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Siedlungsbau in Jerusalem:

Netanjahu fordert Washington heraus

Von Chris Marsden
27. März 2010
aus dem Englischen (25. März 2010)

Über das Treffen zwischen Präsident Obama und dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu am letzten Dienstag gab es weder ein Kommuniqué, noch gab es eine Pressekonferenz oder einen offiziellen Händedruck.

Es dauerte bis Mittwoch, bis das Weiße Haus eine Erklärung herausgab, in der erläutert wurde, dass es weiterhin Meinungsverschiedenheiten mit Israel gebe, und die USA "Klärungsbedarf" zu dem Bau von Wohnungen im besetzten Ostjerusalem hätten. Das Weiße Haus bestätigte, dass das Treffen mit Netanjahu nach 90 Minuten auf dessen Bitte hin beendet worden sei, damit er sich mit Regierungsvertretern beraten könne - was darauf hindeutet, dass bestimmte Forderungen an ihn herangetragen worden waren.

Netanjahu verzögerte seine Abreise nach Israel, um mit dem Friedensbeauftragten für den Nahen Osten George Mitchell zusammenzutreffen. Aber es ist klar, dass er erneut die Forderung zurückwies, den Siedlungsbau zu beenden.

Den Gesprächen waren zwei Wochen öffentlicher Auseinandersetzungen zwischen Washington und Tel Aviv vorausgegangen, nachdem Israel am 9. März angekündigt hatte, 1.600 neue Wohnungen in der Region Ramat Shlomo bauen zu wollen, die größtenteils im Osten Jerusalems liegt. Diesen Teil der Stadt beanspruchen die Palästinenser als Hauptstadt eines zukünftigen eigenen Staates. Das früher jordanische Gebiet war 1967 von Israel annektiert worden.

Dieses Vorhaben droht die ohnehin explosiven Konflikte auf der Westbank zu verschärfen. Die Wiedereröffnung einer Synagoge in der Jerusalemer Altstadt wird von Palästinensern als Teil der Bestrebungen angesehen, die Al Aqsa Moschee zu zerstören und den jüdischen Tempelberg wieder zu errichten.

Hunderte von Palästinensern protestierten und kämpften mit israelischen Sicherheitskräften. Teile der Westbank wurden zu "geschlossenen militärischen Zonen" erklärt. Hamas verkündete am 16. März "Tage des Zorns" wegen der Al Aqsa Moschee und der militärische Flügel der Fatah, die Al Aqsa Märtyrer Brigade, forderte von der palästinensischen Autonomiebehörde die Erlaubnis, den bewaffneten Kampf gegen "die Versuche, Jerusalem zu judaisieren" wieder aufzunehmen. Auch in Ägyten kam es zu Studentenprotesten.

Die Ankündigung zum Siedlungsbau in Ramat Shlomo war eine Provokation, die zeitlich mit dem Besuch von US-Vizepräsident Joseph Biden zusammentraf, der mit dem israelischen Präsidenten Shimon Peres über die Wiederaufnahme von Friedensgesprächen diskutieren wollte. US-Außenministerin Hillary Clinton und Obamas Hauptratgeber David Axelrod warfen Israel vor, die Vereinigten Staaten "beleidigt" zu haben.

Im Vorfeld des Treffens zwischen Obama und Netanjahu bemühte sich Washington jedoch sichtbar darum, wieder normale Beziehungen herzustellen, Netanjahu beharrte aber darauf, dass es in der Frage des Siedlungsbaus keinen Kompromiss geben könne. Bevor er mit Obama zusammentraf, sprach er privat mit Clinton und beide nahmen am Montag gemeinsam an der jährlichen Konferenz des Amerikanisch-Israelischen Public Affairs Committee (AIPAC) in Washington teil.

Clinton drängte Israel, den Siedlungsbau einzustellen und substantielle Gespräche mit den Palästinensern aufzunehmen, sich aus der Westbank zurückzuziehen und einige palästinensische Gefangene freizulassen. Netanjahu verweigerte die Einstellung des Siedlungsbaus.

In ihrer Rede von dem AIPAC leugnete Clinton, dass sich die Beziehungen der USA zu Israel in einer Krise befänden und betonte die "enge, unerschütterliche Verbindung" zwischen den beiden Staaten und Amerikas "felsenfeste, standhafte und dauernde" Unterstützung" für Israels nationale Sicherheit.

Netanjahu begrüßte Clintons "warme Worte", erklärte jedoch, dass "Jerusalem keine Siedlung ist, sondern unsere Hauptstadt." Er wolle die Politik fortsetzen, die Israel seit dem Sechstagekrieg 1967 verfolge und er wisse, dass Israel sich auf die Unterstützung der USA verlassen könne "von einem Präsidenten zum andern, von einem Kongress zum nächsten."

Teile der internationalen Presse behaupteten, dass Obama endlich vorhabe, Israel Einhalt zu gebieten und sogar mit dem Gedanken zu spielen, die instabile Koalition Netanjahus zum Rücktritt zu zwingen und dafür zu sorgen, dass wieder eine von der Kadimapartei geführte Regierung die Macht übernimmt. Im Guardian, schrieb Jonathan Freedland: "Das letzt Mal, dass die USA Israel so ernsthaft unter Druck gesetzt haben, ist 29 Jahre her, als George Bush Sr. drohte, eine Bürgschaft für eine Anleihe von 10 Milliarden Dollar zurückzuhalten, wenn Israel den Siedlungsbau nicht stoppe. Dass führte dann zur Absetzung des unnachgiebigen Premierministers Yitzhak Schamir und der Einsetzung des friedenswilligen Yitzhak Rabin."

Aber die Argumente, die diese Behauptung untermauern sollen - d.h. der Wunsch Washingtons, seine Interessen im Nahen Osten zu stärken und abzusichern - sind genauso gegen eine derartige Konfrontation mit Israel zu gebrauchen.

Seit seiner Gründung und insbesondere seit seinem Sieg über Ägypten, Syrien und Jordanien 1967, hat Israel sowohl als Regionalmacht ein Rolle gespielt und war gleichzeitig wichtigster Verbündeter Amerikas im Nahen Osten. Es erhält massive Militärhilfe und diplomatische Unterstützung durch die USA, ohne die es nicht überleben könnte. Aber obwohl seine Interessen im Großen und Ganzen mit denen Washingtons identisch sind - gibt es doch im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit den arabischen Staaten, und was noch wichtiger ist, mit den arabischen Massen - deutliche Unterschiede. Da gibt es von Zeit zu Zeit Spannungen.

Die Ursache der jüngsten Spannungen liegt in dem Bestreben Amerikas, seinen Einfluss im Nahen Osten nach der Besetzung des Irak wieder herzustellen. Weiter ist Washington daran interessiert, eine Koalition mit den arabischen Staaten zustande zu bringen - auch mit Ägypten und Saudi Arabien -, um Unterstützung für sein Vorgehen gegen Iran zu erhalten.

In seiner Aussage vor dem Militärausschuss des Senats sagte General David Petraeus, Oberbefehlshaber des US-CentCom, ohne Umschweife, dass der israelisch-palästinensische Konflikt eine Bedrohung der amerikanischen Interessen bedeute, indem er "antiamerikanische Stimmungen" schüre und Al-Qaida helfe. Unzureichende Fortschritte im Nahost-Friedensprozess "stellten eindeutig eine Beeinträchtigung unserer Fähigkeit dar, unsere Interessen zu verfolgen", erklärte er.

Dennoch bleiben enge Beziehungen zu Israel ein Schlüsselelement der amerikanischen Nahoststrategie. Die Obama-Regierung ist verärgert, dass Netanjahus uneingeschränkte Siedlungsbaupolitik ihre Bemühungen untergraben hat, den Schaden zu beheben, den die Regierung Bush angerichtet hat. Dadurch können die USA nicht mehr als ehrlicher Makler im israelisch-palästinensischen Konflikt auftreten. Aber in jüngster Zeit waren es die USA, die zurückwichen, wenn Israel sich weigerte, ihren Forderungen nachzukommen.

Im September letzten Jahres verlangte die Obama-Regierung von Israel, alle Bauvorhaben auf der Westbank einzustellen, aber Netanjahu weigerte sich. Die USA begnügten sich mit Netanjahus hohlem Versprechen, den Siedlungsbau zu "begrenzen", was Clinton großartig als "einmaliges" Zugeständnis pries.

Washingtons im Allgemeinen versöhnliche Haltung Israel gegenüber ist nicht nur eine außenpolitische Frage. Israel genießt große politische Unterstützung in den herrschenden Kreisen Amerikas. Netanjahu und der Likud haben darüber hinaus enge Beziehungen zur Republikanischen Partei. Obama und die Demokraten fürchten, von der politischen Opposition gebrandmarkt zu werden, weil sie Israel nicht genügend unterstützen.

Israels harte Linie gegenüber den Palästinensern, dem Libanon, Syrien und Iran findet im Kongress sowohl bei Republikanern als auch bei Demokraten Zuspruch. Nach seinem Auftritt bei der AIPAC sprach Netanjahu vor dem Kongress. Ihm wurde von beiden Parteien das Vertrauen ausgesprochen und die Demokratische Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi erklärte: "Im Kongress sprechen wir, was Israel angeht, mit einer Stimme."

Zur Zeit versucht die Obama-Regierung ihre Bemühungen darauf zu konzentrieren wesentlich schärfere Sanktionen gegen den Iran durchzusetzen und gleichzeitig "umfassende diplomatische Kontakte und Dialoge" anzubieten. Sollte dies jedoch fehlschlagen, ist ein Militärschlag gegen Teheran möglich und Israel würde notwendigerweise dabei einbezogen.

Die schottische Zeitung Sunday Herald berichtete letzte Woche, dass die USA 387 bunkerbrechende Bomben nach Diego Garcia im indischen Ozean transportierten, um einen solchen Angriff auf den Iran vorzubereiten. Dan Plesch, Direktor des Centre for International Studies and Diplomacy (CISD) an der Universität London nannte die US-Pläne eine "Totalmobilmachung für die Zerstörung des Iran", durch die "10.000 Ziele im Iran innerhalb weniger Stunden" getroffen werden können.

Netanjahu betonte die Drohung seitens des Iran während seines gesamten Besuchs in Washington. Vor der AIPAC erklärte er, Israel erwarte von der internationalen Gemeinschaft, entschieden gegen Teheran vorzugehen und es daran zu hindern, in den Besitz von Atomwaffen zu gelangen. Die Sunday Times berichtete auch, dass Netanjahu vorhabe, die USA zu bitten, Israel mit bunkerbrechenden Bomben auszurüsten, die es benötige, um die unterirdischen Urananreicherungsanlagen Irans anzugreifen.

Der Nahe Osten wird nicht nur infolge der Offensive Netanjahus gegen die Palästinenser zur Schaffung eines "Großisrael" destabilisiert. Vielmehr zeigen die Aktionen Israels auf, wie unwahr die Behauptungen Amerikas sind, ein Freund der Palästinenser zu sein und sie werfen Licht auf Washingtons rücksichtsloses Vorgehen gegen Iran und die gesamte Region.

Das schafft die Bedingungen für einen Ausbruch von Wut unter den arabischen Massen, der sich nicht auf die Westbank und Gaza beschränken wird.