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Obama beruhigt Krankenkassen und Republikaner mit seiner Rede zur Gesundheitsreform

Von Barry Grey
12. September 2009
aus dem Englischen (10. September 2009)

Präsident Barack Obama hielt am 9. September vor dem Kongress eine landesweit ausgestrahlte Rede, um seine Gesundheitsreform den amerikanischen Bürgern zu erklären. Sie verfolgte in weiten Teilen das Ziel, die Gesundheitsindustrie zu beruhigen und seine republikanischen Gegner zu beschwichtigen.

Obama bemühte sich, seine versprochene Reform des Gesundheitssystems neu zu verpacken, um deren reaktionären Inhalt besser vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Aber der Kern seiner Rede konzentrierte sich auf die Notwendigkeit die Kosten sowohl der privaten Versicherer als auch der Staates für Medicare und Medicaid, der staatlichen Hilfsprogramme für Alte und Arme, zu senken.

"Die Frage der steigenden Kosten", sagte er, stelle für "amerikanische Firmen, die, wie unsere Autohersteller im internationalen Wettbewerb stehen, einen enormen Nachteil" dar. Die Bezugnahme auf die amerikanischen Autofirmen war bedeutsam, denn Obama hatte General Motors und Chrysler vor allem deshalb in den Bankrott gezwungen, um eine drastische Verschlechterung der Gesundheitsversorgung der Autoarbeiter durchzusetzen. Mit dieser Bemerkung sendete Obama ein Signal aus. Denn im Gegensatz zu seiner "Reform"rhetorik sind die Angriffe auf die Gesundheitsversorgung der Autoarbeiter das Vorbild für seine Kürzungsvorschläge im gesamten Gesundheitssystem.

Er erklärte, dass sein Gesundheitsplan von großer Bedeutung für den Kampf gegen das wachsende Haushaltsdefizit und die Staatsschulden sei. "Einfach gesagt", sagte er, "unsere Gesundheitsversorgung ist der Hauptgrund für unser Defizit. Nichts anderes macht soviel aus."

Das ist eine Lüge. Denn er ignoriert die weit größere Rolle, die die viele billionenschweren Bürgschaften für die Banken, die Hunderte Milliarden, die für die Kriege in Irak und Afghanistan ausgegeben werden, und die halbe Billion für den jährlichen Militärhaushalt für die Plünderung des Staatsschatzes spielen.

Obama ging noch weiter, um sich die Unterstützung der Rechten für seine Pläne zu sichern. Er erklärte, er werde "keinen Plan unterschreiben, der unser Defizit um ein Cent erhöht—nicht jetzt und nicht in Zukunft." Er fügte hinzu, "Und um zu beweisen, dass ich es ernst meine, wird es in diesem Plan eine Bestimmung geben, die uns zwingt, die Ausgaben stärker zu kürzen, falls die geplanten Einsparungen nicht so ergiebig sind, wie wir es versprochen haben."

Er verriet nicht, wo diese Ausgabenkürzungen stattfinden sollen, aber die logische Schlussfolgerung war, dass er sich auf Medicare, Medicaid oder andere soziale Programme bezog.

Dann erklärte er, dass "der größte Teil dieses Plans durch Kürzungen im bestehenden Gesundheitssystem finanziert werden kann - ein System, das derzeit voller Verschwendung und Missbrauch ist." Er blieb sehr vage, welche Art von "Verschwendung und Missbrauch" er meinte, aber er gab einen Hinweis auf die grundlegende Linie seines Gesamtplanes, als er von Steuerdollars sprach, "die wir für Gesundheitsversorgung ausgeben, ohne dass sie uns gesünder machen".

Das war eine indirekte Bezugnahme auf zahlreiche Komponenten seines Plans, die auf die Rationierung der Gesundheitsversorgung abzielen. Hierdurch sollen Millionen Arbeitern entweder teure Untersuchungen, Behandlungen und Medikamente verwehrt werden, oder sie werden gezwungen, dafür extra zu bezahlen.

"Und das trifft auch auf Medicare und Medicaid zu", sagte er. Bezüglich Medicare bewarb er seinen Plan, eine "unabhängige Kommission von Ärzten und medizinischen Experten", ins Leben zu rufen, "die die Aufgabe haben wird, zukünftige Verschwendung aufzudecken". Er verriet nicht, dass dieses nicht gewählte Gremium die Macht haben würde, einseitig Kosteneinsparungen bei Medicare Behandlungen anzuordnen, wobei der Kongress nur die Möglichkeit hätte, sein Veto gegen die Vorschläge einzulegen.

"Weil Medicare ein so bedeutender Teil des Gesundheitssystems ist", sagte er, werden die Kostensenkungen, die (durch die Rationierung der Versorgung der Senioren) erreicht werden, "Veränderungen" im gesamten Gesundheitssystem einläuten.

Obama hielt die Rede angesichts wachsender Opposition in der Bevölkerung gegen den Gesundheitsplan der Regierung. Eine Umfrage der Associated Press-GfK, die am vergangenen Mittwoch veröffentlicht wurde, zeigte, dass 52 Prozent mit Obamas Gesundheitsreform unzufrieden und nur 42 Prozent einverstanden waren. Dieselbe Umfrage zeigte, dass die allgemeine Zustimmungsrate zu Obama auf 50 Prozent gefallen war, was ein außerordentliches niedriges Niveau für einen Präsidenten in diesem Stadium seiner Amtszeit ist.

Obama versuchte, diesem Trend entgegenzuwirken, indem er ein verfälschtes und unehrliches Bild seines Gesundheitsplans vorstellte. Er betonte, dass es Versicherungsgesellschaften verboten würde, die Versicherung wegen vorangegangener Krankheiten zu verweigern, oder sie zu kündigen, wenn Leute krank würden. Er behauptete, die Regierung werde Subventionen geben, um der Mehrheit der 47 Millionen Unversicherten in den USA eine staatlich organisierte Versicherung zu gewährleisten.

Er erwähnte nicht, dass nur Familien mit einem Einkommen unter 66.000 Dollar einen Anspruch auf solche Unterstützung haben würden. Und selbst mit dieser Unterstützung würden die Tausende Dollar teuren Policen privater Versicherer an den Versicherungsbörsen nur eine sehr dürftige Versorgung gewähren. Viele Millionen Unversicherte würden unter Obamas Plan überhaupt keine staatliche Unterstützung bekommen.

Jedenfalls würden sie gesetzlich dazu verpflichtet, sich eine Versicherung zu kaufen. Obama befürwortete diese sogenannte "individuelle Verantwortung" demonstrativ, während er denselben Vorschlag von Hillary Clinton noch in den Vorwahlen der Demokraten zur Präsidentschaftswahl abgelehnt hatte.

Das ist eine reaktionäre Maßnahme. Dadurch soll die Verantwortung für die Gesundheitskrise auf die Bevölkerung abgewälzt werden und nicht von den Versicherungsgesellschaften und der Regierung getragen werden. Die Versicherungsgesellschaften — ebenso wie die Pharmagiganten und Krankenhausketten — unterstützen Obamas Plan, weil er einen riesigen neuen Markt öffnen und ihre Einkünfte vergrößern würde, während ihre Ausgaben gesenkt würden, indem sie minderwertige Policen verkaufen dürften.

Unter der Version von Obamas Plan, der diese Woche von Senator Max Baucus, dem Vorsitzenden des Finanzausschusses des Senats, entworfen worden ist, würden Personen, die es versäumten, eine Versicherung zu kaufen, Strafen bis zu 3.800 Dollar jährlich bezahlen müssen. Fast 12 Millionen Menschen, die ohne Versicherung leben, könnten von diesen Strafen betroffen sein.

Der Plan von Baucus, der vermutlich so ähnlich vom Kongress verabschieden würde, gibt Arbeitgebern die Möglichkeit, die Gesundheitsversorgung ihrer Arbeiter entweder zu kürzen oder ganz zu beenden.

Der Baucus-Vorschlag zwingt Arbeitgeber nicht dazu, ihren Arbeitern eine Krankenversicherung zu bezahlen. Stattdessen sieht er eine minimale Strafe für große Firmen vor, die es ablehnen, diese Versicherung abzuschließen, ein Kostenfaktor, der weit geringer wäre als ihre derzeitigen Ausgaben für die Krankenversicherung ihrer Arbeiter. Außerdem beinhaltet der Plan eine Besteuerung von 35 Prozent von Versicherungsgesellschaften mit teuren Policen. Das würde auch Krankenversicherungen betreffen, die momentan in verschiedenen Tarifverträgen geregelt sind. Diese Steuer würde in Form von höheren Prämien, Eigenbeteiligung und reduzierten Leistungen direkt an die Arbeiter weitergegeben werden.

Das Wall Street Journal schrieb im Juli: "Viele Gesundheitsexperten sind sich einig, dass neben steigenden Einkünften solch eine Steuer helfen könne, die Gesundheitskosten langfristig zu drosseln, indem sie Policen benachteiligt, die unnötige Untersuchungen und Behandlungen beinhalten."

Zwar sieht der Baucus-Plan vor, die Teilnahmeberechtigung für Menschen mit niedrigem Einkommen auf Medicaid auszuweiten, diese würden jedoch gleichzeitig weniger Leistungen erhalten als reguläre Medicaid Empfänger.

Obama begann die Rede zur Verteidigung seiner Gesundheitspläne am Mittwochabend, indem er ein trübes Bild vom gegenwärtigen Gesundheitssystem in den USA entwarf. "Jeder versteht die außerordentlichen Härten, die die Unversicherten treffen", sagte er, "die jeden Tag nur einen Unfall oder eine Krankheit vom Bankrott entfernt leben." Jeden Tag, bemerkte er, verlören 14.000 Amerikaner ihre Versicherung.

Und diejenigen, die eine Versicherung besitzen, "hatten noch nie weniger Sicherheit und Stabilität als heute", sagte Obama.

Aber er umging die Ursache dieses wachsenden Gesundheitsdesasters - die Unterordnung der Gesundheitsversorgung unter den privaten Profit. Er zitierte "die hemmungslosen Profiterwartungen der Wall Street" als Triebkraft hinter der Politik der Versicherer, die Tarife zu erhöhen und die besonders kranken Klienten auszuschließen.

Im selben Atemzug erklärte er seine Unterstützung für den kapitalistischen Markt: "Mein Leitprinzip ist, und ist immer gewesen, dass es für die Konsumenten besser ist, wenn es Auswahl und Wettbewerb gibt. So funktioniert der Markt." Er fügte hinzu: "Ich bin nicht daran interessiert, Versicherungsgesellschaften aus dem Geschäft zu drängen."

Obamas Verbeugung vor den Versicherungskonzernen und vor seinen republikanischen Gegnern zeigt sich besonders deutlich an seinem Vorschlag für eine staatliche Versicherung, die mit den privaten Versicherern an den Versicherungsbörsen in Wettbewerb treten soll. Wie er betonte, kommt diese Versicherung für weniger als fünf Prozent der Amerikaner in Frage. Sie solle keine staatliche Unterstützung bekommen. Sie werde, versicherte er, für die großen Versicherungen keine Bedrohung darstellen.

Nichtsdestoweniger stellte Obama klar, dass er bereit ist, diesen Vorschlag, den die Versicherungsgesellschaften scharf angreifen, notfalls fallen zu lassen. "An meine progressiven Freunde", sagte er, an seine liberalen Unterstützer und Teile der Demokraten im Kongress gewandt: "Ich möchte euch daran erinnern, dass...die staatliche Lösung nur eine Möglichkeit ist, unser Ziel zu erreichen, und wir sollten für andere Ideen offen bleiben, wie wir unser Ziel erreichen können."

Er deutete an, er sei bereit, Alternativen zu prüfen. Diese beziehen sich entweder auf die privaten Genossenschaften nach dem so genannten Baucus-Plan, oder auf weitere Vorschläge einer "staatlichen Lösung". Eine solche könnte man in der Hinterhand behalten, um privaten Versicherern damit zu drohen, wenn sie zu teuer werden.

Um den Republikanern noch mehr entgegenzukommen, stellte er klar, dass sein Plan so genannte "illegale Einwanderer" ausschließe und kein Geld für Abtreibung bereitstelle. Weiter drückte er seine Unterstützung für die Vorschläge der Bush-Regierung aus, Zahlungen für "unangebrachte medizinische Behandlungen" zu senken.

Obamas Behauptung, er wende sich mit seiner Rede an die amerikanische Bevölkerung, war an sich schon ein Betrug. In Wahrheit werden die Bedingungen einer Reform des Gesundheitssystems hinter verschlossenen Türen ausgehandelt. Daran beteiligen sich die Lobbyisten der Gesundheitsindustrie und die von ihnen durch Wahlkampfspenden oder andere Bestechungen gekauften Politiker.

Am Montag schrieb die New York Times : "Die Hauptinteressenten der Gesundheitsdebatte - Krankenhäuser, Ärzte, Versicherer und die Pharmaindustrie — haben die Verhandlungen nicht aufgegeben." Die Times zitierte Ralph G. Neas, den Chef der Nationalen Vereinigung zur Gesundheitsversorgung: "Sie [diese Hauptinteressenten] sagen sich: Wir werden dreißig oder vierzig oder fünfzig Millionen neuer Kunden bekommen. Das liegt in unserem eigenen ökonomischen Interesse."

Wie die Rettungspakete der Obama-Regierung für die Wallstreet und ihre Angriffe auf die Autoarbeiter, zielt auch der Gesundheitsplan darauf ab, die ganze Last der Krise des amerikanischen Kapitalismus auf die Schultern der Arbeiterklasse zu laden.

Siehe auch:
Was steckt hinter der Opposition gegen Obamas Gesundheitsreform?
(13. August 2009)