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USA und Europa treiben auf Handelskrieg zu

Von Stefan Steinberg
13. März 2010
aus dem Englischen (12. März 2010)

Im Nachhall der Finanzkrise von 2008 greifen führende kapitalistische Länder auf zunehmend aggressive protektionistische Maßnahmen zurück, um ihre Interessen zu wahren.

Der Protektionismus kam diese Woche in scharfer Form auf die Tagesordnung, als der europäische Luft- und Raumfahrtkonzern EADS bekanntgab, sein Angebot für einen 35 Mrd. Dollar Auftrag des amerikanischen Militärs für 179 Tankflugzeuge zurückzuziehen.

Politiker in Berlin und Paris beschuldigten die Regierung in Washington verärgert des Protektionismus zugunsten von Boeing, dem führenden amerikanischen Hersteller von Militärflugzeugen. Ein führendes Mitglied der FDP forderte die deutsche Regierung auf, Druck auf die Vereinigten Staaten auszuüben, damit sie ihre protektionistischen Tendenzen aufgäben.

Andere waren noch direkter. Joachim Pfeiffer von der CSU schäumte: "Das ist skandalös und inakzeptabel," und müsse politische Folgen für unser Verhältnis zu den USA haben.

Garrelt Duin von den oppositionellen Sozialdemokraten erklärte, das sei ein Trick der Yankees... Die Amerikaner redeten nur dann über freien Wettbewerb, wenn es zu ihrem Vorteil sei. Man könne nicht einfach die Regeln ändern, weil einem der Gewinner nicht passe.

Das französische Außenministerium schickte den Vereinigten Staaten am Dienstag einen drohenden Brief mit der Warnung, dass Europa auf die Entscheidung des Pentagon, Boing gegenüber dem europäischen Konsortium zu begünstigen, "reagieren" werde.

Es besteht kein Zweifel, dass die amerikanische Regierung protektionistischen Praktiken frönt. Sie sind ein Kennzeichen der Regierung Barack Obamas, und haben die Unterstützung der Gewerkschaftsbürokratie. Aber die Klagen der europäischen Politiker sind durch und durch heuchlerisch.

Mehrere Kommentare in den Medien haben klargemacht, dass Amerika, Europa und einzelne europäische Länder seit Jahren eifersüchtig über die Interessen ihrer jeweiligen Rüstungsindustrie wachen. Erst vor wenigen Tagen haben mehrere europäische Länder 3,5 Mrd. Euro freigegeben, damit EADS den Militärtransporter A400 M tatsächlich bauen kann.

Das Handelsblatt schrieb: "Der freie transatlantische Rüstungsmarkt ist kaum mehr als eine Illusion... In Wirklichkeit hat Europa keinen offenen Markt für Rüstungsgüter... Deutsche, Briten und Franzosen schützen ihre heimische Rüstungsindustrie wie ein Wachhund und behindern, wenn nötig, öffentliche Ausschreibungen und Zusammenschlüsse."

Die Differenzen zwischen den atlantischen Partnern sind aber nicht auf die Rüstungsindustrie beschränkt.

Ein weiterer Konfliktpunkt tat sich diese Woche mit der Ankündigung führender deutscher und französischer Politiker auf, die Gründung eines Europäischen Währungsfonds zu prüfen. Hintergrund ist die europäische Schuldenkrise. Finanzminister Wolfgang Schäuble schlug einen solchen europäischen Fond vor, wobei er sich beeilte zu versichern, dass dieser nicht als Konkurrenzunternehmen zum Internationalen Währungsfond gedacht sei, in dem die USA maßgeblichen Einfluss ausüben. Aber es ist kein Geheimnis, dass ein Europäischer Währungsfond genau das wäre. Ein Kommentar in der Financial Times fasste die Stimmung in den politischen Kreisen Europas zusammen: "Die Vorstellung des Bailouts eines Landes der Eurozone unter der Kontrolle Washingtons ist nicht akzeptabel."

Die Überlegungen für einen solchen europäischen Fond befinden sich noch im Planungsstadium und einflussreiche Politiker und Finanzinteressen in Europa lehnen die Idee ab, aber die Überlegungen hinter dem Projekt sind klar. Führende europäische Länder mit Deutschland an der Spitze streben die gleiche Macht an, sich über die nationale Souveränität einzelner Länder hinwegzusetzen, wie sie der IWF besitzt - aber ohne Einmischung der Vereinigten Staaten.

Ähnliche Überlegungen stehen hinter den jüngsten Plänen der Regierungen Frankreichs und Deutschlands, verschiedene Formen von Spekulation, z.B. mit Credit Default Swaps oder Leerverkäufen, gegen Währungen und Staatsanleihen zu unterbinden. Die Einwände in europäischen Hauptstädten gegen solche Spekulationen haben nichts mit grundsätzlicher Ablehnung solcher Aktivitäten zu tun. Die Regierungen in Berlin und Paris sind ohne weiteres bereit, ihren jeweiligen Banken Hunderte Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen, um deren Verluste aus solchen Geschäften zu decken. Ihre Hauptsorge ist die beherrschende Rolle amerikanischer Banken auf diesem Feld und ihre Fähigkeit, den Euro damit in Turbulenzen zu stürzen. Einige begrenzte Regulierungen könnten sich in ihren Augen als nützlich erweisen, um unwillkommene Einmischungen amerikanischer Finanzinteressen in europäische Finanzangelegenheiten zu verhindern.

Der Krieg der Worte um den gescheiterten EADS-Auftrag und Spannungen wegen der Manipulation europäischer Märkte durch die Wall Street sind nur die jüngsten in einer ganzen Reihe von weitreichenden politischen und wirtschaftlichen Konflikten zwischen Europa und seinem größten Handelspartner, den Vereinigten Staaten.

Anfang Februar waren europäische politische Kreise erstaunt, als das US-Außenministerium bekanntgab, dass Präsident Obama an einem wichtigen EU-Gipfel im Mai in Madrid nicht teilnehmen werde.

Am 11. Februar kippte das Europäische Parlament ein Abkommen, das amerikanischen Geheimdiensten Zugang zu europäischen Bankdaten über das SWIFT-Rechenzentrum gewährt hätte. Amerikanische Vertreter reagierten geschockt.

Die Liste der umstrittenen Themen zwischen den transatlantischen Partnern könnte leicht um den Afghanistankrieg, die Umweltpolitik und die amerikanische Reaktion auf die Erdbebenkatastrophe in Haiti erweitert werden.

Weitere Konflikte deuten sich in der Handels- und Wirtschaftspolitik an. Europa bereitet sich gerade auf die Unterzeichnung mehrerer Freihandelsabkommen mit asiatischen Staaten vor. Der europäische Handelskommissar fasste kürzlich die europäische Strategie zusammen, als er bedauerte, dass Europa nicht in der Lage sei, seine Wirtschaftsmacht in politischen Einfluss umzumünzen. Gleichzeitig erläuterte er die Prioritäten des Kontinents für die unmittelbare Zukunft: "Indien, Kanada, die Ukraine, Lateinamerika und das Mittelmeer werden in den nächsten beiden Jahren wohl unsere Agenda bestimmen...Außerdem werden wir Gespräche in Singapur führen und unsere Handelsbeziehungen zu China entwickeln."

Das gleiche Rennen um Märkte und Rohstoffe treibt die amerikanische Wirtschaft an. Nicht zu unterschätzende Konfrontationen zwischen den Interessen Europas und der USA in diesen Regionen sind unvermeidlich.

Fünf Jahrzehnte lang war eine feste politische Partnerschaft zwischen den USA und Europa auf der Grundlage eines starken Amerika und eines schwachen Europa die feste Grundlage relativer Stabilität in der westlichen Hemisphäre. Diese Partnerschaft zerfällt jetzt rapide. Die nach dem Zweiten Weltkrieg mächtige amerikanische Industrie befindet sich schon seit längerem im Niedergang und Europa lässt unter der Führung Deutschlands und Frankreichs zunehmend seine politischen und militärischen Muskeln spielen.

Protektionismus und Handelskrieg sind die unvermeidliche Reaktion der großen kapitalistischen Mächte auf die Krise. Die Gewerkschaften und die sozialdemokratischen Bürokratien sind die enthusiastischsten Befürworter einer solchen Politik. Ihre Förderung von Wirtschaftsnationalismus ist untrennbar mit ihrer Unterstützung für brutale Kürzungsmaßnahmen ihrer jeweiligen Regierung gegen die Arbeiterklasse verbunden.

Die Bruchlinien, die im letzten Jahrhundert zu zwei Weltkriegen führten, existieren immer noch. Die erneute Entwicklung von Handelskrieg zum bewaffneten Konflikt zwischen Staaten kann nur durch die unabhängige Mobilisierung und Vereinigung der Arbeiterklasse auf einer sozialistischen und internationalistischen Perspektive verhindert werden.