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FAZ-Konferenz diskutiert Einschränkung der Demokratie

Von Wolfgang Weber
8. Dezember 2012

Angesichts der weltweiten Finanzkrise seien die Entscheidungsprozesse der Demokratie zu ineffizient und langwierig, daher müsse man überlegen, bestimmte Politikbereiche „demokratiefrei“ zu stellen.

Das forderte der Kölner Professor für Staatsrecht und Rechtsphilosophie, Otto Depenheuer, auf einer „Tendenzwende-Konferenz“ der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), die vor drei Wochen in Berlin stattfand. Die Konferenz stand unter dem Thema „Kapitalismus und Demokratie in der Krise“.

Laut einem Bericht von Reinhard Müller, der am 20. November in der FAZ erschien, fasste Depenheuer seine Forderung prägnant zusammen, indem er Willy Brandts Wahlkampfparole aus dem Jahr 1969, „Mehr Demokratie wagen“, in ihr Gegenteil verkehrte und die Losung „Weniger Demokratie wagen“ ausgab.

Depenheuer propagiert schon seit Jahren extrem rechte, antidemokratische Standpunkte zu aktuellen politischen Fragen. Der knappe Bericht in der FAZ gibt die Ausführungen des Professors leider nicht im Detail wieder. Aber seine Veröffentlichungen der letzten Jahre lassen darauf schließen, was er mit „demokratiefrei stellen“ meint.

Im Jahr 2007 veröffentlichte Depenheuer in der Reihe „Schönburger Gespräche zu Recht und Staat“ beim akademischen Verlag Schöningh ein Buch mit dem Titel „Selbstbehauptung des Rechtsstaats“. Darin stützt er sich explizit auf die Staats- und Rechtskonzeptionen von Carl Schmitt, der vor 80 Jahren mit den Nazis sympathisiert hatte. Als „Kronjurist“ hatte Schmitt für die Nazi-Diktatur die passende, für das akademische Bürgertum verdauliche staatsrechtliche Begründung ausgearbeitet.

Depenheuer wendet sich wie Schmitt entschieden gegen den Staatsbegriff der Aufklärung und des Rationalismus, weil dieser zu sehr von individuellen Rechten gegenüber dem Staat ausgehe. In Wirklichkeit sei das Verhältnis zwischen Bürger und Staat nicht von Grundrechten, sondern von Grundpflichten des Einzelnen gegenüber dem Staat bestimmt. Der Staat und die durch seine Gewalt garantierte Ordnung seien schließlich die Seins-Voraussetzung aller Individuen. Wer diesen Staat und seine Rechtsordnung nicht anerkenne, sondern bekämpfe, stehe als „Feind hors de la loi“ (außerhalb des Rechts).

Staatstheoretisch sei daher auch in Deutschland durchaus die Einrichtung eines Guantanomo zur Sicherheitsverwahrung von „Feinden“ zu rechtfertigen. Er, Depenheuer, würde diesen „Feinden“ lediglich zugestehen, dass Gerichte über ihren Feindstatus und die damit verbundene Rechtlosigkeit befinden, bevor sie eingeliefert werden.

Selbst den Opfertod loyaler Staatsbürger muss der Staat laut Depenheuer zu seiner Selbstverteidigung verfügen können. Im Ausnahmezustand oder „Ernstfall“, der vom Staat als Souverän definiert und erklärt werde, gehöre dieser zu den Pflichten des Bürgers.

Auf Grundlage dieser Argumentation attackiert Depenheuer in seinem Buch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Februar 2006. Karlsruhe hatte jene Teile des von der rot-grünen Koalition verabschiedeten „Gesetzes zur Luftsicherheit“ für verfassungswidrig erklärt, die für den Fall eines tatsächlichen oder vermeintlichen Terrorangriffes den Abschuss eines Zivilflugzeuges und damit die Tötung von Zivilisten durch die Bundeswehr erlauben und regeln.

Das Gericht hatte seine Entscheidung mit der Menschenwürde der unschuldigen und wehrlosen Passagiere begründet. Depenheuer hält dem entgegen, die höchste und letzte Würde des Menschen bestehe darin, sich für die Staatsgemeinschaft zu opfern. Das Bundesverfassungsgericht habe unschuldigen Passagieren in der Hand von Terroristen diese letzte ihnen verbleibende Würde genommen, nämlich „sich selbst für die Gemeinschaft aufzuopfern“, bzw. aufopfern zu lassen.

„Im Lebensgefühl der saturierten und hedonistischen (nach Glück strebenden), multikulturellen Erlebnis- und Spaßgesellschaft der letzten Jahrzehnte“, so Depenheuer, seien „staatspolitische Grundkategorien“ wie „Gewalt des Staates als Grundlage der Ordnung“, „Bürgeropfer als Grundpflicht“, „Opfertod“, „Feind“ und „Feindrecht“ verdrängt und vergessen worden.

Staatsrechtslehre und Gerichte hätten diese Kategorien per Begriffsverweigerung und mit einer Art „Verfassungsautismus“ ignoriert, tabuisiert und „entsorgt“. Heute, „im Zeitalter des Terrorismus“, angesichts der „vom islamischen Fundamentalismus ausgehenden Gefahr“ müssten diese Tabus gebrochen werden.

Der frühere Bundesinnenminister und heutige Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hatte Depenheuers Buch nach seinem Erscheinen als Inspiration für den „Kampf gegen den islamischen Terrorismus“ empfohlen und bekannt, dass es zu seiner Nachtlektüre gehöre.

Die Tatsache, dass die FAZ Depenheuer ihre Tagung als Bühne zur Verfügung stellte, ist ein untrügliches Indiz dafür, dass diese Empfehlung in den Kreisen der politischen Elite, der Meinungsmacher und der Regierungsberater nicht auf taube Ohren gestoßen ist.

Eingeladen hatten zu der Tagung Günther Nonnenmacher, einer der Herausgeber der FAZ, der Mainzer Historiker Andreas Rödder und der Kölner Staatsrechtler Udo di Fabio. Zu den Teilnehmern zählten Politiker, Banken- und Industriemanager, Medienvertreter und Akademiker.

Dem Bericht in der FAZ lässt sich nicht entnehmen, dass die Rede Depenheuers auf großen Protest oder Empörung gestoßen wäre. Die Einschränkung der Demokratie wurde offensichtlich als „diskursfähige“, legitime Option betrachtet. Die wenigen Thesen und Redefetzen von anderen Konferenzteilnehmern, die der FAZ-Artikel zitiert, lassen sogar darauf schließen, dass sich die Anschauungen der übrigen Redner mit Depenheuers Konzepten versöhnen lassen oder zumindest nicht in unvereinbarem Widerspruch dazu stehen.

Selbst Werner Plumpe, Professor für Geschichtswissenschaft in Frankfurt/M. und Vorsitzender des Verbandes Deutscher Historiker, sah sich anscheinend nicht veranlasst, Depenheuer energisch entgegen zu treten.

Plumpe hätte an die Lehren aus der tragischen Geschichte Deutschlands erinnern können, wie nicht nur Carl Schmitt, sondern breite Schichten des akademischen Bürgertums mit ähnlichen demokratiefeindlichen Konzepten die Nazi-Herrschaft unterstützten oder feige vor ihr einknickten.

Stattdessen ortete Plumpe die Ursachen der Staatsverschuldung in Deutschland und Europa in der Sozialpolitik seit Ende der 60er Jahre – und nicht etwa im Bereicherungsfeldzug der Finanzaristokratie und in der Plünderung der Staatskassen durch die Senkung von Unternehmens- und Vermögenssteuern. Die Aufnahme immer neuer Schulden sei, so Plumpe, nie als Problem angesehen worden, sondern bedenkenlos zur Finanzierung von Sozialreformen herangezogen worden.

Ähnlich argumentiert Plumpe auch in seinem Buch „Wirtschaftskrisen – Geschichte und Gegenwart“, das er im Frühjahr dieses Jahres veröffentlicht hat. „Die Griechen haben schlicht über ihre Verhältnisse gelebt“, heißt es dort. Das klingt ähnlich wie bei Depenheuer, der im „Lebensgefühl und der Politik der saturierten, glückstrunkenen Wohlstands- und Spaßgesellschaft“ die Wurzel allen Übels sieht, an der die Axt für eine notwendige „Tendenzwende“ angesetzt werden müsse.

Ex-Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) machte deutlich, mit welchem Zynismus die politische Elite Deutschlands wieder bereit ist, demokratische Rechte kurzer Hand über Bord zu werfen, sobald sie der Regierung hinderlich sind. Auf die Frage, „Erlaubt der Klimawandel Mehrheitsentscheidungen?“, antwortete er: „Das kommt darauf an, wie die Mehrheit entscheidet.“

Auch der Vorsitzende des Münchner Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, sprach auf der FAZ-Konferenz. Er ist bekannt für seine nationalistische Kritik an der Europa-Politik der Bundesregierung und seine strikte Ablehnung jeglicher Unterstützung für andere europäische Staaten.

Nicht einmal nachträglich lösten die FAZ-Konferenz und die dort vorgestellte autoritäre Antwort auf die Krise von „Kapitalismus und Demokratie“ Proteste, Debatten oder ausführliche Kommentare aus, auch nicht bei der FAZ selbst. Die Unverfrorenheit, mit der 80 Jahre nach Hitlers Machtergreifung in Deutschland wieder die Errichtung autoritärer Formen der Herrschaft debattiert und angestrebt wird, stößt bei den Meinungsmachern, Beratern und Entscheidern in Wirtschaft, Politik und Hochschulen auf keinen Widerstand.

Angesichts der sich vertiefenden weltweiten Finanzkrise und Rezession sind diese wohlhabenden Schichten entschlossen, ihren Reichtum und das Profitsystem durch eine radikale „Trendwende“ zu verteidigen: durch die Zerschlagung der von den Arbeitern erkämpften sozialen und demokratischen Reformen und Zugeständnisse. Dies ist nur mit staatlicher Diktatur und Repression möglich.