinien
eingerichtet, das Bodenpersonal vermehrt ausgegliedert und einige Arbeitsbereiche,
wie die Wartung und die Datenverarbeitung, in Niedriglohnländer ausgelagert.
Auch stellen sie ihr fliegendes Personal immer häufiger aus unterschiedlichen
Ländern zusammen.
1997 beschrieb Stuart Howard, der zuständige Flugverkehrssekretär
der International Transport Workers Federation, wie beispielsweise
die British Airways nur noch "faktisch als Fluglinie" agiert.
"Es ist bereits so, daß Passagiere, die einen BA-Flug gebucht
haben, in Wirklichkeit gar nicht mit BA-Flugzeugen fliegen. BA operiert
mit einem Netzwerk von Zubringerrouten, auf denen Billiglinien fliegen.
Diese streichen ihre Flugzeuge in den Farben von BA und beschäftigen
billigere, nicht gewerkschaftlich organisierte Crews in BA-Uniformen. BAs
jüngster Plan besteht darin, die Konzession für einige Routen
von Gatswick nach Tampa an eine Gesellschaft namens Airline Management
Limited (AML) abzutreten, die weder Maschinen noch Personal besitzt. Diese
will BA dann per Leasing-Verfahren an AML ausleihen!
Vereinbarungen über gemeinsame Codes verbinden die BA mit ihren
Allianzpartnern auf der ganzen Welt. Jeder BA-Passagier, der einen Flug
von London nach Sydney gebucht hat, wird beispielsweise seinen Flug mit
Qantas beenden. Die Buchungsinformation ist nicht mehr über eine Buchungszentrale
in London erhältlich. Im März dieses Jahres hat BA die Passagierverwaltungsabteilung
nach Indien verlegt.
Qantas ihrerseits plant die Auslagerung einiger internationaler Routen
an billige asiatische Linien und hat ihrem Flugpersonal erklärt, seine
Arbeitskosten müßten an die der asiatischen Nachbarn angeglichen
werden. Swissair lagert alle Flüge mit weniger als 100 Passagieren
an die nicht gewerkschaftlich organisierte Crossair aus.
Vor zehn Jahren stammten alle Beschäftigten des Flugpersonals
der BA aus Großbritannien. Jetzt stellt die Gesellschaft ihr Personal
in der ganzen Welt zusammen, es stammt aus Delhi, Buenos Aires, Hong Kong
und anderen Orten. United Airlines setzt die Crews fast jeden Monat neu
zusammen, von Hong Kong über Seoul nach Paris. Lufthansa hat Crews
in Indien und Thailand zusammengestellt, und Swissair hat angekündigt,
sie wolle dasselbe in Indien, Thailand und Korea tun."
Globalisierung und die Gewerkschaften
Die Fluggesellschaften spielen die Arbeiter weltweit gegeneinander
aus, um ihre Gewinne zu steigern. Statt dagegen Widerstand zu leisten,
haben die Gewerkschaften in den USA, Europa, Japan, Australien und anderen
Ländern eine Verschlechterung nach der nächsten unterschrieben,
immer mit dem Argument, man könne Arbeitsplätze nur retten, wenn
die Arbeiter die "ausländische Konkurrenz" unterbieten und "ihre eigenen"
Unternehmen profitabler machen.
Doch es wird immer klarer, daß die Beschäftigten der Flugindustrie
ihre Arbeitsplätze und Bedingungen nicht auf nationalistischer Grundlage
verteidigen können. Kürzlich schrieb ein Northwest-Pilot in einem
Internetforum für Piloten, dem "Professional Pilots Rumors and News
Network": "Die NWA-Piloten halten jetzt das Banner hoch für alle Piloten
der Welt, und wir tragen es stolz und mit Überzeugung. Piloten rund
um die Welt sollten keine Grenzen kennen. Wir sitzen alle im selben Boot.
Wir müssen im Interesse von allen zusammenhalten." Dasselbe Gefühl
brachten KLM-Piloten zum Ausdruck, als sie Sympathiestreiks für die
Northwest-Piloten androhten und sich weigerten, NWA-Routen zu fliegen.
Diese Stimmung ist so stark, und die Absichten der Fluggesellschaften
sind so leicht zu durchschauen, daß die Pilotengewerkschaften sich
gezwungen sahen, eine Art internationale Kooperation einzugehen. Auf einem
Treffen in Tokio am 27. August gründeten einige Gewerkschaften, die
international 24.000 Piloten repräsentieren, die "Allianzkoalition".
Ähnlich wie frühere internationale Zusammenschlüsse
stellt jedoch auch dieses Gewerkschaftsbündnis das kapitalistische
Profitsystem, das den Angriffen auf die Beschäftigten zugrundeliegt,
nicht in Frage. Die Zerstörung Hunderttausender Arbeitsplätze
und die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen haben deutlich gemacht,
daß die Interessen der Beschäftigten nicht mit jenen der milliardenschweren
Eigentümer der Flugzeugindustrie und der sie kontrollierenden Wall-Street-Spekulanten
vereinbar sind. Auch hat sich die Politik der Gewerkschaftsführer,
Druck auf nationale Regierungen auszuüben, um die Macht der transnationalen
Konzerne einzuschränken, als ineffektiv erwiesen.
Im Profitsystem dient die Globalisierung der Luftfahrtindustrie der
Bereicherung einer Handvoll Milliardäre auf Kosten von Millionen Arbeitern
weltweit. Einen ernsthaften internationalen Kampf der Arbeiter kann man
nur auf der Grundlage einer Strategie führen, die diesen Milliardären
das Recht abspricht, die Fluggesellschaften zu kontrollieren und die Bedürfnisse
der Arbeiter und Passagiere ihrem Profitstreben unterzuordnen.
Die großen Fortschritte internationaler Planung und Technologie,
die zur internationalen Ausdehnung der Passagierflüge geführt
haben, müssen dem Privatbesitz entrissen und der ganzen Menschheit
zur Verfügung gestellt werden. Nur wenn die internationale Luftfahrt
unter Arbeiterkontrolle gestellt und als grundlegende öffentliche
Dienstleistung gehandhabt wird, ist es möglich, sichere, komfortable
und billige Flüge bereitzustellen. Nur so können der Lebensstandard
der Beschäftigten gesichert und die Ansprüche der Passagiere
befriedigt werden.