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Die letzten Atemzüge der amerikanischen Demokratie

Von Joseph Kishore
8. Februar 2013

Vor kurzem kam eine Denkschrift der Obama-Regierung an die Öffentlichkeit, in der es um die Ermordung amerikanischer Staatsbürger geht. Die Handlungen, die auf der Grundlage der Argumente dieser Denkschrift erfolgen, müssen der amerikanischen und internationalen Arbeiterklasse eine ernste Warnung sein. Die demokratischen Rechte der Bevölkerung sind in größter Gefahr. Die herrschende Klasse Amerikas ist tief in Verbrechen und Gewalt verstrickt und bewegt sich auf eine Diktatur zu.

Der Frontalangriff der Regierung auf demokratische und verfassungsmäßig garantierte Rechte ist unleugbar ein Grund für eine Amtsenthebung. Präsident Obama beansprucht für sich das „Recht“, einseitig und im Geheimen die staatliche Ermordung amerikanischer Staatsbürger anzuordnen. Die Verbrechen Richard Nixons, der vor 40 Jahren von seinem Amt zurücktrat um einem Amtsenthebungsverfahren zuvor zu kommen, verblassen im Vergleich zu Obama, der sich uneingeschränkte Exekutivmacht anmaßt.

Die pseudorechtlichen Argumente des Memos des Justizministeriums, das an die berüchtigten Folter-Memoranden der Bush-Regierung erinnert, lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

Der Präsident und der Militär- und Geheimdienstapparat haben die Macht, nach eigenem internem Ermessen jeden Staatsbürger ermorden zu lassen, den sie als führendes Mitglied von Al-Qaida oder „[mit Al-Qaida] verbündeten Kräften“ einstufen. Diese Macht hat keine geographischen Grenzen und kann auch nicht durch Kontrolle durch den Kongress oder die Justiz begrenzt werden. Das Weiße Haus und seine Berater von Militär und Geheimdienst sind Richter, Anwalt und Henker in einem.

Das ganze Dokument ist geprägt von Doppelzüngigkeit und Spitzfindigkeiten. So macht es zwar die Vorgabe, dass die ausgewählten Opfer eine „unmittelbare Bedrohung durch einen gewaltsamen Angriff“ darstellen müssen, definiert aber „unmittelbar“ so, dass das Gegenteil gemeint ist. Die Regierung muss keine Beweise vorlegen, dass eine bestimmte Aktion geplant ist, oder dass in der unmittelbaren Zukunft etwas passieren wird.

Letzten Endes bleibt von den grundlegenden demokratischen Rechten nichts übrig. Das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit wird abgeschafft. Seine Wurzeln gehen bis ins dreizehnte Jahrhundert zurück. Es ist durch den Fünften Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung geschützt, in dem es heißt, dass niemandem „ohne ein rechtmäßiges Verfahren das Leben genommen werden“ darf.

Die Rechtfertigungen für diesen Griff nach diktatorischen Vollmachten – die nationale Sicherheit und die Anforderungen eines Krieges (in diesem Fall der „weltweite Krieg gegen den Terror“) – sind die gleichen, auf die sich jedes Militärregime und jedes faschistische Regime beruft, von Hitler bis Pinochet.

Dennoch führen diese Entwicklungen nicht zu nennenswertem Widerstand des politischen Establishments und der Mainstreammedien.

Die Reaktion der New York Times, der wichtigsten Zeitung des amerikanischen Liberalismus, ist besonders bedeutsam. Am Mittwoch erschien ein Leitartikel, in dem sich die Times darüber beklagt, dass die Regierung den Beschränkungen, die ihr die Verfassung auferlegt, mit offener und unverhohlener Verachtung begegnet, und schlägt Maßnahmen vor, mit denen das Mordprogramm, dem auch amerikanische Staatsbürger zum Opfer fallen können, einen scheinlegalen Überzug bekommen würde. Es schlägt die Schaffung eines „Sondergerichtes“, [d.h. Geheimgerichtes] vor, „das sich um derart brisante Diskussionen kümmern sollte, ähnlich wie das Sondergericht für Telefonüberwachung.“ Mit anderen Worten, ein Femegericht, das staatliche Morde durchwinkt, ähnlich wie das FISA-Gericht die Überwachung der Bevölkerung absegnet.

Die Times fordert keinen Stopp des Programms der außergerichtlichen Tötungen, und auch nicht, dass Obama und seine Komplizen dafür zur Verantwortung gezogen werden.

In einem Teil der Onlineausgabe der Times, die „Room for Debate“ heißt, präsentiert die Zeitung verschiedene Meinungen über die Morddoktrin. Die meisten Schreiber unterstützen sie. Saikrishna Prakash von der University of Virginia School of Law (und ehemaliger Mitarbeiter des Richters am Obersten Gerichtshof, Clarence Thomas) erklärt, die rechtlichen Argumente der Denkschrift seien „umfassend.“

Gregory McNeal von der Pepperdine University (und ehemaliger Top-Berater der Militärkommission für Guantanamo Bay unter der Bush-Regierung) betont: „In Kriegszeiten wird die Entscheidungsgewalt über die Wahl von Zielen politischen Amtsträgern gegeben, und nicht ungewählten Richtern, die sich nicht verantworten müssen.“

Die Kritik, die die Times am Programm präsentiert, ist verhalten. Jameel Jaffer von der American Civil Liberties Union befürchtet, dass man die Verantwortung für solche Aktionen nicht nur der Exekutive übertragen dürfe, weil sie „Fehler machen“ könne.

So sieht die offizielle „Debatte“ aus.

Das liberale Establishment akzeptiert und unterstützt, dass der Präsident die Ermordung von Menschen, auch von amerikanischen Staatsbürgern, anordnen kann. Das ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen Rechtswende. Seit die Demokratische Partei jeden Kampf für soziale Reformen eingestellt hat, akzeptiert sie auch Angriffe auf demokratische Grundrechte– von der Vertuschung der Iran-Contra-Affäre in den 1980ern; über den rechten Putschversuch durch Kenneth Starrs Untersuchungen und das Amtsenthebungsverfahren gegen Clinton in den 1990ern; den Wahlbetrug im Jahr 2000; die Einführung von Polizeistaatsmethoden nach dem 11. September bis hin zu den Kriegen der 2000er Jahre, die mit Lügen gerechtfertigt wurden.

Die Obama-Regierung, die Demokratische Partei und das liberale Milieu an ihrer Peripherie, die sich aus der oberen Mittelschicht rekrutieren, machen im Inland wie im Ausland eine kriminelle Politik und gehen dabei sogar noch weiter als die Bush-Regierung.

Das lässt sich nicht mit dem „Krieg gegen den Terror“ und dem Kampf gegen Al-Qaida erklären. Hinter diesen ideologischen Vorwänden stecken tiefe politische und soziale Prozesse.

An der Politik der außergerichtlichen Tötungen amerikanischer Staatsbürger zeigt sich der unauflösbare Zusammenhang zwischen Militarismus im Ausland und der Zerstörung der Demokratie innerhalb der Vereinigten Staaten. Als Reaktion auf den Niedergang ihrer wirtschaftlichen Stellung versucht die herrschende Elite, ihre Militärmacht einzusetzen, um ihre globale Vormachtstellung aufrechtzuerhalten. Vor allem seit dem Fall der Sowjetunion haben die USA einen Krieg nach dem anderen geführt. Jetzt betreiben sie außerdem ein Drohnen-Mordprogramm.

Der Niedergang des amerikanischen Kapitalismus ist gleichzeitig einhergegangen mit einer weiteren Konzentration des Reichtums in den Händen einer zunehmend parasitären Finanzaristokratie. Dieser Prozess hat sich seit der Weltwirtschaftskrise von 2008 noch weiter beschleunigt.

Die herrschende Klasse ist sich bewusst, dass die endlosen Angriffe auf Löhne, Arbeitsplätze und Sozialprogramme zu massivem Widerstand führen. Die Rahmenbedingungen für einen Polizeistaat richten sich daher gegen den unweigerlichen Ausbruch von Klassenkämpfen.

Innerhalb der herrschenden Klasse und unter ihren politischen Vertretern bei Demokraten und Republikanern gibt es keinen nennenswerten Rückhalt für Demokratie mehr. Demokratische Rechte lassen sich immer weniger mit der Finanzaristokratie und dem Gesellschaftssystem vereinbaren, auf dem ihre Macht beruht – dem Kapitalismus.

Die Verteidigung demokratischer Rechte, und überhaupt aller sozialen und politischen Rechte, erfordert die unabhängige politische Organisierung und Mobilisierung der Arbeiterklasse im Kampf für den Sozialismus.